5. Fahrt von Maiao nach Imeo.

» All ready!« rief Mac Ising aus dem Boot heraus, in dem er die Hühnerkasten, die aus dünnen vogelbauerartigen Stäben bestanden, zurecht gestellt, und die unten drin mit zusammengebundenen Füßen liegenden Schweine so placirt hatte, daß sie im schlimmsten Fall den Rudernden nicht im Wege wären, sich aber auch nicht unter einander beißen oder Unheil anrichten konnten. Mac Ising war ein alter Seemann und wußte wohl ein Boot in Ordnung zu bringen.

Das Wallfischboot lag noch dicht am Land, eben nun weit genug von der Bank entfernt, nicht festzusetzen, und meine drei Indianer hatten ihre Plätze schon darin eingenommen – ein alter, über und über tättowirter Bursche am Steuerruder, das ebenfalls, wie auf allen Wallfischbooten, in einem langen, durch ein scharfangezogenes Tau gesteckten Riemen bestand, der weit hintenaus reichte, und dadurch auch gestattete, das kleine Fahrzeug rascher herumzuwerfen, als wenn bloß ein kurzes gewöhnliches Steuer hinten daran eingehakt gewesen wäre. Die beiden andern Indianer waren noch junge, kaum ausgewachsene Burschen, aber von der faulsten Art, denn sie schliefen schon fast wie sie ins Boot stiegen, und der Alte mußte ihnen erst tüchtig den Text lesen, daß sie nur jetzt aufpaßten, wo wir schon gleich im Anfang einen schwierigen Theil unserer Fahrt, das Auslaufen aus der Brandung, vor uns hatten.


Durch den scharfen Westwind nämlich, der die beiden letzten Tage geweht hatte, stand hier eine ziemlich starke Dünung, die ihre Wogen längs den Riffen hin und quer über die schmale Einfahrt wälzte. Durch die Riffe selbst gebrochen, hoben sich hier die einzelnen Sturzwellen bis zu sechs und acht Fuß hoch, und eine einzige derselben hätte das Boot augenblicklich gefüllt, während es die nächste gegen die andere Korallenbank werfen und zertrümmern mußte. Mit einiger Vorsicht ließ sich dem aber leicht entgehen; zwischen den einzelnen Wellen entstand immer eine kleine Pause, und diese mußte benutzt werden, das Segel rasch zu hissen und durch den schmalen, aber auch kurzen Wogendamm hindurch zu schießen.

So denn Joranna, Joranna, ihr lieben Menschen auf der kleinen stillen und freundlichen Insel dieser blauen See, Joranna – Ihr habt Eure Züge mir tief in die Seele gegraben, und Eure sanften freundlichen Worte werden mir noch lange, lange im Herzen wiederklingen. – Ha, was für einen tollen Schrei der tättowirte Bursche da hinten am Steuer ausstieß und wie er sich gebärdete, als die neue Sturzsee gegen uns anschoß und ihren Schaum, vor unserem Bug vorüber, in tausend zischende, spritzende, knisternde Blasen auflöste. Wie aber ein Vogel die Schwingen ausbreitet, so flog rasch unser Segel empor – die frische kräftige Brise faßte es und das Boot glitt nach vorn. – Da schon wieder zum neuen Anprall sammelten sich die Wasser, und die vordere Woge hob sich rasch und bäumend gerade gegen uns an – wir lagen genau in ihrem Cours und konnten ihr gar nicht mehr entgehen.

Gerade nicht ängstlich, aber doch in etwas beunruhigt, warf, ich den Blick zurück – ich war nicht im mindesten um mein Leben besorgt, denn ich wußte, daß ich leicht wieder zurück an Land schwimmen konnte, trotz den Wellen – aber so hier, dicht am Ufer, all meine wenigen Sachen zu verlieren, oder doch total durchnäßt zu bekommen, war auch kein Spaß, und die Woge –

Vorbei – der alte Indianer hatte still und regungslos im Boot gestanden und die Welle sich heben sehen, ohne auch nur eine Miene zu verziehen – jetzt kam sie an, aber wir ebenfalls schoßen nach vorn, denn das Boot gewann mit jeder Sekunde mehr Fortgang – höher und höher stieg sie, über unseren Köpfen fast schien der weiße Schaum zu hängen – da glitt das Boot, gerade wie ein lebendes Wesen, das dem gefährlichen, gekannten Feind im raschen Sprung entgeht, darunter hin, und selbst über dem Riemen, mit dem der Alte das Boot jetzt rasch hinaus in die freie offene See steuerte, kräuselte und kochte die Fluth in milchweißen zerfließenden Massen.

Maiao oder Tabuaemanu, etwa 70 englische Meilen westlich von Tahiti, gehört zu den Lee-Inseln, d. h. der Ostpassat weht fast ununterbrochen von den östlich gelegenen zu ihm herüber, wodurch denn auch natürlich eine dem entsprechende Strömung in der See selber hervorgerufen wurde, die sogar für gut bei dem Wind segelnde Fahrzeuge zeitraubend war, und Wallfischfänger z. B., denen es eben auch nichts leichtes ist gerade in den Wind aufzukreuzen (wenn sie noch dazu ihr Kupfer um sich herumhängen haben, wie der Alexander Barklay) nicht selten zwingt viele Grade nach Süden hinunter zu laufen, nur um einen einzigen in Länge gegen Osten zu zu gewinnen. Wallfisch boote können aber bei dem Winde, d. h. dicht daran, wenn sie gerade nach der Richtung hin wollen, von der der Wind kommt, wenig oder gar keinen Fortgang machen, denn wenn sie auch mit Leichtigkeit fünf bis fünf ein halben Strich am Winde liegen, haben sie doch jedenfalls wieder drei und mehr Strich Abdrift, weil ihr Kiel nicht tief genug im Wasser geht, unten Widerstand zu leisten, und der Wind sich zu breit und kräftig gegen das ganze Boot legt, das solcher Art gewissermaßen auf der Oberfläche seitwärts abgeschoben wird. Kleine Boote müssen deßhalb auch immer einen günstigen Westwind abwarten, von den »leewärts« gelegenen Inseln nach »windwärts« zu kommen, und die Indianer drehen gewöhnlich wieder um, sowie der Wind umschlägt während sie unterwegs sind; mein alter Schotte hatte mir gesagt, daß sie nur im äußersten Nothfall zu den Rudern griffen.

Kaum frei von den Riffen aber, klang der Glück wünschende Jubelruf der Insulaner an unser Ohr; die Mädchen schwenkten ihre Tücher und die Männer winkten, fast so lange sie uns sehen konnten, mit grünen Büschen ein letztes freundliches Joranna herüber.

Der Wind, der uns glücklicherweise mit einer guten Backe voll zwischen den Sturzwellen der Brandung herausgeholt hatte, schien mir aber jetzt keineswegs so frisch, als ich im Anfang erwartet hatte, und da er schon zwei volle Tage von Westen her ganz scharf geweht hatte, war allerdings Gefahr vorhanden, es könne ihm einmal wieder einfallen nach der andern Seite hintum zu gehen; dagegen ließ sich aber nun einmal nichts machen, wir waren jetzt unterwegs, und mußten nehmen was eben kam, und wie's kam.

Der alte, bis an die Zähne tättowirte Indianer blieb am Steuer, und den Bug des Bootes gerade von der untergehenden Sonne abhaltend, lehnte er sich eben nur nachlässig auf seinen Riemen, und schien die beste Absicht zu haben, wo er saß einzuschlafen. Die beiden andern hatten erst noch eine Weile damit zu thun, das Boot zu »trimmen,« oder mit andern Worten, die Ladung wie Provisionen so zurecht zu rücken, daß wir nicht mehr, wie das jetzt noch der Fall war, nach der Starbordseite überhingen – wir gingen auch vorn noch ein wenig zu tief. Nachdem das aber Alles in Stand gesetzt worden, machte sich der eine von ihnen höchst bedächtig darüber her, ein Stück trockenes Holz unter einem der Kasten vorzusuchen – von diesem spaltete er einen langen dicken Spahn ab, und fing nun an durch Zusammenreiben der beiden Hölzer Feuer zu machen, was er in Zeit von etwa fünf Minuten auch glücklich zu Stande brachte.

Seit ich in meiner frühesten Jugendzeit den Robinson Crusoe gelesen, sah ich Freitag vor meinen inneren Augen, wie er mit zwei Stücken Holz, einem harten und einem weichen, durch den Wald lief und im Laufen die Stücke so lange rieb, bis die Flamme daraus emporschlug – ich hatte das sogar, o wie oft, abgebildet gesehen, und der Leser kann sich denken, mit welcher Aufmerksamkeit ich das Verfahren des jungen Burschen beobachtete. Ich selber führte ja Schwamm und Stein in der Tasche und hätte ihm die Arbeit leicht ersparen können, aber mir lag vor allen Dingen daran zu sehen, wie sie es bewerkstelligten, noch dazu, da der Bursche hier nicht mit den Hölzern »durch den Wind« laufen konnte. Zu gleicher Zeit benutzte er auch keineswegs ein hartes, und ein weiches Stück Holz, sondern die beiden Spähne waren von ein und demselben Block, beide weich, und das größere unten hinlegend, schnitzte er an das kleinere erst eine Art Spitze oder vielmehr stumpfe Schneide, und fing dann an, das ganze Gewicht seines Körpers hinzufügend, mit dem letzteren auf dem ersteren anzureiben. Das Holz gerieth auch nicht etwa förmlich in Brand, daß die helle Flamme hinausschlug, wie ich das aus Freitags Händen hatte geschehen sehn, obgleich ich nicht zweifle daß man es dahin wohl ebenfalls bringen könnte, sondern durch das rasche Reiben bildete sich erst ein feines, dünnes Holzpulver, das sich durch die Hitze mehr und mehr schwärzte, endlich an zu rauchen, dann zu glühen fingen, und endlich eine Art von Zunder herstellte, der mit anderen brennbaren Stoffen und durch Blasen genährt, leicht hätte zur hellen Flamme angefacht werden können; den Indianern war aber gar nichts daran gelegen lichtes Feuer zu bekommen, und während der eine die Funken unterhielt, hatte der andere einen Streifen von einem Bananenblatt und etwas feingeriebenen Tabak vorgenommen, und den Tabak in den Blattstreifen, während er diesen immer rund umwickelte, einlegend, stellte er eine kleine, vielleicht fingerlange aber viel dünnere Cigarre her, die er sich jetzt an diesem Urstreichhölzchen anzündete, ein paar Züge daraus that, und sie dann weiter gab. So ließen sie die Cigarre zwei oder dreimal unter sich herum und das Feuer wieder ausgehn, und schienen dann vollkommen zufrieden mit diesem Genuß; ihr Feuerzeug aber schoben sie unter einen der Kasten, zum Gebrauch wieder fertig zu seyn, wenn sie auf's Neue das Bedürfniß nach einer Cigarre empfinden sollten.

Ich hatte gehofft daß wir rascher vorwärts rücken sollten, denn mit der Strömung gegen uns bedurften wir allerdings einer wackeren Brise, um von der Stelle zu kommen, nichts destoweniger ließen wir doch Maiao immer weiter hinter uns, und da es auch scharf auf Abend ging, denn die Sonne schwoll am Horizont mehr und mehr, holte ich mir vor allen Dingen einmal meine Provisionen vor, und hielt an einem Stück gebratenen Spanferkel mit Brodfrucht und Citronensaft, wozu ich die Milch einer Cocosnuß trank, ein wirklich delikates Souper, streckte mich dann behaglich aus über meine Stücken Tapa und Matten, und die wollene Decke über mich herziehend, die schon feucht kommende Abendluft abzuhalten, war ich bald unter dem jetzt in aller Pracht niederblitzenden Sternenhimmel sanft und süß dem Schlaf in die Arme gesunken.

Es mochte ungefähr zwei Uhr Morgens seyn, als ich wieder aufwachte, – die Brise war ziemlich schwach geworden, die See hatte aber immer noch Bewegung und funkelte und glühte im munteren Wellenschlag, und wir hätten jedenfalls zwei bis drei Meilen Fortgang machen können – hätte nicht meine ganze Gesellschaft von Indianern baumfest geschlafen. Der Alte und Einer von den jungen Burschen lagen vorn im Boot, und der dritte saß hinten am Steuerruder, das im Wasser hängend nachschleifte, während das Segel selber faul und schläfrig am Mast herunter flappte und nur dann und wann von der Brise ausgehoben und leise geschüttelt wurde. – Wir konnten auf solche Weise nicht allein gar keinen Fortgang machen, sondern mußten nothwendiger Weise sogar noch mit der Strömung zurücksetzen, von wo wir hergekommen, und damit war ich nicht einverstanden, sondern beschloß lieber das Ruder selber zu nehmen.

Ich schickte also den jungen Burschen, mit dem ich einige Schwierigkeit hatte ihn munter zu bekommen, ebenfalls nach vorn auf die Hühnerkasten, und er schien nicht das mindeste dagegen einzuwenden zu haben, nahm dann seine Stelle ein und den Riemen zum Steuern in die Hand, bekam nach kurzer Zeit, und als sich die Wolken etwas theilten, (denn einen Compaß hatten wir gar nicht) die Himmelsgegend heraus, wo Osten war, und hielt nun dorthin den Bug des Bootes.

Die Wolkenschicht wurde aber immer dichter, der Wind lebendiger, mit ihm wuchs die See; aber die Wogen, die hinter uns her kamen, halfen das Boot vorwärtsbringen, und nach kaum einer Stunde liefen wir gewiß sechs Knoten vor einer herrlichen Brise, daß der Schaum vorn am Bug emporspritzte. Wäre klarer Himmel gewesen, ich hätte mir gar nichts besseres auf der weiten Welt wünschen wollen, so aber stand im Süden eine hohe dunkle Bank, die mir nicht allein gerade die Sterne verdeckte nach denen ich am besten steuern konnte – das südliche Kreuz – sondern auch noch außerdem eine kleine Bö versprach, die gerade in dieser Jahreszeit und in dieser Gegend nicht selten in einen sogenannten Typhoon oder Orkan ausarten kann. Etwas derartiges hätte dann unserer Fahrt gleich ein Ende gemacht, denn das schwanke, jetzt sogar schwergeladene Boot würde einer hohen See gar nicht haben widerstehen können. Nichts destoweniger beschloß ich Segel zu führen, so lange als möglich – noch hielten wir Cours, und jede Meile, die wir solcher Art zurücklegten, brachte uns unserem Ziele auch soviel näher. Meine Indianer schliefen fort wie die Ratten.

Mit der Brise hatte ich mich aber ebenfalls nicht geirrt – je höher die Bank im Süden stieg, desto mehr schrahlte der Wind nach Süden herum, und eine Stunde später konnte ich schon nicht einmal mehr Osten anliegen – die Brise kam gerade aus Ost-Süd-Ost; so also dicht am Wind gehend, war ich überzeugt, daß wir mit unserer Abdrift kaum nach Osten machten, sondern fast genau nach Norden hinaufliefen; aber es blieb mir nichts anderes übrig, denn wollte ich beilegen, so hätte uns Wind und Strömung ganz nach Lee zu genommen. Gefahr, daß wir umschlagen könnten, war dabei ebenfalls nicht vorhanden, denn unser Mast, aus einem dürren Casuarinenstamm genommen, befand sich in so traurigen Umständen, daß ich fest überzeugt war, er müßte abknicken, so die Brise um noch ein klein wenig länger anhielt. Keineswegs hätte er dem wilden Anprall einer plötzlichen Bö Stand gehalten. Nur erst, als der Wind immer heftiger wurde, und schon anfing über die höher und höher gehenden Wellen hinzuheulen, hielt ich es für besser das Segel zu reefen, und rief deßhalb den mir nächsten Indianer.

Ja du lieber Gott, wie hätte ich schreien müssen, den munter zu kriegen; je mehr Kraft ich nach und nach in die Stimme legte, und was ich versuchte mit Pfeifen, Stampfen und Lärmen, es blieb sich gleich, die Burschen schliefen wie die Bären und waren keinesfalls auf indirekte Art wach zu bekommen. Das Ruder mochte ich, wie wir jetzt durchs Wasser gingen, auch nicht loslassen, so zog ich dann mein Messer mit der rechten Hand aus der Tasche, öffnete es mit den Zähnen, und hielt es bloß in der Hand, um, wenn es nöthig werden sollte die Fall, durch welches das Segel gehalten wurde, gleich kappen und dieses niederwerfen zu können. So ließ ich denn das Boot gehn wie es eben wollte, und wir schäumten prachtvoll über die Wogen.

Lange sollte das aber nicht dauern, der ganze Himmel hatte sich mit schwarzen unheildrohenden Wolken umzogen, der Wind heulte von Süd-Osten herüber, das Boot wurde förmlich über die Wogen hinüber gerissen, und ich wunderte mich nur, daß der alte, fast ganz krumm gebogene Mast noch nicht gebrochen war, oder das schwer überliegende Boot noch kein Wasser einnahm. Ich rief jetzt noch einmal nach meinen Leuten, aber wenn sie das Wetter selber nicht aufweckte, sollte es wohl meiner Stimme ebenfalls nicht möglich werden. – Die Wogen hoben sich dabei mehr und mehr, wir arbeiteten zu schwer gegen die jetzt schon mit dem Winde kommende See an, und ließ ich jetzt das Ruder los, daß das Boot breit gegen die Wellen kam, so konnte eine einzige verkehrt kommende See die ganze Bescheerung füllen und sinken. – Da half mir das Element selber höchst freundlich aus der Verlegenheit, denn plötzlich schlug die erste Spritzwelle vorn auf, und gerade über den alten Indianer weg, der oben auf dem vordersten Steven des Bootes lag. – Das half – er richtete sich rasch empor, hatte aber noch lange keine Zeit gehabt sich zu besinnen, als schon eine zweite der ersten nachfolgte, und ihn völlig zu sich selber brachte. Mit Blitzesschnelle war er jetzt auf den Füßen, denn ein einziger Blick genügte ihm unseren ganzen Zustand zu erklären, und mit vor Hast zitternden Händen löste er das Segel es niederzulassen, während er zu gleicher Zeit das Angenehme mit dem Nützlichen zu verbinden, auf seinen beiden Landsleuten mit den Füßen herumtrat, sie munter zu bringen – er wußte von vorn herein, daß Worte bei denen doch Nichts ausrichteten.

Nach einer Weile gelang ihm das auch in der That, und die beiden Burschen rieben sich im ersten Moment erschrocken die Augen, denen sie wohl anfänglich selber, nicht trauen mochten – sie schienen gar nicht zu wissen wo sie sich eigentlich befanden. So eingeschüchtert waren sie dabei alle drei geworden, daß sie nicht einmal die Segel reefen, sondern das Segel lieber ganz nieder lassen wollten; die See war aber dem Boot, das ich jetzt nur mit Mühe gerade gegen die Wogen anhielt, viel gefährlicher, und ich bewog nach einiger Zeit, in der die drei eine sehr lebhafte Unterhaltung geführt, meinen Alten, daß er mir das Steuerruder einmal abnahm. Das kaum geschehn, nahm ich ein Reff in das Segel und hißte es auf, und wir glitten bald darauf wieder rasch und munter, aber freilich nur dicht an dem Wind und mit starker Abdrift, über die blitzenden funkelnden Wogen hin.

Welchen Cours wir aber steuerten, ließ sich bei dem jetzt vollkommen umzogenen Himmel gar nicht erkennen, und einen Compaß hatten wir, wie schon bemerkt, gar nicht bei uns. Wehte übrigens der Wind noch aus derselben Richtung als vorher, wo ich die obern Sterne des südlichen Kreuzes und die maya placida einmal auf einen Augenblick zu sehn bekam, so liefen wir jetzt etwa einen N.-O.-Cours mit drei Strich Abdrift etwa, also Nord zu Ost, doch das Alles blieb nur Vermuthung, und wir mußten entweder den Tag oder klaren Himmel abwarten.

Nach etwa einer Stunde lichtete sich der Himmel im Süden etwas, so daß ich wenigstens den obern Theil der hellen Sternenstraße erkennen konnte, in deren Mitte ich das südliche Kreuz wußte. O weh, das war fast hinter uns, und wir liefen total Nord hinauf. Meine Indianer schienen übrigens nicht die mindeste Notiz davon zu nehmen, und ich wickelte mich, als der Wind gegen Morgen fast ganz wieder nachließ, und die See ruhiger wurde, in meine Decke, um noch ein paar Stunden zu schlafen.

Als die Sonne aufging, lagen die schroffen, scharfen Gebirgsrücken von Imeo, aber leider noch in weiter blauer Ferne, an unserm Starbordbug, und wir wandten unser Boot um über dem andern Bug vielleicht etwas näher hinanzukommen, jedenfalls nicht soviel nach Norden hinaufzutreiben.

Mein Frühstück war so einfach als das Abendessen – etwas Brodfrucht in Seewasser getaucht, ein Stückchen Spanferkel, eine Cocusnuß und ein paar Orangen. Dann streckte ich mich behaglich auf meine Decke aus und las, zum zehntenmal wohl, in Moore's herrlicher Lallah Rookh. Die Sonne brannte allerdings ein wenig warm herunter, eine schwache Brise machte die Hitze aber doch erträglich, und mir die Geduld der Indianer, die in diesem Fall wirklich löblich schien, zum Muster nehmend, machte ich mich ruhig darauf gefaßt, noch einen Tag länger unterwegs zu seyn. Mit Abend würden wir, so hoffte ich, schon wieder eine gute Brise bekommen, die uns dem ersehnten Lande zuwehte.

Das war Montag den 27. (Januar 1851), und den ganzen Tag behielten wir denselben Ostwind, mit dem wir zwar auf und nieder kreuzten, dem Land aber scheinbar auch keinen Schritt näher rückten; die Gebirge wenigstens, deren Conturen ich genau beobachtet hatte, tauchten keinen Zoll weiter aus dem Wasser auf, und selbst die Spitzen unserer kleinen niedern Insel ließen sich noch erkennen. Die Indianer rieben sich entweder abwechselnd Feuer an, um zwei Züge aus einer Cigarre zu thun, oder tranken die Cocosnüsse, von denen wir keineswegs einen so sehr großen Vorrath hatten, leer, ohne sich viel darum zu kümmern was werden sollte, wenn wir keine mehr hätten und doch noch in See wären. Darin mochte ich nun zwar ihrem Beispiel nicht folgen, sah aber auch recht gut, daß es mir nichts helfen würde wenn ich allein sparte, denn sie achteten schon jetzt wenig darauf, ob sie meinen oder ihren Vorrath angriffen.

Fabelhaft war in der That die Ruhe, mit der der Alte bei allen seinen Beschäftigungen zu Werke ging, nichts destoweniger schien er ziemlich praktisch, und wenn auch langsam, faßte er Alles richtig an. Er war dabei über den ganzen Körper, mit Ausnahme eines Theils des Leibes, in blauen Linien und Arabesken tättowirt, und besonders an dem oberen Theil seiner Schenkel bis über den halben Rücken hinauf, zog sich eine Anzahl vollkommen regelmäßiger Monde, etwas größer als ein Doppelthaler etwa, und mit verschiedenen Kreisen, Linien und Ringen durchzogen. Besonders zierlich gezeichnet hatte er die Hände, obgleich dort die sonngebräunte oder besser gebrannte Haut, eine Zeichnung nur sehr flüchtig und undeutlich erkennen ließ. Auch auf der Stirn hatte er irgend eine solche Schattirung, aber als ich ihn einmal nach der Bedeutung der Linien frug, schüttelte er mit dem Kopf, versicherte auch, daß es »nicht gut« sey, zuckte aber auch zugleich mit den Schultern, mir dabei zu beweisen, daß er vollkommen unschuldig daran wäre, und machte sich verständlich genug mir auseinander zu setzen, er halte sich gegenwärtig für einen vortrefflichen Christen, und verabscheue seine früheren Verirrungen auf das gründlichste.

Die anderen beiden Burschen hatten eben nichts außerordentliches an sich; es waren junge Bengel von siebzehn oder achtzehn Jahren, die unter einander eine Wette gemacht zu haben schienen, wer täglich die meisten Cocosnüsse trinken und die meisten Orangen aussaugen und über Bord werfen könne, denn mit weiter gar Nichts beschäftigten sie sich, als dann und wann noch einmal Feuer zu reiben, und ein paar Züge einer Bananacigarre zu thun. Sie hatten nur ein Stück Kattun um die Lenden geschlagen, und bloß der Aeltere trug Abends ein anderes Stück um die Schultern – ihre Haut war jedenfalls hieb- und stichfest gegen Sonnenstrahlen. Sonst hatten sie weiter keinen Schmuck, als der Jüngste eine Art Kranz von dem schneeweißen Bast der Arrowroot mit einem schmalen Streifen rothen Flanells durchflochten, was sich in den dunklen Haaren gar nicht so übel ausnahm.

Der Tag verging uns indessen langsam genug, und als endlich die Sonne wieder unterging, ohne daß wir dem noch so fernen Land auch nur anscheinend eine englische Meile näher gerückt wären, wurde auch die Brise frischer, aber nicht besser – gerade von Osten, wohin wir wollten, wehte sie her, und ich fürchtete nicht ohne Grund, daß wir wieder die ganze Nacht umsonst kreuzen würden. Das Steuern übrigens den Indianern überlassend, legte ich mich mit Dunkelwerden wieder nieder, und schlummerte, von der leisen Bewegung des Bootes geschaukelt, bald ein.

Es war, nach dem südlichen Kreuz, ungefähr Mitternacht als ich aufwachte, und noch eine lange Zeit halb wachend halb träumend liegen blieb; die Luft wehte wahrhaft balsamisch kühl über das leicht bewegte Meer hin, und die Sterne blitzten hell und freundlich von dem klaren, von keiner Wolke bezogenem Himmel nieder. Das leise Plätschern der Wellen an den Bug des Bootes, während dieses in kaum bemerkbarer Bewegung über sie hinglitt, war einem so fortgesetzten Halbtraum ungemein günstig, und ich weiß nicht wie lange ich noch so gelegen haben würde, hätte der alte Indianer nicht auf einmal mit seinem Ruder einen furchtbaren Spektakel gemacht, während zugleich ein nahes sonderbares Schnauben gar nicht weit von uns verrieth, daß irgend etwas außergewöhnliches im Winde sey.

Ich richtete mich rasch empor, und brauchte nicht lange auf die Erklärung dieses eigenthümlichen, Geräusches zu warten. Es war eine »Schule« sogenannter Schwarz- oder Braunfische (eine kleine Art Wallfische) die in gerader Richtung auf uns zukamen, und kaum noch dreißig Schritt von unserm Boot entfernt waren. Die andern Indianer waren ebenfalls munter geworden, griffen rasch nach den andern kurzen Rudern, und schlugen mit diesen, so hart sie konnten, auf den Rand des Bootes und ins Wasser. Gefahr war allerdings insofern vorhanden, als unser Boot, im Fall einer dieser ungeschickten, fünfzehn bis zwanzig Fuß langen Bursche mit seinem Dickkopf dagegen rannte, schwer beschädigt worden wäre, denn es bestand nur aus einfachen sehr dünnen Bretern, und hier, weit vom Land entfernt, mitten in der Nacht, mit nicht einmal einem Gefäß einströmendes Wasser auszuschöpfen, ausgenommen einer einzigen Cocosnußschale, was hätten wir da anfangen, wie uns retten können?

Die Indianer mochten wohl unsere Lage auch ganz richtig aufgefaßt haben, denn ihre sonstige Apathie mit wirklich schätzenswerthem Eifer ganz bei Seite werfend, setzten sie ihre Lärmübungen auf eine Weise fort, die mich im Anfang wirklich fürchten ließ, sie würden das selber thun, an dem sie gerade die Fische verhindern wollten – nämlich das Boot zerschlagen, so trafen sie den Rand desselben mit den leichten Rudern, und schrieen dazu, was sie nur möglicher Weise schreien konnten. Sahen aber die Fische das Boot und wichen sie ihm aus, oder hörten sie wirklich den Skandal – und das letztere konnten sie nicht gut vermeiden – kurz das Toben hatte vollkommen den gewünschten Erfolg, und ein Theil der schnaubenden, ächzenden, pustenden Burschen drehte sich links auf, während ein anderer rechts von uns abschwenkte. Nur Einer von allen, vielleicht der Führer oder Wächter der Heerde, und für Alles verantwortlich was auf seinem Weidegrund passirte, schien uns näher besehen zu wollen, denn er behielt trotz allem Skandal seinen Cours bei, und kam in direkter Linie, und mit etwa fünf Meils Fahrt gerade auf uns zu. Sein schwarzes Gesicht tauchte keine fünf Fuß von da wo ich saß in die Höhe, und das aufspritzende Wasser warf er uns beinahe ins Boot, eben aber, als ich mit einem aufgegriffenen Stück Holz nach ihm schlagen wollte, tauchte er unter, ging unter unserm Kiel durch, und kam vielleicht erst zwanzig Schritt weiterhin wieder zum Vorschein.

Die Gefahr war vorüber, aber noch lange lange Zeit hörten wir die schwerfälligen Burschen um uns her schnauben und stöhnen und das Wasser ausblasen – sie befanden sich unendlich wohl in dem stillen ruhigen Element und wälzten sich langsam nach dort zurück, von wo wir hergekommen waren.

Durch dieses kleine Intermezzo übrigens auch natürlich munter geworden, schaute ich mich nach unserem Cours um, an den ich beim ersten Erwachen gar nicht gedacht hätte, fand aber zu meinem Erstaunen daß wir dicht am Winde, und zwar ganz genau Nordwest lagen.

Ich rief meinem Alten zu zu wenden, und zeigte auf die Sterne, denn das südliche Kreuz stand nicht allein hoch am Himmel, sondern auch der große Bär, dessen beide äußerste Sterne nach dem freilich unter dem Horizont befindlichen Nordstern hinwiesen. Ich zeigte dann nach Osten, und machte ihm begreiflich daß Tahiti dort liege; er schüttelte aber mit dem Kopf, und bedeutete mir daß alles in Ordnung sey, und ich mich nur wieder schlafen legen solle. Damit war ich keineswegs einverstanden, und debattirte fort, worauf er die andern beiden zu einem Kriegsrath zusammenrief, und ihnen die Sache vortrug. Diese aber schienen müde, murmelten ein paar Worte und legten sich wieder nieder. Der Indianer wollte seinen Cours beibehalten. Da ich also sah daß ich mit meinem Rednertalent hier nichts ausrichten würde, löste ich ruhig das Segel, brachte es auf den andern Gang, nahm das Tau mit nach hinten und bat den rothen Südseeländer mir das Steuerruder zu überlassen.

Es gehört der Gleichmuth eines Südseeländers dazu, das so ganz unbefangen und ohne weiter ein Wort zu verlieren, wie er es that, zu thun; er gab mir das Ruder, rutschte dann ein wenig weiter hinunter auf meine Decken, legte sich auf die Seite, und kümmerte sich um den Lauf des Bootes, das ich jetzt etwa nach Ost zu Süden herumlegte, nicht weiter als ob er auf festem Lande schliefe, und ihm das Salzwasser der ganzen Welt nichts anginge.

Es wehte eine ganz frische prächtige Brise, nur daß sie leider ganz genau von daher kam wo wir hinwollten und ich mußte mir endlich selber eingestehn, daß es mit dem Westwinde, was auch immer unsere Hoffnungen gewesen sein mochten, vorbei sei, und wir wieder den richtigen alten gewöhnlichen Ostpassat hätten, der nun wohl vor allen Dingen seine regelmäßigen vier Wochen aushalten würde, ehe er mehr wie einen Strich aus seiner Bahn wiche. War das übrigens der Fall, so blieb uns weiter gar Nichts übrig, als wieder zurück nach Maiao zu laufen, denn unsere Provisionen waren überhaupt schon, Dank den vereinten Bemühungen der beiden jungen Burschen, dermaßen zusammengeschmolzen, daß wir uns gar nicht lange mehr hätten im See halten können. Doch das waren Sorgen die mich jetzt wenig kümmern sollten – mitten in der Nacht ließ sich doch kein Plan fassen, und der nächste Morgen brachte entweder andern Wind, oder einen anderen Entschluß. Für jetzt gab ich mich nur ganz dem vollen Eindruck des Augenblicks hin, und ich kann wohl gestehn daß es ein süßes herrliches, ja begeisterndes Gefühl war, mit dem ich in dieser Nacht das Ruder und das schwanke Boot gegen die muntern keck vorn aufspritzenden Wogen führte.

Die Nacht war vollkommen dunkel, aber der Himmel sternbesäet, und das südliche Kreuz stand hoch und voll, ein freundlicher Führer meiner wilden Bahn. Die Brise war dabei eben frisch genug das Segel voll führen zu können, und das Boot tanzte wie selbst ein lebendiges Wesen über und durch die spritzenden springenden, schäumenden rollenden Wogen hin. – Und schrieb ich in diesem Augenblick nicht etwa einen Roman? hatte ich mich nicht vielleicht gar so lebendig in das Sehnsuchtsbild meiner frühsten Kindesphantasien hinein gedacht, daß ich das Alles jetzt wirklich um mich her zu sehen glaubte, was eigentlich nur erst in tollen Bildern und Schatten in meiner etwas aufgeregten Phantasie schwamm und arbeitete? – lag denn die alte Welt mit ihren Stürmen und Revolutionen wirklich so ganz hinter mir daß ich hier bei den Antipoden drei schlafende Indianer der Südsee-Inseln durch das stille Meer steuerte, und meine Bahn nach dem Stand des südlichen Kreuzes lenkte? – war ich wirklich von der ganzen übrigen Welt abgeschnitten, und schaukelte in einem Kahn, den ein mäßiger Fisch mit einem einzigen Anprall zertrümmern konnte, auf dem weiten Weltmeer?

Hätte ich noch irgend einen Zweifel gehabt, das Schnarchen meines tättowirten Alten, der dicht neben mir lag, würde ihn zerstört haben, und leise und freudig murmelte ich das Zauberwort, dem der Bug meines schwanken Kahnes jetzt entgegenstrebte – Tahiti – Tahiti du Perle des Meeres – Tahiti, du Paradies einer oft und o wie heiß ersehnten – erträumten Inselwelt – Tahiti!

Der Leser darf aber nicht den Kopf schütteln über die phantastischen Ideen die mir in der Stunde durch Hirn und Seele blitzten – vor allen Dingen bin ich als Königl. Sächs. Schriftsteller vollkommen berechtigt irgend etwas Unmögliches zu träumen oder zu empfinden – dann aber lag ja auch jetzt hier um mich her, vor mir, hinter mir, der ganze lange Traum meiner Jugend erfüllt, und das, worauf ich das arme Herz immer und immer wieder vertröstet hatte, wenn es einmal in pochender Ungeduld in's Freie wollte, und von dem alltäglichen dürren Leben angeekelt, sich hinaussehnte in Gottes freie schöne herrliche Welt – das, was mir zwischen den Sternbilden jener tiefblauen, räthselhaften Ferne herübergeleuchtet in tröstender Hoffnung, war mir ja zuletzt ordentlich wie ein Versprechen vom lieben Gott vorgekommen, mir die Wunder seiner Werke auch in der Tropenwelt einmal vor Augen zu führen, und in dem wilden abenteuerlichen Leben jener Scenen Manches wieder zu vergüten was ich in früherer Zeit vielleicht unverschuldet und zu schwer getragen. Und das Alles war mir jetzt erfüllt worden, das Alles dehnte sich in wilder zauberhafter Herrlichkeit um mich her, und jede glitzernde Woge plauderte von den feenhaften Küsten die sie bespühlt, von den Wundern deren Zeuge sie gewesen, und warf mir mit dem blitzenden Schaum Grüße und Küsse herüber.

So leg dich in's Segel, wackre Brise, fest und fröhlich hinein, wie du den schwanken Kahn auch über die Wogen treibst, schneller stiegt ihm meine Sehnsucht voraus, und mit dem dämmernden Tag mögen wir glücklich das Land begrüßen, du, in den wehenden Wipfeln der Palmen weiter zu eilen und den freundlich Nickenden allerlei tollen Liebesunsinn zuzuflüstern, ich, mich in ihren Schatten zu werfen und die Stirn in das kühle Moos gepreßt, dem melodischen Säuseln ihrer Blätter zu lauschen.

Horch – was war das? – über die See kam es her mit scharf zischendem Tone – jetzt wieder und ein Schlag in's Wasser folgte dem bekannten Laut. Holla, wir bekommen Gesellschaft, denn eine muntere Schaar von »Springern« kommen mit tollen lustigen Sätzen hinter dem Boot hergejagt. Hui wie sie sich aus dem Wasser schnellen, hoch hoch empor mit den langen spitzen Köpfen die ihnen bei meinen Landsleuten den höchst unprosaischen Namen von »Schweinsfischen« verschafft haben – jetzt rechts, jetzt links ab – der alte Indianer hebt den Kopf, er hat den Ton gehört wenn ihn auch sonst ein Donnerschlag nicht munter bekommen könnte, aber – es sind nur Springer, keine Braunfische wieder wie vorher, und wenn auch von diesen wohl einmal einer in tollem Uebermuth in's Boot selber springen könnte, wobei er unfehlbar den Boden hinausschlagen müßte, denn die gewaltigen Thiere wiegen oft drei und mehr hundert Pfund, läßt sich doch Nichts gegen sie thun, und sie kommen und gehen eben wie es ihnen gefällt. – Jetzt haben sie das Boot gesehen, der eine von ihnen schoß dicht dahinter hin, und drehte scharf wieder zurück – vor dem Bug quer über gleitet er, wie ein milchweißer Streif in der dunklen Fluth und ist verschwunden, und jetzt? – huist, huist! wie die Strahlen sprühn, dicht vor dem Bug von fünf, von sechs, von zehn Fischen, die sich hoch, dem kleinen Fahrzeug voran, wie sie's oft Stunden lang im Spiel vor größeren treiben, durch und über die Wogen taumeln. Mir waren sie willkommene Begleiter die wilden fröhlichen Gesellen, und wie sie so sich hoch und immer höher, gerade vor dem Buge schnellten, sah es fast aus, als ob wir Vorspann genommen hätten aus Neptuns Reich, und die tollen Rosse gar durchgehen wollten mit dem leichten hinten nach brausenden Geschirr.

Und die Wogen tanzten noch einmal so froh und trotzig neben und um uns her, und die Brise legte sich schärfer in das Segel, daß sich das Boot schon dem starken Seitendruck neigte, und wie mir das Haar im Winde flatterte, und die kühle Nachtluft die heiße Stirne kühlte, wie die Sterne so freundlich dazu von oben drein blitzten, und der wilde Schrei der Wasservögel über die weite Oede zitterte, da hob sich mir die Brust in unendlich froher, stolzer Lust, jeder Nerv in mir bebte und jauchzte dem neuen herrlichen Leben entgegen, und ich hätte in dem Augenblick mit keinem Gotte tauschen mögen.

»Jedem Ueberreiz folgt eine Erschlaffung,« ist ein altes langweiliges, aber doch auch nöthiges Naturgesetz, und nur zu bald ließ die Brise nach – die Fische verschwanden in der Tiefe, die Wogen legten sich und der Wind schlief mehr und mehr ein.

Es ging schon gegen Tag, ehe ich einen der Indianer weckte, die Steuer zu nehmen, und mich selber ein paar Stunden niederzulegen. Die aufgehende Sonne bewies übrigens, daß ich mit der Richtung vollkommen recht gehabt, denn als sich das Tagesgestirn im Osten hob, hatten wir die südlichste Spitze von Tahiti – soviel wenigstens als davon zu sehen war, gerade vor uns.

Mit dem aufsteigenden Tag schwand aber auch die letzte Brise, und der schwache Luftzug, der nach einer Stunde gänzlicher Stille wieder über das Wasser strich, kam uns so gerade entgegen, daß an Segeln, da wir die Strömung noch dazu gegen uns hatten, gar nicht mehr zu denken war.

Was ich lange befürchtet hatte, geschah endlich: wir mußten, wollten wir nicht total wieder zurücktreiben, zu den Rudern greifen, und nun stellte sich heraus daß wir, worauf ich im Anfang wenig geachtet, gar keine ordentlichen Ruder, wie sie zu einem Wallfischboot gehörten, an Bord hatten. Die drei kurzen Dinger, die unter der einen Bank lagen, waren weiter nichts als Canoeruder, und gut genug die kleinen leichten Holztröge durchs Wasser zu treiben, keineswegs aber hinreichend für ein beladenes Wallfischboot. Doch was halfs! Hier galt es aus der Noth eine Tugend zu machen, und so ungern die Indianer auch allem Anschein nach daran gingen, sahen sie doch selber, daß wir nicht anders vorwärts kommen würden, denn wir trieben jetzt schon augenscheinlich zurück. Auf eine baldige günstige Brise hoffend, griffen wir also zu den »Marterhölzern,« und vorsichtig genug tauchten die rothen faulen Schufte die ihrigen in das Wasser; sie sahen sich wohl vor, daß sie sich nicht weh thaten. Nur ungemein langsam rückten wir vorwärts.

Die Sonne stieg indessen höher und höher, der schwache Luftzug ließ endlich ganz nach, die Hitze wurde drückender und drückender, und um 9 Uhr schon tranken wir die letzte Cocosnuß aus, ohne unsern Durst damit zu löschen. Das Land war noch weit entfernt, und erst um Mittag konnten wir erkennen, daß wir ein klein wenig daran gewonnen hatten. Um Mittag brannte die Sonne senkrecht auf uns nieder; sie stand in diesen Tagen, von dem südlichen Wendekreis nach der Linie hinaufrückend, gerade über unsern Häupten, und die Haut an meinem Nacken und dem obern Theil meiner Hände fing an Blasen zu ziehen.

Nicht ein Luftzug regte sich dabei, und bückte man sich zu der Oberfläche der See nieder, so war es fast, als ob noch durch die heiße Sonnengluth, ein förmlich schwüler Dunst von dort herauf ziehe. Einige Orangen, die wir noch hatten, linderten wenigstens das Brennen unserer Lippen, und wir würden noch eine ziemliche Zeit damit gereicht haben, hätten die beiden jungen Burschen nicht förmlich muthwillig in die Früchte hinein gewüthet, und gerade so gethan, als ob sie auf ihrer Insel wären, und sich jeden Augenblick andere frische vom Baum pflücken könnten. Sie schälten die Orangen halb, bissen hinein, sogen, das Meiste vom Saft aus, und warfen dann das andere über Bord; der kleine Korb voll Orangen, den wir noch hatten, konnte natürlich nicht lange anhalten.

Gegen Abend wurde die Hitze unausstehlich, und eine Wassermelone – die letzte – die wir unter uns theilten, konnte uns nur wenig erfrischen – noch immer bewegte kein Luftzug das stille spiegelglatte Wasser, und wir ruderten schweigend und verdrossen weiter.

So ging die Sonne unter, mit dem Abend kam aber keine Brise, und wir mußten fortarbeiten – so nahe waren wir aber doch jetzt dem Land gekommen, daß wir den dunklen Gebirgsrücken in der sternenhellen Nacht fortwährend vor uns sehen konnten, und wenigstens darin einen Trost fanden, uns nur nichts mehr von unserem Cours zu vergeben, sondern das wenige, was wir mit Rudern zurücklegen konnten, wenigstens in rechter Richtung zu gewinnen. Nicht einer Secunde Ruhe ward uns so die ganze Nacht hindurch, und meine armen Teufel von Indianer, denen es sonst fast zu viel Arbeit gewesen war, sich eine Brodfrucht abzupflücken, wurden so müde, daß ihnen die Ruder ein paarmal im Schlaf förmlich aus den Händen glitten, und wir dann, zurückrudern mußten sie wieder aufzufischen. Es läßt sich denken, daß sie mit solcher Arbeit nicht viel zum Forttreiben des Bootes halfen, und sie thaten oft Stunden lang kaum mehr, als daß sie eben die Ruder maschinenartig einsetzten, langsam zurücktreiben ließen und wieder ausnahmen. Hätte ich den Alten nicht am Steuer gelassen und selber ein Ruder genommen, ich bin fest überzeugt, wir wären gar nicht von der Stelle gerückt.

Das südliche Kreuz stand dabei hell und klar zu unserer Rechten, während die oberen Sterne des großen Bären im Norden über den Horizont sichtbar wurden – wenn das Kreuz aufrecht stand, war der Morgen da, und noch immer lehnte es so weit nach links über und wollte nicht steigen. – Ich weiß mir auch wahrlich keine Nacht zu erinnern, die mir so entsetzlich lang geworden wäre, (die vielleicht ausgenommen, die ich in der Bai von San Francisco mit Arwied von Witzleben im Sturm zubrachte) und ich habe doch schon manche, manche erlebt, in der ich mir, o wie sehnsüchtig den Morgen herbeiwünschte.

Wir hatten nur noch wenige Orangen, und ich that jetzt, was ich lange hätte thun sollen – ich theilte was von den wenigen noch da war, wodurch ich denn auch meine beiden jungen Freunde soweit zur Besinnung brachte, daß sie nicht allein nicht mehr das Beste oder die Hälfte wenigstens der Orangen wegwarfen, sondern jetzt sogar die Schale mitaßen, denn unsere Brodfrucht war lange aufgezehrt, und in der furchtbaren Hitze fühlte man eben nur das Bedürfniß zu trinken. So heiß und trocken waren mir dabei die Lippen, daß ich mehre Male sogar versuchte Seewasser zu trinken – ich hatte es im Anfang nur eben an den Mund gebracht, und es kühlte da; aber schon die erste Handvoll die ich wirklich schlürfte, machte mich die Thorheit bereuen, denn nachher war es erst recht, als ob ich glühende Kohlen in der Kehle hätte.

Endlich – endlich stieg vor uns der Morgenstern empor – das südliche Kreuz stand aufrecht am Himmel, und im Osten dämmerte der Tag; aber als ob das auch neues Leben in die ganze Natur brächte, so erhob sich jetzt, der Sonne zustrebend, eine leichte Brise, die bald stärker und stärker wurde, und unsere Herzen mit neuer Hoffnung füllte – Hei wie unser Segel so geschwind emporstieg – der alte Indianer hatte schon die letzten zwei Stunden sein Kreuz nicht mehr gerade bekommen können, und genickt und genickt, und immer und immer wieder mußte ich ihn anrufen, richtigen Cours zu halten, jetzt gewann er auf einmal Leben – das Segel stieg an dem schwanken Mast in die Höhe, die Schote wurde nach hinten geholt, und während ich das Steuer nahm, und den Bug eines der auffallendsten Spitzen Imeos, die wir anlaufen mußten wie mir der Alte gesagt, zulenkte, festigte jener die Schote an dem hinteren Doft [Fußnote]Doft oder Ducht Sitz im Boot. des Bootes, und ich glaube er schlief schon, während er die Schleife machte – jedenfalls fiel er da gleich um wo er kniete, und war auch augenblicklich fest eingeschlafen. – Die beiden anderen hatten ihre Ruder nur eingenommen und ihre Plätze behalten, wo sie mit den Rücken, der eine gegen den Mast, der andere gegen einen der Hühnerkasten gestemmt, Morpheus nicht etwa in die Arme sanken, sondern dem Gott gleich in den Armen sitzen blieben – und sie bedurften keiner Entschuldigung, denn die letzten vier und zwanzig Stunden unausgesetzter Arbeit, ohne einen Bissen zu essen als am vorigen Morgen einen Bissen Brodfrucht, war für diese, an gar keine Arbeit gewöhnten Naturen, wahrlich keine Kleinigkeit – fühlte ich mich doch selber zum Tode erschöpft, und war Strapazen und Entbehrungen gewöhnt geworden.

Die frische Brise gab mir aber ordentlich neue Lebenskraft, ich netzte mir Gesicht und Hände in der salzigen, aber doch etwas kühlen Fluth, und steuerte nun guten Muthes auf die jetzt, allem Anschein nach gar nicht mehr so weite Insel Imeo zu. In der That konnte ich auch schon – ein sicheres Zeichen der Annäherung – das niedere palmenbewachsene Land erkennen, das selten weiter als etwa fünfzehn englische Meilen sichtbar ist.

Leider hielt die Brise nicht lange genug an die Riffe zu erreichen, und ich mußte meine Indianer wieder wecken, noch einmal zu den Rudern zu greifen. Die armen Teufel thaten mir ordentlich leid – sie schliefen so sanft, und hatten jetzt Hunger und Durst vergessen – aber es half Nichts – das Segel flappte schon wieder gegen den Mast, und die von der Küste absetzende Strömung würde uns mit jeder Minute wieder weiter zurückgenommen haben – die Sonne stieg höher und höher, und es schien nicht wahrscheinlich, daß sich die Brise den Tag über auf's Neue erheben würde. – Mit Rufen war aber heute Morgen auch nicht das mindeste mit allen dreien anzufangen, ich mußte sie erst munter und dann auf schütteln, und nachher bedurfte es immer noch einer unendlich langen Zeit, ehe sie begriffen was ich eigentlich von ihnen wolle – und was für Gesichter sie dazu schnitten.

In so entsetzlicher Eile waren sie aber doch nicht, und nachdem sie sich erst gestreckt und gedehnt hatten, wieder in ihre gehörige Façon zu kommen, rieben sie sich vor allen Dingen Feuer, womit sie mich die Nacht so lange geärgert, bis ich ihnen, zu ihrer stillen Genugthuung vier oder fünfmal selber Feuer angeschlagen hatte, rauchten in aller Gemüthsruhe eine Cigarre, und setzten sich dann wieder mit einem Gesicht an die Ruder, das deutlich sagte: »Du kannst mir gestohlen werden, mit deiner ganzen Windstille.«

Aber nicht mehr so weit entfernt lag das Land – jeder Ruderschlag brachte uns ihm näher, und um neun Uhr vielleicht erreichten wir die Außenriffe Imeo's, durch die eine schmale, vielleicht fünfzig Schritt breite Straße uns die Einfahrt vollkommen gefahrlos gestattete. Schon lange vorher hatte ich, durch die Unterbrechung der Brandung, die Stelle erkennen können.

Vor uns aus dehnte sich jetzt eine kühle, reizende, palmenbewachsene Bai, in deren traulichem Schatten hie und da dicht hineingeschmiegt einzelne kleine Rohrhütten standen; über den wunderhellen Wasserspiegel glitten mehrere Canoes, hoch darüber hin ragten die schroffen, mehrere tausend Fuß hoch aufsteigenden und bis in die höchsten, schroffsten Gipfel bewachsenen Gebirgsrücken der vulcanischen Insel, und mit der schäumenden, tosenden Brandung rechts und links von uns, war es wirklich ein wundervolles Panorama. Dennoch konnte ich mich dem Genuß nicht so ganz hingeben, als ich es zu jeder andern Zeit in jubelnder Lust gethan haben würde – es bedurfte eines noch stärkeren Reizes, als selbst diese wundervolle Bai nur ihn bieten konnte, denn meine Glieder waren zu sehr erschöpft, und der forschende Blick schien, mit der lechzenden Zunge vollkommen einverstanden, nur nach saftigen Früchten am Ufer zu suchen, den brennenden, peinigenden Durst sobald als möglich zu löschen.

Dicht am Ufer, bekamen wir jedoch einen leichten Landwind, und schwammen nun über den crystallhellen Spiegel, der zwischen den von der Brandung gepeitschten Riffen und der palmenwehenden Küste lag, langsam hin.

Der alte Indianer hatte das Ruder wieder genommen, und ich lag über den Rand des Bootes gebeugt, und schaute nach den grünschimmernden Korallenbänken nieder, die in dämmernder Tiefe unter uns lagen. Plötzlich stiegen diese höher empor, der Boden wurde hier seichter, und nie im Leben werde ich das Schauspiel vergessen, das sich jetzt meinen Blicken bot. Verschwunden waren alle Gedanken, selbst an den brennenden Durst, der mich bis dahin gepeinigt hatte, und wie eine neue Welt erschloß sich mir plötzlich die Tiefe des Meeres. Tief, tief hervor aus dem bläulichen Grunde stiegen die knorrigen, breitzackigen Aeste der Korallen, weite Wälder und schattige Thäler, Schluchten und Abhänge, Wiesen und Ebenen bildeten sich; dort auf einem steilen Felsen stand ein wunderliches Schloß mit Thürmen und Zinnen, Palmen ragten über die höchsten Kuppen desselben hin, und weiter hinüber lag eine breite düstere Fläche die aussah, als ob der Sturm in einen Fichtenwald gefahren wäre, und die stolzen Stämme des Waldes in wilder grimmer Wuth über und durch einander geschleudert hätte.

Darüber hin glitt das Boot, tief unten lag das blaue Meer, und unzählige dicht bewaldete kleine Inseln ragten daraus hervor, und hei! – wie mit einem Zauberschlag belebte sich das Bild – tausend und tausend kleine zierliche Fische tauchten plötzlich aus dem dunkeln Schatten der dichten Korallenbäume vor; dort der braune, mit schimmernden weißen Früchten besetzte Busch zeigte eine ganze Legion himmelblau glänzender kleiner Delphine, silberweiße Karpfen, aber kaum so lang wie mein kleiner Finger, schossen aus jenem dichten Geröll vor, das aussah, wie ein riesiger Berg auf einander gethürmter Hirschgeweihe. Ha, sahst du den großen braunen, mit Gold und Azur gestreiften Hecht – er war wenigstens seine zwölf Zoll lang – der sich vor jener düstern, von wunderlich gezacktem Buschwerk überragten Höhle zeigte? Hui, wie die kleine himmelblaue und silberschimmernde Schaar beim Anblick des riesigen Ungethüms wieder in ihre sichern Schlupfwinkel zurückfuhr, und in den durchbrochenen Gängen munter und geschäftig auf- und niederschoß!

Darüber hin glitt das Boot, und wieder änderte sich die Landschaft: wie eine regelmäßig angelegte Stadt lagen, in fast gleicher Entfernung, einzelne, von dichtem Buschwerk überragte Wohnungen, und vor jeder einzelnen spielte, von den leicht erkennbaren Alten überwacht, eine wilde Schaar kleiner ungezogener, sich um nichts in der Welt kümmernder Wasserkinder; bis dicht ans Boot kamen sie herauf geschossen, das fremde Ungethüm mit keckem Leichtsinn zu untersuchen, in die Nachbarhäuser liefen sie, als ob sie dort zu Hause wären, und unter einander spielten sie sich selber die tollsten Streiche. Weiter hin war die Schule; wie vorher die einzelnen Wohnungen einzelne, durch ihre besondern Farben kenntliche Familien enthalten hatten, so vereinigten sich hier auf einem freien, rings von weiten Hallen umgebenen Raum alle mit einander – Müllers und Schulzes Jungen waren hier, Schmidts und Meiers, und Secretär Betsenbergers ältester, beschäftigte sich auf das emsigste damit, hinter einem kleinen Blaufisch, wahrscheinlich einer Nachbarstochter, herzuschwänzeln. Und jetzt ertönte ein unsern Sinnen entgehendes Zeichen des Lehrers; plötzlich, mit Blitzesschnelle sammelten sich alle, ohne Unterschied der Farben, dicht vor der einen Halle, und schossen, wie einzelne Strahlen von einem gemeinsamen Mittelpunkt ausgehend, nach oben. Kaum aber erreichten sie die ungefähre Höhe ihrer äußersten Baumgipfel, als sie ebenso gleichmäßig, und zwar alle in einem und demselben Moment, umwandten, und wieder zu ihrem ersten Platz zurückfuhren. Jetzt wurde ein einzelnes Bataillon nach rechts abgesandt, jetzt ein anderes nach links, und nun plötzlich ordneten sich, von allen gleich verstanden, verschiedene Farben, selbst der junge Betsenberger verließ Nachbars Töchterlein, und die weißen und gelben Fischlein schossen wie ebenso viele kleine zuckende Blitzstrahlen neben und unter unserm Boot hin, während die blauen und gestreiften links abschwenkten, und augenscheinlich darauf ausgingen, eine vom festen Land niederzweigende Gebirgskette zu recognosciren.

Plötzlich wurde das Wasser tiefer, die Brise stärker, und die Wellen, die das Boot warf, beunruhigten die Fluth – einem Schleier gleich zog sichs über das zauberschöne Bild – und wie aus einem Traum erwachend, richtete ich mich empor.–

Und ich träumte fort, denn an dem palmenbedeckten Ufer glitten wir dicht und heimlich hin, fast über uns wogten und wiegten sich die wundervollen Wipfel der herrlichen Bäume, aus dem dunkeln Laub der Guiaven und den cypressenartigen Casuarinen schauten die breitblättrigen, saftgrünen und vollen Bananenstämme, und zwischen dem dunkeln Laub der Orangen lagen tief versteckt die niedrigen, traulichen Wohnungen der Indianer. War das nicht der Traum meiner Kindheit, der hier in all dem herrlichen Glanz eines sonnigen Morgens in Erfüllung ging? Vergessen war Hunger und Durst, vergessen jede überstandene Gefahr und Anstrengung, und ich schwelgte in der wundervollen Wirklichkeit, die mich umgab.

» Mi-to-na-re; Mi-to-na-re!« rief plötzlich mein alter Indianer, und zeigte, sich hoch emporrichtend, voraus – wir bogen gerade um eine scharfe Landspitze, und links hinein dehnte sich ein tiefes, kühles Thal, das eine förmliche kleine Ansiedlung, mit Gärten und Häusern und Einfriedigungen in sich zu fassen schien – einen scharfen gellenden Schrei stieß mein Alter aus, der selbst die beiden hoffnungsvollen und wieder baumfest schlafenden Knaben an seiner Seite weckte, und aus dem schattigen Fruchthain heraus, gerade vor uns, wurde er beantwortet.

Aber was kümmert mich Ruf und Antwort am Ufer – gerade vor uns aus der, tief in den Berg hineingerissenen Schlucht, über bunten Muschelkies sprudelnd und springend, kam ein klarer, thaufrischer Bergbach herunter geplätschert, und die Guiaven neigten sich bis tief, tief in ihn hinein, als ob sie sich die Häupter kühlen wollten, die Papayas und Orangen streuten ihre Blüthen darüber hin, und das Sonnenlicht, das ihm in kleinen zitternden Strahlen spärlich zugetheilt wurde, durch das lauschige, schattige Laub, schmolz er zusammen in blitzenden funkelnden Lichtern, und sprühte es muthwillig auf gegen die blumigen Ufer, die sich hineindrängten, ihn zu begrüßen. –

Wasser! – gerade in die Bucht glitten wir hinein – die Landung lag weiter oben, ein breitschlächtiges, stattliches Blockhaus war da aufgeführt, mit einem bequemen Austritt, trocken an Land zu steigen – Wasser! – was kümmerte uns die Landung, was all die Häuser der ganzen Insel – die klare Fluth perlte unter uns – hier noch mischte sie sich mit dem salzigen Nachbar – der Korallengrund unten verrieth den lauernden Schelm – da war Kies unten, dort kam der Bach nieder gesprudelt über mosig Gestein, und über Bord sprang ich – über Bord sprangen die Indianer, und in langen, langen durstigen Zügen sogen wir das süße, erfrischende, himmlische Labsal ein.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Reisen 3. Band - Die Südsee-Inseln