Am 11. Juli war das Kirchenfest von Sankt Peter und Paul.

Am 11. Juli war das Kirchenfest von Sankt Peter und Paul. Wir steuerten zu einer Kollekte bei, die für den Bau einer Kirche gesammelt wurde. Der erste Beamte der Russisch-Amerikanischen Kompanie bewirtete uns an diesem Tage.

Am 12. ward das Fest von Gleb Simonowitsch bei uns gefeiert und besonders von den Matrosen mit ausgelassener Freudigkeit begangen, denn Gleb Simonowitsch war allgemein geliebt. Dieses Fest gibt mir Veranlassung, über eine russische Sitte zu berichten, die bei der strengen Mannszucht und der unbedingten Unterwürfigkeit des Untergebenen gegen seinen Vorgesetzten seltsam erscheinen dürfte. Aber mir scheint der gemeine Russe sich gegen seinen Herrn, gleichviel ob Kapitän, Herr oder Kaiser, in ein mehr kindliches als bloß knechtisches Verhältnis zu stellen, und unterwirft er sich der Rute, so behauptet er auch seine Kindesfreiheiten. Die Matrosen ergriffen zuerst Otto Astawitsch, und in zwei Reihen gestellt, welche Front gegeneinander machten und sich bei den Händen anfaßten, ließen sie ihn schonungslos über ihre Arme schwimmen; eine Art des Prellens, die unter uns für keine Ehren- oder Freundschaftsbezeugung gelten würde. Nach Otto Astawitsch kam Gleb Simonowitsch an die Reihe und nach diesem wir alle, sowie sie unser habhaft werden konnten. Die am höchsten in ihrer Gunst standen, wurden am höchsten geschnellt und am unbarmherzigsten behandelt. Ich erfuhr nachher, daß solches Tun ein Gegengeschenk verdiene, welches der Geprellte an die prellende Mannschaft zu entrichten pflege.


Am 13. waren wir segelfertig, aber die erwartete Post aus Sankt Petersburg war nicht angekommen, und wir mußten unserer getäuschten Hoffnung bis zu der Rückkehr nach Kamtschatka, die uns auf den Herbst 1817 verheißen war, Geduld gebieten. – Auch von dieser Hoffnung wurden wir enttäuscht. Wir haben während dieser drei Jahre keine direkt an uns gerichtete Nachricht von der Heimat und keine Briefe von unsern Angehörigen erhalten. Ich hätte vielleicht, wenn mich die Sehnsucht nach der Post nicht hier gebannt gehalten, eine Exkursion in das Innere unternommen; dazu war es jedoch noch zu früh, da in diesem Jahre der Winter nicht weichen zu wollen schien. Schnee lag noch um Sankt Peter und Paul, als wir ankamen, und jetzt erst begann der Frühling zu blühen. Wie ich von hier aus in die Heimat schrieb, auf das Papier die toten Buchstaben fallen ließ, die kein Widerhall waren und keinen Widerhall gaben, schnürte ein peinliches Gefühl das Herz mir zu.

Ich muß einiges nachholen. Bücher, so von Berings Zeiten her Reisende hier oder in Hintersibirien zurückgelassen, haben sich in Sankt Peter und Paul zu einer Bibliothek angesammelt, in welcher wir verwundert und erfreut Werke fanden, deren Mangel wir schmerzlich empfunden hatten. Bosc konnte uns für das so reizende Studium der Seegewürme zu einem Leitfaden dienen, dessen wir ganz entbehrten; und wie erwünscht uns im Norden Pallas' »Reisen« und Gmelins »Flora sibirica« sein mochten, brauche ich nicht erst zu sagen. Dem Herrn Gouverneur schien es die natürlichste Bestimmung dieser Bücher zu sein, bei einer wissenschaftlichen Expedition wie die unsrige gebraucht zu werden, und er ließ mich aus der Bibliothek die Werke, die ich begehrte, nehmen, unter der heilig von mir erfüllten Bedingung, sie nach der Heimkehr der Petersburger Akademie zurückzustellen. In dieser Bibliothek waren auch unter anderen etliche von Julius Klaproth einst an der chinesischen Grenze zurückgelassene Bücher, die mit seinem chinesischen Siegel, dem Spruch von Konfuzius: »Die Gelehrten sind das Licht der Finsternis«, gestempelt waren. Dieses selbe Siegel, das besaß ich; ein Geschenk von Julius Klaproth im Jahre 1804 oder 1805, wo ich in Berlin vertraulich mit ihm lebte und von ihm Chinesisch lernen wollte. Ich hatte dieses Siegel zufällig auf diese Reise mitgenommen; ich hatte es bei mir und hätte, es vorweisend, die Bücher als mein Eigentum ansprechen können.

Von einem Naturforscher und Sammler, von Redowsky, der in diesem Winkel der Erde ein unglückliches Ende nahm, rührten ein paar kleine Kisten her, die getrocknete Pflanzen und Löschpapier enthielten und womit Herr Rudokow mir ein Geschenk machte. Auch das Papier war mir sehr erwünscht. Wie karg benutzte ich damals jedes Schnitzel; unsere Transparentgemälde aus Chile verbrauchte ich zu Samenkapseln, und ich finde in einem aus Sankt Peter und Paul geschriebenen Briefe von mir dankbarlichst eines Bundes Fidibus erwähnt, das mir die Kinder eines Freundes in Kopenhagen geschenkt, als ich im Begriffe war, zu Schiffe zu steigen.

Ich hatte mir in England eine gute Doppelflinte angeschafft. Der Kapitän selbst hatte uns damals die Weisung gegeben, uns mit Waffen zu versorgen. Ich hatte sie auf der Reise sehr wenig gebraucht, doch war ein Schloß nicht in gutem Stande, und sie war schmutzig, weil ich der Gerätschaften entblößt war, ein Gewehr instand und rein zu erhalten. Es borgte sie in Sankt Peter und Paul jemand von mir, und ich war dessen unmaßen froh, erwartend, es würde ihr nun ihr Recht geschehen und sie würde wie neu aussehen, wann sie in meine Hände wieder käme. Darin hatte ich mich nun geirrt; ich bekam sie ungeputzt zurück, und die Not war größer als zuvor. Der Gouverneur hatte meine Flinte gesehen und wünschte sie zu besitzen; er beauftragte den Kapitän, mit mir über den Preis, den ich darauf setzen wollte, zu unterhandeln. Nachdem ich mich vergewissert, daß Herr von Kotzebue, der sich Herrn Rudokow gefällig zu erweisen trachtete, selber wünschte, den Handel zustande zu bringen, sagte ich zu ihm, daß, insofern die Flinte, wie er anzunehmen scheine, mir als Notwehrwaffe entbehrlich sei, ich sie gern Herrn Rudokow überlassen wollte; ich wisse aber nicht, sie in Geld abzuschätzen, und sei auch kein Handelsmann. Er möge nur die Tiere und Vögel, die er damit bis zur Zeit unserer Rückkunft schießen würde, von seinen Leuten ausbalgen lassen und mir die Häute verwahren; das solle der Preis sein. Diese Wendung des Handels schien allen Teilen gleich erfreulich und würde auch den Berliner Museen trefflich zustatten gekommen sein, wenn wir nicht unterlassen hätten, nach Kamtschatka zurückzukehren.

Der Leutnant Wormskiold blieb in Sankt Peter und Paul. Er wollte sein am Bord des »Rurik« nach den Instrumenten der Expedition geführtes meteorologisches Journal nur unter Bedingungen mitteilen, auf die sich Herr von Kotzebue nicht einlassen mochte. Dieser, zu dessen Verfügung ich für den eingetroffenen Fall meine Barschaft gestellt hatte, gab mir, ohne von jener Gebrauch gemacht zu haben, mein Wort zurück. Auch der kranke Leutnant Sacharin mußte, obgleich ungern, hier von der Expedition scheiden. Wir drückten uns herzlich die Hände. Er hätte wirklich nicht unternehmen sollen, was auszuführen er körperlich nicht imstande war; denn der Dienst des Seeoffiziers hat Beschwerden, denen der Passagier fremd bleibt.

Unsern lustigen Gesellen, den Affen, schenkte der Kapitän dem Gouverneur. Man möchte meinen, wenn Affen, wie auf Schiffen geschieht, auf vertraulichem Fuße mit den Menschen leben, daß sie, geschickt, neu und wißbegierig, wie sie sind, es weit in der Bildung bringen könnten, wenn sie nur hätten, was zu einem Gelehrten gehört und was ihnen die Natur vorenthalten hat: Sitzfleisch. Sie haben keine Geduld. Das alles gilt vielleicht mehr noch von den ostindischen Affen, die wir später an Bord nahmen, als von diesem Brasilianer.

Der Kapitän erhielt zur Verstärkung der Mannschaft des »Rurik« sechs Matrosen von dem hiesigen Kommando und einen Aleuten von der Russisch-Amerikanischen Handelskompanie. Dieser war ein vielerfahrener, sehr verständiger Mann. – Diese sieben Mann sollte Herr von Kotzebue bei seiner Rückkunft in Kamtschatka im andern Jahre wieder abgeben. Er nahm außerdem eine Baidare an Bord, die er hier verfertigen lassen: ein offenes, flaches Boot, das aus einem leicht gezimmerten, mit Robbenhäuten überzogenen hölzernen Gerippe besteht und beim Übernachten auf dem Lande als Zelt oder Schutzwehr gegen den Wind gebraucht wird.

Wir alle hatten uns mit Parken versehen, und mehrere hatten sich Bärenhäute zum Lager angeschafft. Die Parke ist das gewöhnliche Pelzkleid dieser Nordvölker, ein langes, aus Rentierfell verfertigtes Hemd ohne Schlitzen, mit daran hängender Haube oder Kapuze. Manche sind zwiefältig mit Rauchwerk nach innen und außen.

Wir verließen am 14. Juli 1816 den Hafen von Sankt Peter und Paul und konnten erst am 17. aus der Bucht von Awatscha auslaufen.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Reise um die Welt