Vierte Fortsetzung

Der Pascha hat nur die vollziehende Gewalt: in den Städten ist er Vorgesetzter des Gefängnisses, Austeiler der Strafen, Kurator der Märkte und anderer öffentlichen Orte, in den Bezirken und Bergen bedeutet seine Macht noch weniger, weil die Verwaltung dieser ganz abgesondert und den Häuptern der Stämme anvertraut ist. Da wirkt Seine Herrlichkeit nur mittelst Vermahnungen an Aufrührer und Ruhestörer; dahin schickt er in reichem Maße Drohungen, die niemals sich verwirklichen, da er aller notwendigen Mittel zu raschem und entschiedenem Handeln bar ist; denn zu seiner Verfügung stehen weder Geldsummen noch Streitkräfte, wenn man seinen, freilich ungeheuren Gehalt und seine fünfzig Polizeisoldaten (Kawase) abrechnet. Er muss auf die Gewalt seiner (selten überzeugenden) Beredsamkeit rechnen, oder um die Hilfe des Serdar und Mitwirkung des Defterdar anhalten, und, wenn diese verweigert wird, höhere Resolutionen aus Konstantinopel abwarten.

Als Ibrahim-Pascha, der kriegerische Sohn und die rechte Hand Mehemed-Alis von Ägypten, im Namen und zum Besten seines Vaters Syrien verwaltete, war seine erste Sorge die Herbeiführung von Ruhe und Ordnung in den Bergen, als notwendige Bedingung des allgemeinen Wohlstandes. Weil er aber einsah, wie schwierig es war, die fast unzugänglichen Bergbewohner der allgemeinen Verwaltung des Landes zu unterwerfen, so wählte er aus ihrer eignen Mitte die Familie Schaab, die ältesten und berühmtesten der muhammedanischen Emire, und erteilte dem ältesten Glied ihrer vornehmsten Linie das Recht der Erbfolge mit dem Charakter eines Fürsten der ganzen Bevölkerung des Gebirges, welches nur seiner (Ibrahims) persönlichen Macht unmittelbar unterworfen sein sollte. Diese tief ausgedachte Maßregel rechtfertigte Ibrahims Hoffnungen, wie auch der Emir Schaab sein Vertrauen rechtfertigte.


Die Umwälzungen des Jahres 1840 veränderten Alles wieder. Als Ibrahim gezwungen ward, der Pforte ihr älteres Recht auf Syrien und Palästina abzutreten, da musste auch die Familie Schaab, weil sie im Interesse Ibrahims an dem Kampfe eifrigen Anteil genommen, die von ihm erhaltenen Rechte preisgeben. Der abgesetzte Emir Beschir-Schaab lebt unter strenger Aufsicht in Konstantinopel, bemüht sich aber ohne Unterlass um seine Rückkehr nach dem Libanon mit allen früheren Rechten und wiegelt unterdes mit Hilfe seiner Freunde die Gemüter der Gebirgsbewohner auf.

Jetzt ist die frühere erbliche Gewalt der Familie Schaab unter drei Kaimakame verteilt: einen christlichen, drusischen und muhammedanischen. Der erste, Emir Haider, Maronit von Salim, wohnt beständig in Beirut und regiert über den ihm anvertrauten Teil des Gebirges östlich von dieser Stadt; der andere, Ahmed-Rossalan, wohnt auf seinem Landsitze Schjusfat; seiner Gerichtsbarkeit sind ebenfalls viele Maronitendörfer zugewiesen, die südöstlich von Beirut bis Sur liegen. Der dritte, Mustafa-Bei, früher Oberst bei der Garde in Konstantinopel, gebietet über einen unbedeutenden Teil des Libanon an der Uferlinie zwischen Beirut und Tripolis und wohnt in dem Städtchen Djibail am Meere.

Alle übrigen Höhen des Libanon, wie auch die Bergdistrikte des Antilibanon, sind von friedlichen arabischen Stummen, teils griechischer, teils muhammedanischer Konfession, bevölkert; sie stehen unter Scheichen, Emiren, oder geistlichen Oberhäuptern, die sämtlich dem Pascha von Aleppo oder dem von Damaskus untergeben sind, wie die vorerwähnten drei Kaimakame in verantwortlicher Abhängigkeit von dem Pascha von Beirut sich befinden. Diese drei Herren haben über sehr beschränkte Geldmittel und Streitkräfte zu verfügen und ihre Macht ist obendrein durch einen Rath ein-. geschränkt, der aus den hochmütigen und brauseköpfigen vornehmsten Scheichen der einzelnen Stämme besteht, denen die Bevölkerungen ihrer kleinen Gebiete sehr ergeben sind. Der Pascha von Beirut hat keinen Augenblick Ruhe: bald muss er versöhnen, zureden, verheißen, bald drohen und fordern; denn alle diese Scheiche, obschon unter einander verwandt, sind einander feindlich gesinnt, wobei es sich bald um Einkünfte, bald um Erstgeburt u. dergl. handelt. Als nächste Anverwandten der Kaimakame, beneiden sie diese ob des Vorzugs, den ihnen die Pforte bewiesen; und da sie unaufhörlich unter einander hadern, so lassen sie die Einwohner ihrer Dörfer sich raufen, ohne davon Anzeige zu machen. Die Kaimakame, obgleich ohne Mittel zu Züchtigung der Widerspenstigen, müssen der Regierung für die Unordnungen in ihren Gebieten Rede stehen. — Die Scheiche der Drusen bedrücken und berauben die ihnen untergebenen Maronitendörfer auf eine unbarmherzige Weise; die Letzteren wieder krümmen sich nicht leicht vor der Tyrannei und wollen nicht einmal das Schuldige ohne Kampf und Blutvergießen abgeben. So vergehen nicht zwei Wochen, ohne dass es im Gebirge zu Exzessen kommt.

Generalstatthalter von Syrien ist gegenwärtig Essad-Pascha, ein Greis von wenigstens 65 Jahren. Er ist noch sehr frisch und rüstig; der trockne und finstere Ausdruck seines Gesichts nimmt das erste Mal nicht für ihn ein; aber sein schweigsamer Ernst, die beständige Ruhe auf der gerunzelten Stirn und der silbergraue Bart erwecken unwillkürlich Ehrfurcht. Essad war ein tapferer Mitkämpfer Sultan Mahmuds, als es verjährte Vorurteile zu besiegen und Missbräuche abzuschaffen galt; er hält es aber noch mit dem alten Henkerverfahren, wenn ein Aufruhr zu unterdrücken ist. Auch in seinem Privatleben, seinen häuslichen Gewohnheiten, ist er, was seine Voreltern gewesen; er liebt den Luxus und gedankenlose Behäbigkeit, oder was wir geradezu Faulheit nennen würden. Wie wichtig auch die Angelegenheiten seien, die man ihm vorträgt, wie lebhaft und glühend der Vertrag selber; seine Kaltblütigkeit verlässt ihn keinen Augenblick; er antwortet trocken, kurz und unbestimmt: seine eine Hand hält den langen Tschubuk, während die andere ruhig den grauen Bart streichelt; es scheint als wär er unempfindlich gegen Vorteil und Nachteil des Staates, und noch mehr des Landes das seiner Verwaltung anvertraut ist. Bei dem Allem ist Essad noch einer der verständigsten Regierer in der Türkei: er versteht es, die Wahrheit und gute Ratschläge von den schädlichen Eingebungen des Eigennutzes zu unterscheiden.