7. Mendoza.

Am Fuße der Cordilleren, gegen die scharfen West- und Nordweststürme durch die hohen schroffen Bergrücken geschützt, liegt an der westlichen Grenze der argentinischen Republik das kleine freundliche Städtchen Mendoza, für das ich schon auf dem Ritt dahin, und lange ehe ich das Vergnügen hatte es persönlich kennen zu lernen, eine gewisse Achtung hegte. Die meisten Carawanen denen wir begegneten – und wir trafen deren viele – kamen von Mendoza; wo man Mehl, Käse, Wein, Branntwein oder Früchte sah – welcher andere Ort hatte sie erzeugt als Mendoza? Schon die benachbarte Gegend rechtfertigte übrigens auch das Gerücht des fruchtbaren Landes; überall bewiesen gut angelegte Farmen den Fleiß der Bewohner und gaben der Gegend selbst schon etwas viel Freundlicheres, Wohnlicheres als es die Umgegend von Buenos Ayres – ein fast nur Viehzucht treibender Staat – gezeigt hatte.

Die Stadt selbst? – nun daran ist weiter freilich nichts zu sehen – es ist ein kleiner freundlicher Ort von circa 8000 Seelen; die Häuser sehen denen in allen anderen Theilen der Republik sprechend ähnlich, und sind so einfach aus Lehm gebaut, daß man immer ängstlich ist, der nächste starke Regen müßte die ganze Stadt einmal in einen einzigen Lehmhaufen zusammenwaschen, aus dem heraus sich dann die einzelnen Schornsteine höchst erstaunt die Verwüstung beschauen würden. Das geschieht aber nicht: der Lehm ist fest gestampft und nutzt sich dadurch, selbst bei den härtesten Regenschauern, nur sehr wenig und unbedeutend ab.


Ihre Verbindung mit dem umliegenden oder entfernteren Lande besteht aber auch freilich nur zu Lande, denn der kleine Fluß Mendoza, der nicht weit davon fließt, ist nur, wenn der Schnee der Cordilleren thaut, hoch genug um befahren zu werden, und dann eben wieder seines schnellen Steigens und seiner reißenden Strömung wegen unbefahrbar. Wohin also auch Mendoza seine Produkte versendet, oder woher es seine anderen Bedürfnisse beziehen will, muß dieß stets und allein durch Caravanen geschehen, die entweder in Maulthierzügen oder den schon beschriebenen großen unbehülflichen, aber zweckmäßigen Güterkarren oder Transportwägen bestehen.

Werden die Waaren auf Maulthieren versandt, so liegen die Güter in zwei gleichen Packen, auf großen, mit weichen Schaffellen gepolsterten Packsätteln auf den Rücken dieser ausdauernden – aber dafür auch oft über ihre Kräfte mißhandelten – Thiere. Nichtsdestoweniger scheuern diese Sättel (besonders in den Cordilleren, wo es ewig bergauf und bergab geht) gar oft, und die Rücken der armen Geschöpfe sehen manchmal entsetzlich aus; das hindert aber nicht sie immer wieder von Frischem zu beladen, und unter der Last fast erliegend schleppen sie ihr trauriges Daseyn hin, bis sie endlich einmal unter einem, vielleicht schwereren Pack als gewöhnlich erliegen, oder auch in den Bergen, weil nie Futter für sie mitgenommen wird – ermatten und dann im Wege niederstürzen. Die Bergstraße ist mit ihren Gerippen förmlich besäet.

Mendoza ist aber die wirkliche Fruchtkammer des benachbarten Landes, und schafft Wein und Früchte selbst nach dem sonst so gesegneten Chile hinüber. So bilden die Mendoza-Rosinen einen sehr bedeutenden Handelsartikel über die Cordilleren, und im Sommer soll Caravane auf Caravane durch die Berge ziehen. Nichtsdestoweniger könnte das Land noch in weit größerem Umfang bebaut, und selbst das bebaute weit stärker benutzt und ausgebeutet werden, wäre nicht eben hier wieder die Bequemlichkeit des Südländers ein gar zu großes Hinderniß – es fehlen da deutsche Kräfte, und späteren Generationen – wenn sich die politischen Verhältnisse der argentinischen Republik erst einmal geregelt haben – ist es vielleicht vorbehalten den Segen zu ernten, der noch im Schooße der fruchtbaren Erde schlummernd begraben liegt.

Es leben in Mendoza verschiedene Ausländer, unter diesen aber nur drei Deutsche: ein Hutmacher (Carl Rohde aus Gera, der früher in der Haughk'schen Fabrik in Leipzig gearbeitet hatte und mit süßer Schwärmerei noch nach dort zurückdachte) – ein junger Goldarbeiter (Schöpf aus Hannover) und der Gehülfe des Hutmachers. Außerdem schloß sich diesem noch ein Italiener, Mariani an, der ebenfalls deutsch sprach. Das nächste Frühjahr möchte sich aber der Reisende wohl vergeblich nach ihnen in Mendoza umsehen – kann er aber gut spüren, so findet er sicher ihre Fährten in den Cordilleren. Und wo sind sie hin? – gone to the diggings, natürlich – nach Californien.

Ich selbst kann mich aber nur freuen, daß ich sie noch in Mendoza traf, denn ich wurde auf das herzlichste von ihnen aufgenommen und behandelt, und werde stets mit vielem Vergnügen ihrer, und durch sie meines kurzen Aufenthalts in Mendoza gedenken.

Außerdem soll noch ein einziger deutscher Ackerbauer in der Nähe von Mendoza leben, die Deutschen in der Stadt geben ihm aber keinen besonders guten Namen, und auch er beabsichtigte sein kleines Gut auszuverkaufen und, wie die Anderen, dem Golde nachzugehen.

Auch für die Literatur ist in Mendoza etwas – aber freilich erst in letzterer Zeit – gethan, und zwar durch einen Nordamerikaner, einen Mr. Van Sice, der eine Druckerpresse mit aus den Vereinigten Staaten herüberbrachte und hier, am Fuße der Cordilleren, aufstellte. Diese aber in Gang zu bringen hatte er, wie er mir selber erzählte, eine Heidenarbeit gehabt, und hatte sie noch sie darin zu halten.

Die Südamerikaner, in einem so abgeschlossenen Theil der Welt, zeigten im Anfang natürlich nur sehr wenig Sinn für eine derartige Entwicklung ihrer geistigen Kräfte. Mr. Van Sice bewies ihnen aber, und er setzte sie dadurch nicht wenig in Erstaunen, daß es ihnen gerade ein dringendes Bedürfniß wäre selber eine Druckerei zu besitzen. Dabei hatte er die Schwierigkeit zu überwinden – denn mit leeren Worten allein war es nicht gethan – nicht allein dieß Bedürfniß zu befriedigen, sondern es in Wirklichkeit auch erst selber hervorzurufen.

Bis dahin waren nur wenige Schul- und Gebetbücher in Mendoza gebraucht worden, und diese kamen, mit einigen Novellen und anderen Schriften, durch die rückkehrenden Caravanen von Buenes Ayres. Von diesen verschaffte sich Mr. Van Sice vor allen Dingen Exemplare und druckte sie nach, der Bedarf mußte sich aber auch natürlich erschöpfen, und er rief deßhalb ein monatliches Heft, was er drei Bogen stark und zwar mit sehr engen Lettern druckte, ins Leben. Es enthielt dieß meist wissenschaftliche, technische, auch belletristische Artikel – denn mit Politik durfte er sich in der Republik nicht befassen – und fabelhaft waren, seiner Aussage nach, die Schwierigkeiten, mit denen er zu kämpfen hatte, dieser Schrift erst vor allen Dingen Eingang und dann Abonnenten zu verschaffen. Wie die Yankeeuhrenhändler in seinem eigenen Vaterland mußte er von Haus zu Haus die Bücher förmlich hausiren, und da die Leute von einem wirklichen Abonnement kaum eine Ahnung hatten, die Hefte nicht selten zurücklassen, wo sich dann die unfreiwilligen Besitzer derselben im Anfang dem süßen Glauben hingaben, sie hätten die »schönen Bücher« geschenkt bekommen, bis sie die, nach Verlauf eines Vierteljahrs einkommende Rechnung eines Besseren belehrte.

Ein anderes Bedürfniß erweckte er bei ihnen in Gestalt von Visitenkarten, deren Gebrauch sie ebenfalls in ihrem unschuldigen ländlichen Leben bis dahin noch nicht gekannt hatten. Zuerst druckte er für sich selber welche und gab diese bei seinen Besuchen ab, dann wußte er den Gouverneur zu bewegen, diesem Beispiel, als aus der Residenz kommend, zu folgen, und damit hatte er gesiegt – es gehörte urplötzlich zum guten Ton, und mit einem leisen Anflug von halb Stolz, halb Schadenfreude, wie ein Jäger etwa die verschiedenen Geweihe der Hirsche zeigen würde, die er eigenhändig erlegt hat, zeigte er mir die, in seinem Zimmer auf einer Tafel aufgesteckten Karten derer, die seiner Politik bis jetzt zum Opfer gefallen waren, und nun, da sie zu der besseren Klasse des Städtchens gehörten, alle Uebrigen bald zur Folge zwingen mußten.

Bei der Besiegung all dieser Schwierigkeiten gehört das aber gerade nicht zu den geringsten, daß er hier nicht einen einzigen Arbeiter fand, den er gebrauchen konnte. Gleich vom ersten Beginn mußte er sich selber Lehrlinge heranziehen und dabei selber erst die Sprache lernen; nur der hartnäckige goahead-charakter eines Yankees konnte das Alles besiegen. Wie die Verhältnisse aber jetzt stehen, verdient er auch, freilich bei eisernem Fleiße, seiner eigenen Aussage nach viel Geld, und wird nun wohl – nicht wahr lieber Leser – seine Druckerei vergrößern, Arbeiter aus Buenos Ayres und Valparaiso herüber ziehen, eine Buchhandlung dabei anlegen und – halt, halt – er wird keines von alle dem – im Gegentheil hat er Jemanden gefunden der Lust zeigt seine Druckerei in Bausch und Bogen zu kaufen, und wird nun wohl – natürlich nach Californien ziehen. Wie es nachher mit der Literatur in Mendoza aussieht wissen die Götter, wenn aber ein Südamerikaner, der das Alles in Gang und die Triebfedern nicht sieht, die es darin erhalten, einfach glaubt, ohne den Geist eines Yankees zwischen seinen gleichgültigen Landsleuten ein solches Geschäft nur einfach fortführen zu können, so irrt er sich sehr – Alles das schläft, wenn die Kraft aufhört zu wirken die es in Schwung brachte, wieder ein, und ein Jahr später, wenn Mr. Van Sice seinen Plan nicht etwa noch ändert, möchten wohl nur noch spanische Gebetbücher und vielleicht seidene Bänder mit der Regierungsdevise die einzigen Produkte der mendozinischen Presse seyn.

Mr. Van Sice hatte eine junge Südamerikanerin und zwar gerade aus Achiras, wo ich einen so entsetzlichen Abend verbrachte, geheirathet; ich wollte übrigens, ich hätte lauter solche liebenswürdige Wesen dort getroffen als seine Frau war, ich würde dann die Pampas mit einer sehr verschiedenen Meinung von ihren Bewohnern verlassen haben.

Die Mendoziner scheinen in dem Farbenspiel ihrer Nationalität fast noch stärker zu seyn als selbst die Bewohner von Buenos Ayres – dort sind doch wenigstens die Fremden von diesem Livreedienst verschont, hier aber darf niemand – und wenn er aus dem Monde käme – das Polizei- und zugleich Postgebäude betreten, ohne das rothe Band um den Hut und ein gleiches im Knopfloch zu tragen. Alles ist roth wohin man blickt, ja die recht ächten und wirklichen Republikaner haben sogar zinnoberrothgefärbte Stiefelsohlen und von eben dieser Couleur den Sohlenrand derselben, damit sie auch an ihren Füßen den Sinnspruch der Devise Federacion ò muerte – Federacion oder Tod (das erste durch roth, das zweite durch schwarz ausgedrückt) tragen. Der Gouverneur und die gutgesinnten Bewohner der Stadt bringen diese Farben auch, soviel das irgend geht, in ihrem Hausstand an, und ich glaube fast Gouverneur Rosas hat einen gewissen Grad von Politik dabei beachtet, seine Unterthanen solcher Art mit diesen Farben zu bekleksen, indem sie sich unter einer anderen Regierung, die natürlich die Farben wechseln müßte, nur mit großem Kostenaufwand aller der Artikel entledigen müßten die sie tragen, und während sich der Argentiner wohl keinen Augenblick besinnen würde seine Regierung zu ändern, so überlegt er es sich doch vielleicht zweimal, wenn es ihn zugleich einen neuen Poncho kostet. Freilich hat das zuletzt nicht mehr ausreichen wollen, und die Republikaner der La Platastaaten haben Rosas und Poncho, für jetzt wenigstens, zugleich abgeworfen. Fast glauben möcht' ich es aber, daß sie sich beide zugleich noch einmal wieder vorholen.

Was Mendoza's Lage betrifft, so kann es für Ackerbau und Weinzucht wohl kaum eine günstigere geben. Gegen die Süd- und Westwinde durch die gewaltigen Cordilleren geschützt, deren weiße Zackenkronen in prachtvoller Majestät dicht hinter ihm emporstarren, und in deren Arm hineingeschmiegt es eigentlich liegt, bietet es seinen Bewohnern an animalischer wie vegetabilischer Nahrung Alles, was das Herz nur wünschen kann, und zwar zu unendlich billigen Preisen, da der schwierige Verkehr mit den übrigen Ländern, von denen sie auf der einen Seite durch die Pampas, auf der anderen durch die Cordilleren abgeschnitten sind, die Ausfuhr natürlich sehr vertheuert.

Das Klima ist herrlich – im Sommer soll der Schnee der Berge die Temperatur mildern, und jetzt, wo wir uns mitten im Winter befanden, hatten wir ein Wetter, wie bei uns an einem kühlen Sommertag. Alles gedeiht hier vortrefflich, und außer dem Getreide werden hier besonders Früchte, wie Orangen, Feigen, Trauben etc. in Masse gezogen. Die Trauben sind so süß, daß die Mendoza-Rosinen an der chilenischen Küste einen förmlichen Namen haben und in großen Quantitäten über die Cordilleren geschafft werden, und der Wein der aus ihnen gekeltert wird, schmeckt so gut, daß mir der Mund noch jetzt danach wässert.

Ich kann ihn nur mit gutem Portwein vergleichen, obgleich er süßer als dieser ist und jung nicht so viel Feuer hat als der Portwein, einige Jahre alt, glaub' ich aber sicher, daß er sich mit diesem in jeder Hinsicht messen könnte.

Die Mendozaner trocknen eine große Menge von Trauben, indem sie dieselben oben in ihren Giebeln aufhängen; sie halten sich vortrefflich, sind süß wie Zucker, und fast so saftig, als ob sie eben vom Stock genommen wären.

Der Wein wird übrigens hier auf eigenthümliche, dem Klima aber natürlich auch entsprechende Weise gebaut und zwar, nicht wie bei uns an Stöcken, die wir nöthig haben, da wir der Traube müssen so viel Sonne zukommen lassen wie wir ihr möglicherweise nur gewähren können, sondern in förmlichen Lauben, sodaß die Mendozaweingärten nur lauter überwachsene Gänge bilden, die an heißen Sommertagen wahrhaft paradiesische Spaziergänge geben müssen.

Die Trauben hängen sämmtlich im Schatten, reifen langsam und gewinnen dadurch natürlich nur an Zuckerstoff und Saft.

Wir bezahlten für die Gallone (etwa fünf Flaschen) vom besten Wein etwa fünf Ngr. nach unserem Geld. Ueberhaupt ist das Leben in Mendoza ungemein billig, und wenn ich mir für einen halben Real (etwa 2½ Ngr.) Früchte – Trauben, Orangen und Feigen holen ließ, so hatte ich zwei bis drei Tage daran zu essen.

Brod, Fleisch und Gemüße stehen in demselben Verhältniß; die Miethen wie Dienstleute sind ebenfalls spottbillig, die Gegend ist dabei ein Paradies – was will also der Mensch mehr? – wäre dieß nicht ein Platz, ein Asyl für die »Europamüden,« die sich irgendwo in der Welt eine stille Heimath gründen wollten? –

Dem europäischen Treiben wären sie hier allerdings entrückt, denn von der übrigen Welt hörten und sähen sie nichts, oder doch wenigstens so gut als nichts mehr, wie es aber mit dem argentinischen würde, müßten sie freilich riskiren.

Die Postverbindung Mendoza's mit der Außenwelt besteht einzig und allein, nach dem atlantischen wie stillen Ocean hin, in Courieren, die regelmäßig und zu allen Jahreszeiten zwischen Buenos Ayres und dieser Stadt, nur sehr unregelmäßig aber im Winter nach Valparaiso hinübergehen, da der Schnee der Gebirge den Uebergang nicht allein oft sehr erschwert, sondern sogar Monate lang ganz verhindert.

Einer Annehmlichkeit Mendoza's muß ich aber noch erwähnen, und das sind die warmen Bäder, die sich etwa drei Leguas von der Stadt entfernt befinden. Das Wasser ist selbst im Winter, wo der doch immer thauende Schnee aus den niederen Bergen das Uebrige in eisiger Kälte erstarren machte, etwa 16° und wird durch Quellen erzeugt die aus der Erde, mitten in der flachen Steppe, hervorsprudeln, dadurch aber auch ein eigenes, schilfbekränztes Bett erzeugt haben, und nun von den Bewohnern des benachbarten Städtchens, besonders in Sommerszeit, gar fleißig besucht werden. Die Bequemlichkeiten dort sind freilich sehr geringer Art, und bestehen eigentlich nur in mehreren höchst mittelmäßigen Lehmhütten, den Horizont umgürten aber dafür im Westen die schnee- und eisbedeckten Cordilleren, und die Bäder selber liegen gar traulich und versteckt in dem darüber wogenden Grün – bedarf es da erst noch eines besonderen Luxus und kostbarer, schwer zu erlangender Bequemlichkeiten, den Aufenthalt doch zu einem angenehmen zu machen?

Sonst bietet Mendoza freilich, dem Fremden wie Einheimischen, keine besonderen Vergnügungsörter, und die Leute sind hier meistens auf ihre eigenen Familien angewiesen, wer sich darin glücklich fühlt, ist glücklich und bedarf nichts weiter – und wer nicht? – den wird auch die herrlichste Umgebung, das Lust und Freude athmendste Leben nicht glücklich machen können.

Am 9. Juli wohnte ich einem Freiheitsfest der Argentiner, das sie gewöhnlich, wie den 25. Mai, auf das festlichste begehen, bei. Der Tag wurde übrigens auf höchst unschuldige Art und Weise gefeiert; Morgens war Parade und Abends Illumination. Hier hatte ich denn zum erstenmal Gelegenheit, das argentinische Militär auf einer Parade und beim Exerciren versammelt zu sehen, denn in Buenos Ayres ist es, wie sich der Leser erinnern wird, streng untersagt, sich während dieser Zeit auf der Straße, ja nicht einmal auf den flachen Dächern der Häuser blicken zu lassen. Der Anblick war aber auch wirklich für einen, der die europäische, übertriebene Kamaschendisciplin nun einmal gewohnt ist, komisch.

Die Soldaten, ein kleiner Trupp von höchstens 120–150 Mann, schlenderten, nach einer höchst mittelmäßigen Musik, durch Schwarze gepeinigter Instrumente, und so langsam, daß ich im Anfang glaubte sie bewegten sich gar nicht, sondern höben nur im Takt die Füße, um den Hauptplatz der Stadt herum. Im allgemeinen waren sie ganz weiß mit rothen Mützen und Aufschlägen gekleidet, und hatten Bajonnetgewehre, als sie aber – langsam, o wie langsam näher kamen, sah ich, daß die Beinkleider keineswegs alle von der Farbe der Unschuld waren, und noch ungenirter gingen sie mit ihren Füßen. Einige hatten Schuhe, andere Stiefeln, noch andere Hühneraugen, und diese trugen dann (jedenfalls der größeren Bequemlichkeit wegen) ihre Schuhe oder Stiefeln zusammengebunden über dem einen Arm und gingen lieber barfuß – den Officieren konnte das natürlich egal seyn, und war ihnen auch wirklich so. Das Exerciren ging allerdings dem Namen nach in Reih und Glied, doch hatten die Commandirenden genug zu thun nur einigermaßen Ordnung zu halten, da eine ziemlich lebhafte und gewiß interessante Conversation zwischen den »Gemeinen« deren Aufmerksamkeit etwas zu sehr in Anspruch nahm.

Die Illumination am Abend war desto brillanter, und wurde, als es schon dunkel war, erst durch die Straßen niedersprengende Cavalleristen, die an jedem Haus anhielten und einige, dem Fremden gewiß unverständliche Worte hineinschrieen, anbefohlen.

Wie schon erwähnt, ist die Bauart der Häuser in Mendoza noch ganz altspanisch, die Gebäude sind gewöhnlich in großen Vierecks aufgeführt – die Fenster alle nach dem geräumigen und hellen Hof oder den Gärten hinaus, so daß die Straßenfront nur sehr wenig vergitterte Fenster, und oft ganz kahle Mauern zeigt – die Fenster konnten also auch aus diesem Grund nicht illuminirt werden und man setzte nun die Lichter – etwa sechs vor jedes Haus – vorn auf das Straßenpflaster, wo sich dann die Jugend damit amüsirte und auch wohl die Illumination selber dadurch regulirte, daß sie hier und da ein mißliebiges oder ihrer Ansicht nach verschwenderisches Licht wegnahm, und auf eine mehr protegirte oder weniger beleuchtete Stelle brachte.

Die Illumination begann stückweise und endete auch so; ihre Dauer beschränkte sich auf die Viertellänge eines Talglichts. – Es gibt doch nichts Kläglichers auf der Welt, als eine officielle Freudenbezeugung.

Interessant war es mir, am andern Tag die argentinische Kavallerie zu sehen, wie sie gerade von der »Fütterung« kam. Die Soldaten hatten Fleisch »gefaßt« und in ihrer wilden appetitlichen Art ganz einfach unter den linken Steigbügel gebunden. Daß es ihnen beim tollen Ritt an die Füße und die Beine des Pferdes schlug, schien ihnen ziemlich gleichgültig.

In diesen Tagen mußten sie aber auch ausrücken, und zwar, wie ich von meinem alten Correo hörte, die nächsten Ansiedlungen gegen die Indianer zu schützen, die sich toller Weise ganz in die Nähe Mendozas gewagt haben sollten. Der Alte meinte freilich sie wären jedenfalls, da sie ihn am El Morro verfehlt hätten, auf seiner Spur nachgekommen und da man behauptete, einige kühne Unitarios, die wohl von Buenos Ayres Kunde bekommen haben konnten, der Correo habe wichtige Depeschen und Gold mit sich, seyen die Führer der Wilden, so war die Sache gerade nicht unmöglich; ich blieb übrigens nicht lange genug in Mendoza es bestätigt zu hören.

Natürlich suchte ich jetzt auch, einmal an Ort und Stelle, so viel als möglich authentische Berichte über die Cordilleren und den Wintermarsch über sie hin, einzuziehen, aber die klangen hier am Fuß derselben fast ebenso entsetzlich als in Buenos Ayres und Rio de Janeiro, nur daß hier die Leute sämmtlich sagten, die Cordilleren seyen keineswegs »geschlossen« und man könne den Uebergang jeden Tag versuchen, und wohl auch glücklich zu Stande bringen, wenn man aber dabei erwischt würde, d.h. wenn man einen Temporale oder Schneesturm bekäme, dann wäre die Sache auch fertig und man könnte von Glück sagen, wenn man nur einfach erfröre, und nicht auch noch verhungerte.

Hier war doch Hoffnung – hier gab es doch wenigstens keine Menschen, die da nur bei einer Erwähnung der Sache gleich schreien, es ist total unmöglich, es ist Wahnsinn es nur versuchen zu wollen – auf den Temporale mußte ich es deßhalb riskiren.

Acht volle Tage hatte ich in Mendoza gelegen und mich nach einem Führer über die Cordilleren umgesehen, während mir alle riethen doch ja lieber zu warten, bis der Correo von St. Jago herüber käme und ich mit dem dann nicht allein billiger, sondern auch sicherer gehen könne. Mir ließ es aber keine Ruhe mehr in der argentinischen Republik, es trieb mich meinem Fahrzeug wieder zu und ich hatte nun so viel über die »furchtbaren Gefahren der Berge,« über Erfrieren, blind und todtgeschlagen zu werden gehört, daß ich es endlich satt bekam und auch gleichgültig dagegen wurde.

Eins nur schreckte mich wirklich im Anfang ein wenig, und das war der rasende Preis, den der erste Führer, den wir auffanden, forderte, mich sicher und gut hinüberzubringcn, und das war 300 Dollars – sage dreihundert Dollars – und dabei mußte ich noch durch die Berge zu Fuß gehen. Er meinte aber, es sey in jetziger Zeit mit so vielen Umständen und Gefahren verknüpft, daß er es – der gute Mann kam gleich um ein Drittel herunter – unter 200 keinesfalls thun könne. Selbst das war ich nicht im Stande zu geben, und mußte mich nach einem anderen umsehen; dadurch aber verging die Zeit und ich sah mich endlich genöthigt, wollte ich nicht noch eine Woche herumlaufen, die freilich etwas gemäßigteren, aber doch noch immer schweren Bedingungen eines anderen Führers einzugehen, der nur fünf Unzen – (also etwa 85 spanische Thaler), und außerdem noch Beköstigung verlangte – ebenfalls eine Sache von circa fünf Dollars, da man sich auf den schlimmen Fall eines Schneesturms vorsehen muß. Der Mann meinte außerdem, fünf Unzen sey jedenfalls in dieser Jahreszeit ein höchst mäßiger Preis, denn wenn man einmal sein Leben riskiren wolle, müsse man auch etwas dafür erhalten, das Einem die Gefahr in etwas vergüte und für das Gewagte entschädige.

Der Preis der Unzen selber war in Mendoza sehr verschieden von Buenos Ayres, wo die argentinische, wie chilenische und mexikanische Doublone gleich sechzehn Dollar galt, während die argentinische und mexikanische hier siebzehn, die chilenische achtzehn Dollars stand.

Jetzt, einmal mit einem Führer im Reinen, ging ich scharf daran die nöthigen Provisionen einzulegen, und diese bestanden besonders in getrocknetem Fleisch, charque genannt, das die Argentiner zu diesem Zweck – es nämlich in möglichst kleinen Raum zusammen gedrängt zuzubereiten wissen.

Dieß getrocknete Fleisch, schon an sich fest und hart, wird nämlich noch mit Hämmern so zusammengeschlagen, bis es wie dicke Pappe aussieht, und auch eben so leicht zu kauen ist; dann noch fest in ein kleines Paket geschraubt, bildet es zuletzt eine steinartige harte, felsenschwere Masse, an der sich die einzelnen Scheiben ablösen wie Marienglas, und es ist auf diese Art allerdings, eine nicht unbedeutende Quantität Nahrungsstoff in einen möglichst engen Raum zusammengedrängt.

Außer dem Fleisch, was unser hauptsächlichstes Subsistenzmittel unterwegs seyn sollte, hatte mir Herr Rohde oder »Don Carlos,« wie er allgemein in Mendoza genannt wurde, da die Spanier fast nur die Vornamen bekannter Leute gebrauchen – auch noch in wirklich freundlicher Weise Mehl besorgt, damit ich so wenig als möglich Kosten haben möchte; zu diesem nahmen wir ein Mädchen ins Haus, welche das Backen verstand und aus dem Mehl eine Art harter vortrefflicher Zwiebäcke bereitete, und mit noch einigen Zwiebeln, etwas rothem Pfeffer, einer kleinen Büchse gebranntem und gemahlenem Kaffee, und einem eisernen Kocher, Wasser zu sieden, waren wir fix und fertig.

So viel war indessen von dem blendenden Schnee der Cordilleren und vom wirklichen Erblinden Einzelner, die um diese Jahreszeit den Uebergang gewagt, gesprochen, daß Don Carlos (Schiller genirte mich ungemein bei diesem Namen) sich nicht abreden ließ mir eine grüne Brille mitzugeben; selbst der Führer versicherte mich dabei ich würde sie gebrauchen können, denn er selber habe den Weg schon mehremale gemacht, und sich noch immer nicht an den blendenden Schnee gewöhnen können.

Ich dachte kopfschüttelnd an unsere deutschen Schneeflächen, steckte aber doch die Brille vor allen Dingen einmal in die Tasche – ich kannte die Verhältnisse des Landes noch nicht, und die darin Eingeweihten wissen so etwas meistens besser wie der Fremde.

Daß der argentinische Staat übrigens ein Polizeistaat sey, sollte ich, ehe ich diese wirklich rothe Republik verließ, noch erfahren. Ich mußte nämlich, trotzdem daß mein Paß in Buenos Ayres auf Valparaiso schon visirt war, noch hier einen neuen Paß nach dieser Stadt nehmen und dafür (die Pässe sind in Mendoza theurer als die Pferde) fünf und ein viertel spanische Thaler bezahlen. Ich protestirte dagegen und verwies auf den schon nach Valparaiso visirten Paß, die Polizeibeamten frugen mich aber, »was sie Buenos Ayres (die Hauptstadt der argentinischen Republik) anginge,« und da ich ihnen hierauf keine genügende Antwort geben konnte, ersuchten sie mich um die »landesübliche Münzsorte.«

Interessant waren mir hier die Verhandlungen im Polizeigebäude, das ich ebenfalls nur mit rothem Band um den Hut und mit eben solchem im Knopfloch betreten durfte – meine spanische Erlaubnißkarte die argentinische Republik wieder verlassen zu dürfen wurde in fünf verschiedenen Stuben von fünf verschiedenen Leuten unterschrieben – es war wie ein Stammbuch – und viermal prangte darauf die argentinische Devise – viva la confederacion Argentina, mueran los salvajes Unitarios.

Doch genug von Mendoza, ich führe den Leser vielleicht einmal später wieder – wenn er Lust haben sollte mir zu folgen – dahin zurück, jetzt aber muß ich nach Valparaiso aufbrechen, sonst versäume ich mein Schiff, das vielleicht schon dort im Hafen liegt und – meiner nicht wartet, sondern so schnell als möglich seine Erfrischungen einzunehmen und sein Ziel – San Francisco – zu erreichen sucht. Also über die Cordilleren.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Reisen 1. Band - Südamerika