Reisen in Schweden - 3. Von Stockholm nach Upsala

Aus: Ernst Moritz Arndts Reise durch Schweden im Jahr 1804, Teil 1
Autor: Arndt, Ernst Moritz (1769-1860) Schriftsteller, Historiker, Freiheitskämpfer und Abgeordneter der Frankfurter Nationalversammlung. Gebürtig in Groß Schoritz auf Rügen, Erscheinungsjahr: 1806
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Schweden, Reisen, Land und Leute, Sitten und Gebräuche, Natur und Umwelt, Flora und Fauna, Geschichte, Städte und Dörfer, Extrapost, Lebensweise
Es war der 26te März des 1804ten Jahres, und hätte auch hier schon Frühling sein können, aber daran war bei diesem langen Winter nicht zu denken. Es war 8 Uhr Morgens. Schon fingen die Schornsteine an für den ersten Kaffee und Tee zu rauchen, die Karren mit Wasser- und Biertonnen rasselten, als die ersten Stadtequipagen, Bediente und Mädchen liefen nach Brot und Milch umher, Chirurgen und Ärzte machten die ersten Gänge zu gefährlichen Patienten, ich begegnete einem Bekannten, der mich freundlich grüßte; die ehrlichen Bauern mit ihren langen Schlitten voll Mehl und Holz, die Helsingländer mit den Vogelleichenkisten des Nordens wichen mir grüßend aus. Ich wusste nicht, was ich tat noch was mir begegnete, und so fand ich mich endlich nach einer halben Stunde im Freien wieder.

Es war ein schöner Morgen und über unserer Eisbahn — denn wir fuhren meist den sogenannten Winterweg — lag ein glühend roter Himmel und vergoldete die hohen vom Schnee gebeugten Tannen. Das Herz ward wieder frisch und auch bei meinem Skjutsbonde machte es sich lustig. Er sang Bauernweisen und unter andern eine kleine Weise auf den Patron des schwedischen Pferdewettlaufs. Sankt Stephan, dessen Ehre eigentlich in die Julzeit fällt. Einige Fingervoll Tabak, die ich ihm gab und die er als einen schmackhaften Tuggbuss in einer seiner Backentaschen verwahrte , machte ihn noch munterer. Jenes Stephanslied heißt:

      Staffan han var en stalledräng.
      Håll dig väl fålan min,
      Han vattnade fålarna alla fem —
      Hjelp Gud och Sancte staffan!

      „Stephan ein Knecht im Stall war er,
      Halt dich wohl, Hengstlein mein.
      Er wässerte die Hengstlein alle fünf.
      Helf Gott und Sankte Stephan!“


So flogen wir den lieblichen Königssitzen Haga und Ulriksdal vorbei und kamen glücklich nach Rotebro, dem ersten Håll zwei Meilen von Stockholm , trotz der Weissagung des Skjutsbonde, der ausspuckend das böse Omen abzuwenden suchte, was uns sogleich außer dem Zoll in einem alten Weibe begegnete. Er schrie fanen en käring! und klatschte schneller auf das Pferd. Die Bedeutung eines alten Weibes ist also in Schweden wie in Deutschland für Reisende gleich.

In Rotebro war es munter durch einen Haufen von 20 Dalkarls mit ihren Weibern, welche auf Arbeit ziehen. Mit ihrer naiven Zutraulichkeit waren sie mit mir als einem Fremden sogleich im Gespräch. Sie erzählten mir mit dem ihnen eignen Stolz, wie hier bei Rotebro die Dalkarls einst mit den Dänen geschlagen haben. Solche alte Kunden und Sagen gehen bei ihnen von Geschlecht zu Geschlecht. „Dort stand König Johann auf jenen Hügeln und viele unsrer Herren mit ihm, hier Sten Sture mit 4.000 Dalkarls. Die Menge drückte sie nach einem mörderischen Kampf zurück, 500 lagen erschlagen, sie wichen mit dem Reichsvorsteher wie die Löwen und die Dänen ließen sie ziehen. Dort sollen die Erschlagenen begraben liegen." Es war angeschirrt, der Hållkarl kam mit dem Tagebuche, ich druckte den nächsten die Hände und fuhr weiter.

Ich sprach vorher vom Winterweg. Im Winter gibt es nämlich nach manchen Orten zwei Wege, einen Land- und einen Seeweg. Wenn alle Seen, Moräste und Ströme dickes Eis haben, so fährt man nicht um sie herum, sondern nimmt den nächsten Weg über sie hin, welches den Winterweg oder den Seeweg fahren heißt. Diese Wege sind so bestimmt, dass sie unter öffentlicher Aufsicht stehen und die untersten Polizeibeamten auf dem Lande sorgen müssen, sie mit Stangen und grünem Reisig auszupricken, wo sie am sichersten sind, im Frühlinge die Stellen auszuzeichnen, wo das Eis am ersten aufgeht und Öffnungen bekommt. Eben so sind im Winter die Heerstraßen ausgezeichnet mit Zweigen, wo keine Zäune und Bäume sie einschließen, so wie auch die Gräben an den Landstraßen. Schneit es viel, so müssen die nächsten Dorfschaften sogleich einige Pferde vor die Schneepfluge legen und die Straßen aufpflügen. Diese Schneepflüge sind hier und da an den Wegen neben den Meilenzeigern aufgepflanzt und gleichen völlig einem spitzwinkligen Triangel in zwei bis dreiviertel Ellen hohen zusammen gefügten Brettern. Kommt Tauwetter, so muss der Schnee, wo er zu dick liegt weggeräumt werden und die Dorfschaften müssen mit Schaufeln und Spaten unter eignen Anführern heraus, die Schneevögte heißen und zur Winterwegepolizei ernannt sind.

Die schwedischen Schlitten sind in mancherlei Form, viele wie unsre Bauerschlitten, schmal und mit kleinen Leitern zur Seite und mit weichen und warmen Bündeln Stroh oder mit Bänken als Sitzen; andre sind ein richtiger Kasten, der über den Schlittern ruht, vorn spitzig und hinten allmählich breiter. Lustig sitzen der Bauer und die Bäuerin darin, ziehen zum Teil gegerbte Kalbfelle darüber und kriechen darunter und lassen den Gaul den bekannten Weg traben. Solche Kasten gebrauchen die Helsinger und Jemtländer, wenn sie nach den Märkten von Hedemora, Upsala oder nach Stockholm mit ihren Produkten kommen. Sie schlagen den Kasten aber ordentlich zu und machen sich einen Sitz darauf. Geöffnet wird am Orte des Verkaufs, wo Butter, Käse, Fleisch, Ren- und Elendtierbraten, vorzüglich die Menge der Vögel an das Tageslicht kommen. Einen Vorteil aber, der leicht nachzuahmen wäre, aber bei uns noch wenig benutzt ist, haben die schwedischen Schlitten voraus, dass die größeren nämlich alle auf Kalken (kälkar) gehen oder zweifache Schlitter haben, an jeder Seite nämlich zwei kurze, durch Stricke oder Ketten zusammengefügte, statt Eines langen. Jeder, der auf unserem größeren Schlitten gefahren ist, weiß, wie leicht die langen Schlitter zuweilen brechen bei dem Hinab- und Hinaufstoßen auf unebenen und löchrigen Bahnen und wie unangenehm ihre Insitzer wenigstens diese Stöße erfahren. Die schwedischen hingegen tanzen leicht durch alle Löcher und über alle Unebenheiten hin und auch wo die Bahn stößig ist, schaukeln sie wie eine Wiege.

Hinter Rotebro ist die Gegend wenig lustig, meistens flaches und waidloses Land. Dass Upland ein Kornland ist, sieht man an den vielen Strohdächern, die sich neben den mit Rasen und Schindeln gedeckten finden. Übrigens war heute gar kein Leben auf den Straßen und in den Häusern. Das einzige Abenteuer auf der ganzen Reise war ein Wolf, der über den Weg lief, auch ein Unglückszeichen; und das einzige Lebendige waren Hunde und Elstern. Diese letzteren sind recht schwedische Vögel, denn vom Süden bis zum Norden findet man keine häufiger. Sie flattern Sommer und Winter um jede kleinste Hütte herum und scheinen unter einem besonderen Schutz der Bauern zu stellen, den sie vielleicht dem Aberglauben verdanken. Wo nur ein Baum ist vor dem Hause oder im Garten, da ist auch ein Elsternnest; in manchem großen Baum sind ihrer zwei bis drei. Selbst in den mittleren und kleinen Städten hecken sie in Menge. Als hübsche und zierliche Vögel, als ächte Franzosen des geflügelten Reichs, dienen sie wirklich das Haus und den Hof durch ihr Flattern und Kakeln munter zu machen, und schon daraus ließe sich die Vorliebe der Leute für sie erklären; aber wahrscheinlich ist der Aberglaube mit im Spiel. Sie sind nämlich, (wie bei den meisten Völkern das ganze Raben- und Krähengeschlecht,) mystische Vögel, ja rechte Hexenvögel, und gehören dem Teufel an und den andern geheimen Mächten der Nacht. Abergläubische Leute sollen sehr auf ihr Geschrei merken und aus dem Klange sogleich verstehen, ob es glücklich oder unglücklich ist. Wenn die Hexen in der Walpurgisnacht nach Blåkulle, dem schwedischen Blocksberg, fahren, verwandeln sie sich, sagt man, in diese Vögel. Wenn sie im Sommer mausern und um den Hals kahl werden, sprechen die Bauren: sie sind nach Blåkulle gewesen und haben dem Bösen (hin onde, hin hårde) sein Heu einfahren helfen, so hat das Joch ihnen die Federn abgescheuert. Häufig sieht man diese Vögel in den Pferdeställen mit ausgespreiteten Flügeln angenagelt. Kein böser Kobold und anderes Ungetüm kann dann den Tieren schaden, und der Puk kann desto ungehinderter sein gedeihliches Wesen treiben.

Auf dem zweiten Håll, zu Märsta, hatte ich Händel mit dem Skjutsbonde. Er sah mich nämlich als einen Fremdling noch nicht ganz flügge an und glaubte einen jungen Vogel vor sich zu haben, dem er leicht einige Federn ausziehen könne, und forderte also keckweg 12 Schillinge Banko für die Meile, da er doch nach dem Gesetze ein Drittel weniger haben soll. Ich war ruhig, nahm die Gästgifvareordnung, las ihm einen Artikel daraus vor und sagte ihm, ich könne allenfalls gleich selbst die Exekution übernehmen. Da ward er kirre und bat, ich möchte es doch nicht ins Tagebuch schreiben. Ich führe dies nur als ein Beispiel an. Solche Versuche zu prellen sind bei der ehrlichsten Nation äußerst selten. Wohl aber können sie in den Gästgifvaregårdar zunächst der Hauptstadt vorfallen, wo alle Verdorbenheit und Spitzbüberei leicht mit einreißt, wie dies bei allen großen Städten ist. In Fittia, Rotebro und andern Håll zunächst bei Stockholm und Götheburg trifft man wohl Hållkarlar und Skjutsbönder, die nicht besser sind als ihre Gesellen in andern Ländern.

Ich rollte vor Märsta, dem alten Sigtuna, jetzt ein kümmerliches Städtchen, vorbei. Die letzten anderthalb Meilen vor Upsala, von Alsike an, wird der Weg lustiger und waldreicher; zuletzt geht es beinahe eine halbe Meile einen schnurgeraden Weg durch den Wald, der das Schloss und einen Teil der Stadt als Prospekt sehen lässt. Im lustigsten Sonnenschein fuhr ich um halb 4 Uhr Nachmittags in Upsala ein. So hatte ich in 7 ½ Stunden 7 schwedische oder etwas über 10 deutsche Meilen gemacht. Das heilst doch wohl gut fahren? Aber die Schlittenbahn war auch trefflich.

Schweden, Wappen

Schweden, Wappen

Schweden, Stockholm, Ritterhaus

Schweden, Stockholm, Ritterhaus

Schweden, Uppsala, Universitätsgebäude

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Schweden, Schonen, Schloss Wittskövle

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Schweden, Mittelschweden

Schweden, Mittelschweden

schweden, Stockholm, Stureplan

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Schweden, Schloss zu Vadstena

Schweden, Schloss zu Vadstena

Schweden, Kalmar, Schloss

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Schweden, Gotenburg

Schweden, Gotenburg

Schweden, Elchfamilie

Schweden, Elchfamilie

Schweden, am Mühlbach

Schweden, am Mühlbach

Schwedenfähre

Schwedenfähre