Türkisches Familienleben

Aus Allem, was dem Europäer in Bezug auf das andere Geschlecht hier zu Lande aufstößt, ersieht man leicht, daß die türkischen Damen eine sehr untergeordnete Rolle spielen; aber doch nicht die gedrückte und elende, die wir nach unsern Begriffen mit jenen Verhältnissen wohl unzertrennlich halten.

Es ist dem Mohamedaner erlaubt, vier Frauen zu nehmen, doch gibt es wenige, die nicht an einer schon genug hätten und deren Vermögensumstände es erlaubten, zwei, drei oder vier Weiber zu nehmen. Da es fast noch nie vorgekommen ist, daß sich zwei Frauen in einem Hause vertragen hätten – ich spreche natürlich hier nicht von den weitläufigen Harems des Sultans und der hohen Beamten – vielmehr in beständigem Hader und Zwist lebten, der sich nicht, wie vielleicht bei uns auf Verläumdung und böse Nachreden beschränkte, sondern oft in blutige Händel ausartet, so muß in solchem Falle jede Frau ihr eigenes Haus haben, in welchem sie natürlich über die dienenden Weiber unumschränkt regiert. Was ferner die eine Frau an Putz oder Schmucksachen von dem Manne bekommt, nimmt die andere auch in Anspruch, und da ist oft ein neues glänzendes Band, das die eine vor der andern bekommt, Ursache zu den unangenehmsten Händeln. Fährt eine der Frauen mit ihren Sklavinnen und Kindern spazieren, so würde die andere nicht zu Hause bleiben wollen, ich glaube, wenn sie todtkrank wäre. Das geht so fort bis auf die geringsten Kleinigkeiten. Was soll aber auch der Türke sich in diese Verhältnisse verwickeln, da ihm das Gesetz ein ausgleichendes Mittel darbietet? Es ist ihm nämlich erlaubt, so viele Sklavinnen zu halten, als er kann und will, und das Kind der Sklavin erfreut sich nach den türkischen Gesetzen derselben Rechte und Begünstigungen, wie das Kind der rechtmäßigen Frau. Es beruht überhaupt die ganze Ehe der Orientalen nur auf Sinnlichkeit, und der Türke erhandelt seine Frau, ohne sich um ihre Neigung oder Liebe zu bekümmern, von dem Vater oder den Verwandten derselben, wie eine Waare vom Kaufmann; denn anstatt durch seine Frau ein Heirathsgut zu erlangen, bezahlt er vielmehr dem Vater derselben eine gewisse Summe für sie, dieser verliert ja einen weiblichen Domestiken.


Ein anderer Nachtheil des Bräutigams besteht darin, daß er seine Frau erst dann zu sehen bekommt, wenn sie ihm angetraut ist, und in demselben Augenblicke sehen sie ihre Verwandten, selbst der Vater und die Brüder zum letzten Male unverschleiert. Da auf diese Art die Ehen ohne viele Förmlichkeiten geschlossen werden, so erlaubt das Gesetz dem Muselmanne auch ebenso leicht wieder, sich von seiner Frau zu trennen, ein Fall, der fast in jedem Heirathskontrakte vorgesehen wird, indem man in demselben die Summe vormerkt, die der Mann dem Vater zu zahlen hat, wenn er in den Fall kommen sollte, sich von seiner Frau zu trennen. Ein Anderes ist es, wenn die Frau die strenge Sitte des Harems verletzte, wo sie im Fall ihr Begünstigter ein Muhamedaner ist, mit Schimpf und Schande ins Haus ihrer Eltern zurückgejagt wird, und wenn es gar ein Raja, ein christlicher Unterthan der Pforte, wäre, so steckt man sie ohne viele Ceremonien in einen Sack und wirft sie ins Meer. Der Christ dagegen wird gehenkt. Eigentlich ist es traurig, daß die armen Türkinnen durch die Verhältnisse so gedrückt sind, daß sie nicht einmal auf eine Vergeltung jenseits zu hoffen haben, indem der Prophet ihnen nach dem Leben keine Stellung anzuweisen wußte. Was nach dem Tode aus ihnen wird, weiß kein Mensch; denn die Houris, die den Gläubigen im Paradies für die Mühseligkeiten auf Erden entschädigen, haben nichts mit den verstorbenen Weibern gemein.

Obgleich es aber dem Muselmann nicht schwer gemacht wird, sich von seiner Frau zu scheiden, so kommt es doch selten vor, theils weil der Türke ein natürliches großmüthiges Gefühl hat, welches sein einmal geschenktes Vertrauen nicht leicht erlöschen läßt, theils weil er vielleicht eines Spruchs aus dem Koran eingedenk ist, der ihm sagt: »Ihr Männer sollt bedenken, daß das Weib aus der Rippe, also aus einem krummen Bein geschaffen ist. Deßhalb, ihr Gläubigen, habt Geduld mit den Weibern; denn wenn ihr ein krummes Bein gerade biegen wollt, so bricht es.«

Man weiß, daß die Frauen in den Harems sehr strenge bewacht werden, und obgleich die Cultur schon im Allgemeinen stark an den orientalischen Gebräuchen rüttelte, so hat sie doch in dem Punkt noch nicht viel geändert. Freilich sieht man jetzt viele türkische Damen auf den Straßen umherspazieren, doch, wie ich schon mehrmals bemerkte, auf's Häßlichste vermummt und unkennbar gemacht. Es wäre aber auch gegen allen Anstand, ein türkisches Weib auf der Straße erkennen zu wollen und selbst der Mann würde es für unschicklich halten, wenn er seiner eigenen Frau, die ihm begegnete, nur durch ein Zeichen merken ließe, daß er sie erkenne. Es ist schon viel, daß die allgewaltige Zeit den Schleier der Damen bis unter die Nase gerückt hat, die früher ebenfalls bis an die Augen verhüllt war.

So streng auf diese Art die Gestalten der Türkinnen außer dem Hause vor jedem neugierigen Blicke vermummt sind, so übertrieben frei ist der Anzug im Innern des Hauses. Die Einrichtung desselben ist fast ebenso wie die beschriebene in unserem Gasthof. Längs den Fenstern die von außen mit Latten, von innen mit Rohrstäben dicht vergittert sind, befindet sich der Divan, auf dem die Familie den ganzen Tag nichts thut, als ausruhen, und sich langweilen. Der Mangahl mit glühenden Kohlen und das Kaffeegeräth ist natürlich in der Nähe; denn so oft ein Besuch kommt oder es einem der Familienglieder einfällt, wird für jedes eine Tasse Kaffe gemacht, was des Tages unzählige Mal geschieht. Dazwischen ißt man verschiedene eingemachte Früchte, von denen jeder einen Löffel voll nimmt und darauf ein Glas Wasser trinkt. Von vieler Bewegung in diesen Familienkreisen und einer lebhaften Unterhaltung ist natürlich nicht die Rede. Eine Phrase, die man sehr oft beim Kaffee oder dem Eingemachten hört: afiat ler olsum – (Wohl bekomm's) sagt jeder dem Andern und legt dabei die Hand an Brust und Stirn. Die beiden Mahlzeiten, die der Türke täglich regelmäßig zu sich nimmt, bestehen aus Hammelfleisch und Reiß, welche Artikel die Grundlage bilden. Dazwischen kommen zahlreiche süße Gerichte, und während der ganzen Mahlzelt stehen beständig kleine Schüsseln mit kalten Speisen, als Austern, Hummern, Caviar, Käse, Oliven, türkischer Pfeffer, Salate und Früchte verschiedener Art, von welchen jeder nach Belieben nimmt, auf dem Tisch.

Die männlichen Sklaven im Orient haben ein viel besseres Loos, als wir es uns gewöhnlich bei dem Worte Sklave vorstellen. Es sind eigentlich Diener, deren größtes Geschäft darin besteht, nichts zu thun; ein gemietheter Arbeiter ist weit übler daran, als der Sklave des Hauses; denn weil letzterer Eigenthum seines Herrn ist, so nimmt dieser sich wohl in Acht, ihn durch viele Arbeit krank oder unbrauchbar zu machen. Da einem vornehmen Türken der Unterhalt seiner Sklaven und Diener fast nichts kostet, denn von einer Belohnung an Geld ist keine Rede, so hat er gewöhnlich eine große Masse dieses Volks, die die wenigen Geschäfte so unter sich vertheilen, daß auf jedem ein Unbedeutendes lastet. Ein Theil hat nichts zu thun, als Pfeifen zu stopfen und in Ordnung zu halten, andere kochen Kaffee, wieder andere sorgen für die Waffen und Kleidung des Herrn und so fort. Bei dem gewöhnlichen Türken wird der Sklave mit wenig Ausnahmen fast wie ein Kind der Familie betrachtet. Er ißt an demselben Tisch und bei guter Aufführung wird er später frei gelassen oder heirathet nicht selten eine Tochter des Hauses.

Eine ganz umgekehrte Ordnung im türkischen Leben bringt der Ramasan, die Fastenzeit, hervor. Der Tag wird zur Nacht und die Nacht zum Tag verwandelt. Von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang bleibt der Gläubige in seinem Hause und thut nicht einmal das Wenige, was er sonst zu thun pflegt. Er betet, stellt seine Waschungen an oder geht in die Moschee. Die meisten Läden sind um diese Zeit während der Tageszeit verschlossen und was am bezeichnendsten ist, alle Kaffeehäuser stehen leer. Der Rechtgläubige muß fasten, d. h. er muß sich nicht nur aller Speisen und Getränke enthalten, sondern Pfeifen und Kaffee sind ihm ebenso verbotene Gegenstände. Da man schon im gewöhnlichen Leben nicht sagen kann, daß auf- und abwandelnde oder gewerbtreibende Türken ein sehr lebendiges, rühriges Bild geben, so muß man die einzelnen Individuen, die man zur Ramasanszeit durch die Straßen schleichen sieht, für Geschöpfe ohne Leben halten, für Wesen, die durch Maschinenkraft hin- und hergetrieben werden, so matt und faul wanken sie einher. Wenn sie von dem Fasten so geschwächt wären, sollte man glauben, sie müßten jeden Abend aus Ermattung zusammenfallen; aber weit gefehlt.

Wenn sich die Sonne zum Untergang neigt, scheinen sich ihre Lebensgeister auf's Neue zu erfrischen. Man steckt die erloschenen Feuer wieder an und beginnt die Speisen zuzubereiten, die mit dem ersten Ruf des Iman, daß der Tag vorbei sei, auf dem Tisch dampfen müssen, damit weiter keine Zeit verloren gehe. Der Sklave hält seinem Herrn schon einige Augenblicke früher die angezündete Pfeife entgegen und Alles horcht erwartungsvoll auf den Ruf vom Minaret, um sich so hastig wie möglich den nun erlaubten Genüssen des Essens, Trinkens und Rauchens hinzugeben.

Jetzt bei eingetretener Dunkelheit verwandelt sich auch das stille Leben in den Straßen zu dem geräuschvollsten, das es geben kann, und die Stadt selbst gewährt von außen und innen den prächtigsten Anblick. An den Minarets werden allmälig Lichter angesteckt, und bald umgeben mehrere hundert Lampen in einzelnen Kreisen diese Gebäude von oben bis unten. Die Kuppeln der Moscheen und Karavansereien sind ebenfalls mit Lichtern behängt und die meisten Bazars, sowie die Tische der Verkäufer auf den Straßen, hell erleuchtet.

Von Pera aus hatten wir auf die Hauptstadt den prächtigsten Anblick. Die Massen der dunklen Häuser, ohne erhellte Fenster, von den belebten erhellten Straßen durchschnitten, sahen von oben einem Berge ähnlich, dessen glühendes Geäder an allen Stellen durchscheint. Hie und da war das Erdreich ganz durchbrochen und unzählige hohe Flammen leckten gierig in die Nacht empor, – die beleuchteten Minarets. Vor uns lag der Hafen, dessen Wasser durch den Widerschein der vielen Lampen, die an den Masten und Segelstangen der Schiffe hingen, röthlich angestrahlt erschien. Selbst die dunkeln Cypressen auf Pera, diese riesigen Todtenwächter, schienen den allgemeinen Jubel zu fühlen und waren von dem Lichtmeer drüben sanft beleuchtet.

Es war in einer der sieben heiligen Nächte des Jahres, nämlich in der Nacht Kadr, welche für die gilt, wo der Koran vom Himmel gesendet worden, als wir gegen acht Uhr von Pera aufbrachen, um uns nach der Moschee von Top-Chana zu begeben, die der Sultan in Folge der besondern Feierlichkeit, die heute stattfand, mit seinem Besuch beehrte. Dem Sultan nämlich, nachdem er in der heutigen Nacht sein Gebet verrichtet, wird von dem Großwesir bei seiner Rückkunft in's Serail eine Sklavenjungfrau übergeben, mit der er alsdann die Brautnacht begeht, in der Hoffnung, daß, wie in dieser Nacht der Koran vom Himmel kam, auch dem Hause Osmans ein Thronerbe vom Himmel gesendet werde. [Fußnote]Hammer, Gesch. d. v. R. Th. V.

Um die Moschee von Top-Chana, sowie die Kanonengießerei standen drei Reihen Infanterie, in deren Mitte sich ein Musikcorps befand, das mit ihren Trommeln, Posaunen und Trompeten einen herrlichen Lärm machte. Die Moschee war glänzender beleuchtet, als je, und an allen Wänden und Fenstern hingen große Reihen bunter Lampen. Ebenso war die Kanonen-Werkstatt auch auf das Prächtigste illuminirt und in dem Hofe derselben, sowie in dem Kreise, den die Soldaten bildeten, waren zahlreiche große Pechpfannen aufgestellt. Die türkische Infanterie machte sich's, wie gewöhnlich, auf ihrem Posten sehr bequem. Nur das erste Glied stand aufrecht auf den Beinen und hielt das Gewehr im Arm; das zweite und dritte saß auf der Erde und den Treppen der Moschee und fast Alles rauchte tapfer darauf los, so daß der Tabaksdampf mit dem Qualm der Pechbrände wetteiferte.

Wir drängten uns an die Reihe der Soldaten, die die Zuschauer vom Platze der Moschee entfernt halten sollten, und verdankten es nur der Keckheit, mit welcher wir uns für englische Offiziere und Aerzte ausgaben, daß sie uns in den Kreis ließen. Hier mußten wir noch eine gute Stunde warten, ehe der Spektakel losging. Dafür war aber auch der Lärm, der nun begann, um so größer. Ein paar Kanonenschüsse von Beschiktasch her gaben das Zeichen, daß sich der Sultan auf sein Pferd schwinge und alsbald antworteten die Batterien von Skutari, von der Serailspitze, sowie die Kriegsschiffe im Hafen. Die Soldaten wurden in's Glied gerufen und bildeten lärmend eine schlechte Linie. Das Musikcorps neben uns bemühte sich ebenfalls, zu dem allgemeinen Getöse das Ihrige beizutragen und die Musici arbeiteten auf ihren Instrumenten schonungslos herum. Ich muß hierbei einer großen Lächerlichkeit erwähnen, welche durch die Nachäffung der europäischen Gebräuche entstand. Der Tambourmajor, nach der neuen Ordnung der Dinge mit großem Stocke ausgerüstet, schwenkte denselben, worauf bei uns die Trommeln gleich einfallen; doch bei den Gläubigen war das nicht der Fall, sondern trotzdem er ihnen mit vieler Gravität das Zeichen zum Anfang gegeben und den Stab tüchtig geschwenkt hatte, wirbelten die Trommeln erst, nachdem er ihnen recht gemüthlich sagte: »Nun wollen wir anfangen.« Jetzt kam von dem Palaste des Sultans her eine große Menge Fackelträger mit einer andern Musikbande, die denselben Lärm machte, wie die erste. Auf dem Platze vor der Kanonen-Werkstatt steht ein kleiner steinerner Brunnen, den die Artilleristen mit Lustfeuerwerk verzierten; denn als dicht neben uns eine gewaltige Geschützsalve über den Wellen dahin krachte, daß die Pferde einiger türkischer Offiziere wie toll umhersprangen, flammten an dem Brunnen tausende von Zündlichtchen auf, so daß er ganz in Feuer zu stehen schien. Auch zündete man hie und da in großen Pfannen farbige bengalische Feuer an, so daß die umliegenden Gebäude bald von blutrothen, bald von grünen oder blauen Flammen umspielt schienen. Aber an dem ganzen Anblick war nichts Erquickliches, nichts Angenehmes. Es war ein entsetzliches Chaos von Kanonenschüssen und Musiklärmen, von Lichtern und Flammen, die, ordnungslos durch einander spielend, Auge und Ohr beleidigten. So ungefähr muß in alter Zeit ein Hexensabbat ausgesehen haben.

Jetzt sprengte Reschid Pascha vor, auf der Brust einen mächtigen Stern von Brillanten, der zahllose Blitze um sich warf, und den Soldaten wurde der Befehl zum Präsentiren gegeben. Ein lieber türkischer Soldat, neben dem ich stand, stieß mich an und bat mich, ihm für einen Augenblick seine Pfeife zu halten, wozu ich mich natürlich sehr bereitwillig finden ließ. Endlich kam der Sultan, von seinen Großwürdenträgern umgeben, alle auf prächtigen Pferden. Der junge Herrscher trug einen weiten, blauen Mantel und weiter keine Auszeichnung, als einen großen Brillantstern am Fez. Er ritt in den Vorhof der Moschee, wo er abstieg, und von einigen seines Gefolges begleitet, in das Gebäude trat. Für heute sahen wir ihn nicht wieder; denn die Feierlichkeiten waren zu Ende und der Padischah fuhr wahrscheinlich später in seinem Kaik nach Beschiktasch zurück.

So wild und unordentlich der Lärm der Ceremonie war, so rasch verflog er wieder – ein Strohfeuer. Die Soldaten verließen den Platz, die Pechpfannen verlöschten und an dem Brunnen, um den soeben noch die hellen Flammen loderten, glimmten nur hie und da noch einige elende Papierhülsen. Wir bestiegen ein Kaik, um nach Stambul hinüberzufahren. Der Anblick der erleuchteten Städte war am schönsten von der Mitte des Hafens aus, wo wir rings herumschauend alle Minarets, sowohl von Stambul, wie von Galata, Top-Chana und Skutari, mit glänzenden Lichtkränzen umwunden sahen. Auch strahlten hie und da von Thürmen, oder andern hohen Gebäuden illuminirte arabische Schriftzeichen durch die Nacht und andere oft seltsam geformte Figuren, als Schiffe mit großen Segeln, Drachen, Schlangen etc. Bei der Aja Sophia war an einem Gebäude ein kolossaler Wagen angebracht und bei der Suleimanje eine große Figur, die wahrscheinlich einen Derwisch vorstellen sollte, aber einem Bajazzo weit ähnlicher sah.

Wir verließen unser Kaik und wanderten durch die Gassen, die heute bei Kerzen- und Lampenbeleuchtung noch weit lebhafter aussahen, als am Tage. Alles Volk war lustig und guter Dinge, als feierte man ein großes Fest. Die Verkäufer von Backwerk und Zuckerzeug, die zwischen der Menge mit lautem Rufen herumgingen, hatten ebenfalls die runden kupfernen Scheiben, worauf sie ihre Artikel ausgebreitet, mit Lichtern besteckt, und es sah ergötzlich aus, wie sie sich in großer Anzahl unter den Haufen herum bewegten. Hie und da waren vor den Buden kleine Spielereien aufgestellt, Windmühlen, von Sand getrieben, oder illuminirte Schiffchen, vor denen die sonst so ernsthaften Gläubigen lachend und laut rufend stehen blieben. So erinnere ich mich eines Ladens, in dem Conditor-Waaren verkauft wurden und dessen Besitzer, ein spekulativer Kopf, zwischen dem Backwerk einen kleinen Brunnen errichtet hatte, der aus drei Röhrchen Wasser in ein Becken ließ und in demselben ein kleines Wasserrad in Bewegung setzte, das rechts und links mit Glöckchen in Verbindung stand, die sehr unharmonisch durch einander klimperten, worüber aber die Türken eine unbeschreibliche Freude hatten und in ganzen Haufen vor diesem Laden stehen blieben. Dies verschaffte ihm natürlich einen guten Absatz seiner Waaren, sowie es auch an diesem Theile der Straße eine größere Lustigkeit hervorrief, als sonst irgendwo. Das Volk schrie einmal über das andere: » ei w' allah! ei w' allah!« und ein paar alte zerlumpte Kerle tanzten vor Vergnügen nach dem Geklimper der Glocken auf der Straße herum, natürlich ebenso taktlos, wie diese Musik selbst.

Am lebhaftesten geht es in diesen Nächten in den Kaffeehäusern und bei den Sorbetbereitern zu; in den ersten werden dann gewöhnlich deklamatorisch-musikalische Unterhaltungen aufgeführt; versteht sich von selbst, Alles in türkischer Manier. Wir traten in eines dieser Häuser, die heute ebenso hell beleuchtet sind wie die Straßen, und wurden, obgleich es sehr voll war, von dem Kaffeetschi mit großer Aufmerksamkeit empfangen und untergebracht. Auch muß ich rühmend gestehen, daß die Gäste selbst bei der Aufforderung des Kaffeetschi, für uns etwas Platz zu machen, sehr bereitwillig zusammenrückten. So kam ich auch neben einen alten Arnauten zu sitzen, der sein schönes Costüm in der ärmlichsten Verfassung, aber dagegen prächtige Waffen hatte. Seine Pistolen, Dolch und Yatagan waren reich verziert und mit kleinen silbernen Nägeln beschlagen. Aber der Mensch hatte, wie fast all' dieses Volk, ein ganz unangenehmes confiscirtes Gesicht; blaß, von Blatternarben zerrissen, wurde es von einem ungeheuern Schnurrbart förmlich in zwei Hälften zertheilt, von denen es schwer zu entscheiden war, welche die gerechtesten Ansprüche auf eine unbeschreibliche Häßlichkeit hatte.

Als ich mich neben den Arnauten niedergelassen, legte er grüßend seine Hand an das Feß und reichte mir das Rohr seines Nargileh dar, aus dem ich anstandshalber einige Züge thun mußte. Bald hatte uns der geschäftige Wirth mit Kaffee und Pfeifen versehen, und wir konnten behaglich das Gewühl der Menge vor uns überschauen.

Auf einer Erhöhung in einer Ecke des Gemachs saßen drei türkische Musici, mit Instrumenten bewaffnet, wie ich sie früher schon einmal beschrieben und womit sie einen argen Lärm machten, zu welchen ein alter Türke, der vor ihnen saß, Loblieder auf den Propheten in näselndem Tone mehr sprach als sang. Doch ergötzten sich die umhersitzenden Gläubigen sehr bei dieser Unterhaltung und spendeten den Künstlern am Schluß derselben manchen Ausruf des Entzückens und der Zufriedenheit. Jetzt trat ein Märchenerzähler Meddah, auf, und begann, wie uns Herr von C. sagte, von den Abenteuern Sidal-Battal's zu erzählen. Wir konnten natürlich nur wenig davon genießen, da wir kein Wort von seinen Reden verstanden; doch machte uns Herr von C. darauf aufmerksam, wie oft der Meddah Ton und Sprache änderte. Jetzt ahmte er den gravitätischen Ton eines Paschah nach, jetzt den unterwürfigen eines Sklaven, jetzt hörten wir die hustende Stimme eines alten Weibes, bald den Dialekt eines Armeniers, eines Franken oder Juden. Da Herr v. C. durch seine Bemerkungen unserm Gehör nachhalf, so machte es uns eine Zeit lang Vergnügen, dem Meddah zuzuhören. Als er zu dem interessantesten Theil seiner Erzählung gekommen war und die Zuhörer recht gespannt lauschten, wie sich der Held der Geschichte aus der verwickelten Affaire ziehen würde, hörte er plötzlich auf, stand auf und ging mit einem zinnernen Teller im Kreise herum, worauf jeder ein paar Para warf, um sich so Fortsetzung und Schluß der Geschichte zu erkaufen.

Wir verließen das Kaffeehaus, um nach der Suleimanje zu gehen, wo noch mehrere dieser Häuser sein sollten, in denen man hauptsächlich in den Nächten des Ramasans die Tiriaki oder Opiumesser ihr Wesen treiben sieht. Auf den Straßen herrschte noch immer das alte Gewühl. In den obern Theilen der Stadt, wo sich meistens die Gassen der verschiedenen Handwerker befinden, sahen wir oft neben andern Illuminationen verschiedene arabische Schriftzüge, aus kleinen Lampen zusammengesetzt. Es waren die Namen von Schutzheiligen der Gewerke, welche hier in der Türkei ebenso gut ihren Patron haben, wie die Innungen bei uns. Ja die ganze Einrichtung der Zünfte und Innungen bestand bei den Arabern weit früher als bei uns, und wir haben sie wahrscheinlich von dort herüber angenommen, wenigstens leitet sich das Wort Zunft von dem arabischen Wort Sinf das ist ein Gewerk, eine Innung, her.

Bei den Türken ist Adam der Schutzheilige der Ackerleute, Enoch der der Schneider und Schreiber, Joseph der Zimmerleute, Abraham der Milchverkäufer, Daniel der Dolmetscher, Salamo der Korbflechter, Jonas der Fischer, Jesus der Reisenden, Mohamed der Kaufleute ec.

An der Suleimanje, wo viele Kaffeehäuser liegen, sahen wir nur zu einigen der größten hinein und fast in allen herrschte eine laute Fröhlichkeit. Da wurde gespielt und gesungen, dort beschäftigte der Meddah die Phantasie der Zuhörer und in andern trieben Lustigmacher und Tänzerknaben, wie wir sie in Adrianopel gesehen, ihr Wesen. Herr von C. führte uns in eine enge Gasse, wo nur hie und da wie zum Spott eine verglimmende Lampe brannte und vor ein kleines Haus, dessen Inneres, nothdürftig erhellt, uns die Einrichtung eines ärmlichen Kaffeehauses zeigte. Dies war eine der Höhlen, in welchen die Opiumesser ihr Wesen treiben. Wir traten in das Lokal, das über alle Beschreibung schmutzig aussah, ließen uns auf einer hölzernen Bank am Eingang nieder und mußten eine Zeit lang warten, eh' sich der Wirth zu unserer Bedienung meldete. Dies war ein kleiner magerer Mann, der sich auf eine sonderbar lächerliche Art, ich möchte sagen, fast tanzend, aus dem Winkel neben dem Kamin, wo er zusammengekauert saß, auf uns zu bewegte. Außer ihm waren noch drei bis vier andere Leute in dem Gemach, die die seltsamsten Bewegungen machten. Der Kaffeetschi trat vor uns hin und hielt uns halb singend eine Anrede, in der er uns versicherte, es sei ihm eine Freude, daß wir sein Haus mit unserm Besuch beehrten. Der Kopf des alten Mannes hatte einen unangenehm lustigen Ausdruck. Seine Augen, starr und schwerfällig, wie die eines Betrunkenen, blitzten mit einem unnatürlichen Feuer. Die eingefallenen Wangen waren erröthet und die Mundwinkel zuckten hin und her. Es war mir ein unheimliches Gefühl als der Alte, sich mehrmals vor uns verneigend, mir mit seinem, langen schneeweißen Barte fast im Gesicht herumfuhr. Er ging auf dieselbe tanzende Art und beständig vergnügt vor sich hinsingend nach dem Herde zurück, um uns Kaffee zu kochen. Wir verlangten natürlich keine Pfeife, denn es war uns nicht darum zu thun, vielleicht eine mit Opium gewürzte zu bekommen, die uns wohl in einen noch schlimmern Zustand versetzt hätte, als wie der der Gäste, die sich hier befanden.

Im Hintergrund des Gemachs kniete einer derselben mit dem Gesichte gegen die Wand gekehrt und schien eifrig im Gebet versunken, wenigstens machte er alle die Bewegungen, wie wir sie in den Moscheen zuweilen beobachtet, doch mit so entsetzlicher Heftigkeit, wie sie nur die fanatischste Begeisterung hervorzubringen im Stande wäre. Bald schlug er seinen Kopf gegen die Bank, bald warf er ihn hinten über, daß wir sein blasses eingefallenes Gesicht verkehrt sahen, und der lange schwarze Bart in die Höhe stand. Er warf die Arme heftig von einander und schloß sie krampfhaft wieder. Die Worte, die er dabei ausstieß, fing er leise murmelnd an und steigerte allmälig seine Stimme, nachdem die Ideen in seinem erhitzten Kopfe immer wilder und verworrener aufwuchsen, bis zu lautem Geschrei, das er mit dem öftern kreischenden Ausrufe: Allah il Allah! schloß. Neben ihm lag ein noch ziemlich junger Mensch, eine elende abgemagerte Jammergestalt, dem die Thränen aus den Augen stürzten und dessen stumme entsetzliche Trauer, welche das ganze Gesicht ausdrückte, einen schneidenden Contrast mit der grellen ausgelassenen Lustigkeit eines baumstarken Negers bildete, der auf der andern Seite in einem dunkeln Winkel lag. Die Augen des Schwarzen glänzten, wie die eines wilden Thiers, und die Reden, die er ausstieß, kamen mit Blitzesschnelle zwischen den schneeweißen Zähnen hervor, die er wiehernd lachend auf einander biß. Er warf seine muskulösen Arme begeistert um sich herum, zeigte bald vor sich hin, bald in die Höhe und machte überhaupt so entsetzlich lebhafte Mienen und Zeichen, daß mir war, als verstünde ich seine verworrenen Reden. Der Unglückliche träumte vielleicht von seinem Lande, von den Palmen, unter denen er gewandelt, von der gelben Flut des Nils, in der er gebadet. Jetzt faßte er mit seinen Armen die Luft, als ergreife er etwas und seine Finger krampften sich so in einander, daß die Muskeln schwellend heraustraten. Kam ihm vielleicht in diesem Augenblicke das Bild eines Kampfes vor die Seele, in dem er seinen Feind überwindend niederriß und jetzt, da er die Arme wie ermattet herunter sinken ließ und sich zurücklehnend mit den schwarzen Augenlidern das wilde Feuer seiner Blicke auslöschte, dachte er da vielleicht an eine sanfte Hand, die ihm über das Gesicht fuhr und den Schweiß von der Stirne wischte?

Doch genug von diesen entsetzlichen Bildern! Der Anblick dieser Menschen war uns Allen nach wenigen Augenblicken so unerträglich und wirklich Furcht erregend, daß wir das Haus verließen, ohne unsern Kaffee anzurühren. Der Anblick von Wahnsinnigen ist gegen das Aussehen dieser Menschen ein beruhigender zu nennen. Man weiß doch, daß bei jenen gehörige Vorsichtsmaßregeln getroffen sind, daß sie ihren Nebenmenschen nicht schaden können. Aber wer bürgt mir dafür, daß nicht einer dieser Verzückten auf mich zustürzt und mich ohne alle Umstände erwürgt?

Das Laster des Opiumessens verschwindet glücklicher Weise selbst im Orient immer mehr und mehr, und die Individuen, die es noch treiben, sind den Andern noch viel verhaßter, als ein Mensch bei uns, der beständig betrunken ist. Man muß aber auch die gräßlichen Gestalten dieser Menschen sehen, wie sie blaß und abgemagert, halb taub und blind und abgestumpft für alle Genüsse des Geistes und alle Freuden des Lebens dahin wanken, wenn der Rausch des Opiums nachgelassen.

Obgleich das Opium (ein Opiat aus Hyosciamus), Haschische genannt, meistens aufgelöst getrunken wird, sagt man jedoch nach dem Idiotismus der türkischen und persischen Sprache: er ißt Opium und trinkt dagegen den Rauch der Pfeife. Wahrscheinlich brachte der Genuß des Opiums in alten Zeiten die Assassinen in jene Begeisterung und Todesverachtung, mit der sie das von ihrem Meister bezeichnete Opfer in der Mitte der Seinigen aufsuchten und niederstießen.

Uns Alle hatte der Anblick jener Unglücklichen trübe gestimmt und wir wandelten schweigend durch die Gassen der Hauptstadt, in denen, da Mitternacht vorüber war, die laute Fröhlichkeit mit einem Mal nachgelassen. Hie und da wandelte noch ein Verkäufer herum und die Lichter auf seinem Tragtische waren niedergebrannt und erloschen allmälig. Die illuminirten Namen und Figuren hatten schon große Lücken, und an den Minarets brannte noch hie und da eine Lampe, deren flackerndes Flämmchen sich schwach gegen die mächtige Nacht vertheidigte, die mit ihrem wehenden schwarzen Schleier den Glanz so vieler tausend Lichtchen schon getödtet hatte. Als wir auf der großen Brücke waren, und noch einmal nach Stambul zurückschauten, stieg der Mond hinter Skutari empor und grüßte uns mit einem langen zitternden Lichtstreifen, den er über Hafen und Brücke warf.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Reise in den Orient – Erster Band