23. Ich kam mit einer Art Vorurteil gegen Prag hier an.

23. Ich kam mit einer Art Vorurteil gegen Prag hier an. Das wahrhaft läppische Mißverstehen meines Ottokar, die lächerliche Wut, in welche der beschränkte Nationalsinn der hiesigen Einwohnerschaft über dieses unschuldig gemeinte Stück geriet, hatte mich höchst ungünstig vorbereitet. Demungeachtet aber konnte ich mich des grandiosen Eindruckes nicht erwehren, den diese Stadt auf jeden Beschauenden machen muß. Die Lage im Kessel von schönen und reich bepflanzten Bergen, überall vorteilhafte Linien bildend, der breite Fluß mitten durch die Stadt, das Häusergewühl durch sonderbare Türme und hervorragende Gebäude aller Art wohlthuend unterbrochen und in Partien gesondert, der Hradschin das Ganze krönend, alles trägt dazu bei, diese Stadt, recht gemäldehaft, zu einer der schönsten für den Beschauer zu machen. Es ist hier etwas, das an Venedig erinnert; das Fortlebende nämlich, das Altertümliche zwischen und neben dem Neuen. Rathaus und die Türme an der Brücke rufen Florenz zurück, und im ganzen machte mir Prag wirklich einen ähnlichen Eindruck mit letztgenannter Stadt.

Der schönste Ueberblick ist vom sogenannten Lorenzberge, Ich war mit Pußwald gegen Abend in dem dort oben gelegenen Gasthause, die Hasenburg genannt, und ich muß gestehen, daß ich mir etwas Reizenderes kaum denken kann, als Prag von diesem Standpunkte. Die Bauwerke aus früherer Zeit haben hier durchaus etwas Phantastisches, das in einem sonderbaren Einklange mit dem Geiste der ältesten Geschichte Böhmens, der romanhaftesten, die ich kenne, steht. Diese vielen Türme mit vielfachen Spitzen, jeder anders und nur in der Seltsamkeit übereinstimmend; diese Kirchen, kaum eine schön, aber alle auffallend, mitunter wunderlich, z. B. die Domkirche mit ihren Schnörkeln und Säulchen, mit ihren Strebepfeilern, die nichts tragen, und ihren Bögen, die nichts stützen, ein treffendes Bild der Willkürlichkeit, jedes Glied gleichsam ohne Zweck, wie nur um seiner selbst willen hingestellt, und doch im Gesamteindruck so wunderbar. Kurz, diese Stadt trägt nicht das Gepräge des befriedigten Bedürfnisses, sondern der freien schaffenden Geisteskraft, sie besteht nicht aus Wohnungen, sondern aus Gebäuden. Wenn dieses letztere freilich nur von den Ueberbleibseln der älteren Zeit gilt, so reihen sich die neueren Häuser ihnen doch so an, daß sie den würdigen Eindruck durchaus nicht stören, und man kann Prag wirklich eine schöne Stadt nennen.


Die Brücke etwas derb, aber schön, die angebrachten Bildsäulen, sonst überall plump, stimmen zum Ganzen; dieser ärmliche Fluß dehnt sich hier zum breiten Strome aus, freilich ebenso seicht als er breit ist. Verhüte Gott, daß er je ein Symbol der Nationalbildung sei!