12. Die Reform und Weiterreise nach Californien

Drei volle Wochen hatte ich jetzt, und nach und nach mit einem gewissen ängstlichen Gefühl, den Telegraphen beobachtet, der mir täglich die Meldung machen sollte daß die Reform in Sicht sey, aber er that es nicht, und telegraphirte er wirklich einmal eine Brigg, so war es fast immer eine englische oder amerikanische, und nie die erwartete; ich bekam zuletzt einen ordentlichen Zorn auf die »falschen Farben.«

Im Leben hatte ich dabei nicht geglaubt, daß ich mich je so nach einer russischen Flagge sehnen würde, und doch war es so, denn viele unserer deutschen Schiffe segelten damals, den Unannehmlichkeiten der dänischen Blokade zu entgehen unter fremden Flaggen, von denen Rußland besonders gefällig gewesen zu seyn scheint, gegen »ein billiges Honorar« deutschen Handelsschiffen Schutz gegen die dänischen Kreuzer zu gewähren.


Es ist schmählich deutsche Thaler bezahlen zu müssen, um Schutz gegen dänische Kreuzer zu haben.

Hier erfuhr ich auch etwas, das mir bis dahin noch fremd gewesen war; Rußland führt nämlich ebenfalls blau roth und weiß, die Tricolore, in seinen Farben, die Streifen lang wie die der holländischen Flagge, nur mit dem weiß oben.

Einen Leidensgefährten bekam ich dabei in einem jungen Bremer, der ebenfalls ein vaterländisches Schiff, nur unter natürlicher Flagge erwartete, und wir beiden wanderten manchen langen Morgen hinaus nach dem Leuchtthurm und schauten weit hin über das stille blaue Meer, den ankommenden Segeln entgegenharrend, bis sie sich entweder als andere Fahrzeuge wie wir sie erhofften, auswiesen, oder fremde Flaggen zeigten – wenn die Sache noch lange gedauert hätte wären wir ein paar wirkliche Toggenburger geworden.

Ich sollte endlich zuerst erlöst werden, obgleich mein Leidensgefährte schon drei Wochen länger gewartet hatte. Am 12. August flatterte die weiß blau und rothe Flagge von der Gaffel einer einlaufenden Brigg herab und ich ließ mich ohne weiteres an Bord fahren, meine neu eingetroffenen Landsleute zu begrüßen, wie mich auch dem Capitän, als neuen Passagier, vorzustellen. Egoistisch aber, wie der Mensch überhaupt ist, vergaß ich von dem Tage an total meinen bisherigen regelmäßigen Begleiter nach dem Leuchtthurm, und ging nicht ein einzigesmal mehr hinaus.

Von Capitän wie Passagieren wurde ich übrigens auf das freundlichste aufgenommen – mir war es fast, als ob ich zu alten Bekannten käme; es ist das ein Liebeszins, den mir die Schriftstellerei abwirft, und wahrlich nicht der schlechteste, denn ich kenne kaum ein wohlthuenderes Gefühl als weit in der Fremde, da wo man Fremde zu finden erwartet, Freunde zu treffen, die uns mit herzlichem Willkomm die Hände bieten.

Auf der Reform sah es übrigens etwas kriegerisch aus; das Verhältniß zwischen Capitän und Passagieren schien nicht ganz so zu seyn wie es eigentlich seyn sollte, und eine Spannung herrschte zwischen beiden Parteien, die auf einer Seereise um so fataler ist, da sich die feindlich Gesinnten nicht ausweichen können, sondern, sie mögen wollen oder nicht, in engster und nächster Verbindung mit einander bleiben müssen.

Die Passagierfahrt ist überhaupt eine gar schwierige Sache und nicht so ganz leicht, wie sich mancher Schiffsrheder und Capitän wohl gern einreden möchte. Ein Capitän kann z. B. ein ganz ausgezeichneter Seemann seyn, sein Geschäft aus dem Grunde verstehen, und unermüdlich seinen Pflichten obliegen, das Schiff macht dadurch eine vortreffliche Reise, er verliert weder Stengen noch Segel, er bringt Fracht und Passagiere in möglichst kurzer Zeit und wohlbehalten an den Ort ihrer Bestimmung, aber – er weiß nicht mit den Passagieren selber umzugehen, er verwechselt diese zu leicht mit der Fracht selber die er führt, und hat leider nur zu oft »zu viel Zeit auf seine Seemannskunde verwandt,« um auch noch außerdem zu wissen wie man eine zusammengewürfelte Masse gebildeter und ungebildeter Leute, wie sie ja doch auf jedem Schiff vorkommen, behandeln muß. Er glaubt sich etwas von seinem Recht und Ansehen zu vergeben, wenn er freundlich mit ihnen ist, läßt sie so viel als möglich fühlen, daß er der Erste an Bord sey und deßhalb unbedingten Gehorsam von ihnen zu fordern habe – ja ist vielleicht unklug genug ihnen das mit dürren Worten zu sagen.

Der Capitän muß allerdings den Oberbefehl eines Schiffes haben und darauf unbeschränkter Herrscher seyn, aber er darf das, will er nicht unnützerweise ein fatales Verhältniß zwischen sich und den Passagieren herbeiführen, nicht selber aussprechen, sondern es muß als eine Sache angesehen werden die sich von selbst versteht, die jeder Vernünftige auch einsehen wird und einsieht, und die sich schon aus dem ganzen Gang des Schiffslebens in den ersten Tagen von selber ergibt.

Der Capitän sollte dagegen aber auch wieder, besonders in der ersten Zeit vorsichtig seyn, wie er sich, ehe er seine Leute etwas genauer kennt, zu viel und zu freundschaftlich, oder vielmehr familiär mit ihnen einläßt. Wird das nachher von diesen gemißbraucht, so vergibt er sich entweder wirklich von der Achtung die er auf seinem Schiffe zu fordern hat, oder er muß der erste seyn, der durch unfreundliche Worte, diejenigen welche er vorher selbst dazu aufgemuntert hat, wieder in die gehörigen Schranken zurückweist. Beides ein paar höchst unangenehme Fälle.

Ueberhaupt haben sich durch die Fortschritte unserer Cultur sowohl, wie durch die bedeutendere Auswanderung, die jetzt in einem ganz anderen Kreis unserer Gesellschaft Verbreitung gefunden, die Anforderungen die an den Führer eines Schiffes gestellt werden geändert, das heißt vergrößert.

In früherer Zeit genügte es, wenn ein Mann, der von der Pike auf gedient hatte, und im strengsten Sinn des Wortes »ein guter Matrose« war, sein Schifffahrtsexamen ordentlich machte; irgend ein Rheder setzte ihn dann auf ein Schiff, gab ihm seine Frachtbriefe und Empfehlungen an ein anderes bestimmtes Haus mit, und wie ein Fuhrmann, der nur darauf zu sehen hat daß seine Ladung vor Wasser und Feuer und überhaupt vor Schaden bewahrt wird, ging er in See, machte seine Reise so schnell und gut er konnte, nahm dort wieder ein was er von dem Haus, an das er adressirt war, bekam, und fuhr heimwärts wie er gekommen war.

Die Auswanderung beschränkte sich in jener Zeit auf den Handwerker und Ackerbauer, die Concurrenz zwischen den Schiffen war unbedeutend, die Verbindung zwischen den Ländern langsam.

Das hat sich jetzt alles geändert.

Erstlich wandert jetzt, wie schon gesagt eine ganz andere Klasse von Menschen aus, mit denen der Capitän in nächste Berührung kommt, und diese verlangt daß der Mann, der bei manchen Reisen nur auf wenige Wochen, bei anderen aber auf viele Monate nicht allein ihr Leben unter seinem Schutz, nein auch ihre ganze Bewirthung und Behandlung in der Gewalt und unter Aufsicht habe, ein gebildeter Mann seyn und findet sie das auf dem einen Schiff, bei dem einen Rheder nicht, so geht sie zu einem anderen.

Gebildete junge Leute fangen jetzt an zur See zu gehen, und wir verdanken dabei viel unserer »deutschen Seemacht« wenn diese auch leider nur als Schattenspiel über die Bühne ging – der Dienst auf einem Kriegsschiff mit Aussicht auf Avancement hatte mehr Verlockendes als das monotone Geschäft eines Kauffahrers, aber diese werden selbst nur zu häufig wieder durch das rohe Betragen der Capitäne, unter denen sie fahren müssen, zurückgeschreckt, welche Herren meist ein förmliches Vorurtheil gegen solche junge Leute haben, was aber auch darin sehr natürlicherweise begründet liegt daß es sie ärgert, wenn ein gewöhnlicher Matrose, ja nicht einmal das, noch ein Schiffsjunge oder leichter Matrose, was Navigation, Berechnungen oder Astronomie betrifft, mehr versteht als sie selber.

Der letzte Capitän mit dem ich fuhr, der von seinem eigenen Rheder, allerdings ungerecht, der gebildetste der Bremer Capitäne genannt wurde, sagte in meiner Gegenwart, wie sich sein Steuermann, ein so dickköpfiger Matrose als je ein Deck gewaschen – beklagte, daß zwei der leichten Matrosen den Augenblick, wie sie ihre »Wacht zur Coje hätten,« über den Büchern säßen, »ja, sie hätten sollen Professors werden.«

Aber noch einen anderen Grund gibt es, der die Rheder zwingen wird sich eine »neue Generation« zu Capitänen heranzuziehen und die wenigen guten, die sie schon haben, besonders warm zu halten.

Dampfschifffahrt, Eisenbahnen, wie außerdem noch die elektro-magnetischen Telegraphen haben einen neuen Umschwung in die Geschäfte gebracht. Früher segelte der Capitän mit seinem Schiff nach dem fremden Hafen, und war es ein gutes Fahrzeug, so machte er eine schnelle Reise und kam eher oder wenigstens so rasch zurück, als andere Nachrichten von dort her eintreffen konnten. Der Rheder gab damals dem Capitän seine Instruktionen mit, und war das Schiff erst einmal in See, so ließ sich daran nichts mehr ändern. Ob sich die Preise in der Heimath für die verschiedenen Produkte indessen so oder so gestalteten, blieb sich gleich, der Auftrag mußte, wie einmal gegeben, auch ausgeführt werden. Jetzt kann ein Schiff nach Indien z. B. schon zwei Monate in See seyn und den Ort seiner Bestimmung fast erreicht haben und doch ist es möglich neue Nachrichten dorthin zu bringen, ehe es Anker geworfen, zugleich erfährt der Schiffer selber von anderen Orten, zwischen denen früher kaum eine Verbindung bestand, Nachrichten über die Preise der nämlichen Produkte, über die sein Rheder noch nichts wissen kann noch erfährt, bis er seine Ladung genommen, und jener wird unendlichen Nutzen daraus ziehen, wenn er selber im Stande ist, in solchem Fall für sich zu handeln, und vortheilhaften Einkauf zu benutzen, anstatt sich an den Buchstaben seines Auftrags zu halten.

Alles das erfordert aber eben mehr als nur einen Matrosen, auch die Kauffahrer haben eine Cadettenschule nöthig, und der Vortheil, der dadurch den Rhedern erwüchse, wird bald augenscheinlich werden.

Doch um wieder auf das Verhältniß der Passagiere mit dem Capitän zurückzukommen, so sind es ebenfalls nur zu häufig auch die ersteren, welche mit einen großen Theil der Schuld tragen. Zu viele nur geben sich, wenn sie besonders als Cajütenpassagiere eingeschrieben sind, den kühnsten Erwartungen einer mit jeder Bequemlichkeit ausgerüsteten Seefahrt hin, und viele scheinen dabei wirklich den Glauben zu haben, daß sie, wenn sie nicht offenbaren Verlust leiden sollen, ihren vollen Passagepreis unterwegs herausessen müssen. Die Passage selbst ist ihnen nichts, »so und so viel haben sie bezahlt, dafür kann der Rheder eine so und so große Quantität, und eine so und so gute Qualität Lebensmittel angeschafft haben, und das muß ihnen werden, sonst sind sie verrathen und verkauft und werden unwürdig und schändlich behandelt.«

Daß sie sich dabei das Leben selber, ganz unnöthigerweise, verbittern, daran denken sie gewöhnlich gar nicht, und doch spielen sie sich dabei den größten Possen. An das Schiffsleben nicht gewohnt, und mit den gedruckten Versprechungen der Rheder in der Tasche, die sie sich nicht etwa so wie sie gemeint waren, sondern wie sie selbst es erwartet, ausgelegt haben, treten sie, sobald sie sich nur im mindesten in ihrem Rechte gekränkt glauben, ungestüm auf, und fordern dabei oft Sachen, die sie nicht einmal zu fordern haben. Ist nun der Capitän ein vernünftiger ruhiger Mann, der sich von vornherein nichts vergeben und Anspruch auf die Achtung der Passagiere hat, so kann er mit ein paar freundlichen Worten und einigen Berichtigungen oder Versprechungen ungemein viel ausrichten. Selbst mit mittelmäßigen Lebensmitteln kann der Capitän, wenn nur eine gute Ordnung eingeführt wurde, und die Passagiere sehen, er thut was in seinen Kräften steht, die Menschen, die er über das Meer führen soll und die in der Zeit Gefahren und Aufenthalt mit ihm theilen, zufrieden stellen – die besten werden ihnen dagegen nicht genügen, wenn ein schroffes Betragen des Capitäns sie dazu nöthigt, sich nur immer und immer wieder unter sich selber auszusprechen. Dort findet sich dann selten jemand, der ihnen genügende Auskunft geben könnte – und wenn er sich wirklich fände, würden sie ihm nicht glauben, und mehr und mehr erbittert wächst der Unmuth, bis er endlich zum unheilbaren Bruche wird.

Die Leute haben dabei gewöhnlich gar keinen Begriff von einer Seefahrt, wissen nicht einmal wie sie sich selber unterwegs benehmen müssen, und wollen dabei noch Capitän und Aufwärtern ihre Pflichten vorschreiben. Nur eine Sache will ich, des Beispiels wegen, erwähnen – das Waschen der Passagiere in der Cajüte (Damen natürlich ausgenommen) wie im Zwischendeck auf Auswandererschiffen, wie das Halten von Nachtgeschirren; wäre ich Capitän, ich würde es unter keiner Bedingung dulden, und lieber zum Waschen eine Vorrichtung am Deck anbringen, es geschieht aber nur zu häufig. Die Passagiere glauben sich auf einem Schiff wie in einem Gasthof einrichten zu können, hetzen den armen, vielleicht im Anfang selbst seekranken Cajütenjungen bald hin bald her, und zwar um Sachen, die sie sich selbst recht gut und ohne ihrer Würde als Cajütenpassagiere etwas zu vergeben, besorgen könnten, und schleppen oder lassen sich das Wasser in die engen Räume ihrer Schlafstellen oder Cajüte hineinschleppen. Die geringste Bewegung des Schiffs verschüttet ihnen jedenfalls, wann sie nicht gar das ganze Becken umstößt, einen Theil der Flüssigkeit, die nun ihrerseits wieder verdunsten muß und die inneren Räume mit einem schlechten Dunst und Schmutz erfüllt. Selbst beim Hinaustragen ließe sich, während das Schiff schwankt, das Uebergießen kaum vermeiden, und nachher sollen ein oder zwei unglückselige Geschöpfe von Stewards oder Aufwärtern, die mit ewigem Hin- und Hergeschick gehetzt werden, nun auch noch im Stande seyn, sich selber zu reinigen, Cajüten und Geschirre sauber und in Ordnung zu halten. Es ist wahr, diese Burschen sehen auf den Passagierschiffen oft genug zum Anekeln aus, und wären im Stande dem hungrigsten Magen das Essen, das sie auftragen, zu verleiden, gewöhnte man sich nicht endlich an sie und ihr schmutziges Geschirr. Das ist aber auch nicht anders möglich, so lange nicht die Passagiere sich die größte Mühe geben, alles das, was sie sich selbst holen, was sie selbst verrichten können, auch wirklich selber zu holen und zu verrichten, und dadurch die paar Aufwärter (denn für jeden Passagier kann nicht gut ein Bedienter gehalten werden), ihren nöthigeren Geschäften nicht mehr zu entziehen.

Allerdings muß man sich dabei, selbst wenn man Cajütenpassagier ist, vieles auf einem Schiff gefallen lassen und ertragen, was man auf dem festen Lande nicht zu ertragen brauchte, dafür ist man aber auch auf Reisen und sollte sich das besonders immer und immer wieder selber vorerzählen. Klug ist es dabei von den Passagieren gehandelt, wenn sie sich mit dem Capitän so gut als möglich stellen – sie brauchen ihm gar nicht zu schmeicheln, sie sollen sich nichts vergeben – ich wäre der letzte, das von ihnen zu verlangen, aber sie dürfen sich auch, unbeschadet ihrer eigenen Würde, in manche Laune, oder das wenigstens was ihnen Laune zu seyn scheint, fügen, manches erbitten, was sie vielleicht ein Recht zu fordern hätten, das schadet gar nichts, sondern stellt sie im Gegentheil auf einen freundschaftlichen Fuß mit dem Capitän an Bord, der, wenn er bösen Willen genug dazu hat, sie chicaniren, ärgern und knapp halten kann so viel er will. Möge mir keiner darauf erwiedern: »das kann und darf er nicht, oder wir machen ihn im nächsten Hafen dafür verantwortlich,« weiß er es klug anzufangen, so kann und darf er alles, und die Passagiere sind es dann stets, die darunter leiden müssen.

Die Consuln in fremden Hafenplätzen haben dabei keineswegs, wie viele irrthümlich glauben, eine entscheidend richterliche, sondern nur eine vermittelnde Stimme. Ueber den Proviant und Wasservorrath des Schiffs haben sie allerdings ein gewichtiges Wort zu sprechen, sie können nach vorgebrachten Klagen deßhalb die Vorräthe untersuchen lassen und den Capitän nöthigen, das den Passagieren gesetzlich Versprochene zu halten, sonstige Klagen aber gehören, besonders wenn sie ernsterer Natur sind, vor die wirklichen Gerichte der verschiedenen Länder, und wer noch nicht weiß was es mit »wirklichen Gerichten« in irgend einem Theil der Welt für eine Bewandtniß hat, der kann, das auf Kosten seiner Zeit und seines Geldbeutels in jeder fremden Hafenstadt, am bequemsten aber (wenn das überhaupt bequem ist) im eigenen Vaterland erfahren.

Nein am vernünftigsten ist es jede Streitigkeit gleich von vorn herein so viel als möglich zu vermeiden, und thun das die Passagiere, so werden sie mit nur geringer Erfahrung bald einsehen, daß sie sich selber am besten dabei gestanden haben.

Als ich die Reform damals betrat, waren denn auch sämmtliche Parteien an Bord – Passagiere wie Capitän, Feuer und Flamme. Die Passagiere auf Deck erklärten mir daß sie mit dem Capitän nicht weiter gingen, er stehe ihnen nach dem Leben und lasse sie halb verhungern, und der Capitän in der Cajüte versicherte mich dasselbe. Sein Leben sey, wie er fest behauptete, bedroht worden, und selbst seine Matrosen weigerten sich weiter mitzugehen, wenn die Rädelsführer nicht erst beseitigt wären.

Es war ordentlich komisch die schrecklichen Geschichten der beiden Parteien zu hören, doch zweifelte ich nicht im geringsten daß sich das in Valparaiso schon Alles reguliren würde, und hütete mich, weder bei der einen noch der anderen Partei etwas d'rein zu reden.

Die Reform hatte eine ziemlich glückliche Reise um Cap Horn gemacht, überhaupt ist diese Reise, die als das Schreckbild einer Winterfahrt wohl schon manchen armen Reisenden wochenlang vorher geängstigt hat, wenn er an all das Eis, all den Schnee, all die furchtbaren Stürme und Wellen dachte die dort seiner warteten, in letzter Zeit von sehr vielen Schiffen, und zwar glücklich zurückgelegt worden. Zur Beruhigung manches Reiselustigen, dem vielleicht nur noch vor dieser bösen Tour graut, will ich deßhalb das, was ich darüber von vielen Passagieren und Capitänen gehört, mittheilen; es mag vielleicht dazu dienen hie und da eine irrige Meinung zu berichtigen.

Sehr viele Seefahrer behaupten, daß die Sommerfahrt für eine Reise von Osten nach Westen, um Cap Horn herum, die bessere sey, andere dagegen nehmen die Monate Mai und Juni aus in denen, wenn es auch sehr kalt zu dieser Zeit in so hoher südlicher Breite ist, die östlichen Winde doch vorherrschen und gutes klares Wetter eine rasche glückliche Fahrt aus dem atlantischen in den stillen Ocean sollen erwarten lassen.

Gerade jetzt sind mehre Schiffe hier eingelaufen die in den letzten Monaten Cap Horn ungemein rasch und glücklich umsegelten. So hatte die Reform eine Reise von 42 Tagen von Rio de Janeiro bis Valparaiso; eine norwegische Barke kam in 31 Tagen von Buenos Ayres hier an, und eine englische Barke hat ebenfalls nur 34 Tage dazu gebraucht. Der Talisman ist in 42 Tagen von Rio herumgekommen, und noch viele andere Fahrzeuge hatten ungemein schnelle und gute Reisen. Nichtsdestoweniger hängt aber dennoch, wie bei jeder Seefahrt, so viel von Schiff und Capitän als auch von Glück dabei ab, denn zwei gleichschnell segelnde Schiffe können zufällig in zwei verschiedene Windströmungen gerathen, so daß das eine, welches gerade den günstigen Strom getroffen, seine Reise ruhig und schnell fortsetzt, während das andere zurückgehalten, vielleicht noch von einem Sturm überholt und ganz aus seinem Cours herausgebracht wird. So kam hier kurze Zeit vor der Reform eine oldenburgische Brigg an, die nicht weniger als 104 Tage von Rio Janeiro gebraucht hatte. Auch durch die Magellanstraße hat kürzlich ein Hamburger Schiff, die Athene, die Reise versucht, aber freilich durch eine entsetzlich lange und beschwerliche Fahrt schwer dafür büßen müssen. In der Magellanstraße herrschen nämlich meistens Windstillen, und bei ungünstigem Wind gestattet wieder das schmale Fahrwasser keinen hinlänglichen Seeraum, so daß die Schiffe dann jedesmal vor Anker gehen, und dadurch viel schöne und kostbare Zeit vergeuden müssen.

Der Athene war es so gegangen, 40 Tage trieb sie sich in der Magellanstraße herum und bekam dadurch eine Reise von 151 Tagen von Liverpool aus.

Die durchschnittliche Reise von Deutschland nach Valparaiso ist 110 Tage. Die Reise von hier nach Californien kann in sechs bis acht Wochen recht gut zurückgelegt werden.

In letzter Zeit sind allerdings einige Schiffe bei Cap Horn untergegangen, man bedenke aber erstlich die ungeheure Zahl von Fahrzeugen die jetzt dem neuen Eldorado entgegenstreben, und es werden nur wenig Procente herauskommen, die hier dem wilden Meere zum Opfer fielen. Ueberdieß haben besonders die Nordamerikaner in letzter Zeit, wo der Ruf nach Fahrzeugen zu einem allgemeinen Schrei wurde, von der Aussicht auf Gewinn gedrängt, sämmtliche alte, schon vielleicht in Vergessenheit gerathene oder beseitigte Kasten wieder vorgesucht und aufgetakelt, das alte mürbe Holz mit trügerischer Farbe neu übermalt, und der See Leben und Eigenthum der Passagiere und Mannschaft auf oft gewiß unverzeihlich leichtsinnige Weise anvertraut; kein Wunder dann, wenn so ein altes Gestell den stürmischen Wogen des Caps nicht mehr gehörig widerstehen konnte, und bei längerer anstrengender Fahrt lebensmüde auseinander ging.

Vielen Spaß machten mir an dem Morgen, wo ich an Bord der Reform kam, die »Geier der Küste« die sogenannten Schiffsmäkler, von denen dreie zu gleicher Zeit die Reform »enterten« dem Capitän ihr eigenes Geschäft zu empfehlen und – wie das selten oder nie dabei unterlassen wird, das ihrer übrigen Collegen nach besten Kräften herunterzureißen. Nirgends habe ich diese guten Leute aber in größerer Verlegenheit gesehen – und sie sind sonst eben nicht leicht in Verlegenheit zu bringen, als gerade hier. Die beiden ersten Boote hatten nämlich schon eine ganze Zeit lang liegen und warten müssen, da kein Fuß das Schiff betreten darf, bis nicht das Gesundheitsboot seine Visite gemacht und alles in Ordnung gefunden hat, das dritte hatte sie dann überholt und sie kletterten fast zusammen die Fallreepstreppe hinauf. Diese drei Schiffsmäkler oder shipchandlers gehörten nämlich drei verschiedenen Häusern an, waren einander natürlich bitter feind (denn in keinem Geschäft herrscht wohl ein schlimmerer Brodneid als gerade bei diesem) und wurden von dem Capitän, der in seiner Unschuld zu glauben schien die Leute seyen nur an Bord gekommen ihm guten Tag zu sagen, auf das freundlichste in die Cajüte geladen und mit Wein bewirthet. Dort saßen sie nun einander gegenüber, jeder mit einem Glas vor sich und mit einem gezwungenen freundlichen Gesichte. – Jeder scheute sich dabei den Mund aufzuthun, sein eigenes Geschäft zu empfehlen, und das der anderen in Mißcredit zu bringen ging ja doch jetzt, in ihrer Gegenwart, gar nicht an. Dabei wurde noch die schöne herrliche Zeit versäumt, denn zwei andere Schiffe liefen ebenfalls in den Hafen ein, doch keiner mochte diese aufsuchen, weil er damit das einmal betretene Schiff total aufgegeben hätte – und bei einem deutschen Schiffe dachten sie doch wahrscheinlich immer ein wenig mehr zu schneiden.

Der Capitän beendete indessen seine » shore« Toilette und fuhr richtig an Land, ehe die drei Männer im feurigen Ofen zu einem Resultat gekommen wären – ach wie lieb sie sich einander hatten, und wie freundlich sie einander guten Morgen boten, als sie von Bord gingen, und wie mag's ihnen dabei im Herzen ausgesehen haben.

Mit der Reform war auch der Naturforscher von Bibra angekommen, den ich das Vergnügen hatte hier kennen zu lernen. Herr von Bibra wollte anfänglich mit demselben Schiffe bis San Francisco weiter gehen, durch das häßliche Verhältniß an Bord aber bewogen, gab er die Reise nach Californien auf, und beschloß sich zuerst Chile einmal ordentlich anzusehen. Wir verlebten einige recht angenehme Stunden mitsammen, und ich bedauerte nur, ihn jetzt als Reisegefährten verlieren zu müssen.

Passagiere wie Capitän verklagten sich indessen wirklich gegenseitig in Valparaiso, und zwar der Erstere die Letzteren auf mörderische Absichten, wobei er sich auf die Drohung eines Einzelnen, eines noch sehr jungen Mannes stützte, der ein Messer gezeigt haben sollte – die Passagiere den Capitän dagegen wegen erhaltener schlechter und verdorbener Provisionen. Das Gericht zu dem sie dabei gehen mußten, war der russische Consul – da ja die Reform unter russischer Flagge segelte – und dieser ernannte eine Kommission, die Lebensmittel zu untersuchen.

Das russische Consulat, hier durch einen englischen Kaufmann vertreten, den das überhaupt nur zum Schein unter russische Flagge gestellte Schiff wenig genug interessiren mochte, und sich auch wahrscheinlich nicht lange und groß damit zu befassen wünschte, gab sich keine besondere Mühe, genau auf Grund oder Ungrund der Klage zu kommen. Die ernannte Commission, ein Engländer und ein Amerikaner, besichtigten zwei oder drei Fässer Fleisch und einige andere Provisionen nur höchst oberflächlich, frühstückten mit dem Capitän und ruderten dann sehr selbstzufrieden an Land zurück.

Das Resultat war nun daß sämmtliche Provisionen für gut befunden wurden, und man dem Capitän nur aufgab Wasser, wie einige andere Erfrischungen, als Eier, Gemüse, etwas frisches Fleisch u.s.w. einzunehmen.

Die Passagiere, die es dabei herzlich satt bekamen in Valparaiso liegen zu bleiben – noch dazu da die Unzufriedensten gerade das wenige Geld was sie bis dahin überbehalten, verzehrt hatten, drängten ebenfalls wieder fort, und hüteten sich wohl große Einsprüche zu thun – sie waren froh daß die Sache ein Ende nahm. Der Capitän drang auch nicht weiter auf seine Klage wegen bedrohtem Leben, weil er damit vor den chilenischen Gerichtshof gemußt hätte und eben auch keine Beweise aufbringen konnte, und so schien sich die Sache viel friedlicher zu lösen, als beide Parteien im Anfang geglaubt haben mochten.

Um diese Zeit gerade kam ein Deutscher nach Valparaiso, der sehr viel Aufsehen machte – der Mann war seines Handwerks nach Schuster gewesen und vor einem Jahr oder acht oder neun Monaten nach Californien gegangen, von wo er gerade jetzt mit, nach Einigen, ungemessenen Schätzen, nach Anderen mit acht tausend Dollaren, zurückkehrte. Die ganze Stadt sprach von ihm, er wurde als aufmunterndes Beispiel hingestellt und hieß überall der »californische Schuster.« Die Golddürstigen sahen auch wirklich mit einer Art Ehrfurcht zu ihm auf, und das Geheimnißvolle, womit er überhaupt Californien behandelte, mochte nicht wenig dazu beitragen. Einige behaupteten sogar er habe eine fabelhaft reiche Stelle entdeckt, die noch kein anderer Mensch wisse, und er sey nur nach Chile gekommen einen Theil seines Goldes in Sicherheit zu bringen, wonach er augenblicklich wieder nach Californien zurückkehren werde.

Der »californische Schuster« beabsichtigte aber in der That nichts weniger als nach Californien zurückzukehren, und hatte dafür seine triftigsten Gründe, denn zufälligerweise kam ich später genau in dieselbe Gegend, wo er die »reiche Stelle« gehabt hatte und mit denselben Leuten zusammen mit denen er, während seines Aufenthalts in Californien verkehrte, und hörte da, kaum zu meinem Erstaunen, denn ich fing an derlei Sachen gewohnt zu werden, daß dieser gute Schuster ein nichtswürdiger Betrüger war, der sein Gold dadurch erworben hatte, daß er an zwei verschiedenen Orten Maulthiere und Provisionen auf Credit nahm, damit in die Minen ging und die ganze Partie verkaufte, dann das nämliche in einer andern Stadt wiederholte und noch einmal durchbrannte. Von Californien war auch schon Jemand hinter ihm her, wie ich aber kürzlich erfahren habe, zu spät gekommen, denn der schlaue Schuster hatte seinen Credit und die Leichtgläubigkeit der Valparaiser zu benutzen gewußt, seinen Schatz selbst in Chile zu vermehren, und war auch von dort spurlos verschwunden.

Mancher Beutel mit Gold der von Californien kommt, ist wohl auf solche Art erworben.

Am 23. August sollte die Reform endlich segeln; d. h. wir wurden Morgens an Bord gerufen, der Capitän erklärte aber hier seinen Passagieren daß er nicht eher mit ihnen in See gehen würde, bis sie nicht einen Contract den er ihnen vorlegen wolle, unterschrieben haben.

Dieser Pact, der wunderbarer Weise unter lauter Deutschen von einem Deutschen englisch aufgesetzt war, und den sieben Achtel der Passagiere natürlich gar nicht verstanden, wurde natürlich von allen verworfen, überdem enthielt er nur Artikel welche die Passagiere an ihre Pflicht banden, keinen dagegen, der den Capitän auf irgend eine Art verbindlich gemacht hätte. So ungern ich mich nun auch, besonders gleich von vorn herein, in die mir fremden und mich gar nichts angehenden Streitigkeiten mischte, lag mir doch zu viel daran bald in See zu kommen, und da sich auf andere Art gar keine Einigung herauszustellen schien, übernahm ich es endlich eine Schrift aufzusetzen, von der dann beide Parteien erklären sollten, ob sie damit einverstanden seyen oder nicht. Das geschah denn auch; die ganze Sache war indessen doch nur Form, denn wer hätte später in Kalifornien wegen an Bord vorgefallener Streitigkeiten klagen wollen; ich setzte deßhalb eine Schrift mit, ich weiß nicht mehr wie viel Paragraphen auf, in der sich beide Parteien eigentlich zu gar nichts verpflichteten, beide Parteien waren aber damit vollkommen einverstanden, und während wir noch, der Capitän ein Exemplar und wir das andere, unterzeichneten, rasselten oben an Deck die Ankerketten in die Höhe. Eine halbe Stunde später flatterten die Segel von den Raaen; ein paar andere Schiffscapitäne, die noch bei uns an Bord waren, suchten ihr eigenes Boot, um zum Lande zurückzurudern, und mit günstigem, aber sehr schwachem Wind verließen wir langsam die von Bergen dicht eingeschlossene Bai.

Anders wurde es jedoch als wir hinauskamen – hui, wie es vom Süden scharf und schneidend heraufpfiff; all die leichten Segel mußten augenblicklich eingeholt werden, und ich glaube, wir hatten die Nacht sogar ein Reef in den Marssegel. Pfeilschnell durchschossen wir die schäumende Fluth, und höher und höher, je weiter wir in die offene See hinauskamen, hoben sich die Wellen. Prachtvoll war dabei das Panorama der Cordilleren, die in ihrer ehrwürdigen riesigen Herrlichkeit den Hintergrund der bewegten Seescene bildeten; die weißen blitzenden Kuppen schauten gar freundlich, wie grüßend, nach mir herüber – es waren ja alte Bekannte, die ich in ihrer eigenen Heimath besucht hatte – und es überkam mich ein gewisses behagliches Gefühl der Sicherheit, diese gigantischen Bergriesen, die ich auf der anderen Seite drüben mit einer Art scheuer Ehrfurcht betrachtet, jetzt zurückgelegt und hinter mir zu haben. So großartig schauten sie aber auf dieser Seite doch nicht drein als damals, wie ich, aus den Pampas kommend, mich dem kleinen Städtchen Mendoza näherte, zu sehr wurden sie hier von anderen Bergen, den Küstenhügeln, verdeckt, während ich dort gleich den ganzen vollen Anblick ihrer sämmtlichen ungeheuren Massen vom Fuß bis zum Gipfel in mich aufnehmen konnte.

Unser Cours war WNW., Temperatur von Luft und Wasser 14°.

Am nächsten Morgen befanden wir uns in offener See – selbst die Cordillerenkette lag außer Sicht hinter uns, eine frische, ja scharfe Brise stand uns voll in die Segel, und wir liefen wohl acht bis neun englische Meilen die Stunde. Schiffe ließen sich ebenfalls nirgends erkennen, und unsere einzigen Begleiter waren die Captauben, die wir im atlantischen Ocean etwa auf derselben Höhe angetroffen, und eine kleine Art mir noch fremder Seemöven, die in ihrem Flug wie Aussehen ungemein dem deutschen Sperber glichen. Ebenfalls sahen wir wieder die kleinen Seeschwalben, die über den ganzen Ocean vertheilt scheinen; der Engländer nennt sie » mother careys chickens,« der Deutsche, Gott weiß weßhalb, Malesiten. Es sind kleine, liebe, geschäftige Thierchen, und ich sehe sie gar zu gern im Fahrwasser des Schiffes. Die der Südsee haben übrigens eine Eigenheit, die ich an denen des atlantischen Meeres noch nicht beobachtet habe; sie laufen nämlich weit mehr als diese über das Wasser hin und schnellen sich dabei durch einen plötzlichen Ruck wieder in die Höhe.

Von den Captauben fingen wir einige an ausgeworfenen, mit Speck besteckten Angeln; sie kamen in Schaaren darum hergeflogen und ließen sich ungemein leicht bethören. An Deck ließen wir sie frei umherlaufen, sie konnten sich von den festen Planken gar nicht wieder emporheben, nach wenigen Minuten schon wurden sie aber seekrank, oder brachen wenigstens eine weiße ölige Flüssigkeit aus.

Doch auch ein Wort über unsere Passagiere: Es sind meistens junge Männer und fast lauter Kaufleute, die großentheils mit Waaren nach San Francisco gehen und gerade nicht über die keineswegs günstigen Berichte in Valparaiso erfreut sind. Angenehm ist der Aufenthalt in der Cajüte dadurch, daß wir fast ohne Ausnahme nur gebildete Leute darin haben, andererseits wird er aber nur zu häufig durch ewige Streitereien und Häkeleien verbittert. Das Verhältniß zwischen diesen und dem Capitän ist dabei ein durchaus gespanntes, und obgleich die Provisionen jetzt bedeutend besser seyn sollen als sie von Rio nach Valparaiso gewesen, so bin ich doch überzeugt, daß auf einer längeren Fahrt der alte Groll und Unfriede jedenfalls wieder ausbrechen würde. Das gute Wetter hat jedoch auch viel mit dazu beigetragen den Frieden in etwas zu erhalten; die Leute können sich beschäftigen und fallen deßhalb nicht aus reiner Langeweile auf unnützen Zank und Streit. Besonders viel Schach wird gespielt, und interessant sind dabei die Gruppen der Herumstehenden, denen Einreden streng verboten ist, die aber dennoch gewöhnlich nicht an sich halten können und bei nächster Gelegenheit jedesmal in heftigsten Wortwechsel gerathen. Auch Whist, Lhombre und Mariage wird viel gespielt, aber nichts um Geld, sondern höchstens zu geringen Sätzen, um Citronen, Apfelsinen oder Cigarren.

Bis zum 1. September behielten wir, fast mit gleicher Stärke, den herrlichsten Wind, der uns näher und näher zum Aequator und dadurch auch in eine wärmere Temperatur brachte, denn bei dem herrschenden scharfen Südwind war es bis dahin, trotz den rasch abnehmenden Breitengraden, noch immer recht frisch gewesen. Unser Cours lag fast so viel gen Westen als gen Osten, des erwarteten Nordwestpassats wegen, den wir über der Linie treffen sollten (San Francisco liegt auf etwa 122° westlicher Länge von Greenwich – etwa 38° nördlicher Breite). Die Temperatur der Luft war 17°, die des Wassers 15°.

Am 2. September Windstille, und das fatale Hin- und Herschlingern des Schiffes, das von einer Seite auf die andere Rollen, das um so mehr ermüdet, da man die Zeit des Stillliegens als eine total verlorene betrachten muß, begann. Diese Bewegung ist, für mich wenigstens, auch die fatalste, denn man kann sich wenig oder gar nicht dagegen schützen, und fliegt gewöhnlich in Zwischenräumen von einer halben Minute, aus einer Ecke in die andere, wenn man nicht nämlich seine ganze Zeit darauf verwendet, sich fest zu halten.

Vergebens hofften wir dabei einen Hai zu fangen, die sich fast stets bei ruhigem Wetter zeigen, es wollte uns keiner der gefräßigen Burschen einen Besuch abstatten. Selbst mehre Delphine, die wirklich zum Schiff kamen, hielten sich nicht auf, sondern gingen wieder in die Tiefe.

Unter den Passagieren selber hatte es indessen so viel Streit und Zank gegeben, daß uns die Sache zuwider wurde, und da sich der meiste Lärm auf nur wenige Personen zurückführen ließ, fielen wir endlich auf ein Mittel, diesen ewigen Streitigkeiten, die sogar nicht selten in gemeines Schimpfen ausarteten, ein Ziel zu setzen.

Wir fertigten eine richtige, ehrliche, hausbackene Nachtwächterschnarre in breitestem Format an und belehnten einen der Passagiere, mit feierlicher Rede und späterem Umzug um das Quarterdeck (ein vernünftiger Mensch auf festem Land hat gar keine Idee davon, was für tolles Zeug selbst die ruhigsten und gesetztesten Leute oft an Bord eines Schiffes, und längere Zeit in See, angeben), mit diesem Werkzeug der Autorität und dessen »unverantwortlicher« Ausübung.

Sowie nämlich zwei in Streit geriethen, wurde es seine Pflicht zu wachen – Debatten über irgend einen Gegenstand durfte er dabei, sie mochten so hitzig werden wie sie wollten, nicht unterbrechen, artete aber der Wortwechsel nur im mindesten aus, wurde er nur im entferntesten persönlich, ja kam es gar zu einem Schimpfwort, so fuhr er plötzlich mit dem schmetternden Instrument dazwischen, das, mit dem Lachen der Uebrigen jedes weitere Wort schon übertäubte, jeden weiteren Zank aber rein unmöglich machte. Natürlich fielen dabei die komischsten Scenen vor und die Schnarre wurde ein wahrer Segen für den Frieden unserer Cajüte.

Am 5. erhob sich endlich eine frische treffliche Brise, mit der wir rasch wieder, und jetzt zwar vor dem Wind, unserem Ziele entgegenstrebten.

Am 9. September befanden wir uns schon unter 9° südlicher Breite, und dem 106° westlicher Länge von Greenwich (Temperatur der Luft 19°; des Wassers 18). Die Nähe der Linie kündete dabei besonders häufige Regenschauer an, die mich vor allen andern am meisten trafen, da ich schon seit dem 28. in einer Hängematte am Deck schlief, ich hielt aber ruhig aus. obgleich ich ein paarmal ordentlich naß wurde. So wie warme Nächte eintraten, schliefen mehrere der Passagiere an Deck, der Regen scheuchte sie aber jedesmal heim in die zwar trockenen, aber doch dunstigen schwülen unteren Räume, und wie Schatten der Nacht huschten, sie dann mit ihren weißen wollenen Decken unter dem Arm, rasch und vorsichtig den dunkeln Eingang hinab.

Am 15. Morgens früh passirten wir unter 110° 15' westl. Länge die Linie, und so kühl blies der Wind die Nacht in den Segeln herunter, daß ich in meiner Hängematte ordentlich fror.

Ein alter lieber Bekannter von mir, der Nordstern, kam jetzt ebenfalls wieder zum Vorschein, wenn uns auch der fast stets bewölkte Himmel nur höchst selten seinen freundlichen Anblick gestattete. Luft wie Wasser waren 21°.

Am 18. und 19. Regen – Regen was vom Himmel herunter wollte, und es wollte viel herunter. Der Aufenthalt in Cajüte wie Zwischendeck ist an solchen Tagen entsetzlich, die Luken können schon der Hitze und des Dunstes wegen nicht festgemacht werden, und der Regen sickert dadurch fortwährend, theils in seinen Tropfen, theils dann und wann in förmlichen Rinnen von den Segeln herunter, in die unteren Räume. Einzelne der Passagiere, die nicht unausgesetzt die Stickluft einathmen können oder mögen, gehen eine Zeitlang hinauf, und kommen dann ebenfalls wieder mit ihren durchnäßten Kleidungsstücken zurück, durch das Zusammendrängen der Passagiere werden auch fortwährend Getränke und Flüssigkeiten verschüttet, die meisten sind selbst zu faul zum Waschen an Deck zu gehen, und thun das ebenfalls unten, und jeden nur möglichen anderen Raum füllen dann Karten- und Schachspieler aus.

Eine wahre Pein waren bis jetzt die verschiedenen Instrumente: kein einziges, außer einer Guitarre und Flöte, wurde wirklich ordentlich am Bord gespielt, aber in jedem Winkel studirte an schönen Tagen hier einer die Cither oder Guitarre, dort quälte einer die Flöte, rechts davon zerriß ein anderer die Ohren der Zuhörer durch die Pickelflöte, und links kauerten zwei mit Waldhorn und Trompete – jeder sich den Teufel um den Nachbar scherend und unbekümmert seiner eigenen Melodie, seinem eigenen Takte folgend. Ein paarmal wurde die Sache so arg, daß sämmtliche Passagiere, den Heidenlärm zu übertäuben, nach allen möglichen Werkzeugen, Gefäßen und Instrumenten griffen, und die Fische im Meere müssen sich dann über den Skandal entsetzt haben. Mörser, Klingel, Schnarre, Sprachrohr, Blechtöpfe und Pfeifen spielten dabei die bedeutendste Rolle, und dazu heulten die Hunde und die, welche nichts hatten, den Lärm zu vergrößern, brauchten wenigstens nach besten Kräften ihre Stimmen. Aus den Cajüten selbst verbannten wir übrigens diese musikalischen Uebungen einzelner durch einen Beschluß der Versammlung – einstimmig gegen drei – daß nur auf freiem Verdeck ein Instrument gespielt oder geübt werden durfte – eine höchst wohlthätige Einrichtung.

Das Regenwasser des Quarterdecks wurde übrigens fortwährend sehr sorgfältig aufgefangen und theils, in Fässer gefüllt, um später zum Trinkwasser zu dienen, theils gleich zum Waschen von den Passagieren benutzt. Wunderlich feuchte, aber fleißige Gruppen sieht man da, meist nach einem starken Regen, an Deck, nach allen Richtungen hin zerstreut, und Wäsche wird an allem stehenden Takelwerk, oft freilich noch in dem traurigsten Zustand, manchmal aber auch, sehr zum Aerger der Matrosen, an dem laufenden aufgehängt und getrocknet. [Fußnote]Stehendes und laufendes Takel- und Tauwerk bedarf vielleicht einer kurzen Erklärung. Stehendes ist alles das was so befestigt ist, daß es nicht verändert werden kann – wie Wanten, Pardunen und Stage – was sämmtlich zum Stützen und Halten der Maste dient; laufendes Tauwerk sind dagegen die Falle und Brassen etc., die zum Stellen der Raaen oder Einnehmen der Segel benutzt werden und durch nichts behindert werden dürfen.

Am Donnerstag den 20. bekamen wir wieder Windstille, und damit auch trockenes Wetter. So ruhig aber auch Luft und Meer seyn mochte, so wild und unruhig ging es an Bord bei uns zu. Der »Schnaps war alle geworden« wie der Capitän sagte, und Zwischendecks- wie Cajütenpassagieren wurde ihre bis dahin bestimmte und ebenfalls durch den Schiffscontract festgestellte Ration entzogen. Das Zwischendeck schien aber nicht gesonnen sich diese Neuerung, ohne eine andere Vergütung dafür zu bekommen, so ruhig gefallen lassen zu wollen; der Ruf »Schnaps,« »Schnaps« wurde erst hier und da vereinzelt, dann in vollem Chore laut – bald dabei in lautem, halb lachendem, halb zornigem Aufschrei, bald in volltönendem langgetragenem Akkord, bald nach der Melodie irgend eines, bekannten Liebes. Das Resultat blieb aber dasselbe, der Branntwein trotz dem aus, und wenn auch das Rufen und Singen mehrere Tage anhielt, so mußten sich die Leute doch endlich darüber beruhigen.

Der Leser auf dem festen Lande lacht vielleicht über einen solchen Spektakel, der eines Glases Branntwein wegen erhoben wird, aber er muß auch bedenken daß auf einem Schiff, das abgeschlossen von der ganzen übrigen Welt nur allein auf sich selber angewiesen ist, solche uns hier unbedeutend scheinende Dinge und Fälle allerdings von Bedeutung sind. Die Leute können sich für das, an das sich viele vielleicht gewöhnt haben, und das ihnen jetzt plötzlich entzogen wird, keinen Ersatz verschaffen, der Stoff zu Gesprächen ist überdieß lange erschöpft und was auf dem festen Lande in wenigen Stunden vergessen wäre, bildet hier in den engen Räumen die Unterhaltung für Wochen. Leicht erklärlich ist es deßhalb, daß sich die Passagiere selbst über einen so geringen Gegenstand, als ein entzogenes Glas Branntwein an und für sich seyn mag, nicht so schnell wieder zufrieden geben wollten.

Wir trieben uns jetzt eine Zeitlang mit Windstille und Regen, der traurigen Zugabe des Aequators, herum, ich wurde fast allnächtlich in meiner Hängematte naß, und das Schlimmste – der Wind drehte sich dabei, als er endlich wieder zu wehen anfing, nach der verkehrten Seite herum. Wir waren nämlich, wie mehrere mit der Südsee bekannte Capitäne dem unsrigen auch in Valparaiso besonders angerathen hatten, in Erwartung eines späteren Nordwestpassats, sehr stark westlich gegangen, ja befanden uns schon am 22. auf demselben Längengrad mit San Francisco, jetzt aber, anstatt einem Nordwest, kam ein richtiger Nordnordostwind, mit dem wir ganz ordentlich Nordwest anliegen mußten.

Am 26. hatte ich eine interessante Jagd auf Schweinefische, von denen ich einen harpunirte, die Harpune riß aber wieder aus, ehe wir ihn heraufbekommen konnten. Es ist überhaupt ungemein schwierig diese gewichtigen Fische an scharfer Harpune aus dem Wasser zu ziehen, und gelingt, besonders wenn nicht gleich nach dem Wurf der Fortgang des Schiffes durch Backlegen der Segel gehemmt wird, nur selten. Auf dem Talisman haben wir bis Rio fünf harpunirt, ohne einen einzigen zu bekommen, und dieses war auf der Reform ebenfalls der fünfte, mit nicht besserem Erfolg. Nichtsdestoweniger ist schon der Anstand auf diese Fische das Schönste und Belebenste, was man sich in dieser Art denken kann.

Draußen, in Wirklichkeit vor dem Schiff, nur durch ein paar dünne Taue oder Ketten und ein sie ausspreizendes Holz gehalten, von dem Schiff bald hoch emporgehoben, bald so tief gesenkt, daß die aufleckenden Wellen den Fuß berühren und darunter das rege schäumende Meer, der helle zischende Gischt, der von dem rasch die Fluth theilenden Bug des Fahrzeugs zurückgeworfen wird, das Herausschnellen der großen stattlichen Fische dabei und ihr blitzschnelles Vorüberschießen, belebt die Nerven auf eine schwer zu beschreibende Art, und ich habe manche lange Stunde da draußen in nicht zu ermüdender Lust gestanden.

Noch erregender ist aber die Jagd bei Nacht, wenn der blitzende Schaum der Wogen leuchtet und glüht, und die Fische wie Feuerstreifen durch die tiefe und dort dunkle Fluth ziehen. Wie ein Gluthstrahl zuckt die Harpune nieder in das Meer und wird sie emporgezogen, tropfen die hellen Funken davon herunter in den Schooß der Mutter zurück.

Aber die Jagd war es nicht allein was uns beschäftigte, und ein komischer Zwischenfall kommt mir hier wieder ins Gedächtniß, den ich erzählen will. Er mag dem Leser beweisen, was für tolles Zeug an Bord eines Schiffes oft angegeben wird, denn wo so viele junge Burschen zusammen sind und den ganzen lieben geschlagenen Tag Monate lang keine Beschäftigung haben, da weiß der Eine, was dem Anderen nicht einfällt, und gnade dann Gott dem, den sich die Masse zum Opfer ausersehen.

Unter den Passagieren befand sich ein junger Schweizer, seinen Namen habe ich vergessen, ein Bursche von etwa neunzehn bis zwanzig Jahren, der, allerdings etwas von der Natur in seinen Verstandeskräften vernachlässigt, schon mehrmals zum Besten gehabt war und es stets seiner Schlauheit zuschrieb, sich aus den verschiedenen Affairen so glücklich herausgezogen zu haben.

Diesen frug eines Morgens, wir befanden uns nicht mehr weit südlich vom Aequator, zufällig einer der Passagiere, ob er einen Pockenimpfungsschein bei sich führe, und als er darauf ein etwas erstauntes nein erwiederte, kam ein Anderer auf die Idee, auszurufen: »Ja, dann darfst Du ja gar nicht nach Californien hinein!« und auf einmal stürmte Alles auf den jetzt wirklich bestürzten armen Teufel los, dem nun von dem einen Theil der Passagiere klar gemacht wurde, daß ein neues amerikanisches Gesetz, wie ihnen der Consul in Valparaiso selber angekündigt habe, keinem Fremden, unter welcher Bedingung es auch sey, die Landung in San Francisco gestatte, wenn er nicht einen solchen Schein beibringe, während sich der Andere wunderte, daß er das noch nicht wisse.

Der Schiffsarzt weigerte sich dabei hartnäckig ihm einen solchen Schein auszustellen – und er bat endlich inständigst darum – wenn er sich nicht vorher auch wirklich impfen lasse, denn er durfte ebenfalls, wie er sagte, den geleisteten Eid nicht brechen. Dem Schweizer blieb also zuletzt nichts übrig, als sich in der That impfen zu lassen, und die »Exekution,« wie es allgemein an Bord genannt wurde, war wirklich komisch.

Mit einer alten Lancette und etwas süßem Oel, das als Lymphe gelten mußte, wurden ihm auf jedem Arm fünf solche Einschnitte gemacht, daß zwei Lancetten dabei abbrachen (der Doktor befaßte sich natürlich nicht damit, und die ganze Sache blieb im Zwischendeck) dann wurde er in zwei dicke wollene Decken eingepackt – es war eine Hitze daß man es unten kaum in der leichtesten Kleidung aushalten konnte – und in seine Coje gelegt. Dort mußte er in einer Temperatur die einen Ochsen gebraten hätte, zweimal vierundzwanzig Stunden liegen bleiben. Während der Zeit wurde er mehrmals untersucht, ob das Pockengift angeschlagen hätte und seine Coje nahm dafür sein Fleisch, seinen Kaffee und seinen Branntwein, denn damals gab es noch welchen, in Beschlag, da ihm diese Artikel von seinem Arzt – einem Apotheker, der sich ebenfalls mit unten befand – auf das strengste verboten waren.

Am dritten Tag durfte er erst in der Mittagstunde, bei einer Hitze von 32°, aber dicht in seine Decke gewickelt eine Stunde auf Deck und in der Sonne auf- und abgehen, und mußte dann wieder hinunter, und erst am siebenten Tag erklärte man ihn gesund – oder vielmehr er erklärte sich selber so, denn er fing an zu merken daß man ihn zum Besten gehabt.

Uebrigens brauchte er acht Tage bis er sich wieder vollkommen erholte, so bleich und elend war er durch das unausgesetzte und erbarmungslose Schwitzbad geworden.

Noch möchte ich hier ein Unternehmen erwähnen, das damals an Bord ungemeines Interesse erweckte, hätte nicht der Charakter der Leute selber schon von vorn herein jeden Erfolg als unmöglich herausgestellt. In Rio Janeiro nämlich schon verbreitete sich das Gerücht – das später in Valparaiso eine Art Bestätigung erhielt – daß der neue kalifornische Gouverneur gesonnen sey, so wie er kalifornischen Boden betrete, ein Gesetz ergehen zu lassen, nach welchem Ausländern – oder vielmehr nicht amerikanischen Bürgern – das Bearbeiten der Minen für ihre eigene Rechnung verboten würde.

Unter den Passagieren der Reform befand sich aber ein alter Matrose, ein wunderlicher alter Bursche der viel im Leben gesehen hatte – und zwar viel mehr als er Lust zu haben schien wieder zu erzählen. Ungemein praktisch, wie ihn ein so langes Umhertreiben natürlich machen mußte, wußte er von allem ein wenig, von manchem sogar sehr viel, pfuschte in alle Handwerke hinein, verstand etwas von der Astronomie, war ein ausgezeichneter Segelmacher, schnitt sehr gut in Holz – und fast das halbe Schiff hatte Petschafte von ihm, die er ausgeschnitzt – und saß, wenn er einmal eine halbe Stunde rastete, was aber sehr selten vorkam, stets still und sinnend in einer Ecke und simulirte. Dieser hatte also – dem gefürchteten Gesetz zu begegnen – einen Gegenplan entworfen, nach welchem er ein Zinkboot mit einem Bohrer herrichten wollte, den Flußsand aus den Strömen aus dem Bett heraufzuholen und gleich im Boot auszuwaschen. Auf dem Wasser mit seinem Boot zugleich lebend, glaubte er dadurch auch der Gerichtsbarkeit der Vereinigten Staaten enthoben zu seyn, und trotz allen Gesetzen das edle Metall in Masse auswaschen zu können.

Dieß Unternehmen, das er gleich auf der Fahrt bis Rio de Janeiro gesucht hatte auf Aktien zu gründen, fand aber bei den Passagieren, öffentlich wenigstens, gar keinen Anklang, und schien schon bis zur Ankunft in Brasilien aufgegeben. Die Leute begriffen damals kaum vollkommen das rein Wahnsinnige eines solchen Plans und es war möglicher Weise mehr Instinkt, der sie von dem alten Burschen zurückhielt; das Ganze schlief aber so ein, daß gar nicht einmal mehr davon gesprochen wurde. Da stellte sich jedoch plötzlich heraus, daß das Unternehmen keineswegs aufgegeben sey, sondern im Gegentheil grüne und blühe. Es fanden in Rio de Janeiro Ankäufe statt an Zink, Tau- und Segelwerk, und die Passagiere der Reform fanden zu ihrem Erstaunen, daß der alte Bursche, ganz unter der Hand, vier Passagiere, drei aus dem Zwischendeck und einen aus der Cajüte, angeworben und von dem letzteren sogar eine hinreichende Summe, d.h. alles, was er bei sich hatte (etwa 120) Dollars), erhalten habe, seinen Plan ins Werk zu setzen.

Wie schlau der alte Matrose bei der ganzen Geschichte zu Werk gegangen war, bewies er schon durch die Wahl seiner Leute – zuerst hatte er sich die herausgesucht die baar Geld bei sich führten, und von diesen wieder solche, denen es, wie sie auch schon durch die Annahme der ganzen Geschichte bewiesen, an dem gehörigen Mutterwitz fehlte. Er selber war ihnen an Erfahrung wie an Geist weit überlegen, und mit den andern Plänen, die er noch daneben hatte, und die fast alle auf gleiche Chimären hinausliefen, brauchte man eben kein Prophet zu seyn, um das Ende des Unternehmens vorauszusehen.

An Bord hießen die vier Angeworbenen übrigens jetzt die Haimonskinder.

Eine andere höchst interessante Persönlichkeit hauste ebenfalls im Zwischendeck. Es war dieß ein gewöhnlicher Bauerknecht, der nicht mit der Hoffnung, nein mit der festen Ueberzeugung nach Californien ging, das Gold dort in Masse und wirklichen Klumpen zu finden und dann schnurstracks als steinreicher Mann zurückzukehren. Seine – Erwartungen kann man es dabei eigentlich gar nicht nennen, denn er erwartete gar nichts, er wollte sich das Gold nur abholen – hatte er dabei auch auf ein bestimmtes Gewicht festgesetzt und zwar 100 Pfund – nicht etwa Troy, sondern zweiunddreißig Loth das Pfund – und die Naivetät, mit der er über diese Sache sprach, ist ordentlich rührend.

Einer der Passagiere frug ihn einmal, was seine Zwecke in Kalifornien eigentlich seyen, und er antwortete ihm ganz ruhig und ernsthaft, »der Amtmann in seinem Dorfe habe ein hübsches Gut, was 30,000 Rthlr. kosten sollte, das wollte er gerne kaufen und sich das Gold dazu »hier in Kalifornien abholen.« »Aber lieber Freund,« erwiederte ihm der Frager, »dazu braucht Ihr ja denn auch nicht die vollen 30,000, wenn Ihr erst 15,000 baar niederzahlt, werdet Ihr's ebenso gut bekommen können.« Der Bauerbursche schüttelte aber mit dem Kopf und meinte dagegen, »mit Schulden wolle er nicht gerne anfangen.«

Donnerstag den 4. Oktober befanden wir uns 130° w. L. und 30° n. B. – in sechs Tagen können wir, wenn der seit drei Tagen eingesetzte Südwestwind stet bleibt, in Californien seyn.

Heute begleitet uns auch ein sogenannter Dogfisch (Hundefisch), von etwa vier bis fünf Fuß Länge, der fortwährend, theils hinter, theils neben dem Schiff, aber immer dreißig Schritt ungefähr davon entfernt, herläuft. Die Angel mag er dabei nicht annehmen und zur Harpune kommt er nicht nah genug. Er hat im Schwimmen Aehnlichkeit mit einem kleinen Hai, zu dessen Geschlecht er gehört, nur ist der Kopf kleiner und spitzer; er soll auch nach Menschen im Wasser beißen. Die Matrosen sagen, daß er oft zwei bis drei Tage in ganz gleicher Art neben dem Schiff bleibe.

An Bord werden jetzt schon bedeutende Vorbereitungen zum nahen Landen getroffen, Koffer gepackt, Wasserstiefeln geschmiert, Jagdtaschen, Gewehrriemen und Gürtel hergerichtet, Gewehre und Pistolen (was gegen das Gesetz nicht abgeliefert worden) gereinigt, und Kleider und Lederzeug ausgebessert. Die Haimonskinder nähen auch an ihrem Segelwerk, um dort gleich ernsthaft an ihren Bau gehen zu können, und das Verdeck bietet jetzt, besonders noch bei dem schönen Wetter, ein fortwährend reges, geschäftiges Bild.

Es sind gar wunderliche Gruppen die sich da oft bilden und herausstellen, und die Hoffnungen, die bis jetzt noch Jedes Phantasie umschweben, vergolden seine Träume und Gedanken. – Und wie sollten die bei Vielen, o so sehr vielen verwirklicht werden?

Jener schöne große Mann mit dem stattlichen Schnurrbart und blonden Haar, der so reizend die Flöte spielt und jetzt, in komischer Gravität den Capitän nachahmt wie er die Sonne nimmt, daß das ganze Zwischendeck ihn jubelnd umsteht und den Leuten vor Lachen die Thränen an den Backen herunterlaufen – sechs Monate später liegt er, eine Choleraleiche in seinem Zelt auf der blanken Erde.

Jener junge Bursche, der dort mit dem Bruder die Pläne beredet, wie sie nun ihren Zug am besten durchführen wollen, in kurzer Zeit mit dem erworbenen Geld die Heimath, die Eltern wiederzusehen, noch ist das Jahr nicht vorüber und mit zerschmettertem Schädel modert er – ein Selbstmörder, unter einer Eiche, im Herzen des so heißersehnten Landes.

Jener Matrose, der lachend die Wand hinaufklettert und oben schon seine buntjubelnden Pläne baut wie er, in San Francisco gelandet, entkommen und nach den goldenen Schätzen graben will – vier fremde Männer tragen ihn in der Weihnachtszeit ohne Sang, ohne Gebet in sein kaltes Grab.

Aber fort, fort mit den Gedanken – wahnsinnig könnte man werden, wenn man dergleichen ausdenken wollte – der größte Segen den Gott dem Menschen erwiesen, ist der, daß er seinen Blick in die Zukunft mit Nacht umhüllt. Die Hälfte von uns würde Selbstmörder oder schleppte ein elendes Daseyn elend durchs Leben, wäre es anders.

An Bord herrschte auch in dieser Zeit nichts weniger als trübe Gedanken, es wurde gelacht und gesungen bis spät in die Nacht hinein – der Steuermann mußte fast jeden Abend um acht Uhr Ruhe gebieten, daß die zu Coje gehende Wacht schlafen konnte. Das junge Volk lebte wild in den Tag hinein, Californien war nahe, das Leid des Schiffslebens bald überstanden und mit frohen frischen Kräften konnten sie ein neues Leben beginnen. Was dahinten lag kümmerte sie nicht – und wenn es die eigene Leiche gewesen wäre. –

Der Capitän, um sich in etwas an den Passagieren, für manchen Aerger den ihm diese bereitet, zu rächen, verheimlichte unter anderem auf das sorgfältigste die Längen- und Breitengrade, auf denen wir uns jeden Tag befanden. Frug ihn einmal Einer zum Spaß danach, bekam er jedesmal eine falsche Antwort – er wußte aber gar nicht, daß der Steuermann jeden Mittag, wenn er zum Essen gerufen wurde, seine Tafel in der eigenen Coje ließ, auf der die genaue Berechnung jeder mittäglichen Observation stand, und diese Zeit wurde dann auch von den Passagieren regelmäßig benützt, den Ort, wo sie sich befanden, auf Minute, und Sekunde zu erfahren.

Sonnabend, der 6. Oktober, brachte uns wieder Windstille – ich sollte aber eigentlich gar nicht Sonnabend, sondern Stockfisch sagen, denn das ist wenigstens der Schiffsname, den wir diesem Wochentag gegeben haben. Die übrigen Tage mußten sich nämlich dasselbe gefallen lassen, und wir theilten demnach die Woche in »Pudding« (als Sonntag), »Erbsensuppe« (Montag), »Pöckelfleisch« (Dienstag), »Weinsuppe« (Mittwoch), »Hutzeln« (Donnerstag), »Pöckel« (Freitag) und wie gesagt »Stockfisch« Sonnabend – es sollte das übrigens keine Schmeichelei für die Namen seyn.

Dienstag den 9. Es ist Morgens um 4 Uhr, und ich warte nur das dämmernde Tageslicht ab, um in den Mast hinaufzusteigen, und nach Land umzuschauen. Gestern hatten wir den ganzen Tag ziemlich dichten Nebel, der unseren Gesichtskreis auf einen sehr engen Horizont beschränkte, wir mußten deßhalb sogar Abends, statt dem letzten Cours NNO. NNW., ja sogar WNW. steuern; ebenfalls bekam das Meer jene grüne Färbung, die stets die Nähe des Landes anzeigt. Trotzdem läugnete der Capitän daß wir uns wirklich nahe dem Lande befänden, und behauptete wenigstens noch acht Tage davon entfernt zu seyn. Der gute Mann hatte keine Ahnung, daß wir die Entfernung vom Lande so genau wußten als er selber.

Der Landgeruch war gestern morgen ungemein stark und deutlich, und wehte wie frischer Heuduft zu uns herüber, aber noch immer haben wir auf der ganzen Reise, heute schon 46 Tage, nicht ein einziges Segel gesehen, und es ist fast, als ob wir ganz mutterseelen allein auf dem weiten stillen Ocean herumtrieben.

Damit sollte es aber auch noch nicht einmal abgemacht seyn. Am nächsten Morgen kamen wir allerdings in Sicht des Landes, da jedoch weder Capitän noch Steuermann die Küste kannten, die Umrisse des Landes bei dem trüben Wetter nicht zu erkennen waren und Lootsen noch nicht existirten, ein tüchtiger Südwester uns aber gerade auf die Klippen hinauszujagen drohte, so blieb kein anderer Rath als eben wieder umzudrehen und dahin zurückzukehren, von wo wir gekommen waren. Drei Tage wiederholte sich dasselbe Manöver, wir bekamen, wie's der Seemann nennt, recht tüchtig »Einen auf die Nase« und das Land wurde uns immer nur gezeigt um davor zu fliehen.

Als wir am dritten Tag die Küste wieder anliefen und diesmal zwar mit ruhigerem Wetter, waren wir immer noch um nichts gebessert, denn wir konnten den Eingang nicht finden und kreuzten den ganzen Nachmittag vergebens auf und ab.

Unterhaltung hatten wir aber dabei genug, denn eine wahre Unzahl von Wallsischen, die kleine humbug, nach Anderen humpback genannte Art, spielte überall um uns her, blies die hellen Strahlen hoch in die Luft und tauchte manchmal mit dem breiten schwarzen Rücken fast dicht neben dem Schiff empor. Der humbug soll übrigens nicht allein sehr schlecht zu tödten seyn, da er auf der Oberfläche des Wassers blitzesschnell entflieht, und wenn er getödtet ist, auch noch sinkt, so daß die Boote in beiden Fällen genöthigt sind, ihre Eisen zu kappen, und nur in seichtem Wasser, wie hier, ganz nah an der Küste, könnte die Jagd mit einigem Erfolg betrieben werden, wäre die Küste eben wieder nicht so gefährlich. Deßhalb nennen ihn die Fischer aber gerade humbug weil sie ihn trotzdem für die bessere Art halten, anzulaufen suchen, und ihre Zeit, den Irrthum erst später einsehend, damit versäumen.

Endlich am vierten Tag, an einem wunderherrlichen Morgen, kamen wir in Sicht mehrerer Segel und sahen sogar eine chilenische kleine Brigg aus dem ersehnten Hafen heraushalten. Der Wink wurde auch nicht versäumt, selbst alle übrigen Fahrzeuge, die in Sicht waren und augenscheinlich ebenfalls auf einen derartigen Fall gepaßt hatten, änderten ihren Cours und es war wirklich ein herrlicher Anblick, wie der dünne Nebel, der bis dahin auf der Oberfläche des Meeres gelegen, plötzlich sank, und eine förmliche Flotte von Segeln enthüllte, die erst mit ihren Bugen bald da- bald dorthin hielten und jetzt, kaum den Punkt erkennend dem alle zustrebten, rasch ihre Segel umbraßten und nun, von einer frischen Brise begünstigt dem Ziel ihrer langen beschwerlichen und auch wohl gefährlichen Reise zueilten. Nachmittags um zwei Uhr etwa steuerten wir gerade dem sogenannten »goldenen Thor Californiens« entgegen, und vor uns öffnete sich die schöne herrliche Bai San Francisco's.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Reisen 1. Band - Südamerika