6. Imeo.

Das war ein Trunk – besser kann Thor nicht an Utgardloki's Horn gesogen haben, und als ich mir die süße frischende Fluth aus dem Bart strich, war es, als ob ein vollkommen neues Leben in mich eingezogen sey.

Das Boot nahmen wir jetzt eine kleine Strecke den Bach hinauf bis zu einer niederen Bambushütte, wo wir es auf den Kies hinaufzogen, bis es fest war, und meine Indianer machten auch augenblicklich Miene umzufallen und einzuschlafen. Das litt ich aber nicht. Das arme Viehzeug, das wir im Boot gefangen mit uns führten, hatte die ganze lange Zeit nicht einen Tropfen zu saufen, nicht einen Bissen zu fressen bekommen, als was ich ihnen in den ersten Tagen an kleinen Krumen Brodfrucht hingebrockt, und nach denen mußte vor allen Dingen erst gesehen werden. Wir hoben deßhalb die Hühnerkasten gleich in das Wasser hinein, und mit Hülfe einiger anderen Eingeborenen, mit denen meine Begleiter jedenfalls sehr befreundet waren, denn sie rieben Nasen mitsammen, schafften wir auch die Schweine, die wild um sich bissen mit den dürren geifernden Rachen – an den Rand des Bachs, und ließen das arme unglückliche Vieh nach Herzenslust saufen.


Das besorgt, war mein nächster Gedanke der Missionär; jedenfalls hoffte ich hier Jemanden zu finden der ordentlich englisch sprach, damit ich etwas Näheres über die Insel selber erfahren konnte, und natürlich mußte ich den Europäer auch in dem einzigen, durch die starken Balken und eingeschnittenen Fenster etwas europäisch aussehenden Haus vermuthen, dem ich mich jetzt zuwandte. Ueber dem Bach lag der Stamm einer Cocospalme als Brücke, und darüber hin balancirend erreichte ich bald das, kaum fünfzig Schritt vom Ufer entfernte Haus, vor dem eine Masse von indianischen Mädchen und Frauen in verschiedenen Gruppen standen und saßen und neugierig nach dem selber wild genug aussehenden Fremden hinüberschauten. In der Verandah des Gebäudes aber saß ein kleiner dicker brauner Eingeborener mit einem recht behäbigen, etwas dunklen Gesicht, der hier gewissermaßen eine Autorität zu seyn schien, denn er hatte nicht allein ein buntes Hemd und ein Paar eben solche Hosen an, sondern auch einen Strohhut auf und faltete die Hände so fromm und gottvergnügt über seinem Bauch, als ob er das nicht blos Jemanden abgesehen, sondern recht von Grund auf gelernt habe.

Einen Weißen konnte ich übrigens nirgends entdecken – auch wunderbarerweise keine Spuren eines Europäers, die doch sonst so leicht erkennbar und hervorragend sind, besonders wo weiße Frauen ihren Wohnsitz mit aufgeschlagen haben. Es blieb mir deßhalb nichts übrig, als mich zuletzt an diesen würdigen Hosenträger zu wenden, den ich allein im Verdacht hatte etwas englisch zu verstehen. Darin sollte ich mich denn auch nicht geirrt haben, und sein gui morni, gui morni, das ich mir aus freier Hand in good morning übersetzte, leistete mir dafür Bürgschaft. Er reichte mir, als ich die Verandah betrat, freundlich die Hand, und bot mir einen Stuhl an.

Nun muß ich hier ein für allemal bemerken, daß diese Insulaner sowohl als die dort lebenden Weißen, jeden Europäer, oder vielmehr jeden Weißen der dort einzeln an Land kommt, seine eigenen Versicherungen mögen hinauslaufen wo sie wollen, für einen irgend einem Wallfischfänger glücklich entsprungenen Seemann halten, und die einzige Höflichkeit die sie ihm dann und wann erweisen, ist die, daß sie ihn fragen, ob er gewöhnlicher Matrose oder Bootssteurer gewesen. Jede Betheuerung des Gegentheils ist vollkommen unnütz und hat weiter keinen Erfolg, als den eines Blinzelns mit den Augen von der Gegenpartei, und eines schlauen lächelnden Blicks, als ob sie hätten sagen wollen: »nein, du bist gar kein Matrose, darum habe ich auch hier gar nicht so und so lange gelebt, dir das anzusehen.«

So frug mich denn auch dieser gute Mann, gleich nach der ersten Begrüßung, » wad ship« worauf ich ihm, mit den Verhältnissen noch viel zu wenig bekannt und einen ungerechten Verdacht von mir abzuwälzen, mit raschem Kopfschütteln erwiederte:

» No ship – no sailor –«

» No?« sagte der gelbe Satan, und zog das breite Maul von einem Ohr bis zum andern, dann sich zu den Mädchen wendend, rief er diesen ein paar Worte in ihrer Sprache zu und schüttelte, während die ganze Schaar in ein lautes Gelächter ausbrach, ganz ehrbar mit dem Kopf. Ich mußte endlich selber mitlachen, was sie natürlich noch mehr darin bestärkte, und ich habe lange keine so vergnügte Gesellschaft von Wilden gesehen.

Als der erste Sturm allgemeinen Vergnügens vorüber war, erkundigte ich mich nach dem Missionär; da wurde aber der kleine dicke Hosenträger, der sich bis dahin vor lauter Behagen ordentlich geschüttelt hatte, plötzlich ganz ernsthaft, beschrieb mehrere Cirkel in der Luft mit der rechten und linken Hand, erzählte mir dann etwas in einem halbbarbarischen Englisch, dem ich nicht widersprechen konnte, da ich kein Wort davon verstand, und zeigte auf ein paar auf dem Tisch liegende dicke Bücher, die natürlich nichts anderes als Bibeln seyn konnten.

»Aber wo ist denn der Missionär?« frug ich ihn noch einmal.

» Me Mitonary,« sagte der kleine Mann, und zeigte wohlgefällig auf die Stelle wo sein Magen unter dem bunten Baumwollenhemd lag.

Also kein Engländer hier; da war freilich nichts weiter zu erfahren – nur an der andern Seite der Insel sollte einer wohnen, was ich aus einigen abgebrochenen Phrasen abnahm – den aufzusuchen hatt' ich aber jetzt keine Zeit, und mußte mich mit dem begnügen, was ich von meinem kleinen indianischen Missionär herausbringen konnte. Der kleine Mann war aber gar nicht so übel. Er trug bald darauf, zweimal in Gefahr über eine unbestimmte Anzahl kleiner nackter Jungen zu stolpern, die ihm zwischen den Füßen herumliefen, gebackene Brodfrucht, gebratenes Ferkel und geröstete Bananen und süße Kartoffeln auf, holte zwei Teller, und ein in gelbes Papier gewickeltes Paket, aus dem er zwei Paar Messer und Gabeln herausschälte, vor, zog dann seine Schuhe an, sagte ein sehr kurzes Tischgebet, etwa wie »Herr dein Knecht ist hungrig,« setzte sich rasch auf seinen Stuhl nieder, und winkte mir freundlich, seinem Beispiel zu folgen.

Ich bin nie sehr blöde, und fühlte mich heute, nach solchen Strapatzen, noch viel weniger aufgelegt mich lange nöthigen zu lassen. So dauerte es denn gar nicht lange, und wir Beide waren scharf darüber her, die aufgesetzten Lebensmittel fast so schnell verschwinden zu machen, als sie aufgetragen waren.

Nach Tisch verlangte aber auch der todesmüde Körper sein Recht; ich ging hinaus unter einen dichten, schattigen Guiavenbaum, rückte mir ein Stück eines abgebrochenen Canoes, das dort gerade lag, unter den Kopf, und war in kaum zwei Minuten sanft und süß eingeschlafen.

Spät am Nachmittag weckte mich ein wahrhaft tropischer Regen, der mich rasch unter den Schutz des Hauses trieb. Er hielt übrigens nicht lange an, und die Wolken zogen sich wieder um die schroffen, steilen Gebirgsspitzen zusammen, die fast senkrecht in das Thal herunterschossen.

Von dem kleinen Missionär, der schon wieder munter und vergnügt in seiner Verandah saß und mir freundlich winkte, neben ihm Platz zu nehmen – denn er war nicht im mindesten stolz – erfuhr ich nun auch einiges Nähere über die Insel selber. Vor allen Dingen frug er mich aber, was für ein Landsmann ich sey, » wad condry?« und ob ich ein wi-wi wäre?

» Wi-wi« – nein – so viel ich wußte, war ich kein wi-wi – und dann gab er mir die Hand wieder, schüttelte sie noch einmal – sah mich dabei halb vergnügt, halb immer noch ein wenig mißtrauisch von der Seite an, denn ich konnte ja doch am Ende ein heimlicher wi-wi seyn, und schien sich zuletzt vollkommen über meine Identität beruhigt zu haben.

Was um Gotteswillen war ein Wi-wi? –

Auf der anderen Seite der Insel wohnte ein weißer Mann – auch ein Missionär, oder hatte da gewohnt, denn wir beide wurden da nicht recht klar darüber – auch noch ein paar Weiße waren früher auf der Insel gewesen – auch keine wi-wis, Gott sey Dank – die waren aber nach Ca-li-fo-li gegangen – » to get Peru!!« – Peru, wie ich nachher erfuhr, bedeutete Gold. Ich erkundigte mich jetzt, ob sie einen Garten gehabt und Kartoffeln und andere Sachen gebaut hätten, und er sagte ja, so ist denn sehr wahrscheinlich, daß das Melvilles beide Amerikaner waren, die nach Kalifornien natürlich ausgewandert waren, wohin sich schon fast alle ihre andern Landsleute, die hie und da über die Welt zerstreut gewesen, gezogen hatten.

»Keine Wi-wis« – mir ging das Wort noch immer im Kopf herum, und ich frug meinen kleinen Alten jetzt, ob er denn vielleicht ein »Wi-wi« wäre. Da kam ich aber schön an.

»Ich?« rief er und sprang mit einem Satz auf die Füße, und schüttelte dann seinen Kopf, als ob er ihn sich abschlenkern wollte; damit aber noch lange nicht zufrieden, rief er ein paar Frauen und Mädchen und was sonst in der Nähe war, herzu, und sagte ihnen in welchem Verdacht er stünde – die lachten aber und schüttelten auch die Köpfe, und ich reichte ihm dann die Hand, bat ihn um Entschuldigung, ihn unrechter Weise in einem so bösen Verdacht gehabt zu haben, und besänftigte ihn damit auf das vollständigste.

Wir wollten noch ein oder zwei Meilen den Abend rudern, um weiter oben bei Bekannten meiner Indianer zu übernachten, und es war nun vor allen Dingen nöthig, einen neuen Vorrath von Cocosnüssen und Orangen einzulegen. Ich frug meinen kleinen Missionär, ob er mir etwas Früchte ablassen wolle und er war auch augenblicklich bereit dazu. Vorerst rief er mich aber noch einmal ins Haus, und frug mich mit etwas leiserer Stimme, ob ich einen kleinen dam wollte? – Dam? was war das? »Dam?« sagte ich, »was ist das?« »Dam,« sagte er aber noch einmal, und zwar mit einem Ausdruck wie: zum Henker, weißt du denn nicht was Dam ist? Er machte dabei eine entsprechende Bewegung mit der Hand zum Munde, bei der er den Daumen herunter und den kleinen Finger in die Höhe drehte.

»Ah dram?« sagt ich, und er nickte schnell und vergnügt mit dem Kopf; ich machte ihm aber begreiflich daß ich keinen Brandy tränke, wie ich mich denn auch wirklich in den letzten Monaten aller starken Getränke enthalten hatte, wobei ich mich viel besser und wohler befand. Erst schien er erstaunt – ein Matrose und keinen Branntwein trinken – denn für einen Matrosen hielt er mich natürlich noch immer; zuletzt aber zeigte er sich damit zufrieden und sagte: »bery gu« – ich trinke auch keinen – nur wenn Fremde kommen, hab ich für sie eine Flasche. Dann zog er seine Schuhe aus, die er eigentlich nur zu tragen schien, weil ihm das vielleicht etwas ehrwürdiger vorkam, die ihm aber fortwährend im Wege, und mehr von, als an den Füßen waren, und ging mit mir (nachdem er meinen Indianern erst vorher gesagt hatte, von welcher Cocospalme sie sich die Nüsse herunterholen sollten) durch den hinter seinem Haus angebrachten ziemlich geräumigen Garten, in dem einige Orangenbäume stehen sollten, die reifere Früchte trugen, als die dicht um das Haus herum.

Wir pflückten einen guten Korb voll, die Indianer hatten indessen etwa 18 bis 20 Cocosnüsse herunter geworfen, die der Bergstrom dann selber mit bis zum Boote nahm, und ich frug den kleinen Mann jetzt, was ich dafür zahlen sollte?

»Zahlen?« Ja, das wußte er wahrhaftig nicht; Früchte verkaufen sie hier gar nicht; doch er wollte einmal seine Alte fragen, die mußte das jedenfalls besser wissen. Die Alte kam auf seinen Ruf, mit ihr die ganze in und um das Haus befindliche Kinderschaar, und alle überhaupt sonst noch aufzutreibenden »Männlein und Fräulein« der Nachbarschaft. Wir hatten einen ordentlichen Familierath, und ich stand mit meinem Korb Orangen gerade so mitten dazwischen, als ob ich sie gestohlen hätte, dabei erwischt wäre, und nun abgeurtheilt werden sollte. Das Resultat der sehr lebhaften Verhandlung kam endlich nach sehr langer Debatte dahin hinaus, daß der Missionär auf einmal vor mich hintrat, wieder fürchterlich mit dem Kopf zu schütteln anfing, und mir dann mittheilte, »seine Frau wolle gar nichts dafür haben.«

Das war allerdings recht freundlich von den Leuten, ich wußte aber auch daß sie nicht böse seyn würden, wenn ich ihnen trotzdem etwas dafür bezahlte, reichte also der Alten meine biedere Rechte, und drückte ihr einen halben Dollar in die ihrige. Den nahm sie mit Vergnügen an, und gab mir noch einmal die andere Hand, und dann reichte mir der Missionär die Hand, und dann der eine kleine nackte Junge, und dann der andere, und dann die kleinen Mädchen, und dann die ganze Familie, und dann die ganze Nachbarschaft. Meine Indianer rieben sich indessen noch einmal Feuer an, eine Cigarre zu rauchen.

Ich packte endlich meinen Korb Orangen auf, und der Missionär zog seine Schuhe an, mich zum Boot hinunter zu begleiten, die er nachher, als er zum Haus zurückging, wieder auszog. Unser Fruchtvorrath war in Ordnung, zu besorgen hatten wir nichts weiter, und so stießen wir denn munter und neu gestärkt wieder in See, und fuhren jetzt mit einer leichten Brise dicht am Land hinauf, einer kleinen etwas mehr bevölkerten Ansiedlung zu.

Am Ufer war indessen alles Leben und Bewegung – dort standen auch überall zerstreut einzelne Häuser, und die kleine Bevölkerung derselben war draußen am Strand, und haschte und balgte sich, und schrie- und jauchzte, und sprang und kletterte. An zwei über die Fluth hinüber hängenden Cocospalmen waren langem Bastseile angebracht, und an dem untern Ende derselben hingen kleine nackte »Kehr dich an gar nichts,« die sich, so weit es der Strick erlauben wollte, in die freie Luft hinausschleuderten, und ein paarmal, beim Zurückfliegen, haarscharf an dem Stamm der Palmen vorbeisausten. Sie verließen sich dabei auf ihre Füße, ein etwa gefährliches Zusammenprallen zu vermeiden, und jauchzten und schrieen vor lauter Lust, wenn sie weit draußen über der grünen Fluth hingen, wo das Zerreißen des Seiles sie unfehlbar auf die kaum zwei Fuß mit Wasser bedeckten Korallenriffe geschleudert hätte. Die kleinen Kerle kannten aber keine Gefahr, und ob die Kinder in Lebensgefahr zwischen den Palmen schwebten, oder auf den schmalen Surfbrettern in der hohen Brandung von den Wellen toll und wild über die scharfen Riffe hin dem Land zu geschleudert wurden, die Eltern saßen ruhig dabei und schauten zu, und wußten ihre Kleinen in diesen wilden und bedenklichen Spielen ebenso sicher als wir, die wir die unsrigen in kleinen weichgepolsterten Wagen, von zwei Kindermädchenkraft gezogen, auf die Promenade schicken. Aber lieber Gott, was würden bei uns die Mütter – oder noch viel schlimmer, was würden die Nachbarinnen, was würde der Gemeinderath, was die Polizei sagen, was für ein Zetergeschrei würden sie alle mitsammen erheben, wenn sie den Kinderspielen in der schäumenden Brandung zusähen. – Aber ländlich sittlich – hier kümmern sich die Eltern wenig, Andere gar nicht darum, und die Kinder spielen und treiben was sie eben wollen.

Der Charakter Imeos, an dessen freundlichen Ufer wir, kaum hundert Schritt vom Lande entfernt, und in dem stillen Wasser der Binnenriffe hinglitten, war übrigens von dem Maiao's unendlich verschieden. Maiao's Mittelpunkt bildet allerdings ebenfalls ein Hügel vulkanischen Ursprungs, aber das Ufer bestand fast einzig und allein theils aus noch ganz unbedeckten schneeweißen und bröcklichen Korallen, auf die die Sonne mit einer wirklich furchtbaren Gluth niederbrannte. Die Insel selbst gewann auch ein ganz wunderbares Aussehen durch die weiße Einfassung, die zuerst kaum bemerkbar in das crystallhelle Wasser einlief, und je tiefer sie sich senkte, die Fluth erst lichtgrün, und dann immer dunkler, ja mit gelbbraunen Korallenmassen, die tiefer lagen, förmlich hellblau färbte. Imeo war auch weit größer, und während Maiao gar kein frisches Wasser – ein paar kleine, unbedeutende Quellen ungerechnet, hatte, strömten auf dieser Insel zahlreiche und recht ansehnliche Bäche aus den Bergen herunter, und bildeten weite, fruchtbare, mit der üppigsten Vegetation bedeckte Thäler, in denen kleine Gruppen von Häusern tief versteckt und lauschig lagen.

Großartig sahen aber die inneren Berge aus, die schroff und steil, in den kühnsten Formen und Umrissen emporstiegen; viele tausend Fuß hoben sie sich, theils in breiten, wild gezackten Kuppen, theils in scharfen, unersteigbaren Kegeln, wolkenhoch empor, und kein Punkt an der ganzen schroffen Fläche war, selbst nicht da, wo überhängende Massen sogar die Möglichkeit eines Pflanzenlebens abzuschneiden schienen, an denen nicht Ranke und Schlingpflanze hier wenigstens die grüne Decke gezogen, während die höchsten Kuppen, bis in die schroffsten Spitzen hinein mit dichter Vegetation bedeckt standen.

Es wurde schon dunkel, ehe wir dießmal unseren Landungsplatz erreichten, denn die hier oft bis an die Oberfläche ragenden Korallen ließen uns, trotz einer leichten Brise, doch nur sehr wenig Fortgang machen – wir mußten unser Segel dicht reefen, und außerdem noch oft rasch einnehmen, um nur nicht zu scharf gegen die hartstörrischen Massen, die uns überall in der Bahn lagen, und oft nur ganz schmale Passagen bildeten, anzurennen.

Wir landeten an einer kleinen auslaufenden sandigen Spitze, die übrigens weiter oben sehr fruchtbaren Boden zeigte, und wo mehre kleine Hütten mit Gärten und Einfriedigungen den Platz zeigten, den mein Begleiter gewünscht hatte diesen Abend zu erreichen.

Hier fand ich übrigens einen Indianer, der ziemlich gut englisch sprach – er hatte früher schon einmal eine Reise auf einem englischen Wallfischfänger mitgemacht – und wie alle andere Indianer, war er freundlich und gefällig gegen mich, und erbot sich mir zu nützen, wo er nur könne. Er warnte mich übrigens hier vorsichtig zu seyn, denn die Franzosen, die Imeo mit in Besitz genommen hatten, »lieferten weggelaufene Matrosen wieder aus.«

»Aber ich bin kein Matrose,« rief ich, mit einem letzten Versuch, mich zu rechtfertigen; ich konnte mich noch nicht recht daran gewöhnen.

»Nun, das geht mich nichts weiter an,« lachte der braune Hallunke.

Ich frug ihn jetzt, ob Weiße auf der Insel wären; er sagte, ja; »Franzosen und einer der englisch spricht.« Ich beschloß, diese denselben Abend noch aufzusuchen. Der Indianer meinte aber, ich thäte das lieber nicht, es sey schon zu spät, und die Franzosen möchten es nicht gern sehen.

Nicht gern sehen? Zum Henker auch! Wenn zwei oder drei Weiße auf einer solchen Insel zwischen lauter Indianer sitzen, so müssen sie sich ebenso gut freuen, einen andern Weißen anzutreffen, wie ich mich freuen werde, sie zu finden. Ich beschloß jedenfalls sie aufzusuchen, denn ich fing an mich wieder einmal nach einer vernünftigen Unterhaltung zu sehnen, und der Indianer war auch gern erbötig mich zu dem, gar nicht so fernen Hause hinzuführen; dort fand ich aber nicht allein die Weißen, sondern auch den ganzen Raum voll Indianer, die in den buntesten Gruppen umhergelagert waren.

Ein großer stattlicher Mann, augenscheinlich Franzose, saß in einem Lehnstuhl, und ein anderer, mit einem unverkennbar englischen Gesicht, stand bei einem ganzen Chor kleiner und großer Indianerkinder, und ließ sie singen. Eine Menge von jungen Mädchen war auf der Erde gelagert.

Der Engländer frug mich bei meinem Eintritt ziemlich trocken: »was ich wünsche,« und ich antwortete ihm, daß ich eben hier auf der Insel angekommen, und eine Zeit lang zwischen lauter Indianern gewesen sey, hier aber gehört hätte, daß sich einige Weiße aufhielten, und nun weiter nichts wünschte, als deren Bekanntschaft zu machen.

» Was will er?« sagte jetzt der Franzose, der unserer, natürlich englisch geführten Unterhaltung bis dahin, wie es schien, ungeduldig zugehört hatte.

»Ich weiß nicht,« antwortete ihm der Engländer auf französisch; »er ist eben hier angekommen, und wird wohl einen Platz suchen, wo er schlafen kann.«

»Und wozu kommt er da hier her?« sagte der Franzose sehr verbindlich.

»Bitte, vergeuden Sie Ihre Zeit nicht in Vermuthungen,« kam ich hier dem, mich jetzt etwas verdutzt Ansehenden mit meinem Bißchen Französisch zu Hülfe; »ich bin nur hieher gekommen, zu sehen was für Weiße hier wohnen, das habe ich jetzt vollkommen erreicht – guten Abend, meine Herren.« Und damit wandte ich mich und ging mit meinem Indianer, der an der Thür auf mich wartete, wieder zurück.

Erst jetzt fiel es mir ein, daß mich diese natürlich ebenfalls für einen weggelaufenen Matrosen gehalten hatten, und ich beschloß von nun an auch nicht länger gegen mein Schicksal anzukämpfen.

Der Franzose war, wie mir mein Indianer sagte, der Gouverneur der Inseln, der Engländer der Sohn eines Missionärs und hier geboren, und sein Dolmetscher.

»Und beschäftigt er sich immer so mit der Erziehung der Kinder?« frug ich ihn.

»Ja,« sagte der Indianer, und lachte verschmitzt – »mit den großen;« er hat jedenfalls meine Frage gar nicht verstanden. Die Nacht schlief ich sehr behaglich zwischen zwei Cocospalmen in meiner Hängematte, und selbst die Moskitos waren hier, wohl von einer frischen Seebrise etwas vertrieben, lange nicht so schlimm als auf Maiao.

In dem Hause, das natürlich nur einen gemeinschaftlichen Raum enthielt, wohnten zwei Familien, d. h. zwei erst kürzlich verheirathete Ehepaare. Zwei Matten bildeten das ganze Hausgeräthe, und nur an der einen Wand waren ein paar niedere Pfosten eingeschlagen, ein altes Blechsieb darüber genagelt, und auf diesem lagen ein paar Stücke reiner Wäsche. Die beiden Familien waren mein Indianer, der englisch sprach, mit seiner Frau, einer jungen Dame von etwa 28 bis 29 Jahren, und sehr viel Blüthe im Gesicht, mit der er Haus und Grundstück bekommen hatte; er sagte das, als er es mir erzählte, wie mir schien, gewissermaßen zu seiner Entschuldigung, und ein anderer jüngerer Indianer mit einem wahrhaft liebenswürdigen Weibchen von 16 bis 17 Jahren. Es war diese junge Frau wirklich das lieblichste Bild einer Indianerin, das man sich nur denken kann, und ihr Betragen dabei so still, züchtig und bescheiden, daß sich manche unserer Europäerinnen daran ein Muster hätten nehmen können.

Solche arme Teufel von Indianern dauern mich immer, wenn ich sie an Bord irgend eines Fahrzeugs, besonders aber eines Wallfischfängers finde, der ja in den Sommermonaten die nördlichsten Gegenden aufsucht, und in Eis und Schnee oft spät im Herbst erst zurückkehrt. Arbeit, die sie früher gar nicht für möglich gehalten, wartet dann auf sie, und die armen Kinder einer warmen freundlichen Zone, die da kaum mehr zu thun hatten, als die Früchte von den Bäumen zu pflücken, die der liebe Herrgott für sie wachsen gelassen, müssen dann Tag und Nacht im kalten Wasser oder vor den heißen Kesseln mit dem schmutzigen Thran hanthieren, oder in den schweren Riemen liegend arbeiten, daß ihre vor Frost in derselben Zeit starren Glieder kaum die ungewohnten entsetzlichen Anstrengungen zu ertragen vermögen. Halten sie aus, so macht aber auch selten oder nie einer von diesen Leuten eben mehr als eine Reise mit, und hat er einmal wieder Freundesland betreten, bringen ihn all die lockenden Versprechungen der Schiffer nicht zum zweitenmal hinaus in den starren Norden.

Auf ihrer Insel erlangen sie dann aber eine gewisse Notorität – sie haben eine andere Sprache gelernt, haben fremde Theile der Welt gesehen, und sind »weit nach windwärts« hinauf gekommen – jedes einzelne schon genug, ihnen einen gewissen Ruf zu sichern, sie heirathen dann, bekommen dicke Beine und sterben gewöhnlich in hohem Alter unter ihren Verwandten und Freunden.

Mir lag übrigens daran, noch etwas mehr von der Insel zu sehen, und nach Sonnenaufgang, als ich meinen englisch sprechenden Indianer in der schrecklichsten Langweile am Strand herumschlendern sah, bat ich ihn, eine kurze Strecke mit mir durch die Ansiedlung zu gehen, wozu er auch augenblicklich bereit war.

Ein kleiner Bach kam hier von den Bergen herunter, und seine Ufer bildeten ein breites fruchtbares Thal. An diesem hin lagen dicht aneinander die verschiedenen kleinen, sauber eingefenzten Ansiedlungen mit den reinlichen Häusern in der Mitte, die überall entweder von den breitästigen großblätterigen Brodfruchtbäumen, oder dichtlaubigen Orangen beschattet wurden. Wunderschöne große weiße Blumen, die cape dessamine, die aber, wenn ich nicht irre, erst von der Kapstadt hierher verpflanzt wurden, wuchsen hier am Ufer des Bachs, der sich über große Kiesel rauschend seinen Weg brach, und dieselben lindenartigen Bäume ( hibiscus), die ich schon so häufig, aber nicht so üppig, auf den Sandwichsinseln getroffen hatte, schützten mit ihrem dichten Laub die murmelnde Fluth vor den heißen Strahlen der Sonne. Plötzlich hörten wir das laute Getön munterer, lachender und singender Stimmen, und kamen gleich darauf an einen Platz, wo unfern eines Hauses, und traulich unter dem Laub der überhängenden Bäume, eine ganze Schaar von Mädchen, Kindern und jungen Leuten am Ufer des Bachs saß und ihre Brodfrucht verzehrte. Sie hielten hier ihr Frühstück, lachten und scherzten mit einander, erzählten sich in ihrer muntern lebendigen Weise, und tauchten dazu, ein sicherlich frugales Mahl, ihre geröstete noch heiße Brodfrucht in den klaren Bach. Als ich mich zu ihnen setzte, boten sie mir gleich von allen Seiten ein Stück Brodfrucht an, und es war dieß allerdings mit den Fingern abgerissen und mit den Fingern dargereicht, sie alle sahen aber so frisch und sauber aus, und ihre Augen blitzten mir dabei so klar und gutmüthig entgegen – ich hätte in diesem Moment das einfache Mahl nicht mit dem kostbarsten Dejeuner der ganzen alten Welt vertauscht – und tauschte es noch nicht, wo ich die Wahl habe zwischen einfacher Kost und herzlichem ungezwungenem Wesen und prachtvollen überladenen Schüsseln und Zwang und Etikette.

Hier war ein förmliches kleines Dorf, mit ordentlich eingefriedigten Gärten, die aber kaum mehr als Obstgärten waren, mit hie und da einzelnen sehr sparsamen Reihen süßer Kartoffeln. Bananen und Brodfruchtbäume bildeten die Hauptbestandtheile, die Brodfruchtbäume wuchsen aber auch überall draußen im Freien, und schienen hier nur eigentlich förmlich jung angepflanzt zu seyn, um sie entweder dicht am Hause, oder vielleicht auch als Vorrath für die Schiffe, oder das gegenüber liegende Tahiti zu haben. Die Häuser selber, bestanden fast sämmtlich aus Bambushütten, die Vogelbauern gar nicht unähnlich, und aus etwa zwei Zoll von einander entfernten und in die Erde gestoßenen Bambusstangen errichtet waren, während das Dach eine dichte Matte von Pandanusblättern bildete.

In den Hütten hier fand ich aber auch zu gleicher Zeit eine niedere wunderlich geformte Art von Sessel, etwa vier bis fünf Zoll hoch. Von hartem Holz angefertigt, war er tief ausgehöhlt, und würde einen ziemlich bequemen Sitz geboten haben, wäre er nicht eben so niedrig gewesen – wie ich aber später fand, benutzten ihn die Indianer allerdings auch zum Sessel, hauptsächlich aber zum Kopfkissen Nachts, zu dem dann eine einfache Grasmatte das übrige Bett bildete.

Die freundlichen Menschen wollten mich im Anfang gar nicht wieder fort lassen, mein Begleiter stellte mich ihnen erst vor, und er mußte etwas dabei gesagt haben, das sehr zu meinen Gunsten sprach – (wie ich später erfuhr, »daß ich kein Franzose sey«) – und sie kamen dann und schüttelten mir die Hand, und brachten mir Cocosnüsse und Brodfrucht und Orangen, und schienen sich ordentlich den Kopf zu zerbrechen, was sie mir sonst noch Liebes und Gutes anthun könnten. Auch ihre Sprache suchten sie mich zu lehren, so rasch als möglich, und was nur in den Bereich des Auges kam, erfuhr ich, wie es hieß, und alle Arten von Früchten brachten sie, mir die Namen zu verdeutlichen.

Mein Führer hatte die Geschichte schon lange satt bekommen und war fortgegangen und wieder gekommen, und ich saß noch immer zwischen den lieben guten Menschen, und lauschte ihrer wunderlichen, oder melodischen Rede, und schaute ihnen in die klaren treuen Augen. – Ich hätte tagelang da sitzen und ihnen zuhören können.

Endlich mahnte mein Indianer aber selber an den Aufbruch, und einen anderen Pfad einschlagend, kamen wir auf einen breiteren mehr begangenen Weg, wo ich zu meinem Erstaunen Pferdespuren fand. Als ich meinen Führer aber darauf aufmerksam machte, schüttelte er mit dem Kopf und meinte » no good« und rings umherzeigend wies er mir eine Menge an der Rinde beschädigte Brodfruchtbäume, die von den neu eingeführten Thieren angenagt waren, und die Eigenthümer des Landes in ihrem wichtigsten Besitzthum gar böslich gefährdeten. Sie hatten jetzt die Stämme wenigstens, die am meisten bedroht waren, mit Bast umwunden, das schien aber immer noch kein hinreichender Schutz, und der Indianer meinte, das sey ein Segen, den sie mit den Franzosen bekommen hätten, und den sie mit diesen, wenn es auf ihn ankäme, wohl bald wieder los werden möchten – »Und das ist nicht das einzige,« setzte er mürrisch hinzu, »was wir den Wi-wi's zu danken haben.«

Wi-wi's – halt! da war eine Aufklärung möglich – was war Wi-wi? – der Indianer lachte. Erst sah er mich an, als ob er hätte sagen wollen »du bist doch auch keiner?« – und dann meinte er schmunzelnd, das wi sey, was die Franzosen yes nannten, und da das so oft und so schnell von ihnen hintereinander gesprochen wurde, hätten sie davon ihren Namen bekommen – Arme oui-oui's – Sie hören das aber nicht gerne, setzte er vorsichtig hinzu, und es sey eigentlich nur ein Scherzname, in Wirklichkeit hießen sie Fe-ra-nis .

An seinem Haus wieder angelangt, ging er in eine Ecke seines Hofraums unter einen dortstehenden Baum, wo ein kleiner Hügel aufgeworfen war, fühlte diesen an und meinte: » unser Frühstück würde nun auch wohl gut seyn.«

Ich sollte bald erfahren was er damit meinte; er räumte ohne weiteres mit einem spatenartigen Holz die obere Erde des Hügels ab, worauf eine Lage dampfender gelber Blätter zum Vorschein kam. Diese hob er vorsichtig auf, und darunter lag – es sah wirklich appetitlich aus – ein schneeweißes, blankes, aber vollkommen gahr gedämpftes Spanferkelchen, von einem Duzend halbdurchgeschnittener Brodfrüchte zierlich eingefaßt; noch heiße Steine bildeten die Unterlage dieser Mahlzeit, waren auch zwischen die Früchte und in das Spanferkel selber hineingethan worden, und wurden jetzt erst, nachdem die Frauen indeß eine Tafel von frischabgebrochenen Blättern auf der Erde gedeckt hatten, bei Seite geworfen. Das Ferkelchen kam dann auf einige dieser Blätter, die Brodfrüchte daneben, Cocosnüsse lagen schon bereit, in Cocosnußschalen stand mit dem ausgepreßten Saft der Nuß versetztes Salzwasser, und hier ausgebreitet lag nun ein so luxuriöses Frühstück vor uns, wie es die Indianer je genießen; denn obgleich sie Ferkel genug haben, schlachten sie nur selten welche, und wenn es geschieht, bildet es nur eine Mahlzeit, denn alle Nachbarn, die gerade in der Nähe sind, setzen sich mit zu und helfen es verzehren.

Allerdings hatte ich nun schon einmal an dem Morgen gefrühstückt, das Ferkelein roch aber in seiner Unschuld so delikat, die Cocosnüsse und die frischen grünen Blätter sahen so einladend aus, daß ich mich noch einmal mit niedersetzte und, alle Umstände in Betracht gezogen, ganz tüchtig mit zulangte.

Der Leser darf sich die Sache aber doch nicht zu poetisch, zu romantisch denken, und mir selber fiel – als ich in voller Arbeit an dem delikaten Frühstück beschäftigt war, ebenfalls die Beschreibung ein, die ich von Hermann Melville von eben dieser Insel, von eben einem solchen Frühstück gelesen hatte, und wie entzückt ich damals selber darüber gewesen war. Dem wohnte ich jetzt wirklich bei, und ich muß gestehen, er hatte kein Wort übertrieben; die saftgrünen breiten Blätter des hibiscus tiliaceus, auf duftigen Kräutern ausgebreitet, lagen vor uns, und darauf all die goldigen herrlichen Früchte mit dem vorbenannten appetitlichen Ferkelchen – die kleinen zarten Hände des lieben niedlichen Frauchens hatten das Alles zubereitet und man hätte nur so hineinbeißen mögen – und biß auch wirklich nur so hinein. Melville hat aber nun beschrieben, wie das Mahl aussah als sie sich hinsetzten, und darin lag die Poesie – aber er hat weggelassen, wie es aussah als sie ziemlich oder ganz fertig waren, und da kam die Prosa.

Gabeln kennt man da nicht – nur wenige selber haben Messer, das eine ausgenommen, was zum Zerschneiden mit bei dem Fleisch liegt, und die Finger spielen die Hauptrolle bei der ganzen Mahlzeit, den Zähnen wenigstens vorzuarbeiten, und die großen Blätter, die erst mit zum Teller dienen, müssen gewöhnlich auch die Stelle der Servietten ersetzen helfen. Kleine Hunde und andere kleine Ferkelchen kommen dann auch noch, wenn die Mahlzeit etwas weiter vorrückt, heran, ihr Theil zu bekommen, und nagen dicht neben dem Tisch an den Knochen. Das Fleisch ist indeß herüber- und hinübergezogen worden, du hast dabei ziemlich genau Achtung zu geben, welcher Theil noch nicht so oft von den fettigen, nur höchst oberflächlich abgewischten Fingern berührt wurde; die Blätter und Kräuter haben sich in der Mitte verschoben und das Fleisch berührt an der Stelle den Boden. Aber es war nur ein wenig Erde – die ältere Frau entfernt das wieder mit einem Blatt, alle die Blätter sind jetzt fettig und zerdrückt und nur ein paar Sandkörner bekommst du nachher noch zufällig zwischen die Zähne. Das Alles ist die Prosa, das Ganze nimmt sich doch weit besser in einem Roman, als in der Wirklichkeit aus. – Und mit wie vielen vielen Sachen geht es so, vorzüglich mit Verhältnissen, an die wir nicht den Maßstab unseres gewöhnlichen Lebens legen können, weil er nicht dorthin paßt, und wir nun unserer Phantasie überlassen sich den Gegenstand nach Gefallen auszumalen. Thut man das nun allein zu seiner Unterhaltung, so ist die Phantasie gerade die beste Aushülfe, die man auf der weiten Welt dazu finden könnte – will man aber einen ernsten und wichtigen Zweck damit verbinden, handelt es sich, wie zum Beispiel bei alle den Schilderungen und Beschreibungen, die mit der Auswanderung in Verbindung stehen, um eine Lebensfrage, dann wird die eigene Phantasie unser gefährlichster Gegner, und hat uns da schon manchen entsetzlichen Streich gespielt, hat schon manchen armen Teufel auf das schauerlichste in die Dinte geritten, und die Leute haben dann Recht und Unrecht, wenn sie eben nur den Beschreibungen die Schuld geben, denn die Beschreibungen mögen ganz wahr seyn, aber – sie hielten sich eben nur an die freundlichen Punkte des Beschriebenen, und schwiegen über das Andere. Wie du Nachts mit einer Fackel im Wald nur die Lichtseite der Bäume siehst, wohin du dein Auge wendest, so führt dich der Autor gewöhnlich in einer romantischen Schilderung mit leichter Hand über all die rauhen und unebenen Punkte deines Pfades hinweg, du mußt deine Fackel schon eine Weile in die Erde stecken und näher zu den beleuchteten Gegenständen hinangehen, und du findest dann nicht allein, daß jeder Baum auch eine dunkle Seite hat, sondern daß die dunkle Seite, obgleich du vorher nicht das mindeste von ihr gesehen, selbst noch größer ist, als die helle.

Aber was hilfts – wir armen Menschenkinder sind ja einmal dazu auf der Welt, uns täuschen zu lassen, und wenn wir keinen finden der es gutwillig thut, ei so zwingen wir ihn dazu, oder – thun es im schlimmsten Fall selber – aber getäuscht wollen wir nun einmal seyn.

Unsere Absicht war nun freilich gewesen, heute noch nach dem gerade gegenüber liegenden und kaum fünfzehn englischen Meilen entfernten Tahiti hinüberzufahren, es blies aber eine scharfe Brise gerade von dort herüber, und da die Indianer ebenso wenig wie ich selber Lust hatten, sich noch einmal in der brennenden Sonnenhitze abzuarbeiten, während wir durch einen längern Aufenthalt hier alle miteinander nichts versäumten, so, beschlossen wir, diesen Tag noch auf Imeo zu bleiben, und erst morgen, wenn der Wind nachgelassen hätte oder doch günstiger wehe, nach Tahiti aufzubrechen. Etwa eine Meile wollten wir aber noch weiter aufwärts fahren, weil dort die Schweine, die wir im Boot hatten, endlich einmal mußten etwas Ordentliches zu fressen und saufen bekommen, wenn sie nicht im Boot elendiglich verderben sollten. Ich hatte schon nicht eher von hier mit fortfahren wollen, aber bei dem andern Haus, meinten sie, könnten sie die Thiere frei laufen lassen, bis wir wieder abführen, und dabei erholten sie sich jedenfalls besser. Die Abfahrt wurde deßhalb noch auf den nämlichen Vormittag festgesetzt.

Vor der Abfahrt wollte ich, um die Zeit nicht eben in der Hütte zu sitzen, gern noch einen kleinen Spaziergang machen, als ich plötzlich aus der nächsten Baumgruppe, in die hinein sich der Weg nach der Ansiedlung zu schlängelte, eine ganze Menge Indianer, und fast sämmtlich Frauen und Mädchen, herauskommen sah, unter denen ich bald all meine alten Freunde vom Bach oben und dem Brodfruchtfrühstück wieder erkannte. Hatte ich aber erst geglaubt, irgend ein Fest oder Spiel oder gar eine Beschäftigung ziehe sie hier zum Ufer der See herunter, so sollte ich mich darin bald sehr getäuscht finden, denn Niemand anders als ich selber war, wie ich jetzt erfuhr, das Ziel dieser kleinen Völkerwanderung gewesen.

Mein englisch sprechender Indianer löste mir bald das Räthsel; er hatte ihnen von meinem Instrument, von den eingemachten Schlangen und Eidechsen, von den Glasperlen und dem Pantherfell und von den Bogen und Pfeilen erzählt, denn die Indianer von Maiao schienen darüber genauere Berichte abgestattet zu haben, und die ganze Gesellschaft war jetzt allem Anschein nach fest entschlossen, nicht wieder von der Stelle zu gehen, bis sie alles gesehen hätte, was nur hier möglicherweise zu sehen wäre.

Weigern würde gar nichts geholfen haben, und ich kam mir bald darauf vor, wie ein Wärter von wilden Thieren und sonstigen Sehenswürdigkeiten, der den zu ihm strömenden und fortwährend aufs äußerste erstaunten Landleuten die Wunder fremder Welten öffnet und erklärt.

Die Schlangen und Eidechsen trugen übrigens auch hier den Sieg davon, und nach ihnen das Pantherfell, und die allgemeinen Symptome waren etwa die nämlichen wie auf Maiao, nur machte ich mir hier noch einen absonderlichen Spaß mit meinem Brennglas, zu dem ich mir einen kleinen dicken behäbigen Jungen ausersehen hatte.

Dieser, der mich die ganze Zeit mit einem mißtrauischen Blick, das Gesicht dabei so viel als möglich hinuntergebogen und die Unterkinnlade außergewöhnlich vorgeschoben, angestiert hatte, drängte sich nichts destoweniger immer vorn in den Kreis, und hätte mir beinah schon die Flasche mit den Reptilien zerbrochen die er, ohne zu wissen was darinnen war aufgriff, und als er nur einen Blick auf den Inhalt warf, vor Schreck fallen ließ – glücklicher Weise auf sandigen Boden. Mehren der eingeborenen Mädchen hatte ich jetzt Kleinigkeiten an Glasperlen in die Hand gegeben, nun nahm ich wieder eine Schnur recht grell rother, auffallender Perlen, ergriff den etwas Erschreckten bei der Hand die ich ihm öffnete und ließ dann, aus derselben Hand in der ich die Perlen hielt, den Brennpunkt des Glases gerade in seine geöffnete Hand fallen. Erstaunt und überrascht betrachtete er, wie es schien den blendend hellen Punkt im ersten Moment – aber es war auch wirklich nur ein Moment, denn im zweiten schon riß er mir die Hand mit einem Schrei fort, duckte sich mit dem Kopf blitzschnell unter der Mädchen Schaar, die ihn dicht umdrängt hatte, fort, und lief nun, sich immer die linke Hand haltend und ohne auch nur ein einziges Mal zurückzusehen, in solcher wilder Eile gerade in das Dorf hinein, daß Alle hinter ihm in ein laut schallendes herzliches Gelächter ausbrachen. Sie merkten leicht, daß ich ihn angeführt hätte, wenn sie auch noch nicht begriffen wie, und zeigten ein solches Vertrauen dabei, daß doch mehrere, selbst von den Mädchen, mir ihre Hand ebenfalls herüberreichten, und ich ließ auch in diese den Schein des concentriten Lichtes fallen, hütete mich aber wohl sie zu brennen.

Bei meinem Auspacken war auch eine Schnur sehr zierlicher langer Glasperlen herausgefallen; das junge Frauchen das mit in diesem Haus wohnte hob sie auf, besah sie, reichte sie mir wieder und flüsterte dann ihrem Mann etwas in's Ohr. Dieser kam gleich darauf zu mir, und frug mich ob ich ihm die Glasperlen verkaufen wolle, ich sagte nein, verkaufen nicht, seine Frau sollte sie aber zum Andenken von mir behalten. Er lachte freundlich und reichte sie ihr hinüber; die kleine Frau wurde dabei noch viel verschämter als vorher, nahm aber die Perlen, und ich werde nie das herzliche »Ioranna« vergessen, mit dem sie mir lächelnd und dankend die Hand, herüberreichte.

Nach dem kam natürlich auch die Cither an die Reihe, und die fremdartigen Töne waren ihnen wenigstens etwas Neues; wie sie also Alles gesehen hatten, baten sie mich, mit in das Haus zu kommen, und dort lagerte sich die ganze Schaar und ich mußte ihnen ein Lied nach dem andern spielen. Sie machten es dabei zwar eben so wie ihre Maiao-Schwestern, sie plauderten und lachten die ganze Zeit und horchten wenig auf die Melodie, aber der Klang selbst schien ihnen zu behagen, und jedesmal wenn ich ein Lied beendet hatte baten sie mit einem herzlichen liebenswürdigen Ungestüm, und sahen mich dabei mit den dankbaren treuen Augen so bittend an, und klatschten so freudig die Hände zusammen, und lachten und schwatzten wieder zu einander wenn ich begann, daß ich es ihnen wahrlich nicht abschlagen konnte und Lied nach Lied ihnen vorspielte. An dem nämlichen Abend sollte ich übrigens noch erfahren, welche Art von Musik sie am liebsten hörten.

Nach einer Stunde etwa brachen wir auf, fuhren ein Stück am Ufer hinauf und landeten an einem andern Haus, dem sich vier oder fünf größere Plantagen, wie es schien, anschlossen, und während sich die Indianer mit dem Ausladen und Unterbringen ihrer lebendigen Fracht beschäftigten, ging ich am Ufer hinauf durch die Hütten hin, mir die Gegend ein klein wenig anzuschauen.

Dichte Guiavenbüsche umgaben diesen Bach, dessen schilfiges Ufer wirklich wundervoll schöne Cocospalmen zierten; durch die Büsche hin öffnete sich eine Aussicht nach dem Innern der Insel zu, und dort bildete der sicherlich sechstausend Fuß hohe Hauptkegel der wunderlich geformten, schroffen, aber bis in die zackigsten Kanten hinauf dicht bewachsenen Gebirgskette den Hintergrund.

Diese Gebirge sind, wie die von Tahiti, mit wilden Ziegen und Schweinen reich versehen, und früher konnte man hinauf in die Berge gehen und sie schießen, wenn man sie haben wollte, jetzt hat sich die französische Regierung aber freundlich der armen Thiere angenommen, und beansprucht sie sämmtlich für sich. Die Indianer essen, wunderbarerweise, ebensowenig das Fleisch der Ziegen als das der Rinder, auch Milch trinken sie nicht, Schweine und Geflügel sind das einzige was sie, außer Fischen, an Fleisch verzehren.

Erst gegen Abend lehrte ich wieder nach den Gebäuden, in deren Nähe unser Boot lag, zurück, und traf vor einem derselben einen jungen Franzosen, der mir zu des Gouverneurs Leuten zu gehören schien, und sich hier, wie er mich versicherte, herzlich langweilte. Wir schlenderten, mitsammen plaudernd, ein wenig am Strand auf und ab. Als wir zum zweitenmal zurückkamen, sah ich einen würdigen alten Gentleman in Strohhut, Hemd und Lendentuch an einem Stock auf uns zuwackeln, und wie es mir aus der Ferne vorkam, trug er ein paar ächte, altdeutsche, dunkelbraungegerbte und ungemein weite Ritter- oder Reiterstiefel, die ihm bis oben an die Hüften gingen; als ich aber näher kam sah ich meinen Irrthum ein, und hier zugleich eines der schauerlichsten Exemplare der Elephantiasis die mir bis dahin noch auf den Inseln vorgekommen. Die beiden Beine und Füße waren ihm riesig angeschwollen, zugleich, besonders der obere Theil der Füße, mit einer Art blaurothen warzenartigem Auswüchse bedeckt. Mich dauerte der Mann, aber ich konnte ihn nicht ohne Ekel ansehen. Er schien sich übrigens vollkommen wohl dabei zu befinden, er grüßte freundlich, lachte mit den Leuten die ihm begegneten, und war dem Aeußern nach so wohl zufrieden mit seinen Hinterläufen, als ob er sie sich ganz besonders hätte anmessen lassen.

Auf Imeo habe ich übrigens die meisten mit dieser Krankheit Behafteten gesehen, und ich glaube kein einziger über vierzig alter Indianer war ganz frei davon.

Es fing indessen an dunkel zu werden, und wir hörten plötzlich den scharfen lebendigen Laut von Trommeln, nicht sehr weit von uns entfernt.

»Liegen Soldaten hier auf der Insel?« fragte ich meinen Begleiter.

»O nein,« sagte dieser, »das sind die Trommeln zum Nationaltanz der Indianer; wenn Sie den noch nicht gesehen haben, so ist es der Mühe werth daß wir dorthin gehen.«

Wieder Kehrt machend, erreichten wir bald darauf die Nähe des Schauplatzes, wo sich schon halb Imeo versammelt zu haben schien, denn es wimmelte förmlich von geputzten Mädchen und gemüthlich auf und abwandernden älteren Paaren. Mein junger Begleiter erklärte mir auch auf meine Frage ob denn die Missionäre jetzt den Tag wieder freigegeben hätten, der doch eigentlich früher einmal von ihnen verboten gewesen wäre, daß der Tag noch allerdings unter einem strengen Interdikt der Missionäre liege, seine Landsleute den jungen Theil der Bevölkerung als schon dadurch halb gewonnen hätten, daß sie und ihre Religion ihnen solche unschuldige Vergnügungen gern frei gäben, ja sie sogar noch dazu aufmunterten.

Aber jede weitere Unterhaltung wurde abgebrochen, denn wir betraten in diesem Augenblick den freien Platz, dicht am Strand, und in einem der weiten, mit Brodfruchtbäumen bewachsenen Hofräume, dessen Gebäude der französische Gouverneur für sich in Beschlag genommen hatte. Dämmerung war eingebrochen, und das scheidende Tageslicht ließ die Gruppen umher eben noch erkennen, die überall auf dem weichen Rasen gelagert waren, oder hie und da mitsammen plaudernd standen. Durch alle diese hin suchte ich mir aber rasch einen Weg, denn gerade inmitten des Platzes, und etwa vierzig Schritt von dem Gebäude selber entfernt, zeigte sich das Centrum der Bewegung.

Unter einem der größten Brodfruchtbäume von dessen einem Ast, gerad' neben einer großen halbreifen Frucht, eine mächtige Laterne hing, standen fünf Indianer mit Trommeln – drei auf der einen und zwei auf der andern Seite, einander gegenüber, und etwa fünf oder sechs Schritt von einander entfernt, so daß sie eine ungefähr so breite Gasse bildeten, und in kurzen Zwischenräumen schlugen sie nach einem eigenthümlichen raschen Tact die Trommel. Um sie her lagerten in bunten Massen ich glaube alle Frauen, Mädchen und Kinder der ganzen Nachbarschaft. Die Männer trieben sich plaudernd, und lachend zwischen ihnen herum. Jedesmal wenn die Trommeln ihren Marsch begannen, warfen sich ein Paar der Mädchen wie im tollen wilden Uebermuth in die Reihe, und führten theils einzeln, theils gegeneinander den wildesten Tanz aus, den sich menschliche Einbildungskraft nur denken oder ersinnen könnte. Ich habe nie etwas gesehen das zu gleicher Zeit so graciös und doch so kräftig, so natürlich und dabei so unanständig gewesen wäre als dieser Cancan, dessen Hauptform darin zu bestehen schien daß die Tanzenden ihre Kniee rasch zusammen und auseinander warfen, während sie den Körper auf alle nur mögliche Arten wendeten und drehten.

Die Mädchen spielten dabei die Hauptrolle, denn selten, und dann auch nur auf ganz kurze Zeit, sprang einer der jungen Leute mit zwischen die Trommeln – geschah das aber, so waren die erstern wo möglich noch ausgelassener als vorher. Selbst die Kinder mischten sich hinein. Es schien als wäre die ganze weibliche Bevölkerung von der Tarantel gestochen.

Wilder und jubelnder wurde dabei der Tanz, je mehr sich die Tanzenden selber an der Gluth desselben erhitzten; schärfer wirbelten die Trommeln, die Augen brannten, die Locken flogen, und wieder und immer wieder stürmten die tollen Mädchen wie rasende Bachantinnen, wenn ich sie schon zu Tode erschöpft glaubte, immer auf's Neue zwischen die Trommeln, die einen förmlich zauberhaften Einfluß auf sie auszuüben schienen. Der junge Franzose versicherte mich dabei, es gehe heute noch ganz gelind her, denn oft geriethen die Mädchen so in Extase, daß sie endlich ihre Oberkleider oder Tücher ganz abwürfen, um sich dieser Lust so viel freier, ungebundener hingeben zu können.

Wär' ich ein Maler, das Bild dieses Abends müßte ich auf der Leinwand haben. – Im Hintergrund die düsteren zackigen Bergspitzen, die starr und unheimlich über die wehenden Palmen und Fruchtbäume hinaus ragten, als ob sie in grimmer Freude den Tanz hier unten mit zuschauten, das gelbe niedere Haus, dicht in die Schatten der Palmen und Orangen hineingeschmiegt, der riesige Brodfruchtbaum mit der schwingenden Laterne, von der allein aus ein glimmendes unsicheres Licht über die unter ihr rasende Gruppe fiel. Dann die Trommler selber, mit den dunklen, freudenstrahlenden Zügen und blitzenden Augen, das Wirbeln der Trommeln mit dem Akkord der donnernden stürmenden Brandung an den Riffen, das dumpf aber nichtsdestoweniger deutlich über den Lärm hinüber tönte, dann die Gruppen der Lagernden, die theils wohlbehaglich dem Treiben zusahen, oder theilnehmend in den wilden Lärm hineinjubelten – vor allen Anderen aber die hochgeschürzten Dirnen mit den flatternden, blumendurchflochtenen, lockigen Haaren, und den Lust und Uebermuth funkelnden Augen, denen der Trommelwirbel allein wieder neue Kraft und Lebensgluth durch die Adern goß, wo sie schon zum Tode erschöpft zusammenzubrechen drohten, und die wieder und wieder in die wahnsinntreibenden Klänge hineinstürmten, bis die Glieder ihnen den Dienst versagten und selbst Besinnung sie verließ – es war ein wildes herrliches Bild, und ich werde den Abend in meinem Leben nicht vergessen.

Der Tanz dauerte wohl bis zehn Uhr fort, und ich schaukelte schon lange in meiner Hängematte, als noch immer das monotone Rasseln der Trommeln zu mir herüber tönte; aber wunderbar verschmolzen klang mit den Tönen derselben das Rollen und Donnern der Brandung – dieselbe Melodie, denselben Takt haltend, nur wilder und gewaltiger – Wie nachäffend schallten die Trommeln hinein, während die gewaltigen, ungebändigten Wogen in langsamen Sturz, wie sie die Riffe hinabliefen, ihren donnernden Ruf herüber sandten, während in kurzen aber vollkommen regelmäßigen Pausen die zweite und dritte Welle, von denen drei gewöhnlich einen Sturzsee bilden, hinten nach dröhnten.

Die Musik verstummte endlich, aber das Donnern der Brandung dauerte fort. – Die Menschen werden so still und todt unter dem Schatten ihrer Guiaven liegen und andere den wilden Reigen aufführen – diese Palmen werden stürzen und verdorren – aber das Donnern dieser ewigen Brandung dauert fort, und wie es das Wiegenlied des Insulaners war, den er wachsen und gedeihen sah, der sich ja selber oft in den tollsten Wogen der stürmischen drohenden Wellen schaukelte, und auf den Rücken der wilden, wie der Reiter auf kampfgewohntem Roß dahinflog, so singt sie ihn auch in Schlaf, wenn er die müden Augen schließt, der ewigen stillen Ruhe entgegen zu träumen, und klagt noch lange über den Todten, wenn ihn die Andern schon lange, lange vergessen haben.

Und auch mich sang sie in Schlaf, aber in keinen ewigen, und als ich die Augen aufschlug, war sie die erste, die mir den freundlichen guten Morgen bot. – Und die Bäume schüttelten ihren Thau auf mich nieder, und die Sonne goß ihr flüssiges Gold über den östlichen Horizont und die zackigen wunderlichen Spitzen des schönen Tahiti, das in all seiner düsternen Pracht und Herrlichkeit gerade vor mir ausgebreitet lag.

Ich hatte übrigens meine Hängematte die Nacht unter zwei breitästigen tui tui-Bäumen aufgeschlagen, und glaube eine kleine Warnung für spätere Reisende hier gar nicht so unrecht am Platz – nämlich jeden Abend, wenn sie ihre Hängematte im Freien aufbinden wollen, und nicht gerade schlanke und hochstämmige Palmen dazu in der Nähe haben, sondern niedere Laubbäume – lieber erst einmal zuzusehen, ob nicht etwa in den Aesten Hühner zu Rüste gegangen sind – Truthühner wären noch schlimmer – aber das nur nebenbei.

An diesem Morgen wollten wir ganz früh nach Tahiti aufbrechen, ich war jedoch lange genug mit meinen Indianern zusammengewesen, sie ziemlich genau zu kennen. Auch überdieß gewiß daß sie nicht ohne mich abfahren würden, machte ich noch eine tüchtige Tour in die Hügel hinauf, und kam später an demselben Bach wieder herunter, wo ich den ersten Morgen die ganze Mädchenschaar beim Frühstück gefunden hatte. Sie waren auch heute wieder da, und nicht wenig erstaunt mich ganz allein, und aus einem gewissermaßen wilden Theil der Insel zu ihnen herauskommen zu sehn, aber sie begrüßten mich fast noch freundlicher als das erste Mal, zeigten mir, daß sie die Geschenke trugen, die ich ihnen gegeben, und ich mußte jetzt essen und trinken, essen von der Brodfrucht, die sie mir mit den eigenen zierlichen Fingern brachen, trinken aus dem Bach, mit dem ich selber von den Bergen herunter gekommen, und dann wollten sie, ich sollte bei ihnen bleiben und ihre Sprache lernen und in einer von ihren Hütten wohnen.

Wohnen? lieber Gott, wie lange hatte ich das Wort nicht gekannt, und für mich gab es keine Rast – weiter – weiter der untergehenden Sonne nach, und die aufgehende fand mich noch auf ihrer Bahn. So nach einer glücklich verlebten Stunde griff ich meinen Stab wieder auf und wanderte, von dem herzlichen Ioranna der guten Menschen begleitet, zu dem Boot zurück, wo meine Indianer eben erst ihre Ladung wieder im Stand hatten, und daran gehen wollten ihr Frühstück zu verzehren, an dem ich dießmal jedoch nicht Theil nahm, denn ich hatte mich an all den vortrefflichen Früchten ordentlich satt gegessen. Eine halbe Stunde später etwa brachen wir auf, und eine leichte Brise, die gerade zwischen den Inseln durchwehte, versprach uns in zwei bis drei Stunden wenigstens hinüber zu nehmen; kaum aber konnten wir etwa eine halbe Stunde gefahren seyn, als der Wind wieder nachließ und endlich ganz einschlief, so daß wir das schlaff niederfallende Segel einnehmen mußten. Meine Indianer hatten sich aber dießmal besser mit Rudern versehen als von Maiao aus, und drei ordentliche Riemen mitgenommen, wie sie sich in Wallfischboote gehören; mit denen konnten wir wirklich rudern, und brauchten nicht mehr mit den kurzen Hölzern im Wasser herum zu plätschern. Eine andere Sache war die, daß meine rothen Faullenzer mit wirklichen Riemen auch nicht so leicht Versteckens spielen und sich von der Arbeit wegdrücken konnten, als mit kurzen Rudern, obgleich sie es möglich zu machen wußten, daß sie beide an die eine und ich an die andere Seite kam, denn wir ließen den Alten wenigstens im Anfang wieder steuern.

Trotz dem Rudern war die Fahrt übrigens reizend, denn während hinter uns die Palmen Imeos mehr und mehr sich dem Wasserspiegel näherten, stiegen die von Tahiti daraus empor, und die gewaltigen, tief geschnittenen Schluchten desselben, entfalteten immer deutlicher das Ueppige ihrer Vegetation, während die Conturen der höchsten Bergeskuppen, die zwei verschiedene Gipfel bildeten, in ihrem ersten Anblick gar nicht verkennen ließen, daß irgend eine gewaltige innere Kraft in früheren Jahrtausenden diese Kuppe von einandergerissen habe, zwischen denen jetzt eine furchtbare Kluft aus dem Abgrund heraufgähnt.

Es wurde indessen wieder sehr warm, und wenn wir auch weder Hunger noch Durst zu leiden hatten, denn wir fühlten Früchte genug mit drei oder vier Tage in See auszuhalten, sahen wir und besonders die Indianer doch gar nicht recht ein, weßhalb wir uns gerade überarbeiten sollten. Einer von ihnen war dabei fast stets beschäftigt ein Stück Holz zu suchen, Feuer anzureiben, wozu er sich dann erst gewöhnlich eine Weile auf die Doften legte und sich zu besinnen schien, nach was er eigentlich abgeschickt gewesen wäre. Wenn unsere Maurer erst einmal hinter das Feuerzeug kommen, können sie ihren Zustand noch um ein Bedeutendes verbessern, denn diese Art Streichhölzer ist doch noch langsamer als ihr Schwamm.

So saßen sie auch einmal wieder und Einer rieb, während der Andere gerade so aufmerksam zusah, als ob ihm etwas Aehnliches noch in seinem ganzen Leben nicht vorgekommen wäre; ich hatte meinen Riemen ebenfalls eingeklemmt, und ein paar Orangen vorgeholt, die ich theils zum Zeitvertreib, theils des Durstes wegen verzehrte; damit fertig warf ich die Schalen, die ich so lange neben mich hingelegt, über Bord, und wollte eben wieder zu meinem Ruder greifen, denn meine beiden Schiffskameraden schienen ihr Rauchgeschäft beendet zu haben, als dicht neben uns die scharfe spitze Flosse eines Haifischs auftauchte, dessen Eigenthümer langsam und schläfrig nach den Orangenschalen den Rachen öffnete.

Ich sah ihn übrigens ziemlich gleichgültig an die Oberfläche kommen, denn wir hatten weder Harpune noch Haken bei uns, und wie hätten wir ihn gefangen ja wenn gefangen, was mit ihm machen sollen. Ueberhaupt befanden wir uns in einem kleinen Boot, und der Fisch schien wenigstes sechs bis sieben Fuß lang zu seyn. Meine sonst so schläfrigen Indianer waren aber in demselben Augenblick, wo sie nur die Flosse erblickten, Feuer und Flammen, der Alte ließ Steuer Steuer seyn, und nach einigen rasch gewechselten Worten sprangen die beiden jungen Indianer nach dem Segel und machten von diesem die Wanttaue los, aus denen der Alte geschickt eine Schlinge drehte. Dabei warf er fortwährend kleine Stücken Brodfrucht über Bord, mit denen er den Hai fütterte, und dieser kam auch, wie ein Hund, langsam hinter unserem Boot hergeschwommen. Sobald die Schlinge gemacht war, griffen wir nämlich wieder zu den Rudern, damit das Boot wenigstens Fortgang bekam.

Der alte Indianer hatte indessen einen kleinen Fisch, den sie an dem nämlichen Morgen in Imeo gefangen haben mußten, aus dem Boden des Boots vorgesucht, band diesen jetzt an ein kleines Seil, und drückte und rang ihn vorher im Wasser aus, daß der hinten folgende Hai den Geschmack davon bekam, dieser schoß auch jetzt rasch herbei, fuhr nach dem Fisch und ließ sich von dem alten Indianer dabei ganz geduldig die Schlinge überwerfen.

Der Indianer war aber ein wenig zu hitzig, er zog, ehe er eine Gegenbewegung des Haies abwartete, die Schlinge an und diese, die noch keine Zeit bekommen hatte sich fest zu schließen, schlüpfte, als der Fisch endlich den Zwang um seinen Hals merkte und rasch zurückfuhr, wieder ab. Der Hai ließ sich nicht wieder sehen.

Dadurch wurden meine Indianer aber keineswegs zurückgeschreckt, sie kannten die Natur dieses gefräßigen Thieres besser, und während wir wieder scharf zuruderten, fütterte der Alte ruhig fort, und warf auch ein paar kleine Stücke des Fisches über Bord. Noch keine Viertelstunde war auf diese Art vergangen, als die Flosse wieder sichtbar ward. Der Alte zog das Steuerruder ein, und nahm die Schlinge, die beiden jungen Indianer ruderten, bis der Fisch ganz dicht heran kam, und ich nahm das dünne Seil mit der Lockspeise, ihn heranzuziehen.

Trotzdem daß er die Gefahr, der er sich aussetzte, doch jetzt hätte kennen können, ließ er sich keineswegs lange nöthigen; kaum sah er den Fisch, als er zum zweiten Mal so rasch darauf los schoß, daß ich ihn aus dem Wasser ziehen mußte, damit er ihn nicht wegschnappte, und der Indianer erst seine Schlinge ordentlich anbringen konnte. Das war bald geschehen, und während der Hai wieder, sobald er nun die Lockspeise ansichtig wurde, herankam, bog sich der Alte mit der Schlinge über, ließ den gefräßigen Burschen mit dem Kopf hindurch und strich ihm dann wirklich mit der Hand das Seil über den Hals, bis dicht vor die Finnen. Der Hai, die kleinen gierigen Augen nur auf seine schon in Gedanken verschlungene Beute richtend, ließ sich das ruhig gefallen, und erst, als wir Alle das Tau aufgriffen, ihm so wenig Spielraum als möglich zu gönnen, und er sich dadurch gefangen fühlte, tauchte er unter, und suchte zu entkommen.

Dießmal war aber die Schlinge besser geordnet gewesen, und saß ihm fest und unrückbar um die Kiemen, und kaum merkte er das, als er wie ein Pfeil fortschoß, weil er jetzt wahrscheinlich glaubte, daß ihn unter diesen Verhältnissen nur seine Schnelle retten könnte. Wir alle viere hingen aber am Tau und klammerten uns zugleich an den Bänken und Seitenwänden des Bootes an, nicht über Bord gezogen zu werden; der Hai war ordentlich vorgespannt, und das Boot lief, wie vor einer frischen Brise, etwa fünf Knoten oder Meilen (engl.) die Stunde. Lange hielt er das aber nicht aus; das Seil, gerade um seine Luftröhren geworfen, mochte ihn auch wohl würgen; er hielt plötzlich an, so daß wir im Stande waren, wenigstens einen Faden Tau einzunehmen, und ging dann nach unten.

Jetzt kam übrigens der Augenblick, wo sich zeigen mußte wer der Stärkere von uns war, denn mit Gewalt warf sich der Fisch nach unten, während wir mit all unserem Gewicht, all unserer Kraft, uns oben dagegen legten, und der Rand des Bootes berührte schon die Oberfläche, der glücklicher Weise gerade spiegelglatten Oberfläche der See, wo nur dann und wann eine kleine plätschernde Welle, durch unser eigenes Arbeiten veranlaßt, überschlug – aber nur einen halben Zoll tiefer, und wir hätten müssen gutwillig loslassen. Uns alle vier konnte er aber nicht bewältigen, und wir hätten ihn mit leichter Mühe matt gemacht, wäre in diesem Augenblick nicht eines der gebundenen unten im Boot liegenden und durch das Hin- und Herlaufen wüthend gemachten Schweine dem einen jungen Indianer, der seinen Fuß dicht vor dessen Rüssel gestellt hatte, nach dem Bein gefahren, daß dieser erschreckt das Tau los ließ und zur Seite sprang. Der andere, der sich gleichfalls bedroht sah, oder auch nur glaubte, that ein Gleiches, und der alte Indianer und ich waren nur noch die einzigen, die, als Gegengewicht gegen den Hai an dem Tau hingen. Wenns aber auch die Haut von den Händen gekostet hätte, wir ließen Nicht los, die andern Beiden kamen uns auch bald wieder zu Hülfe, und an ein zweites Entkommen seiner Seits war nicht mehr zu denken.

Wir kriegten ihn auch bald so müde, daß wir ihn bis an die Oberfläche des Wassers herauf ziehen konnten, und nun bearbeitete der alte Indianer seine Nase – einen der gefühlvollsten Theile des Hais – mit einem Handbeil, während ich, als er einmal mit dem Schwanz in die Höhe schlug, diesen erwischte, rasch über Bord zog und inwendig niederdrückte. Wir schlugen ihm jetzt noch schnell ein Seil um den Schwanz, befestigten dieses ebenfalls, und ich rannte ihm dann mein langes Jagdmesser ein paar Mal in die Kiemen. Das gab ihm den Rest, und mit dem ebbenden Blut ließ auch seine Kraft, ließen seine Anstrengungen nach. Wir hoben ihn nun in das Boot, um ihn in das Vordertheil desselben zu werfen, dort gab er aber noch einen Schlag, den ich gerade gegen die Schulter bekam, als ich mich zu ihm niederbückte, und der mich halb über das Boot hinüber sandte; das war jedoch auch das letzte, und wenige Minuten darauf hatte er ausgerungen.

Die Indianer waren jetzt kreuzfidel, sie lachten und sprangen und schwatzten miteinander nach Herzenslust, und wohl mochten sie, denn sie hatten mit dem Hai, der sich in allen Märkten der Südsee auf das Vortrefflichste verkauft, gar keine so üble Tagesarbeit gemacht. Endlich aber mußten wir doch wieder zu den Rudern greifen, und erreichten bald darauf die Einfahrt in die Riffe, von wo aus wir uns nun wieder, an der Küste von Tahiti, zwischen den Riffen und dem Lande in ganz glattem Wasser hinauf arbeiten konnten.

Die Gebirge Tahitis, nicht so pittoresk als die Imeos, aber jedenfalls massenhafter und höher, lagen jetzt dicht vor uns. – Welch ein Unterschied zwischen diesen und den Sandwichsinseln. Dort nackte Hügelrücken und Lava-Massen, gelbe dürre Felsen und öde Hänge, nur das niedere Land und die Thäler, und selbst diese nicht bis oben hinauf bewachsen; hier die üppigste Vegetation vom untersten Rand der See, bis weit oben zu den schroffsten und höchsten Spitzen der äußersten Felsrücken hinauf. Dort die Palmen sparsam zerstreut und nur am Wasserrand und in den tiefsten Thälern, hier in dichten Waldungen unten am Strand, und über all die niedern Hügel hinüber in bald kleinern bald größern Gruppen. Es war ein Unterschied wie Tag und Nacht, und das Auge weilte wahrlich mit Entzücken auf den grünen fruchtbedeckten Hängen, den kühlen Thälern und schattigen Waldungen dieser wunderschönen Insel.

Wir bekamen übrigens Zeit genug das Ufer, von dem meine Indianer jedoch natürlich nicht die mindeste Notiz nahmen, zu betrachten und zu bewundern, denn wir hatten den ganzen Nachmittag vollkommen Arbeit uns, eine lange Strecke nach Osten zu und gegen die Strömung am Ufer hinauf zu arbeiten, ehe wir die letzte Landzunge umsegeln und den Hafen selber erreichen konnten. Erst mit einbrechender Dämmerung sahen wir die helleren Häuser und einzelne Schiffe im Hafen vor uns liegen, und als es dunkler wurde, blitzten uns von dort Lichter entgegen.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Reisen 3. Band - Die Südsee-Inseln