Vorbericht

Der „Verein für die Deutsche Nordpolarfahrt“*) in Bremen konstituierte sich bekanntlich, als die zweite Deutsche Polar-Expedition 1870 von ihrer ruhmvollen Entdeckungsfahrt aus Ost-Grönland zurückgekehrt war und es nun galt, die Resultate dieser ereignisvollen Expedition in einer der Nation würdigen Weise zu veröffentlichen. Als diese Aufgabe in befriedigender Weise gelöst war, wobei ich nur an das Hauptwerk und eine Volksausgabe zu erinnern brauche, bemühte sich der Verein das in Ost-Grönland so versprechend begonnene Forschungswerk weiter fortzusetzen und wandte sich dieserhalb mit einer Eingabe an das Reich. Auf Grund des Gutachtens einer vom Bundesrat berufenen Gelehrten-Kommission wurde indes der Plan nicht angenommen, vielmehr andere Vorschläge empfohlen und damit dem Verein zugleich die Möglichkeit entzogen jener großen Aufgabe näher zu treten. Er bemühte sich also in anderer Richtung den vorgesteckten Zielen gerecht zu werden und so entstand die „Westsibirische Expedition“ die, von dem tätigen Schriftführer des Vereins Dr. M. Lindeman als Idee geboren, erst dann Gestalt annahm, als ich mich zur Führung derselben bereit erklärte und der Verein die Idee zu der seinigen machte. So wurde in der Vereins-Sitzung vom 10. Januar 1876 die Aussendung einer Expedition in das Gebiet des Ob beschlossen und die Summe von Mk. 5.000 zunächst dafür bewilligt.

*) Seit dem Jahre 1877 bekanntlich in eine „Geographische Gesellschaft“ umgewandelt.


Dies war immerhin recht viel für die sehr mager gefüllte Vereinskasse, aber sehr wenig zu einer Reise nach Sibirien, deren Kosten für zwei Gelehrte, obschon dieselben keinerlei Entschädigung erhielten, auf 18.000 Mk. veranschlagt wurden. „Für die Deckung des Fehlenden hoffen wir auf Beiträge von Behörden und Vereinen und auf eine tatkräftige Unterstützung seitens aller für die Förderung der Geographie und der Naturwissenschaften bestrebten Kreise“ lautete ein Passus in der damals veröffentlichten „Denkschrift“,*) aber trotz dieses zuversichtlichen Vertrauens blieb das Unternehmen doch immerhin ein gewagtes, selbst nachdem durch sieben Vereins- (meist Vorstands-) Mitglieder eine Garantiesumme von Mk. 7.100 gezeichnet worden war. In der Tat hatte sich der Verein auf seine zahlreichen Eingaben und Circulare nur eines Beitrages vom hohen Senate der freien Hansestadt Bremen von Mk. 500 und Seitens der Königlichen Bayerischen Regierung von Mk. 300 zu erfreuen; außerdem gingen an freiwilligen Gaben ein: 5 Mk. von Herrn Dr. B. Andrée in Leipzig. Äuch verdankte die Expedition Herrn Dr. med. E. Thorspecken in Bremen eine Reise- Apotheke, sowie ein ärztliches Hilfsbuch (von Dr. H. Richter), welche in mehreren Fällen ausgezeichnete Dienste leisteten. Blieb somit trotz allen Interesses die Betätigung in Deutschland selbst weit hinter den Erwartungen zurück, so konnte der Verein die Expedition doch ruhig ziehen sehen, als ihm schon am 25. Februar in unerwarteter Weise das außerordentlich reiche Geschenk von L. 1.000 (20.300 Mk.) zufloss. Der großmütige Geber war Herr Alexander Michailowitsch Sibiriakóff aus Irkutsk, der nicht nur für sein Heimatland, sondern im Interesse der Wissenschaft überhaupt in so hochherziger Weise Opfer brachte, dass ihn Beide mit Stolz als „Ehrenbürger“ betrachten.

Da von einem Vereinsmitgliede die Teilnahme eines zweiten Naturforschers gewünscht worden war, so erklärte sich, auf meinen Vorschlag der gefeierte Verfasser des „Tierlebens“ Dr. A. Brehm, mein langjähriger Freund und Berufsgenosse, bereit dazu. Nicht minder freudig durften wir es begrüßen, dass sich unser Vereinsmitglied Karl Graf von Waldburg-Zeil-Trauchburg, Königl. Württemberg. Premier-Lieutenant (jetzt Hauptmann a. D.) in Stuttgart, als Freiwilliger und auf seine Kosten der Expedition anschloss.

*) „Denkschrift des Vereins für die Deutsche Nordpolarfahrt, betreffend die von ihm im Jahre 1876 zu veranstaltende wissenschaftliche Forschungsreise nach West-Sibirien. Bremen, Januar 1876.“

Derselbe hatte sich direkt an Ihre Maj. die Königin Olga Nicolajewna von Württemberg, um allergnädigste Empfehlungen nach Russland gewandt und hatte Ihre Maj. auch die große Gnade, die Expedition persönlich S. Maj. dem Kaiser Alexander zu empfehlen. Diesem Umstande, wohl der bestmöglichen Empfehlung nach Russland, hatten wir nicht nur die Ehre einer Audienz bei Seiner Maj. zu danken, sondern hatte auch persönliche Befehle des Kaisers an die Generalgouverneure u. s. w. zur Folge, die uns die Erreichung des vorgesteckten Zieles wesentlich erleichterten, wo nicht überhaupt ermöglichten. Es sei gestattet, hier Ihrer Maj. hierfür unsern alleruntertänigsten Dank auszusprechen.“

Dank der Verwendung des Vereins- Vorsitzenden, Reichstagsabgeordneten A. G. Mosle erhielten wir Seitens des Auswärtigen Amtes, von dessen Chef, Staatsminister von Bülow, und Direktor, dem Wirklichen Geheimen Rat von Philipsborn, von denen wir die Ehre hatten empfangen zu werden, ausgezeichnete Empfehlungen an die Kaiserlich-Russische Regierung, unter Anderen die Vergünstigung der zoll- und revisionsfreien Einfuhr unserer Reiseeffekten. Auch der Kaiserlich-Russische bevollmächtigte Botschafter Baron v. Oubril verpflichtete uns zu Dank. Nachdem uns noch die hohe Ehre zu Teil geworden war, am 5. März Sr. Majestät dem Deutschen Kaiser und König von Preussen, Wilhelm I. vorgestellt zu werden, konnten wir am anderen Tage von Berlin aus die Reise antreten, begleitet von dem Vorstandsmitgliede Herrn H. Schaffert, der die Gelegenheit zu einem Besuche der russischen Hauptstädte benutzte. In St Petersburg wurden wir mit notwendigen Vorbereitungen bis zum 16. März aufgehalten, und hatten uns in wissenschaftlichen und anderen Kreisen der liebenswürdigsten Aufnahme zu erfreuen. Namentlich Seitens der Kaiserlich Russ. Geograph. Gesellschaft, dessen Vice-Präsidenten, Staatsrat P. v. Semenow wir am 15. März die Ehre einer Vorstellung beim Präsidenten, Sr. Kaiserlichen Hoheit dem Großfürsten Constantin Nicolajewitsch zu verdanken hatten. Durch hohe Vermittelung des Auswärtigen Amtes und des Kaiserl. deutschen Botschafters General-Adjutant Grafen M. v. Schweinitz, erhielten wir nicht allein ausgezeichnete Empfehlungen „Seitens des Ministers des Innern, GeneralAdjutant Timascheff, des Ministers der Domainen, Wirklichen Geheimen Rat Walujeff, des Ministers der Wege und der Verkehrsanstalten, Vice-Admiral C. Possiet, sowie namentlich des General-Gouverneurs von West-Sibirien, General-Adjutant Kasnakoff, sondern hatten auch die Ehre, außer diesen hohen Herren, am 10. März von Sr. Durchlaucht dem Reichskanzler Fürst Gortschakoff empfangen zu werden. Am 13. März wurde der Westsibirischen Expedition sogar die besondere Auszeichnung zu Teil, dass sie Se. Majestät der Kaiser Alexander II. zur Audienz in das Winterpalais befehlen ließ. Noch am Tage unserer Abreise hatten wir einer ehrenvollen Einladung Ihrer Kaiserlichen Hoheit der Großfürstin Catharina Michailowna und ihres Gemahls des, leider bald nachher verstorbenen Herzogs Georg von Mecklenburg-Strelitz ins Michael’sche Palais zu folgen.

Am 17. März in Moskau angelangt, blieb uns nur Zeit die notwendigsten Geschäfte zu erledigen, und wir mussten sogar eine ehrende Einladung Sr. Durchlaucht des General-Gouverneurs, General Adjutant Fürst W. Dolgorukoff leider dankend ablehnen. Durch die freundliche Unterstützung der Vertreter des bekannten großen Handelshauses (jetzt Baron) L. Knoop, der Herren Prové und F. Knoop, sowie des Secretairs der Gesellschaft zur Beförderung des russischen Seehandels Herrn Woldemar, waren unsere Angelegenheiten innerhalb zweier Tage in der befriedigendsten Weise geordnet. Namentlich erhielten wir durch Vermittelung dieser Herren einen Arteltschik der Schestówskaja Artel-Gesellschaft, Iwan Klugin, als Diener, sowie, was noch wichtiger war, da keiner von uns Russisch verstand, einen Dolmetscher in der Person von Martin Dserwit, eines Letten aus der Gegend von Riga, der aus seinen früheren Stellungen als Lehrer die besten Zeugnisse aufzuweisen hatte. Beide haben sich denn auch als gewissenhafte, nüchterne und treue Begleiter erwiesen, deren Verdienste ich hier um so lieber dankbar anerkenne, als sie mich beim Sammeln unverdrossen unterstützten, nachdem ich ihnen das Präparieren von Tieren beigebracht hatte. So konnten wir denn schon am 18. März Moskau verlassen, allerdings unter wenig versprechenden Aussichten, denn das ungewöhnlich früh eingetretene Frühjahr bereitete uns mancherlei Schwierigkeiten und Hindernisse, die für Neulinge wie wir, eben nicht sehr ermutigend waren.

Wie es uns gelang das Programm durchzuführen und unsere Aufgabe zu lösen, darüber sollen die nachfolgenden Blätter Zeugnis ablegen, in denen ich mich bemühte in schlichten Worten, ohne jede Schönmalerei, unsere Erlebnisse zu schildern. Auf Grund der, durch die freundliche Mitwirkung verschiedener Fachgelehrten gemachten Bestimmungen der wissenschaftlichen Sammlungen bin ich in der angenehmen Lage die Ergebnisse derselben mit einflechten zu können, wie ich mich meinerseits bemühte, die in Bezug auf Geographie, Handel, Verkehr, Produkte, Industrie gewonnenen Erfahrungen zu verwerten. Leider hatte sich verschiedener Verhältnisse halber, das in der Denkschrift erwähnte Vorhaben, diesem Buche ein besonderes statistisches Kapitel anzufügen, nicht verwirklichen lassen, obwohl auf andere Weise durch Ermittelung an Ort und Stelle Vorsorge getroffen war. Zu diesem Zwecke besuchte nämlich der Schriftführer des Vereins Dr. M. Lindemann 1876 die Messe in Nishnej-Nowgorod, zu welcher Orientierungsreise der Verein eine Beihilfe von Mk. 1.500 bewilligt hatte. Gegenüber seinen hier gesammelten reichen Materialien (vergl. Geogr. Blätter I. p. 44) wurden die von uns in Sibirien zusammengebrachten ohnehin zu unvollständig geblieben sein. Immerhin wird der Kaufmann und Industrielle manche beachtenswerte, vor Allem richtige Notiz finden, wie ich ja überhaupt in Bezug auf mercantile Unternehmungen manchen praktischen Wink und Rat erteilen konnte. So glaube ich auch in dieser Beziehung die Erwartungen nicht getäuscht zu haben, wie dieselben in naturwissenschaftlicher erfüllt worden sein dürften. Man wird dabei berücksichtigen müssen, dass wir in Sibirien selbst innerhalb 6 Monaten über 12.000 Werst (1.700 d. M.) zurücklegten und meist mit einer Eile zu reisen gezwungen waren, die, mit Ausnahme der 7 wöchentlichen Lotkareise, nur 16 ordentliche Sammeltage erübrigte. Wenn es in dieser kurzen Zeit dennoch gelang an 150 Säugetiere, 550 Vögel, 150 Reptilien, 400 Fische, 1.000 Insekten und zahlreiche Handstücke von Felsarten, sowie Proben land- und forstwirtschaftlicher Produkte heimzubringen, so wird man dafür vielleicht eine gewisse Anerkennung nicht versagen können. In besonderer Dankbarkeit habe ich dabei der Unterstützung Seitens des Grafen Waldburg-Zeil zu gedenken, dem außerdem das Verdienst, ein reiches Herbarium zusammengebracht zu haben, sowie der Aneroidbeobachtungen allein zukommt. Der wissenschaftliche Teil wird hoffentlich ebenfalls bald erscheinen und über unsere Tätigkeit näher berichten, wie die unter meiner Leitung vom Verein veranstalteten Ausstellungen der Sibirischen Sammlungen, namentlich der reichen von mir zusammengebrachten ethnographischen, in Bremen, *) Hamburg, Braunschweig, Hannover und Kassel davon schon Zeugnis gegeben haben dürften. Um über den Verbleib der Sammlungen selbst noch ein Wort zu sagen, so lies sich die ursprüngliche Absicht, dieselben in ihrer Gesamtheit dem städtischen Museum in Bremen einverleibt zu sehen, leider nicht verwirklichen, da der Verein im Hinblick auf seine Finanzen dieselben zu verwerten gezwungen war. So ging ein großer Teil der zoologischen Ausbeute in das Königl. Museum zu Berlin, ein anderer ins British-Museum zu London über, und nur die Ethnographie verblieb in der Vaterstadt. Der Verein lies es sich indes, wie bisher, angelegen sein einen Teil der Sammlungen öffentlichen Museen zu überweisen und so konnten: das städtische Museum in Bremen, das Königl. Museum in München, das Königl. Zoologische Museum, das Königl. Mineralogische Museum, das Königl. Landwirtschaftliche Museum, das Königl. Herbarium zu Berlin, das Königl. Museum in Stuttgart, sowie das Kaiserl. Mineralogische Museum in Wien mit Geschenken bedacht werden.

*) Dieselbe wurde am 17. Mai 1877 eröffnet, wobei der Vorsitzende A. G. Mosle eine Ansprache hielt, in welcher er in liebenswürdiger Weise der Mitglieder der Sibirischen Expedition gedachte, zugleich aber auch in beredten Worten auf die Wichtigkeit derartiger Reisen, namentlich für große Handelsstädte hinwies (D. Geogr. Bl. I. p. 109).

Indem ich somit über Entstehung, Verlauf und Tätigkeit der „West -Sibirischen Expedition“ öffentlich Rechenschaft ablegte, ist es noch notwendig anzufügen, dass sich die Kosten derselben Dank der Unterstützung, die wir in Sibirien fanden, nur auf c. 21.000 Mk. beliefen (davon allein an 8.000 Mk. für Transportkosten und 2.000 Mk. an Gagen). In dieser nach dem von mir geführten Konto abgeschlossenen Abrechnung sind indes beträchtliche Kosten für Ausrüstung und Frachten nicht einbegriffen, die größtenteils durch den Verkauf der Sammlungen im Gesamtbetrage von 3.681 Mk. gedeckt werden dürften.

Zum Schluss bleibt mir nur noch die angenehme Pflicht, allen Denen Dank zu sagen, welche der „Westsibirischen Expedition“ Rat, Hilfe oder Unterstützung zu Teil werden ließen. Soweit dieser Dank nicht bereits durch den Vorstand direkt oder im Vorhergehenden abgestattet wurde, gilt derselbe namentlich den lieben und guten Sibiriern, deren Namen im Nachfolgenden aus Versehen unerwähnt blieben. Der Hauptzweck dieses Buches soll es ja sein, über das in so vieler Hinsicht gesegnete West -Sibirien und seine wackeren Bewohner richtigere Ansichten zu verbreiten, als die, welchen man begegnet. Sollte mir das gelungen sein, so würde ich die viele Mühe und Zeit als keine verlorene betrachten , mich auch mit direkten Nachteilen in anderer Beziehung aussöhnen können. Dass die fesselnden Vorträge meines Freundes Dr. Brehm wesentlich helfen, Interesse für Sibirien in die weitesten Kreise Deutschlands zu tragen, brauche ich wohl nur anzudeuten. Die von mir an Ort und Stelle gemachten Skizzen, die ihre vollendete Ausführung dem rühmlichst bekannten Maler Moritz Hoffmann, sowie die meisterhafte Übertragung Herrn L. Schäfer in Berlin zu verdanken haben, werden zum besseren Verständnis des Textes jedenfalls willkommen sein, da sie bis in die kleinsten Details richtig sind. Der Letztere hatte sich einer genauen Durchsicht Seitens meines Reisekollegen Herrn Graf von Waldburg-Zeil zu erfreuen, dem ich nicht allein manche wertvolle Notiz, sondern auch die Revisionen der Druckbogen verdanke, was bei seiner Kenntniss des Russischen, namentlich für die Rechtschreibung der Namen, von Wichtigkeit wurde.

Bremen, Anfang März 1879.

Dr. Otto Finsch,

Vorstands -Mitglied der Geogr. Gesellschaft

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Reise nach West-Sibirien im Jahre 1876