Wir lichteten am 13. die Anker. Wir liefen am 23. in den Hafen von Reval ein, wo der Kapitän den Herrn von Krusenstern sprechen wollte.

Wir lichteten am 13. die Anker. Wir liefen am 23. in den Hafen von Reval ein, wo der Kapitän den Herrn von Krusenstern sprechen wollte. Dieser war nicht in der Stadt und traf erst am dritten Tag ein. Wir gingen am 27. unter Segel, waren am 31. Juli vor Kronstadt; am 3. August 1818 lag der »Rurik« zu Sankt Petersburg in der Newa vor dem Hause des Grafen Romanzow vor Anker.

Der Graf war auf seinen Gütern in Kleinrußland und mußte erwartet werden, um die kleine Welt aufzulösen, die so lange in seinem Namen zusammengehalten hatte. Herr von Krusenstern traf erst ungefähr vierzehn Tage nach uns ein. Es wurden etliche obere Zimmer im Hause des Grafen Romanzow dem Herrn von Kotzebue und seiner Schiffsgesellschaft eröffnet; mich selbst zog ein hier ansässiger Preuße, ein Universitätsfreund, gastlich an seinen Herd; ich verließ den »Rurik«.


Aber ich hatte keinen Paß, und hier war die Polizei gegen Fremde viel vorzüglicher eingerichtet als in England. Indes hatte ich an der preußischen Gesandtschaft vorläufig einen Schutz, und was läßt sich nicht ins Geleise bringen, wenn man Freunde hat.

Ich hatte in Sankt Petersburg nur das eine Geschäft, mich so bald als möglich von Sankt Petersburg frei zu machen. Ich kehrte mich von jeder Aussicht ab, die mir in Rußland eröffnet werden sollte, und wich hartnäckig jedem Antrag aus, mich durch irgendein Verhältnis binden zu lassen. Mich zog heimatlich ein anderes Land. Ich werde diesem Geschwätze hohe Namen nicht einmischen. Mein Herz hing an Preußen, und ich wollte nach Berlin zurückekehren.

Ich habe in Sankt Petersburg nur mit Deutschen, nur mit Sprach- und Herzensverwandten vertraulich gelebt; ich bin in das russische Leben nicht eingedrungen; ich werde nur über die äußere Erscheinung der Stadt einige flüchtige Bemerkungen hinwerfen, zu denen mich die Vergleichung mit London auffodert.

London ist, entsprechend dem Begriffe einer großen Stadt, ein riesenhafter Menschen-Ameisenhaufen, ein unermeßlicher Menschen-Bienenbau, bei dessen Ansätzen ungleiche Kräfte unregelmäßige Zellen hervorgebracht haben. Das Bedürfnis hat die Menschen zusammengebracht; sie haben nach dem Bedürfnis sich angebaut; ein Naturgesetz, das als Zufall erscheint, hat den Plan vorgezeichnet, die Willkür hat keinen Teil daran; und wenn die Stadt stellenweise dekoriert worden, beweist es bloß, daß Dekorieren dem Menschen zum Bedürfnis geworden ist.

Sankt Petersburg ist eine großartig angelegte und prächtig ausgeführte Dekoration. Die Schiffahrt, die zwischen Kronstadt und dem Ausfluß der Newa das Meer belebt, deutet auf einen volk- und handelreichen Platz! Man tritt in die Stadt ein – das Volk verschwindet in den breiten, unabsehbar langgezogenen Straßen, und Gras wächst überall zwischen den Pflastersteinen.

Dekoration im einzelnen wie im ganzen; der Schein ist in allem zum Wesen gemacht worden. Mit den edelsten Materialien, mit Gußeisen und Granit, wird dekoriert; aber man findet stellenweise, um die unterbrochene Gleichförmigkeit wiederherzustellen, den Granit als Gußeisen geschwärzt und das Gußeisen als Granit gemalt. Die Stadt wird alle drei Jahre aufs neue und in den Farben, die polizeilich den Hauseigentümern vorgeschrieben werden, angestrichen, außerdem noch außerordentlich bei außerordentlichen Gelegenheiten, zum Empfang eines königlichen Gastes und dergleichen mehr; dann wird auch das Gras aus den Straßen ausgereutet. Der Herrscher sprach einst das Wohlgefallen aus, mit welchem er auf einer Reise massive Häuser gesehen, an denen alles Holzwerk, Türen und Fensterladen, von Eichenholz gewesen. Darauf wurden Maler polizeilich angelernt und Türen und Fensterladen aller Häuser der Stadt auf Kosten der Eigentümer als Eichenholz bemalt. Da kamen die Maler in das Viertel, wo die reichen englischen Handelsherren wohnen und wo der Luxus eichenhölzerner Türen und Fensterladen nicht selten ist – und sie begannen, das wirkliche Eichenholz wie Eichenholz zu übermalen. – Die Eigentümer verwahrten sich dagegen und schützten vor, es sei ja schon Eichenholz – vergebens; der Vorschrift einer hohen Polizei mußte genügt werden.

Mit Monumenten, denen man Heiligkeit beizulegen sich volkstümlich beeifern sollte, wird wie mit eiteln Dekorationen verfahren und gespielt. Die Romanzows-Säule wird von einem Ufer der Newa auf das andere hinübergebracht, um dort zu einem neuen Point de vue zu dienen, und es wird beantragt, die Statue des Zaren Peters des Großen zu einer ähnlichen Verschönerung von der Stelle, die sie jetzt einnimmt, zu verrücken.

Es ist mir schmerzlich, hier ein scharfes Urteil sprechen zu müssen, welches gleiche Unheiligkeit trifft, deren man sich in der Heimat auch schuldig gemacht. Aber was ist denn ein Monument? Ein Fleck Erde wird dem Gedächtnis eines Mannes oder einer Tat geweiht; da setzt man einen Stein auf und peitscht die Kinder bei dem Steine und sagt ihnen dabei: Erinnert euch an das und das. So wird unter den Menschen die Sage, die mündliche Überlieferung an ein bestimmtes Äußeres gebunden. – Das ist im wesentlichen ein Monument. Daß ihr später Buchstaben in den Stein graben gelernt und den Stein selbst nach dem Bildnisse eines Menschen meißeln, das sind außerwesentliche Zugaben. Wälzt den Stein von seinem Orte fort, so habt ihr nur einen Stein, wie andere Steine mehr auf dem Felde sind. Verrückt das Standbild von seiner Stelle, so setzt ihr es auf seinen Kunstwert herab, so habt ihr nur noch ein Bild, wie ihr der Bilder mehr in euren Museen habt, die sonst in Tempeln Götter gewesen sind. – Legt nicht Hand an ein volkstümliches Monument, legt nicht Hand an die Statue eines eurer Helden: der Ort, wo sie steht, gehört ihr, ihr habt kein Recht mehr daran. Errichtet Monumente auf Plätzen, wo man sie sehen kann, nicht aber zu eiteler Verschönerung, und wählt bedächtig den Ort, den ihr nicht willkürlich verändern dürft!

Der Graf Romanzow traf in Sankt Petersburg in den ersten Tagen des Septembers ein.

Alles, was zu meinem Gebrauch an Instrumenten und Büchern auf Rechnung der Expedition angeschafft worden, wurde mir, wie jedem von uns, abgefodert. Ich blieb hingegen im Besitz dessen, was ich gesammelt hatte. Ich wurde entlassen, die von mir gefoderten Denkschriften in Berlin zu vollenden. – Der »Rurik« ward verkauft.

Nun hielt mich aber noch in Sankt Petersburg die Polizei fest, die, mich daselbst zu dulden, sich so schwer entschlossen hatte. – Man weiß die weitläuftigen Förmlichkeiten, denen man sich unterziehen muß, bevor man einen Paß erhält. (Dreimalige Bekanntmachung der Absicht zu reisen im Wochenblatt usw.) – Ich war endlich soweit: die Welt, der ich angehört hatte, war schon auseinandergestoben.

Es sei mir vergönnt, jetzt ein Scheidender, mit dem Blicke die Männer zu suchen, in deren Gemeinschaft ich manches erduldet und erfahren. Herrn von Kotzebues »Neue Reise um die Welt in den Jahren 1823 bis 1826« (die zweite, wobei er kommandiert, die dritte, die er gemacht hat) ist in diesen Blättern erwähnt worden. Sie hat besonders wegen der ungünstigen Berichte über die Missionen auf den Südsee-Inseln Aufsehen erregt. – Chramtschenko hat ein Schiff im Norden der Südsee kommandiert und mir im Jahre 1830 aus Rio Janeiro freundliche Grüße zugesandt. Die übrigen Seeleute erreicht mein Auge nicht mehr auf ihrem beweglichen Elemente. Von denen, die mit mir in ähnlichen Verhältnissen standen, bin ich, der älteste, allein vom Schauplatze nicht abgetreten. Eschscholtz, Professor in Dorpat, begleitete abermals Herrn von Kotzebue auf seiner neuen Reise. Er besuchte mich in Berlin im Jahre 1829, wo er sein wichtiges Werk, »System der Akalephen«, herausgab – nach wenigen Monaten war er nicht mehr. Ich sah Choris im Jahre 1825 in Paris, wo er der Kunst lebte. Er unternahm bald nachher eine Reise nach Mexiko: zwischen Santa Cruz und Mexiko ward er von Räubern angefallen und ermordet. Der Leutnant Wormskiold zu Kopenhagen, versunken in trübem Tiefsinn, ist der Welt erstorben.

Am 27. September 1818 waren meine Kisten an Bord der »Asträa« aus Stettin, Kapitän Breslack, eingeschifft. Verschiedene Umstände verzögerten die Abfahrt; ich mußte in Kronstadt noch einige Tage auf günstigen Wind harren.

Die Verwandlungen des Insektes lassen sich auch an dem Menschen nachweisen, nur in umgekehrter Reihenfolge. Er hat in seiner Jugendperiode Flügel, die er später ablegt, um als Raupe von dem Blatte zu zehren, auf welches er beschränkt wird. – Ich befand mich auf dem Wendepunkt. Vor meinem vierzigsten Lebensjahre (bis dahin standen noch nur zwei und ein Vierteljahr vor mir) wollte ich die Flügel abstreifen, Wurzel schlagen und eine Familie begründen; oder die Flügel wiederum ausbreiten und auf einer anderen außereuropäischen Reise, reifer und besser vorbereitet, nachholen, was für die Wissenschaft zu tun ich auf meiner ersten versäumt hatte. – Diese demokratische Zeit, in welcher, wie in der Geschichte, so in der Wissenschaft und in der Kunst, anstatt einzelner Fürsten die Massen auftreten, gewähret noch jedem Strebenden die Hoffnung, da im Volke mitzuwirken und mitzuzählen, wo sonst nur hervorragenden Häuptern, denen es ein Gott gegeben, unbedingt gehuldigt wurde.

Die »Asträa« lag am 17. Oktober auf der Reede vor Swinemünde.

Hier endigt dieser Abschnitt meines Lebens. Als Fortsetzung gebe ich euch, ihr Freunde, das Buch meiner Gedichte. Ich habe darin zu eigener Lust die Blüten meines Lebens sorgfältig eingelegt und aufbewahrt, während die Zweige verdorrten, auf welchen sie gewachsen sind.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Reise um die Welt