7. Die Rhinocerosjagd.

Auf Mittwoch, den 3. December, war meine Rhinocerosjagd festgesetzt, und da ich keine Vorbereitungen dazu nöthig hatte, konnten wir an dem Morgen früh mit aller Bequemlichkeit aufbrechen.

Herrn Phlippeau hatte ich meine Abenteuer der letzten Hirschjagd und meine Noth mit jenem unnützen Menschenschwarm erzählt, er lachte aber und sagte, die armen Teufel hätten wahrscheinlich nicht anders gedurft; der Regent habe ihnen die strenge Ordre gegeben bei mir zu bleiben, und zu sehen daß mir nichts fehle und ich nicht zu Schaden komme, und dem konnten sie nicht entgegenhandeln – Ich galt ihnen als ein anvertrautes Paket, das sie richtig und unversehrt wieder an Ort und Stelle abliefern müssen, und er sey überzeugt, ich hätte den Burschen mit meinem öfteren Ablaufen gewiß mehr Noth und Sorge gemacht, wie sie mir.


Hier war das übrigens nicht nöthig, ich konnte so wenig Menschen mitnehmen als ich wollte, und nur einen mußte ich haben, mich zu den Stellen, wo sich die Rhinoceros aufhielten, und die ich sonst nur mit langem Herumsuchen hätte finden können, hinzuführen. Da ich auch jedenfalls über Nacht ausbleiben wollte, beschloß ich also, zwei mitgehen zu lassen (der Leser sieht daß ich mich schon javanisirt hatte), und zwar den einen um unsere Lebensmittel zu tragen, da mein Führer gewissermaßen zu den Honoratioren zu gehören schien, und ebenfalls eine Flinte – ein Doppelgewehr von Herrn Phlippeau – mitnahm. Mit diesen beiden konnte ich dann auch machen was ich wollte, konnte sie zurücklassen oder nach anderer Richtung schicken und hatte nicht zu fürchten, daß sie mir durch ihr Geschrei die ganze Gegend in Alarm brächten.

Daß wir übrigens nur zu drei gehen würden, darin hatte ich mich getäuscht, und kannte doch noch die Landessitte zu wenig. Wo wäre es meinem Führer – der einen so verwünschten Namen hatte, daß ich ihn nie behalten konnte, und den ich deßhalb Peter nannte – je eingefallen seine Flinte selber zu tragen und dabei zu gleicher Zeit zu Pferd zu sitzen? mußte er ebenfalls nicht noch einen andern Kuli haben, der ihm seinen Reis nachtrug, und konnte dieser dann auch möglicher Weise etwas trockene Wäsche transportiren? – Gott bewahre – drei Menschen führte er, der zu meiner Bequemlichkeit mitgegeben war, zu seiner eigenen bei sich, und unserer sechs waren wir schon, ehe wir nur den Kampong verließen.

Ich wollte dagegen protestiren, er hatte aber so viel zu sagen und zu bemerken, daß ich ihn zuletzt gern gewähren ließ, um nur Frieden zu haben; von der Jagd wollte ich mir die Kerle schon zurückhalten.

Unser Jagdzug galt dießmal dem, nicht weit von dem Tancuban prau und etwas westlich von diesem gelegenen Berg Boerangeang, in dessen dichten Waldungen ein kleiner Bergsee nahe an 5000 Fuß über der Meeresfläche liegen sollte, und gerade hier war der gute Jagdgrund für Rhinoceros, da diese Thiere zu dem See kommen, um sich im Wasser desselben und in dem weichen warmen Schlamm zu baden.

Es war ein wundervoller Morgen und unser Ritt ging erst volle sechs Meilen durch die Kaffeegärten zu Lembang, die von Dadapbäumen mit ihren herrlich rothen Blüthen überschattet, düster und schweigend da lagen. Lebende Wesen sahen wir aber, ein kleines Eichhörnchen ausgenommen, das uns neugierig zu betrachten schien, gar keines und nur an einer Stelle waren eine Zahl Arbeiter beschäftigt, die sich auch hier ihre kleinen schwachen, mit Pisangblättern nothdürftig und unvollkommen gedeckten Hütten aufgerichtet hatten, die breiten, vortrefflich angelegten Wege vom Gras frei zu halten. Es schienen meistens Frauen und Kinder, als sie uns aber kommen sahen und entdeckten, daß sich ein Europäer ihnen nähere, glitten sie, wie scheue Rehe, in die dichten Kaffeebüsche, und ich bekam nichts weiter von ihnen zu sehen.

Endlich erreichten wir, bei einem kleinen Kampong, durch den das Wasser der von dem Berg kommenden Quellen hindurchgeleitet war einige schmale Reisfelder zu tränken, das Ende der Kaffeegärten und mit ihnen den wilden, freien, herrlichen Wald. Schon als wir noch die äußersten Grenzen der Kaffeepflanzung an unserer Linken hatten, riß sich rechts eine tiefe gewaltige Schlucht ein, und die Farnpalmen schauten mit ihren langen schlanken Hälsen wie vorsichtig aus dem Gebüsch heraus, und an dem schroff einstürzenden, aber in seinen kleinsten Ritzen und Spalten dicht mit der üppigsten Vegetation bewachsenen Abgrund nieder.

Höher und höher in die Berge hinauf zogen wir, und es war jetzt nur noch ein schmaler kleiner, oft überwachsener Pfad, dem wir folgten; wo ein Baum über ihn weggestürzt war, mußten wir uns eine neue Bahn durch das Dickicht hauen, und als wir die letzte Hütte, eine Art Vorposten menschlichen Wirkens weit weit in die Wildniß hinausgerückt, hinter uns hatten, war es nur noch eine Art Wildpfad, oft nicht so breit als eine Rhinocerosfährte, dem wir durch Gras und Dornen folgten.

Hier aber, wo die wirklich tropische Vegetation des niederen warmen Landes aufhörte, schuf sich die Natur, wie zum Spiel eine ganz neue, in ihren tropischen Formen fast eben so imposante Welt.

Der Pohon paku oder die Farnpalme stand hier in dichten Gruppen bis zu 35 und 40 Fuß ansteigend – der wilde Pisang mit seinen breiten, wohl oft sechs Fuß langen Blättern bildete förmliche Dickichte und zwischen allen diesen entfaltete manchmal plötzlich die Tieroetpflanze ihre Riesenblätter, die ich im niederen Lande nie in solch ungeheurer Größe gesehen hatte. Ich maß eins der Blätter (und ich habe sie später noch größer gefunden), das zehn und einen halben Fuß lang und drei und einen halben Fuß breit war, von herrlicher grüner Farbe mit einer eigenthümlichen grüngelben Faserzeichnung durch die ganze Fläche. Selbst auf die Bäume der Waldung, die in ihrer Formation hier mehr unseren Buchen und Eichen glichen und auch in der That meist aus den hiesigen Eichen, Agapetesarten und Cyatheen bestanden, dehnte sich dieses Spiel aus, denn riesige Orchideen wuchsen auf den merkwürdigsten Plätzen an den Stämmen, an den Zweigen in den Ausspaltungen der Bäume; dann auch wieder, mit ihren langen gezahnten Blättern palmenkronartig und symmetrisch nach allen Seiten gleich niederfallend, gaben sie den einzelnen Stämmen oft das Aussehen hoher schlankwüchsiger Palmen, aus deren Kronen hochaufschießende Zweige dunkelgrünen Laubholzes herausquollen. O ihr Männer der Wissenschaft, mit euern grünlakirten Büchsen, kleinen Spazierspätchen und Packen Löschpapier, wie muß euch zu Muthe gewesen seyn, als ihr zum ersten Mal in diesen Reichthum von Orchideen tratet, wie ihr zum ersten Mal einen Schatz vor euch ausgebreitet sahet, von deren Mannigfaltigkeit ihr sicher keine Ahnung gehabt. – Und diese Blumen und Farbenpracht in den Schmarotzerpflanzen; hier die tiefrothen lilienartigen Blüthenkelche, die wie Trauben in gewaltigen Büscheln von ihrer Höhe niederhingen – dort die kleinen zartweißen wachsartigen Blumenbeeren mit ihren fein gelb geäderten Rändern, über mir die gelben im scharfen Luftzug wehenden Glocken, und da drüben die zierlichen lichtblauen Sterne mit den goldgelben Fühlhörnerartigen Staubfäden. Ich setzte mich allerdings nicht hin und zählte diese Staubfäden und classificirte sie mir, aber ich blieb stehen und trank in vollen durstigen Zügen den ganzen wundervollen Anblick und prägte mir ihn tief, tief in die Seele, und darin halte ich all jenen Blumenschatz weit fester und sicherer als selbst in Löschpapier und Blechbüchse, denn die Farben behalten ihren Schmelz, die Blumen ihre Frische, ja selbst die Kelche ihren Duft, und kann das der Botaniker von seinen mühsamen Sammlungen sagen?

Zwischen all diesen wunderlichen Gestaltungen der Pflanzenwelt wuchs aber ein anderer Strauch, der hier gar nicht hineinzugehören schien, und der mir doch so ein alter lieber Bekannter war. Wenn man in einem ganz fremden, fernen Welttheil, zwischen lauter unbekannten und selbst wunderlichen Physiognomien plötzlich ein liebes bekanntes Gesicht, einen alten lang nicht mehr gesehenen, aber noch deßhalb lange nicht vergessenen Freund wiederfindet, so kann Einem kaum wohlthuender zu Muthe seyn, als mir ward, da ich hier oben auf den javanischen Bergen, mitten zwischen Orchidäen und Farrenkräutern, zwischen Pisang und breitmächtigen Tieroetblättern unsere gute alte ehrliche Himbeere fand. Mit Blüthe und Frucht, wie ich sie daheim in den Gärten verlassen, so fand ich sie hier auf den Bergen wieder – ich hätte sie vor Liebe fressen mögen, wie man bei uns sagt – und that es auch. Die tropische Umgebung freilich, der warme Himmelsstrich und die fremdartige Gesellschaft, wie auch wohl manche schmerzliche Entbehrung, daß sie nicht, wie bei uns im Winter Morgens ihren Schnee und Nachts ihren behaglichen Frost haben konnte, hatte ihr freilich viel von ihrer deutschen Gutmüthigkeit genommen, sie war etwas herber und oft bitter geworden – es geht uns armen Menschen im Leben ja oft nicht besser – ich wußte ja aber, daß das eigentlich nicht in ihrer Natur lag, ich kannte sie ja noch von früher, als wir in der Heimath noch zusammen und glücklich waren – und ich aß wenigstens einen Hut voll.

Hier aber kamen wir zuerst auf frische Rhinocerosfährten, die jedenfalls von der letzten Nacht herrührten – guter Gott, was für eine Bestie mußte das gewesen seyn, die hier mit ihren Talpen nicht allein Gras und Büsche nieder, das ließe sich noch erklären, nein die ganze Vegetation, wo sie nur ihren Fuß hingesetzt, in den Boden förmlich hineingetreten hatte. Dort, wo eines dieser mächtigen Thiere durch den Wald geschritten war, sah der Grund wie aufgepflügt aus, und so eingebrochen waren sie in das scheinbar undurchdringlichste Dickicht, daß es an manchen Stellen, so leicht man ihren Fährten folgen konnte, förmlich unmöglich gewesen wäre, diese wieder zu verlassen, und links oder rechts auszuweichen.

Fünf solche verschiedene Fährten zählte ich, ehe wir endlich den letzten Abhang erreichten, der zum Ufer des kleinen Sees niederführte. Von da ab war der Pfad überaus glatt und schlüpfrig, es mußte hier ungemein stark geregnet haben, und die steten über die Kuppen ziehenden Nebel ließen den Boden auch nie ordentlich abtrocknen.

Peter war indeß ein Stück voran gegangen, erschien aber plötzlich wieder auf einer kleinen Erhöhung, und zwar jetzt zu Fuß, und machte die außerordentlichste und merkwürdigste Gestikulation, die ich je einen Menschen bei gesundem Verstande hatte ausführen sehen. Er fiel auf seine Hände nieder und suchte dabei mit den Hinterbeinen fortzuschreiten, schob bald den rechten, bald den linken Arm über die entsprechenden Ohren hinaus, riß dann den Mund auf, als ob er schreien wollte – das hatte ich ihm aber schon bei unserem Ausgang erklärt, daß er, sobald wir erst einmal den richtigen Jagdplatz erreicht hätten, kein Wort mehr laut sprechen dürfe, denn die Eingebornen plappern, wenn man sie zufrieden läßt, ununterbrochen fort – stieß jedoch keinen Laut aus, und telegraphirte mir nur nachher, als er seine mimischen Vorstellungen vollständig beendigt hatte, etwas mit den Händen und ausgespreizten Fingern herüber, das ich ebenfalls nicht verstand.

Soviel merkte ich wohl, er mußte irgend etwas gesehen haben, was ihm eine unbändige Freude machte, was es aber sey, das wußten wahrscheinlich nur er und Allah.

Mein erster und einziger Gedanke war natürlich gleich »Rhinoceros« gewesen – hatte er vielleicht eines dieser Thiere gesehen – dann würde er sich aber wohl nicht so gefreut haben, denn er schien eine heilsame Furcht vor ihnen zu besitzen und erzählte mir unterwegs nochmals die schrecklichsten Geschichten, wie angeschossene Rhinoceros, die sich stets gegen den Mann drehen sollten, den sich leichtsinnig zu weit vorwagenden Jäger übergerannt und zermalmt hätten. Allerdings sind auch in dieser Art schon einige Fälle vorgekommen, und das Rhinoceros möchte, wenn ernstlich böse gemacht, ein furchtbarer Gegner seyn; jene Fälle sind aber nur sehr einzeln, und es geht dabei wie mit all den entsetzlichen Gefahren, mit denen der Reisende in einem fremden Lande gewöhnlich überschüttet wird, und die sich meist in Nichts auflösen, oder doch, wenn man sie wirklich zum Stehen zwingt, ungemein viel von ihrer Entsetzlichkeit verlieren.

Ein Rhinoceros war es übrigens dießmal nicht gewesen, denn als ich rasch zu Peter hinritt, flüsterte er mir mit einem förmlich freudestrahlenden Gesicht zu, er habe fünf bantings (wilde Kühe) an der andern Seite des Sees gesehen, wo sie ruhig grasten.

»Und können wir denn auf dieser Seite den See umgehen?« frug ich rasch.

»Nein,« sagte er immer noch mit demselben vergnügten Gesicht.

»Nun dann müssen wir auf der andern Seite herum, aber schnell.«

»Das geht auch nicht,« lautete seine eben so humoristische Antwort, »es ist nirgends ein Weg herum und Alles dicht verwachsen.«

»Aber was machen wir denn, um zu ihnen zu kommen?«

»Tau!« war die einzige tröstliche, lang und mit ächt sächsischem Dialekt gezogene Antwort des Burschen, der mich jetzt dabei mit einem Gesicht ansah, das als Titelkupfer das Glück jedes deutschen Volkskalenders gemacht hätte.

Dieß Tau des Malayen muß übrigens selbst gehört, selbst erfahren seyn, um zu wissen – nein nicht zu wissen, zu fühlen, was für verschiedene Begriffe, was für eine Quantität von Begriffen sie darunter verstehn. Tau heißt eigentlich wissen, aber auch Wissenschaft, Kenntniß, kennen, verstehen, begreifen etc. etc. ist dabei, wie all diese malayischen Wörter, Verbum, Adverb, Adjektiv und Hauptwort – nicht wissen heißt nun eigentlich, in der richtigen Sprache trada tau, der Malaye mag aber sagen ich weiß oder ich weiß nicht, er gebraucht für die beiden, doch gewiß verschiedene Begriffe, nur ein und dasselbe Wort, tau und nur die Art mit der es betont, gezogen, breitgedrückt wird, ja gewöhnlich sogar das dumme verblüffte Gesicht, das als unverkennbare Firma darüber hängt, macht es dem Hörer erst klar, ob der Bursche mit seinem t-a-u das ja oder nein der Sache meint.

Bei Peters ausdrucksvoller Physiognomie brauchte ich aber über das, was er meinte, nicht lange in Zweifel zu seyn, ritt also rasch vorwärts den See zu erreichen und dann, mit dem Terrain vor mir, selber zu sehn, was sich eigentlich thun ließe. Ich kam bald zu dem kleinen See, der hier tief versteckt und von wahrhaft gewaltiger Vegetation umwuchert, im Gebirge lag, und konnte deutlich auf der anderen Seite vier oder fünf Stück Rinder erkennen, deren rothe Haut scharf gegen das saftige Grün der Büsche, in denen sie standen, abstach. Der See dehnte sich nach rechts wohl zwei, und nach links vielleicht vierhundert Schritt aus, war aber gerade hier, wenn mich die Bergluft nicht täuschte, und ich war in der Art etwas mißtrauisch geworden, kaum mehr als zweihundert Schritt breit. – (Wie ich später freilich fand, betrug seine Größe etwa das doppelte.) – Auf seinem andern Ufer lag jedoch noch eine offene Stelle Gras oder Sumpfland, mit hohem Gras überzogen, an dessen äußerste Grenze, aber nur noch halb in den es umschließenden Büschen, das Wild, vielleicht dreihundert Schritt im Ganzen von mir entfernt, stand.

Zum Schießen, oder vielmehr zum Treffen, war das natürlich, noch dazu über das Wasser hinüber, zu weit, und wenn man weder rechts noch links hinum konnte, so blieb kein anderer Rath als durchzuschwimmen. Ohne Peter also auch nur darin irgend weiter zu bemühn, stieg ich rasch ab, ging nach einer Stelle zu, wo in früherer Zeit einmal eine, wahrscheinlich von Jägern errichtete, jetzt aber zusammengebrochene Hütte gestanden hatte, und schleppte mir einige der leichtern Holzpfähle herbei, davon ein kleines Floß zu machen, meine Büchse trocken hinüber zu bringen. Peter schien, während diesen Vorbereitungen das personificirte Erstaunen, und im Anfang gar nicht zu begreifen, was in aller Welt ich unternehmen wollte, kaum aber hatte er meine Absicht errathen, als er sich auch mit Händen und Füßen dagegen sträubte, von Gott weiß was für Ungeheuern und Bestien die da unten liegen, und seit Gott weiß, wie vielen Tausend Jahren auf mich gewartet hätten, phantasirte, und erst als er sah, daß ich meine Büchse vornahm, die Läufe mit Pfropfen verstopfte, Talg an die Zündhütchen drückte, und mich dann zu entkleiden anfing, also förmlichen Ernst mit der Sache machte, griff er zum letzten, wie es schien, verzweifelten Mittel, und erklärte mir daß er mich rechts um den See herum, wo wir noch am leichtesten durchkommen könnten, hinüber führen würde. Ich hatte erst große Lust ihn zum Teufel zu jagen und meinen Weg allein zu gehn; ich war jetzt an Ort und Stelle und brauchte keinen Menschen weiter, wollte auch ich wäre diesem ersten vernünftigen Gedanken gefolgt – es war aber hier oben ziemlich kalt – der Körper hatte sich schon an die Hitze der Thäler gewöhnt, und ich spürte, wenn sich das leicht vermeiden ließ, keine Lust eben nur muthwillig in das kalte Wasser hineinzusteigen, schulterte also rasch meine Büchse und sagte ihm, er solle dann machen daß er voran käme. Er wollte nun allerdings noch zögern und brachte die verschiedensten Ausreden, meine Drohung aber, im anderen Fall augenblicklich hinüber zu schwimmen, hatte den gewünschten Erfolg. Ich weiß nicht, was er dabei hatte, mich so unter jeder Bedingung vom Wasser abzuhalten, er wurde aber jetzt ganz geschäftig, und wir waren gleich darauf unterwegs, den kleinen See nach der rechten Seite zu umgehn und den Rindern, die noch ruhig und keine Gefahr ahnend, drüben grasten, in die Flanke zu fallen. Ich ließ aber, trotz Peters Bitten nur noch wenigstens drei der übrigen mitzunehmen, keinen als Peter selber mich begleiten. Auch hiergegen wollte er protestiren, es half ihn aber wieder nichts und wir zogen ab.

Mit all diesen unsinnigen Reden war eine Masse Zeit nutzlos vergeudet worden, und Peter führte mich jetzt einen Weg, an dessen Statt ich zwanzigmal lieber den See durchschwommen hätte. Schlamm und Sumpf bildeten die Unterlage, und jene fast undurchdringlichen Dickichte des Rottan (spanisch Rohr) kreuzten sich überall. Wir arbeiteten allerdings mit unseren Messern tüchtig durch, und erzwangen uns auch eine Bahn, als wir aber endlich die Stelle erreichten wo die Thiere gestanden hatten – und in der Zeit waren Wohl zwei volle Stunden verflossen – sie war leer. Ich hätte Petern prügeln können.

Vielleicht hatten die Rinder den Ort von selber verlassen, denn es fing jetzt wieder an zu regnen, und sie suchten nur ihre sicher und trockener gelegene Weidegründe, oder auch, und mir das Wahrscheinlichste, mochte vielleicht unser Schwarm von Begleitern am andern Ufer, nach der unverbesserlichen Art dieser Menschen geplaudert und Spektakel gemacht, und dadurch das Wild verscheucht haben; kurz der Platz war leer und wenn ich auch noch mit Peter, der in einem fort seufzte und stöhnte, ihren Spuren fast drei Meilen nach ging, durch Sumpf und entsetzliche Wildniß, durch die sie aber immer den besten und offensten Pfad zu finden wußten, so konnten wir sie doch nicht mehr erreichen. Sie waren fort.

Peter ächzte dabei fortwährend hinter mir drein, und ich wandte mich jetzt in allem Zorn und Ingrimm getäuschter Erwartung gegen ihn um; als ich aber nur seine traurige, total aufgeriebene wehmüthige Physiognomie sah, mußte ich laut auf lachen.

Bei ihrem Marsch hätten uns die Kühe übrigens bald auf die andere Seite des Sees hinumgeführt, und es fing jetzt dermaßen an zu regnen, daß wir für die Nacht wenigstens suchen mußten, unter das alte Dach der eingefallenen Hütte zu kommen, um doch etwas gegen den niederfluthenden Schauer geschützt zu seyn. Es wurde aber schon fast dunkel ehe wir diese erreichten und wir waren nachher auch nicht um viel gebessert.

So klein übrigens der Raum im Innern seyn mochte, denn das kaum zehn Fuß lange Dach lag dicht auf der Erde und wir mußten an einer Ecke das Schilf aus einander schieben um hinein zu kriechen – so hatte sich doch schon eine Parthie von sechs Javanen, sage sechs Javanen, hier versammelt, die weiter nichts getragen als zwei kleine Bündel trockene Kleider, einige Lebensmittel und eine Fackel von trockenen Bambusstreifen gemacht. – Das Ganze vielleicht dreißig Pfund zusammen.

Bei Nacht und Nebel aber und in dem Wetter konnte ich die armen Teufel freilich nicht wieder in's Freie jagen, und wir rückten nun, nachdem wir beiden vor allen Dingen die Kleider gewechselt hatten, so dicht zusammen, als es der Raum eben gestattete. Das alte Dach leckte dabei wie ein Sieb und es war nur ein Glück, daß ich wenigstens meine wollene Decke (alte gute Decke wohin hast du mich nicht schon überall begleitet?) mitgenommen hatte; in diese wickelte ich meine Büchse mit mir hinein und suchte nun der Nacht wenigstens ein paar Stunden Schlaf abzuringen.

Am nächsten Morgen stand ich mit Tagesanbruch auf; ich war so naß als ob ich die ganze Nacht im Wasser gelegen hätte; nun aber schickte ich auch vor allen Dingen meine ganze Begleitung, einen alten Burschen ausgenommen, den Peter selber schon einigemal um Rath gefragt, und der hier in den Bergen ziemlich gut bekannt schien, zum Teufel. Peter selbst sollte mit, denn ich konnte ihn auf der Gottes Welt zu nichts mehr gebrauchen, der war aber nicht fortzubringen und behauptete, ich sey viel zu unerfahren in dieser Jagd, um nicht zu großer Gefahr ausgesetzt zu seyn – er hielt es für seine Pflicht bei mir zu bleiben. Der Bursche war zu komisch, und da er mir auch keinen großen Schaden thun konnte, ließ ich ihn gewähren, legte ihm aber das strengste Stillschweigen auf und ließ ihn sein Gewehr in Ordnung machen. Die übrigen mußten sämmtlich wieder zurück von woher sie gekommen warm, und ich ließ mich auch nicht darauf ein fortzugehn und sie sich selber zu überlassen, sondern sie mußten aufbrechen solange ich noch an der Hütte stand, und ich beruhigte mich nicht eher, bis auch der letzte in dem dichten Gebüsch verschwunden war. Die Pferde blieben angebunden bei der Hütte.

Was nun meine Büchsflinte betraf, so hatte ich die, ehe ich mich gestern schlafen legte, ganz sicher zu seyn, abgeschossen und ausgewischt, und lud sie heute Morgen mit frischem trockenem Pulver, setzte gute Zündhütchen auf (d. h. die besten die ich in Sidney hatte bekommen können und die waren mittelmäßig genug) und glaubte mich nun gegen jeden Zufall gesichert. Das Wetter war dabei klar und sonnenhell, und der alte Javane, der jetzt, trotzdem daß Peter ihm diesen Rang streitig machen wollte, die Führung übernehmen mußte, schlug seinen Weg wieder dorthin ein, von wo wir gestern Abend gekommen waren, links um den Teich herum. Der Wald war dort allerdings entsetzlich dick, wir hatten nach jener Richtung hin aber auch die meisten Rhinocerosfährten gefunden, und diese Jagd war ja doch jetzt die Hauptsache.

An dem Morgen füllte noch ein ziemlich dichter feuchter Nebel diese enge Bergthäler, als aber erst die Sonne über dem Tancuban prau heraufkam, senkte sich dieser tiefer und tiefer hinab und schwand ordentlich sichtbar in den Boden hinein. Eine Stunde waren wir solcher Art wohl marschirt und uns ziemlich nah zum See haltend, wo allerdings der Wald sehr dicht, die Entfernung, ihn zu umgehen, aber auch soviel geringer war, und wir nur einige Mal Schwierigkeiten hatten mehre kleine, sich in diesen Kessel ergießende Bergwasser zu kreuzen, trafen wir endlich die erste frische Fährte, die in dieser selben Nacht gemacht seyn mußte. Natürlich nahm ich sie gleich an, und nun hörte jede Vorsicht, mit Wasser umgehen oder sich scheuen naß zu werden, von selber auf.

Es ist das überhaupt, für den Jäger wie Fußreisenden das allerbeste und jedenfalls Zeit sparendste, wenn er morgens beim Ausmarsch und bei nasser Witterung (wo ihm außerdem fast die Gewißheit bevorsteht, daß er den Tag über durch und durch naß wird) gleich in den ersten besten mit Wasser gefüllten Graben oder Tümpel bis an die Knie hineinspringt, er hat dann mit einem Mal nasse Füße und braucht sich nicht mehr zu geniren, nicht mehr sorgfältig durch Bäche auf schlüpfrigen runden Steinen hin zu balanciren und halbe Stunden damit zu vertrödeln irgend einen anderen sumpfigen Fleck zu umgehn. Er ist gleich so, wie er in ein oder zwei Stunden doch werden muß, und hat die Hälfte seiner Zeit dabei gewonnen.

Sobald ich der Spur des riesigen Thieres erst einmal folgte, ging es durch Alles durch was mir im Weg lag, und es dauerte keine halbe Stunde so war ich wieder bis auf die Haut naß. Das Rhinoceros aber, das nur einen kleinen Spaziergang durch den Wald gemacht zu haben schien, war endlich, in einen schmal einlaufenden, durch die Regen gewaschnen Graben, geradezu in den See hineingegangen und dort vielleicht an irgend einer andern Stelle, durch das Schilf und hohe Buschwerk hin wieder an Land gestiegen. Ich wartete wenigstens eine ganze Weile irgend etwas von ihm zu hören oder zu sehen, aber es blieb verschwunden, und in den See konnt' ich natürlich nicht nach.

Es blieb uns jetzt nichts weiter übrig, als eine neue Fährte zu suchen, und die fanden wir denn auch, nach kaum einer halben Meile marschiren. Aber eben wie die erste führte sie uns kreuz und quer eine Zeitlang durch den Wald, und dann wieder in den See hinein; es sah beinah aus, als ob die verwünschten Bestien, wie die Ottern, den Tag über in's Wasser gingen. Da ich jedoch wußte, daß das nicht der Fall war, suchte ich unermüdlich eine dritte Spur, und ziemlich in der Nähe dort, wo gestern die Bantings gestanden, trafen wir auf die breit aufgepflügte Fährte zweier mächtigen Thiere, die hier, vom See kommend, in die Berge hinaufgezogen waren.

Jetzt war ich wenigstens fest überzeugt, daß ich ein Rhinoceros zu sehen bekommen würde, denn von der Spur ging ich nicht ab, bis ich die beiden Burschen eingeholt; der alte Javane machte mir auch durch sehr befriedigende Zeichen, denn seine Sprache konnte ich nicht verstehen, die beste Hoffnung, und ging mir rasch auf der Spur voran. Ich sah noch einmal nach meinem Gewehr, hielt es, so gut das gehen wollte, von der Nässe der triefenden Büsche geschützt und folgte dann auf dem schlüpfrigen durch die Füße des Wildes aufgerissenen Boden. Peter kam, mit der ganzen Jagd allem Anschein nach nichts weniger als zufrieden, hinten drein.

Der Wald war hier aber auch wirklich an manchen Stellen förmlich undurchdringlich, und hätten die beiden Rhinoceros nicht vornweg die Bahn gebrochen, die durch alle Hindernisse nun eben ganz ruhig durch zu marschiren schienen, wir würden an manchen Stellen Stunden gebraucht haben die Büsche zu lichten und wegzuhauen, die sie eben, mit einem Schritt und mit dem Gewicht ihres Körpers, zermalmt hatten. Ich maß die Spur des größten von ihnen, wahrscheinlich des männlichen Thieres, und fand sie etwas über zehn Zoll breit und circa zwölf Zoll lang. Ueberall war auch der Boden dicht mit Gräsern oder Moosen bedeckt, nur wo sie hingetreten wuchs kein Gras mehr, und jede Vegetation war dort wie auf immer vernichtet.

Die Burschen mußten sich aber die Nacht über tüchtig ausgeruht haben, denn es schien, als ob sie heute Morgen eine ordentliche Wanderung angetreten hätten, eine solche Strecke waren sie marschirt; die Spur sah fortwährend aus als ob sie dem Boden noch vor kaum einer Minute eingedrückt sey, und doch konnten wir nichts von ihnen weder hören noch sehen. Endlich erreichten wir einen der kleinen Bergströme, der sich sein Bett hier wohl zehn Fuß tief in den weichen Boden hinein gewühlt hatte, und unten über ein glattes Kieselbett rasch dahin strömte. Die Bänke waren steil und schlüpfrig, und vielfach vom Wasser untergraben und eingewaschen, und gerade auf diese Bank führten die Fährten zu und verschwanden. Die Thiere waren ohne allen Zweifel hier hinein mehr gefallen als gegangen, aber obgleich ich mich von der andern Seite überall nach der Stelle umsah, wo sie wieder herausgekommen seyn mußten, konnte ich keine solche entdecken.

Das erste der Thiere war, wie es mir nicht anders vorkam, hier dicht an die Uferbank gekommen um zu sehen ob es einen bequemen Durchgang finden könne, und die regendurchweichte Erde, auf der es mit seinem ungeheueren Gewicht stand, unter ihm eingebrochen. Dadurch bahnte sich schon an und für sich ein Weg für seinen Kameraden. So leicht sie aber auch solcher Art hinuntergekommen seyn mochten, so unmöglich war es für sie an der eben so steilen Bank der anderen Seite wieder hinauf zu kommen. Hatten sie sich nun den kleinen Fluß nieder oder aufgewandt? –

Peter blies zum Rückzug – er behauptete hier könnten wir doch unmöglich weiter, und wir sollten lieber sehen eine andere Fährte zu finden, die nicht gerade ins Wasser hineinführte, auch mein alter Javane stand kopfschüttelnd da, und wußte nicht was er mir rathen sollte, oder ging eben selber mit sich zu Rathe, was hier am besten zu thun sey. – Ich selber wußte es recht gut; nach es koste was es wolle. Einen Versuch wollte ich jedoch erst machen, ob wir nicht von diesem Ufer aus, vielleicht etwas weiter nach unten oder oben, entdecken könnten wo die Thiere wieder hinausgestiegen wären. Das mußten wir aber bald aufgeben, denn uns nur an diesem Bach eine halbe Meile auf oder abwärts durch die Büsche zu hauen, hätte Zeit genug erfordert, dem Wild einen Vorsprung zu gönnen den wir nie wieder einbringen konnten.

Also nach – Peter verrieth Neigung zu einem ernstlichen Widerstand, da ich aber jetzt die Führung übernommen hatte und der Javane mir folgte, ohne daß sich Einer von uns nach ihm umgesehen hätte, hielt er es für das Beste nachzukommen. Das Einsteigen in den Bach fand natürlich à la Rhinoceros statt; ich setzte mich auf die glatte Erde und niederwärts gings wie auf einer Eisenbahn in der glatten Schlammschiene. Das Wasser war hier etwa drei Fuß tief und wir wateten erst nach oben zu, weil diese Richtung mehr mit der, von den Thieren den ganzen Morgen genommenen übereinstimmte, diese mußten aber das Terrain wohl schon gekannt haben, denn nach oben zu wurden die Bänke, wenn auch das Wasser seichter war, und hie und da kaum vier Zoll hoch bedeckte Kiesbänke zeigte, immer höher und steiler, und wir konnten auch nirgends mehr eine Spur von ihnen erkennen.

Also zurück – hier aber war der Fortgang schwieriger, denn es zeigten sich hie und da tiefe Stellen, und durch die letzten Regen war das Wasser getrübt, daß man nicht genau erkennen konnte, wie tief sie waren, bis man plötzlich bis an die Schultern darin stand, und es nun auf einmal ganz genau berechnen konnte. Das Schwierigste hierbei war die Büchse trocken zu halten, und fest umwickeln dürft ich sie auch nicht, denn wir konnten mit jedem Augenblick gegen eine der Bestien anrennen. Außerdem zogen wieder starke Nebel oder Wolkenstreifen über die Sonne und es fiel ein, nicht lang dauernder aber heftiger Schauerregen.

Peter stöhnte daß es einen Stein hätte erbarmen mögen, und konnte dabei ein so vollkommen trostloses und unglückliches Gesicht machen, daß mir das, bei unserem sonst mühselig genug sich herausstellenden Marsch, noch das einzige Vergnügen war.

Wohl eine Meile lang führte uns diese verzweifelte Bahn in dem schmutzigen kalten Wasser hin, und hätten nicht hie und da an seichten Stellen, oder wo irgend eine Schlammbank am Ufer trocken ein Stück hineinlief, die deutlichen frischen Fährten uns stets neue Hoffnung gemacht, unser Ziel bald zu erreichen, ich weiß nicht, ob ich nicht selber muthlos geworden wäre. Endlich kamen wir an eine Stelle, wo früher vielleicht einmal ebenfalls die Bank eingestürzt und fortgewaschen war, denn sie bot hier eine niedere, obgleich dicht mit Gras und Moos bewachsene Fläche. Diese hatten die beiden Rhinoceros benützt an Land zu steigen, und sie mußten sich auch hier kurze Zeit aufgehalten haben, denn der Boden war ringsumher zerstampft und aufgerissen. An einer Stelle hatte sich so ein Liebchen gewälzt und eine förmliche Kuhle gebildet, daß man hätte d'rin schwimmen können.

Wir hielten hier jedoch nicht längere Zeit, als ein Pudel ungefähr braucht sich auszuschütteln. Der Platz, wo die Thiere in das Dickicht wieder hineingebrochen, war leicht zu erkennen, der alte Javane glitt wie ein Pfeil darauf hin, und ich hatte im Anfang Mühe ihm zu folgen. Plötzlich aber, und kaum eine halbe Meile weiter, blieb er stehen, flüsterte mir ein paar Worte zu und trat hinter mich, während er mir ein Zeichen gab voranzugehen. Ich verstand nicht was er sagte und wollte eben Petern deßhalb fragen, der kam aber mit einer so schmerzlichen Physiognomie, etwa zehn oder zwölf Schritte nachgerutscht – denn in den schlüpfrigen Fährten mußte es sich mit bloßen Füßen nur höchst mittelmäßig marschiren lassen – daß ich es aufgab ihn zu fragen.

Rasch folgte ich der sich vor mir hinziehenden deutlichen Spur, sollte aber bald genug erfahren, was der Javane mit seinem Flüstern gemeint hatte, denn eben als ich einen kleinen Hügel, oder eigentlich mehr nur eine Erderhöhung bestiegen hatte, von der ab sich der Waldboden wieder aufwärts, nach einem höheren Strich Landes hinüberzog, fuhr ich ordentlich zusammen, so fast gerade ins Gesicht hinein schnaubte mich plötzlich etwas mit einem Geräusch an, dessen sich eine Dampfmaschine nicht hätte zu schämen brauchen. Ein Blick überzeugte mich, daß ich dicht vor dem Rhinoceros stand, das von mir abgewandt, seinen unförmlichen Kopf nach mir zurückdrehte und zu winden schien. Es hatte uns wahrscheinlich kommen hören, und war nur eben einen Moment stehen geblieben, zu sehen, was da eigentlich hinter ihm her kröche. Im Nu hatte ich die Büchse am Backen – ich konnte etwa unterscheiden, wo Kopf und Hals zusammensaß, und dorthin suchte ich ihm eine Kugel aufzusetzen.

Klapp – sagte der rechte – klapp, sagte der linke Lauf – beide Rohre versagten.

In demselben Moment fiel ein Schuß hinter mir und ich hörte wie auch, fast mit dem Knall zugleich, die Kugel gerade über mir in einen Baum einschlug.

Die Wirkung auf das Rhinoceros war zauberschnell. – Das Niederklappen der Hähne und der plötzliche Schuß so ganz in seiner Nähe mußten sie ja wohl in Erstaunen setzen, denn zu gleicher Zeit fast, als ich die Kugel über mir einschlagen hörte (dem Lump dem Peter war in der Angst das Gewehr losgegangen), krachten und prasselten dicht vor mir die Büsche – einer der jungen Schößlinge schlug, niedergetreten, mit dem Wipfel dicht vor mir auf den Boden, und es war in dem Moment ein Spektakel, als ob der ganze Wald zusammenbrechen wollte. Ich stand natürlich sprungfertig, denn warf sich der Koloß gegen mich, so konnte ich auf der Welt nichts weiter thun, als hinter einen Baum flüchten und dort den Gegner so lange von mir frei halten, bis ich mein Gewehr wieder schußfertig hatte. Das Thier stand jetzt in seiner vollen Kraft und Wuth nicht zehn Schritt von mir entfernt, vollkommen frei da – o was für einen wundervollen Schuß ich nun gehabt hätte, und mußte die Büchse nutzlos in der Hand halten. Aber Peter hatte ja noch einen Schuß in seinem zweiten Lauf – der Gedanke zuckte mir mit Blitzesschnelle durch das Hirn – ich sah mich rasch nach diesem um – aber wo war Peter – weder er noch der Javane ließen sich irgendwo blicken und ehe ich nach ihnen zurückgehen konnte, drehte sich das Rhinoceros wieder von mir ab, und brach auf's Neue in's Dickicht ein.

Ohne mich weiter um meine beiden heldenmüthigen Führer zu bekümmern, schraubte ich rasch meine Pistons los – sie waren voll feuchten Pulvers – reinigte sie, schüttete trockenes Pulver, setzte frische Zündhütchen auf und sprang jetzt, so schnell mich meine Füße tragen wollten, hinter den Thieren her.

Im Leben hätte ich nicht geglaubt, daß ein Rhinoceros so rasch laufen kann – ich weiß nicht wie viel Meilen ich ihm folgte, aber in toller Flucht, Alles vor sich niederrennend, stürmten sie weiter und weiter in die Wildniß. Mehrmals war ich ihnen so nah, daß ich sie wieder dicht vor mir konnte schnauben hören, obgleich ich aber nie auch nur eine Secunde wartete, mich von ihrem Stand zu überzeugen, sondern nur vor sprang, wieder einen Blick auf sie zu bekommen, denn dießmal, wußte ich, versagte mein Gewehr nicht, war es nicht möglich. Die furchtbare Anstrengung in solchem Wald, fortwährend über niedergebrochene Zweige und umgestürzte Baumstämme zu springen, durch Schlamm und Wasser zu waten, hügelab, hügelauf den schnaubenden Bestien zu folgen, dabei die stete Aufregung, mit jedem Moment dem sich stellenden Riesenkörper entgegen zu laufen, hatte mich indessen so abgemattet, daß ich fühlte, wie ich nicht lange mehr aushalten könne. Auf die Richtung, die wir nahmen, hatte ich auch nicht im mindesten geachtet und von meinen Führern war nicht die Spur mehr weder zu hören noch zu sehen. Das blieb sich aber auch gleich, denn entweder konnte ich in den Rhinocerosfährten zurückgehen, oder ich schlug mir, nach Süden herunter, meine Bahn in die Bandong-Ebene frei – nur jetzt noch einmal zum Schuß, das war Alles was ich verlangte.

Es mußte übrigens hoch am Mittag seyn, und sonderbarer Weise führten die Spuren gerade wieder nach Süden nieder, von wo sie hergekommen waren. Die Thiere gingen augenscheinlich zurück. Jetzt konnte ich sie aber auch deutlich wieder blasen hören, und so geräuschlos aber auch so schnell als möglich voreilend, kam ich, hügelab folgend, wieder in ein Dickicht, das einen Heiligen hätte zum Fluchen bringen können – und ich bin keiner.

Einen Augenblick hielt ich und horchte, – auch kein Laut ließ sich hören und ich wollte eben wieder vorwärts, hatte aber kaum den ersten Schritt gethan und dadurch ein leichtes Geräusch verursacht, als ganz dicht vor mir die ganze Pflanzen- und Buschmasse schulterte und bebte, und in diesem Dickicht eben wieder die Umrisse eines dunklen Körpers sichtbar wurden. Von Vielen war mir nun schon früher gesagt, daß sich das Rhinoceros, wenn es nur leicht verwundet würde, fast stets auf den Jäger würfe und diesen dann zur äußersten Vorsicht zwinge – ein Mittel gab es also noch, die Bestie zum Stehen zu bringen, und mit dem Gedanken zischte auch schon die Kugel aus dem linken, ungezogenen Lauf der Büchsflinte auf den schwarzen Klumpen – ich konnte das Klappen oder Einschlagen hören, denn meine Spitzkugel sollte sich wohl nicht von der zähen Haut selbst eines Rhinoceros abhalten lassen. Die Büchsenkugel behielt ich für den erwarteten Anprall des verwundeten Thieres zurück. Aber Gott bewahre, wer nicht kam, war das Rhinoceros, wie ein Ungewitter, Alles vor sich zu Boden tretend, brachen sie durch die Büsche, in denen sie mir schon im nächsten Moment aus den Augen waren. Rasch folgte ich, selbst ohne erst wieder zu laden, denn die ganze Sache fing mir jetzt an egal zu werden; gleich darauf aber hörte ich schweres Schlagen im Wasser und hundert Schritte weiter stand ich wieder am Rand des unglückseligen Sees, in dessen dichten Schilf und Rohr ich die Thiere noch konnte fortarbeiten hören. Dann war Alles ruhig und ich warf mich, halb todt vor Müdigkeit, über und über starrend von Schlamm und Schmutz in vollem Unmuth gerade auf die Erde und in die Fährten der Flüchtigen nieder. An Nach schwimmen war in diesem Schilf- und Wasserpflanzendickicht gar nicht zu denken, und ich konnte auch in der That physisch nicht weiter.

Eine volle Stunde mochte ich so gelegen haben, als ich Schritte hörte, und gleich darauf Peter und der Javane äußerst vorsichtig auf der Fährte herankamen. Als er mich ausgestreckt auf der Erde liegen sah, stutzte er erst, lief aber dann rasch näher und bezeugte mir in dem lebendigsten Ausdruck seine Freude, mich noch am Leben und unbeschädigt zu finden. Vergebens sagte ich ihm, daß ich nicht im Geringsten in Gefahr gewesen sey, und das Rhinoceros noch mehr Furcht gehabt habe als er selber, er ließ sich nicht irre machen, schüttelte sehr bedeutungsvoll mit dem Kopf, und meinte endlich, es sey ein Glück gewesen, daß er sich so schnell gefaßt und sein Gewehr auf das Thier abgebrannt habe, es hätte sich sonst jedenfalls auf mich geworfen und mein Leben wäre in dem Fall wohl keinen Deut mehr werth gewesen. Der Lump, der hinter dem Hügel stand, daß er das Thier gar nicht sehen konnte, hätte mich mit seinem Gewehrlosgehen bald todt geschossen, und wollte mich nun glauben machen, er habe mir das Leben gerettet.

Hier ließ sich übrigens nichts weiter thun; all unsere Kleider waren total durchnäßt, selbst mein Pulver in dem sonst ausgezeichneten Horn etwas angezogen – es mußte einige Feuchtigkeit bei dem vielleicht nicht fest genug aufgedrückt gewesenen Stopfer eingedrungen seyn – und von oben herunter fing uns der Himmel eben auch wieder an wie mit Eimern zu begießen – was half mir da mein Jagen, was jede Ausdauer. Für den Augenblick war ich aber wirklich zu erschöpft selbst, trotz dem Regen, mein schmutziges Lager zu verlassen; ich that eben was ich doch nicht ändern konnte – und ließ es ruhig fortregnen, bis ich mich wenigstens etwas ausgeruht hatte, und dann hielt ich Kriegsrath – d. h. ich sagte zu Peter, dem ich dadurch ein ungemeines Vergnügen bereitete, er solle voran, den nächsten Weg nach Hause gehen und ich bin überzeugt, er hielt das für den gescheidtesten Einfall, den ich den ganzen Tag über gehabt hatte.

Unser Weg führte uns wieder um den See herum, und ich hatte jetzt Muße, diese wahrhaft riesige Vegetation zu bewundern, welche selbst die Bäume hier von der Wurzel bis zum höchsten äußersten Gipfel bedeckten. Hier war auch kein zollbreiter Platz, der nicht von irgend einer Schmarotzerpflanze, irgend einem Moos bedeckt gewesen wäre; die Stämme und Zweige der Bäume waren bis in ihre kleinsten Zacken hinauf damit überzogen, die Wurzeln damit bedeckt und den Boden überwucherte förmlich eine wohl fußdicke Masse von Schling- und andern Pflanzen.

Besonders zog hier eine mir ganz fremde Art Moose meine Aufmerksamkeit auf sich, die wie ein Miniaturpalmenwald förmliche Landschaften – eine eigene kleine Welt in sich selber – bildeten. Sie waren bis zu sechs und sieben Zoll hoch, mit glattem hochaufschießendem Stiel und oben, wie bei der Farrenpalme, gebildeten Blattkronen – kleinere, kurzstieligere Blattgewächse keimten darunter vor, und das Ganze hatte wirklich manchmal das Ansehen einer künstlich aufgestellten kleinen tropischen Landschaft.

Die Orchidäen und Luftgewächse wucherten hier über alle Maßen; ich sah einzelne Bäume mit zehn und zwölf vollkommen verschiedenen Gattungen darauf, viele in palmartigen Formen, die meisten aber in traubenähnlichen Blattmassen, ihre einzelnen saftigen Zweige blüthenbeschwert niederhängend. Was mich befremdete, war die, im Verhältniß zu dieser üppigen Vegetation so sehr geringe Zahl von Schlingpflanzen, die dem amerikanischen Urwald ein so gewaltiges und imposantes Ansehen geben. Es gibt deren wohl hier, und einzelne auch von sehr bedeutender Stärke, aber sie sind eben nur einzeln, und wenn sie dann auch an einem Baum emporranken, so stehen zwanzig doch wieder dafür ohne sie da. Wie anders ist es dagegen in den herrlichen Niederungen des Westens von Amerika, wo diese tausend und tausend Reben die riesigen Stämme der Eichen oft zu einem festen Mauerwerk verschlingen und in mächtigen und in so wunderschönen, fruchtschweren Festons, in Guirlanden und Draperien von den hohen Zweigen bis tief zur Erde niederfallen. – Es soll übrigens viele Stellen auf Java geben, die der Beschreibung nach, die ich darüber hörte, den amerikanischen Waldungen kaum nachstehen würden, wie denn der Rattan allein das furchtbarste ist, was man sich nur von Schlingpflanzen denken kann. Dieß aber wächst in zu dicht verworrenen Massen, einen wirklich großartigen Anblick zu bieten. Wir erreichten bald darauf unsern alten Lagerplatz, wo wir die Pferde angebunden verlassen hatten, und ich erstaunte nicht wenig, hier unsere sämmtliche Gesellschaft von heute Morgen, die ich doch alle zu Hause geschickt hatte, wieder vorzufinden – Peter aber gar nicht, er schien das recht gut vorausgewußt zu haben, und was er mir darüber sagte, ließ mich, wenigstens soviel ich davon verstand, deutlich merken, daß, wenn ich den Anstand soweit aus den Augen setze, allein, oder mit nur ein oder zwei Begleitern nach dem Kampong zurückzukehren, er, Peter, doch viel zu gut wisse, was sich schicke, mich einen solchen Fehler begehen zu lassen.

Er sah mich dabei an, als ob er sagen wollte So – erst Hab ich dir das Leben gerettet, und jetzt die Ehre, nun will ich einmal sehen, ob ein Europäer dankbar ist.

Im ersten Haus übrigens, das wir erreichten, und wo ich den Leuten Reis geben ließ, belohnte ich ihn reichlich für seinen Verdienst, er schien wenigstens sehr zufrieden. Am nächsten Morgen aber kam er zu Herrn Phlippeau, erzählte diesem seine Heldenthaten, beklagte sich über meine Unerfahrenheit und meinen Leichtsinn, setzte Herrn P. zugleich davon in Kenntniß, daß er mir das Leben gerettet habe, und bat sich dafür, glaub' ich, einen Gulden aus – das war doch billig. [Fußnote]Peters Vorsicht einigermaßen zu rechtfertigen glaube ich es ihm schuldig zu seyn, nachstehenden Auszug aus dem Brief des Herrn Obristlieutnant von Schierbrand, der mir mit so herzlicher Freundschaft in Java entgegen kam, zu geben. Der Brief ist vom 28. November 1852.......»Von Bandong gesprochen, muß ich Ihnen doch mittheilen, was dort neulich mit einem Rhinoceros vorgefallen, um Sie wenigstens sehen zu lassen, was Ihnen auf Ihrer dortigen Rhinocerosjagd hätte begegnen können. Eine Gesellschaft Batavia'scher Jagdfreunde hatte ein Rhinoceros gespürt, und beschlossen am folgenden Tage ein Treiben zu veranstalten. Ein Mandor bat um die Erlaubniß der Jagd als Jäger beiwohnen zu dürfen, was man ihm gestattete. Das Treiben begann, und das Rhinoceros trat plötzlich beim Mandor heraus, worüber dieser so erschrack, daß er nicht schießen konnte. Ungereizt, nahm jetzt das Unchier den Mann an, und richtete den Unglücklichen so zu, daß er nach wenigen Stunden den Geist aufgab, während auch noch ein zweiter Inländer stark verwundet wurde. Am folgenden Tage fiel das rasende Thier eine Arenpalme an, in welcher ein Bergbewohner saß, Palmwein abzuzapfen. Der gute Mann bewarf das Thier mit Arenfrüchten, was dessen Zorn nur noch erhöhte, und gewiß würde es den gewaltigen Baum noch entwurzelt haben, wäre der Bedrängte nicht auf den glücklichen Einfall gekommen, die ganze ungeheure Fruchttraube abzuhauen, und diese auf das Thier niederfallen zu lassen. Dieß rettete den Aufgebäumten. Grimmig stürzte sich das Rhinoceros auf die Riesentraube, zerstückelte und zertrat sie, und verfolgte dann seinen Weg. Doch schon am folgenden Tage ward ein dritter Unglücklicher das Opfer von des Unthiers Wuth. – Diesen muß es buchstäblich zerfetzt, und unter seinen Füßen zermalmt haben.« Trotz Peters Etiquette galoppirte ich aber, als ich die Leute beim Essen sah, allein fort und war, etwa zwei Stunden später, mit durch den schnellen Ritt fast ganz getrockneten Kleidern, wieder auf Lembang.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Reisen 5. Band - Java