5. Ritt durch die Pampas.

Am 17. Juni Morgens schickte mir der Correo, wie schon vorher erwähnt, durch ein paar junge argentinische Burschen ein Pferd, mich und mein Gepäck zu seinem Hause zu bringen, daß wir dann von dort aus, im Laufe des Tags, aufbrechen könnten. Einen argentinischen Sattel (den sogenannten spanischen Sätteln ähnlich, aber doch etwas verschieden von ihnen) hatte ich mir schon am vorigen Tage besorgt, Zaum und Satteltasche ebenfalls und mit meinen Waffen, einem Poncho, einer wollenen Decke und ein paar frischen Hemden war ich vollkommen zu einem Ritt von meinetwegen vier Wochen gerüstet.

Spaß machte mir hierbei mein Wirth, ein Engländer, Mr. Davies, der es sich in den Kopf gesetzt hatte ich mache die Reise durch's Land nur, um schneller nach Kalifornien zu kommen, und sich schon während meines Aufenthalts dort die größte Mühe gab, mir das Californien mit schrecklichen Farben zu schildern. Er versäumte es auch nicht mir selbst an diesem Morgen einen kleinen Beitrag zu liefern, und meinte es sey förmlich wahnsinnig von mir, nur des Goldes wegen meine gute Kehle in einem solchen tollen Ritt zu wagen. Mr. Davies war übrigens sonst der prächtigste und auch originellste Bursche den ich lange getroffen, und wir hatten manchen Spaß mitsammen gehabt – nur auf Kalifornien durfte das Gespräch nicht kommen, das lag für ihn außer dem Spaß. Er wünschte mir übrigens zum Abschied alles Gute, und außerdem auch noch »daß mich die kalifornischen Wilden nicht lange martern, sondern lieber gleich todtschlagen möchten, denn das sey sonst Thierquälerei.«


Der Correo wohnte draußen am äußersten Ende der Stadt – und Buenos Ayres ist entsetzlich weitläufig gebaut, wir trabten aber lustig drauf los, und während ich glaubte meinen alten Burschen schon in voller Ungeduld auf mich warten zu sehen und dann augenblicklich den Thieren die Sporen einzusetzen und weiter zu galoppiren, fand ich ihn im Gegentheil emsig beschäftigt – gar nichts zu thun, und statt die verschiedenen Päcke die noch wild zerstreut am Boden herumlagen, auf das Lastthier zu laden, saß er ruhig dazwischen, schlürfte seinen Mateh und sah aus als ob er noch gar nicht daran dächte, weder in dieser noch der nächsten Woche aufzubrechen. Seine ganze Familie half ihm dabei redlich, die Frau kauerte in der einen Ecke neben einem Kohlenbecken auf dem ein kleiner eiserner Theetopf oder Kocher stand, und der Sohn, ein junger Bursch von circa 18 Jahren, lehnte auf dem Bett und klimperte auf der Guitarre.

Sowie ich eintrat, möchte ich fast sagen, denn ich hatte den Fuß kaum auf die Schwelle gesetzt, kam aber auch die alte Dame schon mit der unausweichlichen Matehröhre auf mich zu, und ich will den Leser lieber gleich von vorn herein mit diesem, gewiß eigenthümlichen Genuß der Südamerikaner bekannt machen, damit es ihn später nicht so ganz unvorbereitet treffe, wie mich damals.

Der Mateh ist eine Art Thee der aus den Zweigen und Blättern eines gewissen in Brasilien und am Paraguay wachsenden Baumes bereitet werden soll. Er sieht aus wie ein grünliches Pulver mit kleinen Zweigen und Holzstückchen darin und wird im Aufguß getrunken. Die Art wie sie ihn trinken ist aber charakteristisch.

Der Mateh selber kommt in eine, zu diesem Zweck besonders gehaltene Calebasse, von der Größe eines starken Apfels etwa, und auf ihn wird dann das kochende Wasser gegossen. Da man aber beim förmlichen Trinken desselben den feinen Staub würde mit in die Kehle bekommen, so gebrauchen sie hierzu eine kleine dünne Blechröhre, die sie Bombille nennen, und deren unteres Ende eine theesiebartig durchlöcherte abgeflachte Kugel bildet. Durch diese etwa sechs bis sieben Zoll lange Blechröhre ziehen sie, mit anscheinendem Hochgenuß, den kochend heißen Trank, dessen Temperatur sich dem Blech natürlich augenblicklich mittheilt, und dem, der solche Kost nicht gewöhnt ist, unfehlbar die Lippen verbrennen muß, besonders wenn er es »unvorbereitet trinkt.« Es versteht sich von selbst, daß ich dasselbe that. Das fatalste bei diesem Matehtrinken ist übrigens das rein demokratische Princip nach dem er getrunken wird. In allen Familien gibt es gewöhnlich nur eine Mateh Calebasse, nur eine Bombille und diese geht im Kreis herum, so daß Jeder dieselbe Blechröhre in seinen Mund schiebt, daran saugt, und sie dann dem Nachbar reicht – ich habe schon Sachen gesehen, die appetitlicher waren. Ein Verweigern derselben wäre aber eine Mißachtung der Gastfreundschaft, die den freundlichen Geber nicht allein kränken, sondern auch beleidigen würde, und der Fremde überwindet lieber, wenn es ihm von gerade nicht lieben Lippen geboten wird, seinen Ekel und legt die Haut seiner Lippen auf den Altar der Convenienz, als daß er die Leute, die ihm damit wirklich das Beste bringen was sie selber genießen, kränke.

Die Päcke waren übrigens rascher geordnet als ich selbst gedacht, die schon vor der Thür stehenden Thiere wurden gesattelt, und in etwa einer halben Stunde saßen wir endlich zu Pferd. Durch die volkreichen und hauptsächlich von großen Landwagen gedrängten Straßen ritten wir in kurzem Trab, kaum aber etwas in's Freie hinaus, fielen die Pferde schon von selbst in einen kurzen Galopp; selbst das Lastthier, was wenigstens seine 250 Pfund trug, war davon nicht ausgenommen. Ich hielt das damals für etwas außerordentliches.

Unser kleiner Trupp bestand aus vier Pferden und drei Personen; erstlich der sogenannte Postillon, der hinter sich ein ziemlich großes und schweres Felleisen auf den Sattel geschnallt hatte und das Lastthier an der Leine führte, dann dieses, mit vier in ungegerbte Häute sorgfältig eingenähten und auf seinem Rücken fest geschnürten Packeten, die ein von Binsen gefertigter Packsattel trug, dann der Correo, in blauem Poncho oder Ueberwurf, mit hellledernen hohen Reitstiefeln in denen sein langes Messer stak, und oben eben mit dem Griff heraussah, riesigen Sporen, rundem Filzhut und einer tüchtigen Peitsche in der Hand, die einzig und allein zum Besten des Lastthiers mitgenommen worden; und zuletzt kam ich selbst im grauwollenen Staubhemd, schwarzem breitrandigem Filz, hohen deutschen Wasserstiefeln ebenfalls, nach argentinischer Art mit dem Messer darin, und der Büchsflinte an die Seite geschnallt, die Pistolen im Gürtel mit eben solchen gigantischen Sporen und den Poncho mit der wollenen Decke hinten auf's Pferd an den Sattel festgebunden.

Der Postillon trug die Landestracht, Poncho und Cheripa, ein rothes Tuch um den Kopf, und die Füße in der abgestreiften Pferdehaut, aus der die beiden ersten Zehen vorschauten und eben nur in den kleinen kaum zwei Zoll breiten Steigbügel hineinpaßten. An dem rechten Handgelenk hing die Revenka, die aus einem etwa anderthalb Zoll breiten nach unten etwas spitzer zulaufenden und oben durch einen großen eisernen Ring gezogenen Streifen ungegerbter Haut gemachte Peitsche dieser Stämme, und die langen Sporen hingen ihm mehr von den glatten Hacken herunter, als daß sie daran fest saßen.

Es ist dieß überhaupt eine Eigentümlichkeit der hiesigen Reiter, daß ihnen die Sporen, wenn man sie zu Pferd sitzen sieht, fast vom Hacken abwärts hängen. Zu Fuß sind diese Leute dann auch gar nichts nutz, auf den Zehen balanciren sie herum und die riesigen Eisen rollen klirrend hintendrein, einmal aber nur die Hand auf der Mähne ihres Thieres, und es sind von dem Moment an ganz andere Menschen; der zuerst förmlich vorsichtige Blick, denn der abgesessene Reiter ging wie auf Eiern, nimmt den alten Trotz an, der Körper richtet sich in aller Elasticität eines naturkräftigen Volkes empor, und einmal erst im Sattel oder auch nur auf dem Rücken des schnaubenden Thieres, und Mann und Roß scheinen ein einziges zusammengegossenes, von Feuer durchströmtes Wesen zu seyn.

Das Herunterhängen der Sporen geschieht übrigens absichtlich und hat einen höchst triftigen Grund, denn der Gaucho reitet sehr häufig – in den Pampas draußen fast nur – wilde Pferde, und um sichereren Schluß zu haben, dann aber auch nicht der Gefahr ausgesetzt zu seyn beim Scheuen des Thieres, bei Seitenspringen oder sonstigen Capriolen, seinen Bauch mit den scharfen Sporen unabsichtlich zu berühren, hängen sie so weit herunter, daß sie den unbewehrten Hacken frei lassen, aber doch stets zum Gebrauch bereit sind, wenn sie der Reiter, der dann den Fuß nur etwas zu krümmen braucht, benützen will.

Die nächste, mir freilich nicht mehr fremde Umgebung der Stadt, in der ich schon in den letzten Tagen etwas umhergestreift, fesselte jetzt vor allem Anderem meinen Blick, und allerdings hat sie auch, für den Europäer besonders, viel Eigenthümliches und Anziehendes. Die Gegend selbst ist flach, eine weite, ungeheure Ebene, die Ich in ununterbrochener Spannung bis zum Fuß der Cordilleren hinauszieht, aber die Art der Bebauung, die Einwohner selbst, dieser jungen südlichen Republik bieten dem Auge steten, wechselnden Stoff, Neues zu sehen und zu bewundern und auf fremdartigen, wunderlichen Gegenständen zu weilen. Die pittoreske, buntfarbige Tracht der Eingeborenen ist nicht das Geringste dabei; der weite Poncho, mit nur einem Loch in der Mitte, um den Kopf hindurchzustecken, die Beintücher und befranzten Hosen, die ungeheuren Sporen an den, nur mit ungegerbtem Leder bedeckten Hacken, die langen (eigentlich verbotenen) Messer im Gürtel, das rasche Vorüberjagen derselben auf ihren kleinen, lebhaften Thieren; die Milchreiter – denn Alles reitet hier fast, was nur möglicherweise auf ein Pferd gebracht werden kann – die Maulthierzüge, die großen, unbehülflichen Wagen, mit ihren oft zehn Fuß hohen Rädern u. s. w. – das Alles bietet eine rasche, höchst interessante Abwechslung, und der Fremde würde schon daran genug Beschäftigung finden, wäre es nicht bald das Land selber, was mit seinen unendlichen, mit niederen Distelsträuchen oder fruchtbaren Wiesen bedeckten Flächen, seinen wunderlich durch Aloe und Cactus umfenzten Feldern und Gärten, seinen Heerden und Estancias, seine volle Aufmerksamkeit in Anspruch nimmt.

Doch vorbei, vorbei, der Courier hält sich mit dergleichen Betrachtungen nicht auf, und das eigene, muntere Thier verlangt ebenfalls, daß sich der Reiter etwas darum bekümmere – Puh, was ist das für ein schauerlicher Verwesungsgeruch – nur ein Pferd, das hier in der Straße fiel und – liegen blieb, bis die Aasgeier und Hunde das Gerippe reinigten – dort wieder ein halb schon verzehrter Stier – dort noch einer – und da drüben – ganze Umzäunungen von Schaf- und Stierköpfen aufgeworfen. Die Straße mit den Schädeln und Gerippen der Geschlachteten und Gefallenen aufgefüllt – vorbei, vorbei, der Correo hat das schon tausendmal gesehen, und jetzt, wo wir auf etwas besseren Weg kommen, werden die Pferde schärfer angetrieben.

Die erste Station ist sieben Leguas – eine Legua fast dreiviertel deutsche Meilen – und dort wurden die Pferde gewechselt. Mittag rückte indessen heran, und wir aßen etwas.

Es war dieß die erste Wohnung der wirklichen Eingeborenen des Landes, die ich betrat – eine kleine erbärmliche Hütte aus Lehm aufgeworfen, mit Binsen gedeckt. Ein Tisch und ein paar mit Häuten überzogene Stühle bildeten das ganze Ameublement; das Tischtuch mußte schon wochenlang gedient haben, die Gabeln waren schmutzig – Messer wurden nicht gegeben – es versteht sich von selbst, daß jeder sein Messer bei sich führt, und die Gauchos tragen Messer von 16–18 Zoll Länge. Neben mich auf einen Stuhl wurde das jüngste Kind gestellt – wir aßen Alle aus einer Schüssel – das Kind war schauerlich unrein – es starrte ordentlich von Schmutz und die Na – don't mention it, sagen die Amerikaner – ich würgte ein paarmal ordentlich an einem Bissen, dennoch konnte ich dem Kinde nicht böse seyn – es war gar ein so lieber, herziger, dickbackiger, dunkeläugiger Junge, mit großen mächtigen Augenwimpern, und ich mußte immer und immer wieder an den eigenen Knaben denken, den ich zu Hause zurückgelassen, hier einsam in der Fremde herumzustreifen. Der kleine liebe Kerl hatte so herzige Grübchen im Backen und so krauses dunkles Haar – wenn er nur nicht den Löffel immer so lange unter die Nase gehalten hätte.

Das Mittagessen dauerte nicht lange, frische Pferde wurden gebracht, und bald darauf galoppirten wir wieder rasch und munter der zweiten Station zu, wo wir für heute unser Nachtlager aufschlagen wollten. Der Correo ist, was ich übrigens hier erst bemerken möchte, die regelmäßige Post, die in der argentinischen Republik durch die verschiedenen Provinzen geht. Der Correo von Buenos Ayres nach Mendoza durchschneidet – durch die Provinzen Buenos Ayres, Santa Fé, Córdova, San Luis und Mendoza – die Republik von Ost nach West, wartet in Mendoza, bis der Correo von Chile über die Gebirge kommt (was aber im Winter stets eine sehr unsichere Sache ist, da der dortige Correo sehr häufig nicht über die verschneiten Kordilleren kann und die Postverbindung drei, vier Monate lang unterbrochen bleibt) und kehrt dann nach Buenos Ayres zurück.

Diese Poststationen hatte ich mir übrigens – mit einer leicht verzeihlichen europäischen Phantasie – gar verschieden von denen gedacht, die ich wirklich fand. – Das Wort Poststation ist mehr eine Schmeichelei und der Reisende findet weiter auf der Gottes Welt nichts als eben ein Dach, je nach Verhältniß oder Zufall mit einer Lehm- oder Korbwand und einem mit einer Kuhhaut überspannten Gestell, auf das er Sattel und Decke und später sich selber werfen kann.

Weiter gegen Westen fällt auch selbst der Luxus eines solchen Gastbettes weg und man bekommt eine einfache Lehmbank zum Daraufliegen, oder auch den blanken Erdboden selber angewiesen – und die Flöhe.

Der Sattel ist des Gaucho Bett, und auf dieß Lager, mit unseren Ponchos und Decken, waren also auch wir einzig und allein angewiesen.

Das Haus, wo wir übernachteten, war ebenso schmutzig als das, wo wir zu Mittag gegessen; ebenso die Bewohner, und die Matehröhren waren ebenso heiß; dabei lag die kleine Hütte still und einsam in der weiten öden Steppe – kein Feld, kein Garten dabei, nicht einmal eine Umzäunung, die Pferde darin zu fangen; nur ein paar in die Erde geschlagene Pfähle, mit Streifen Rindshaut dazwischen ausgespannt, dienten zu diesem Zweck. Ich kann ziemlich viel Unbequemlichkeiten vertragen, und werde wahrlich nie über magere Kost oder hartes Lager murren – dieser widerliche Schmutz überall ekelte mich aber doch an, und ich warf mich an dem Abend, trotz einem recht scharfen und gesunden Appetit, ohne einen Bissen zu genießen auf meine Decken nieder.

Der nächste Morgen entschädigte mich jedoch reichlich für alles ausgestandene Unangenehme; er war kalt und frisch, doch blau und klar spannte sich das reine Firmament über die maigrüne Ebene aus und der Anblick, den die zahlreich überall zerstreuten Heerden auf dem weichen Grasteppich gewährten, war wirklich entzückend. Die Pferde wurden gebracht, das Gepäck und unsere Sättel aufgelegt, und im Galopp flogen wir in dem heiteren, lebensfrischen Bilde, das rasch wie ein Panorama wechselte, dahin.

Wohin das Auge auch sah, war Leben, und in der Luft, wie auf den Wiesen, trieb es sich im bunten fröhlichen Gewühl durcheinander. Unmassen von Kibitzen strichen kreischend über uns hin, oder saßen dicht am Weg oder an den Lachen und wandten kaum den Kopf nach den vorübersprengenden Reitern, gemüthliche Störche standen ernsthaft hie und da in dem helleren Hintergrund; eine kleine Art Eulen, kaum größer als Staare, kauerten neben ihren Erdhöhlen oder flogen mit schrillem Schrei auf, sich in etwa zehn Schritt Entfernung wieder niederzulassen, lange Ketten von Enten strichen durch die Luft oder saßen auf den nächsten Wassern, und große stattliche Wassertruthähne erzählten sich, dort wo das feuchte Sumpfgras steht, merkwürdige Geschichten mit ihren gellenden Stimmen. In dem schwellenden Grün lag dabei das gesättigte Vieh, oder jagten sich die jungen Lämmer und nicht fern werdende Pferde schmetterten den unseren mit zurückgeworfenen Mähnen und schnaubenden Nüstern den wiehernden Gruß entgegen, den auch unsere Thiere froh und muthig erwiederten. Es war ein herrlicher Morgen, und das Herz ging mir auf in all dem Schönen und Freundlichen was mich umgab. Nur eines wirkte störend und dämpfte den sonst sicherlich unübertroffenen Eindruck – das viele gefallene Vieh, was überall, nur zu oft mitten im Weg, oder auch auf den Wiesen selber, theils nur noch als Gerippe, theils halb verzehrt, theils erst angefressen von unzähligen darüber kreisenden Raubvögeln, herumliegt, thut dem Auge in der sonst so reizenden friedlichen Umgebung ordentlich weh. Die Thiere selbst sind aber so daran gewöhnt, daß sie, ohne je zu scheuen, ruhig an den Cadavern vorbeitreten, und selbst die Rinder werden in geringer Entfernung von den gefallenen Kameraden.

Wir kamen an dem Abend, es war der 18. Juni, ziemlich spät ins Quartier, und ich sah mich heute, da ich den ganzen Tag nichts als ein wenig Milch, zu essen bekommen, durch meinen Magen förmlich genöthigt an dem Abendessen Theil zu nehmen. In einer hölzernen Schüssel, die noch die deutlichen Spuren früherer Gerichte trug, bekamen wir unsere Suppe und Fleisch, etwas Brod hatte mein alter Correo bei sich, und mit schmutzigen Löffeln, die ich, die Leute nicht zu beleidigen, nicht einmal abwischen durfte, verzehrten wir unser frugales Mahl. Später lernte ich übrigens – man fügt sich ja in Alles, mir darin zu helfen und wenn ich einen gar zu schauerlichen Löffel bekam, ließ ich ihn einfach – wie aus Versehen, auf die Erde fallen. Dadurch bekam ich auch ein unbestrittenes Recht ihn abzuwischen und daß ich dann mehr davon nahm, als ich hinangebracht hatte, glaubte ich mit meinem Gewissen ausmachen zu können. Die Landleute der argentinischen Republik leben fast durchschnittlich einzig und allein von Fleisch und – wollen sie luxuriös seyn – von einer eigenen, hier viel gepflanzten Art Kürbiß, der allerdings ein angenehmes, aber immer noch viel zu wenig gezogenes Gemüse liefert. Brod kennen sie fast gar nicht, oder haben es nicht, wenn sie auch wünschten, und selbst da wo Mais gezogen wird, backen sie nicht, wie es der nordamerikanische Backwoodsman selbst in der ärmlichsten Hütte thut – das so nahrhafte und sicherlich gesunde Maisbrod. Wie der südseeländische Indianer seine Brodfrucht, die ihm förmlich in den Mund wächst und die er nur zu pflücken braucht, so verzehrt der Südamerikaner hier sein Fleisch, das ebenfalls unter seiner Hand und neben und mit ihm aufwächst – er kennt kaum, und verlangt selten mehr.

Ich war übrigens an diesem Abend fest entschlossen, mir die Lippen mit dem verwünschten Match nicht wieder zu verbrennen, und bat meinen Alten, der die ganze Proviantirung übernommen hatte, um etwas Thee oder Kaffee, was wir beides mit uns führten. Er machte Thee, und ich war in den letzten Tagen so aller Genüsse entwöhnt worden, daß ich den allerdings etwas sehr dünnen Thee schon als einen solchen betrachtete, bis mich meine Umgebung eines besseren belehrte. Der Thee war nämlich eben aufgegossen und ich blickte schon mit einer Art Schadenfreude nach den andern hinüber, die ich auf ihren Mateh angewiesen sah, ließ den Becher etwas kühlen, und wollte ihn dann auf menschliche, d. h. civilisirte Art an die Lippen bringen, als ein allgemeiner Schrei des Erstaunens und Gelächter, wie verschiedene Ausrufe mich bald darauf aufmerksam machten, es sey entweder irgend etwas Außerordentliches vorgefallen, oder ich stehe wenigstens im Begriff Gift zu trinken. Erschrocken hielt ich ein, und sah die Leute im Kreise verwundert an, die aber gaben mir durch Worte und Zeichen (denn mit meinem Spanisch ging es noch sehr spärlich), so gut das möglich war, zu verstehen, daß ich gerade im Begriff sey, etwas ganz Entsetzliches zu begehen, indem ich den Thee – mit dem Mund aus der Schale tränke; man reichte mir ohne weiteres eine der verzweifelten Metallröhren, und es war augenscheinlich, daß man erwartete, ich solle damit meinen Thee, wie den Mateh, einschlürfen. Ich wollte nun zwar protestiren, wurde aber, unter einem wahren Heidenlärm, überstimmt und mußte mich endlich – mit welchen Empfindungen kann sich der Leser denken – der Majorität fügen.

Körperlich wohl durch den ungewohnten langen Ritt ermüdet, geistig aber nur zu sehr aufgeregt, auch vielleicht mit einem leisen Anflug von Heimweh, das den wegmüden Wanderer an stillen dunklen Abenden ja so gern beschleicht, warf ich mich endlich auf mein hartes Lager, und wenn ich auch nicht gleich einschlafen konnte, träumte ich doch wachend von vielen lieben, und doch auch wieder jetzt so traurigen Dingen.

Die Eingebornen waren es, die mich endlich auf andere Gedanken brachten – und zwar die eingebornen Flöhe – Miniaturkänguruhs, die ganz urplötzlich anfingen sich ein Privatvergnügen an dem Fremden zu machen. Wenn es ein Trost war, daß sich mein alter Correo auch unruhig auf seiner Lehmmatratze umherwarf, so hatt' ich den allerdings. Mir nützte es aber doch soviel, daß ich meinen Plänen und Grübeleien entrissen, und der nun einmal existirenden Wirklichkeit wieder zugezogen wurde. Ich schlief endlich ein, und als ich am nächsten Morgen erwachte, stand die Sonne schon hoch am Himmelszelt und die Pferde wurden draußen eben in die Umzäunung getrieben, wo die jungen Leute die zum Gebrauch bestimmten mit dem Lasso fingen, und dann die andern wieder hinaus auf die Weide ließen. Es war ein ziemlich später Aufbruch, auch fiel an diesem Tag nichts besonderes weiter vor – wir machten nur vier kleine Stationen.

Am 20. erreichten wir ein kleines Städtchen, Arrecifes, nach dem Fluß genannt, an dem es lag, wo ich einen Nordamerikaner – der einzige der auf dem ganzen Weg zwischen Buenos Ayres und Mendoza englisch sprach – traf. Er war schon sehr lange im Lande, hatte eine höchst liebenswürdige junge Spanierin geheirathet, sich angesiedelt und war auch, wenn ich nicht irre, unter dem argentinischen Militär. Er nahm mich höchst freundlich auf, und ich verbrachte in seiner Gesellschaft eine sehr angenehme Stunde.

Heute sollte ich übrigens zuerst erfahren, wie die Südamerikaner ihre Thiere rücksichtslos, ob sie dabei zu Grunde gehen oder nicht, anstrengen. Wir hatten eine Station von acht Leguas, und legten diese, mit dem Lastpferd, in einem gestreckten Galopp zurück. Ich hielt das damals für etwas Entsetzliches, und mich jammerten die armen Thiere, aber was half mir mein Mitleiden, bei dem Correo mußte ich bleiben und durfte also schon mein Pferd, so gern ich auch gewollt, nicht schonen. In Fontezuelas, einer kleinen Ansiedlung, wo wir wieder Pferde wechselten, rasteten wir kaum eine halbe Stunde, und von dort trieben wir die Thiere zu eben solcher Eile an, weil mein Alter gern noch an dem Abend die nächste Station erreichen wollte. Kaum also saßen wir im Sattel, so kam das gewöhnliche Wort »Galopp,« der Correo hieb dem Packpferd seine lange Peitsche über die Schenkel, und »hui über die Pampas« hieß die Losung.

Nur immer den Zügel fest in der Hand, lieber Leser, und schaue vorsichtig auf den Weg, denn Dachse und Eulen haben hier überall ihre Löcher, und wenn du dem Pferd mit deinen Augen nicht zu Hülfe kommst, könnt ihr leicht zusammen die Erde küssen. Sieh, der Correo ist schon ein ganzes Stück voraus, du hast dein Thier zu sehr geschont – fort – weiche dem schilfigen Gras da aus, da hats Sumpf, dort zur Linken findet dein Pferd festeren Boden – aber hab Acht auf die Dachslöcher – hab Acht. Und siehst du dort, wo die niederen Disteln so üppig stehen, die kleine Eule sitzen? da sind auch Löcher – vermeide die – »aber dort sitzt auch eine Eule, und hier auch, und da ebenfalls – hier sitzen ja überall Eulen« – ja hier sind auch überall Erdlöcher, aber nur weiter, du versäumst die Zeit und in rasch einbrechender Dunkelheit könntest du auf dem weiten Plan – denn Weg und Steg habt ihr längst verlassen – die Führer verlieren. Und sieh, wie der alte Bursche dabei so fest und regungslos im Sattel sitzt, während ihm der lange schwere Poncho in regelmäßigen Schlägen, wie das Pferd vorn einspringt, um die Schultern flappt – an dem ganzen Körper scheint nur der rechte Arm mit der Peitsche Bewegung zu haben, und diese kommt erbarmungslos auf den Rücken des armen Lastthiers nieder, selbst wenn das nur an einer bös sumpfigen Stelle den Schritt auf einen Moment mäßigt oder rechts oder links nach den ruhig und ungezüchtigt werdenden Kameraden hinüberblinzt. Vorwärts ist sein einziger Gedanke – vorwärts –; das Thier, das er reitet, das Thier, das sein Gepäck trägt, ist dabei für ihn kein fühlendes lebendiges Geschöpf, es ist nur ein Pferd und wenn das stürzt, kann er hier für anderthalb Dollar, vielleicht noch billiger, ein anderes kaufen, wozu also eine solche werthlose Maschine besonders schonen.

Ich hatte übrigens an dem Abend gerade ein schändliches Pferd; es stolperte immer beim zehnten Sprung, und ich mußte mich ungemein vorsehen. Das half aber auch nur eine Zeitlang; als wir einen langen, etwas feuchten und weichen Wiesenstrich in einem wahren Carriere dahinflogen, trat mein Pferd doch in eine der überall zerstreuten Erdhöhlen und konnte dießmal seine Füße nicht wieder gewinnen. Vorüber schlugst und, wohl oder übel, ich mußte mit – kaum daß ich noch rasch mein Bein unter dem schweren Körper vorbekommen konnte. Glücklicherweise schien es keinem von uns geschadet zu haben; kaum eine halbe Minute später saß ich wieder im Sattel, und hatt' ich bis dahin mein Thier wirklich geschont, so half jetzt wenigstens kein längeres Sträuben. Der Correo, der meinen Unfall nicht einmal bemerkte oder wenn er ihn bemerkte, sich den Guckuck darum kümmerte, war indeß in der mehr und mehr einbrechenden Dämmerung weit, weit vorausgeeilt, der mußte wieder eingeholt werden, und das von Schweiß triefende Thier that, von Peitsche und Sporn getrieben, sein möglichstes.

Der Anblick der Steppe hatte indessen eine höchst eigenthümliche fast wunderbare Veränderung erlitten – die feuchten, dem niederen Boden entsteigenden Schwaden hoben sich und verwandelten, vielleicht auch mit ihrer Abspiegelung in der dunstgetränkten Athmosphäre, die Ebene in ein förmliches milchweißes, von dem Wiederglanz der Wolken roth überhauchtes Meer, in dem ich selber, jetzt nicht einmal mehr eine Bahn erkennend, dahin sprengte. Ich überließ es meinem Thier seinen Kameraden zu folgen, und nur manchmal klangen die Hufschläge derselben aus weiter Ferne herüber. In der That hatt' ich auch fast vergessen, daß ich mich hier auf wilder keineswegs gemüthlichem Terrain, sondern auf einer Pampas befand, wo ich, wenn verirrt, meine Bahn allein auf viele hundert Meilen durch die von Feinden bedrohte Steppe suchen konnte, denn der Correo hatte einmal mein Geld und kümmerte sich wenig darum, ob ich zurückblieb oder folgte. Die Scenerie, die mich umgab, war mir zu neu, zu interessant, nicht ihr meine ganze Gedanken, meine ganze Aufmerksamkeit zuzuwenden.

Wunderbar sahen die Heerden aus die ich, in diesem förmlichen Nebelmeer dahinsprengend, passirte; nur der obere Theil ihrer Körper schaute aus den weißen Schwaden, die jetzt auch schon begannen in weiteren Schichten anzusetzen und förmliche Hallen und Grotten zu bilden, hervor, und es sah manchmal aus als ob sie, wie in stillem Wasser geräuschlos dahinschwämmen, dann wieder wie in tiefem Schnee wadend, von Lavinen und wankenden Gletschern bedroht würden.

Nicht zurückscheuchen konnte ich dabei das Gefühl, als ob ich fortwährend einen ziemlich steilen Hügel niedersprengte, und nun gleich die Nebelmassen über mir zusammenschlagen sehen müsse, und doch flog ich auf der ebenen fast horizontalen Steppe mit schlagenden Hufen entlang.

Mit einbrechender Dunkelheit stieg übrigens auch der Nebel höher und wurde endlich so dick, daß ich kaum noch wenige Pferdelängen vor mir den Boden erkennen konnte; aber nicht weit mehr entfernt hörte ich jetzt deutlich die drei übrigen Pferde in ihrem kurzen regelmäßigen Galopp, und ehe wir die kleine Hütte erreichten, in der wir übernachten wollten, hatte ich sie eingeholt.

Es war indessen ziemlich spät geworden, und ich kann wohl sagen daß ich ungewiegt schlief.

Am nächsten Morgen brachen wir sehr früh auf, denn der Nebel hatte sich in der Nacht vollkommen verzogen, und dießmal einem ziemlich berittenen Pfad folgend, auf dem sich auch deutlich ältere Wagenspuren erkennen ließen, sprengten wir durch die fruchtbaren, mit dem saftigsten Gras und Klee bedeckten Ebenen, in dem Massen von Rindern, Pferden und Schafen weideten, oder hie und da auch gesättigt in dem sie halb verdeckenden Futter lagen und ruhig wiederkäuend die vorbeigaloppirenden Reiter betrachteten.

Die Morgenstunde ist für die ganze Thierwelt der Steppe die Zeit der Ruhe, selbst die Raubvögel sitzen auf kleinen niederen Büschen oder Erdhügeln in ernstem Schweigen und kehren sich nicht an das muntere Vogelzeug das sie umflattert – langbeinige Störche gehen zu Paaren oder in Gruppen langsam auf den höher gelegenen trockenen Stellen spazieren, erzählen sich vielleicht die Abenteuer der vergangenen Nacht, und lachen über bestandene Fahrten, daß ihnen die Schnäbel klappern – Massen von Erdhöhlen, die überall den Boden durchlöchern, stehen leer; was auch in ihnen wohnt und athmet, kommt um diese Tageszeit nicht zum Vorschein – die Heerden, wie schon gesagt, liegen meist, und käuen wieder, und selbst die Pferde, die sonst wild durch die Steppe jagen, stehen schläfrig am Rand der kleinen Teiche oder lagern ebenfalls auf dem stets für sie gedeckten Tisch der Pampas.

Wie anders wird das Alles wenn sich die Sonne ihrem Untergang nähert und etwa noch eine Stunde hoch am Himmel stehend, die Wolken die einzeln über das durchsichtige Blau des Himmels treiben, mit ihren brechenden Strahlen vergoldet. – Die Heerden sind dann alle in Bewegung – weidend, das junge Vieh spielend, ziehen sie durch die grünen saftigen Matten – nicht der Nahrung nachgehend, denn dicht unter ihnen wuchert diese, wo sie auch stehen, nein das süßeste und wohlschmeckendste heraussuchend aus dieser überreichen Speisekammer des Herrn. Die Trupps der Pferde springen und wiehern einander zu, hinein in den schmetternden Klang der herausfordernden Töne schallt das weiche melodische Blöken der Kühe und der schrille Ruf des Falken, der hoch über der freien Steppe kreist, scheint dazu zu gehören, zu dem regen geschäftigen Leben und Treiben.

Hei wie die Rosse noch einmal so munter mit den Reitern über den Rasen streichen, weit hinaus stiegt Grund und Gras von den flüchtigen, tief eingreifenden Hufen, und sie antworten den bekannten Lauten der Kameraden, die heute dem Lasso entgingen, morgen vielleicht dafür desto schärfer den gewichtigen Sporn ihres Herrn zu fühlen – vorbei.

Siehst du wie sich dort die Höhlen beleben, die noch vor kaum einer halben Stunde so finster und dunkel dalagen; sieh wie altklug das wunderliche Mittelding zwischen Hamster und Dachs vor seiner Thüre sitzt und zu dir herüberschaut was du zu eilen hast an dem freundlichen Abend – da drüben sitzt noch einer – da noch einer – dort ein dritter, vierter, fünfter – rechts von dir, gerade unter dem wehenden Büschlein, das vielleicht schon Vater und Großvater Schutz und Schatten gewährt und das Mondlicht hindurchgelassen hat auf heranwachsende Geschlechter, kauerte eine ganze kleine Familie und freut sich über das jüngste, das zum erstenmal heute aus der Höhle kommt und ganz erstaunt und überrascht die niegeahnte Herrlichkeit der Welt anstaunt.

Dort die kleine Eule war zum Besuch über Tag bei den Nachbarn, und fliegt jetzt, mit leisem geräuschlosem Flügelschlag zu dem Weibchen zurück, das ungeduldig schon vor der engen steilen Höhle auf- und niedergeht und seinen Aerger so lange mit einem Spaziergang beschwichtigt hat, – liederliches Eulenmännchen das, den ganzen Tag über, wo eine ordentliche anständige Eule in's Nest gehört, wahrscheinlich in schlechter Gesellschaft zu sitzen oder gar, was noch schlimmer wäre, draußen im Freien herumzustreifen und seine Gesundheit den schädlichen trockenen Sonnenstrahlen auszusehen. Wenn es jetzt Nachts seinen ordentlichen Geschäften nachgehen soll, ist es faul und schläfrig und läßt Steppenmaus und Käfer unbeachtet an sich vorbeilaufen und surren – oh was die Eulenweibchen selbst in der Steppe ihre liebe Noth haben.

Vorbei – dort drüben weidet eine große Heerde der kleinen Pampasschafe, aber weit zurückgeblieben ist eine Mutter mit ihrem, erst vor wenig Stunden geworfenen Lamm, und sucht nun, ängstlich dabei zurückblickend, und während sie das arme kleine schwache Ding, das sich kaum schon auf den Füßen erhalten kann, fortwährend durch leises Blöken ermuntert, die Heerde wieder zu gewinnen, ehe die Nacht anbricht und hemmstreifende Raubthiere die Hülflosen ohne Schutz fänden.

Sieh – der große Geier der dort oben hoch in der Luft stand und den Platz schon eine Weile in weiten Kreisen umzog hat sie entdeckt und stößt rasch herab, sicher geglaubte Beute zu finden – aber die sonst so scheue ängstliche Mutter läßt das Kind nicht dem gierigen Sohn der Lüfte – den Kopf gebeugt tritt sie gegen ihn an und der Raubvogel, so stark und scharf auch Klauen und Schnabel sind, hält sich zurück vor dem Mutterzorn, sitzt nieder auf dem, ihm nur wenig zusagenden Boden, und folgt unbehülflich und schwerfällig in sechs bis acht Schritt Entfernung etwa, dem kleinen Lamm das die Mutter nur vergebens zu größerer Eile antreibt. Der gierige Falke hofft auf den Tod des armen schwachen kleinen Wesens, oder – auf die Nacht, und bleibt bei der schon sicher gehaltenen Beute, und die arme Mutter weiß was dem Kinde droht, wenn es nicht die letzten Kräfte zusammenrafft die nahe, und doch noch so entsetzlich ferne Heerde zu erreichen.

Vorbei – hui – dort gleitet ein Schuppenthier blitzschnell über den Pfad in das hohe Gras hinein und der alte Gaucho richtet sich hoch auf im Sattel ob das zur Seite geschobene Gras nicht noch einmal die Richtung anzeigt, in der das Thier verschwunden – die Schuppenthiere schmecken den wilden Burschen gar delikat, und vielleicht um so besser, da sie ein seltener Braten sind.

Und was liegt dort an dem feuchten Fleck in der Steppe wo sich in einer kleinen Senkung des Bodens Wasser vom letzten Regen gehalten? – ein sterbendes Rind, das grüne glasige Auge stier und erblindend auf den Klee geheftet, der es jetzt in weichen dichten Massen umgibt, und der in wenigen Tagen von seinem verwesenden Körper verpestet, von Raubthieren zertreten seyn soll – die übrigen Thiere stehen dicht dabei, aber sie achten nicht des scheidenden Kameraden – da – hier – dort, da drüben überall liegen die noch hie und da mit der vertrockneten Haut, oft auch vollkommen nackten Gerippe früher vorangegangener – das Vieh meidet sie, so lange sie die Luft um sich her mit ihrem entsetzlichen Duft erfüllen, und grast dicht neben ihnen wenn Sturm und Regen die letzten widerlichen Spuren verwaschen haben.

Vorbei – da, siehst du dort unsern alten Freund den Storch, wie thätig er geworden, und wie aufmerksam und still er in das stille Wasser schaut das zwischen dem Rasen hervorquillend einen kleinen klaren Teich gebildet? – er kümmert sich jetzt nicht mehr um den Nachbar, dem er vorher so viel zu erzählen hatte, er schaut nicht mehr bald hinauf nach dem kreischenden Flug von Papageien, die mit scharfem Flügelschlag über die Steppe strebten, den gewöhnlichen Schlafplatz für die Nacht zu erreichen, noch nach der Schaar rother Flamingos, die mit den langen, wunderlich gebogenen Hülsen einen Nachbarteich in Beschlag genommen – nur einen einzigen ärgerlichen Blick wirft er hinüber auf eine lange Kette schnatternder quäckender Wildenten, die sich eben in dicht gedrängter, unruhig wogender Schaar fast zu nahe bei ihm niedergelassen und das Wasser erregt haben, und blickt dann ernsthaft und aufmerksam wieder auf die dunklen Stellen im schlammigen halbüberwachsenen Grund, geduldig erwartend was ihm daraus wohl aufgetischt werden würde.

Vorbei – die Sonne sank lange hinter den Cordilleren und ihren Mantel wirft die Nacht im raschen Flug über die kaum dämmernde Erde.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Reisen 1. Band - Südamerika