Das neue Serail. - I. Von der Hafen- und Seeseite.

Wenn man in lauen Mondscheinnächten, deren das Klima um Konstantinopel selbst in der späteren Jahreszeit noch viele gibt, in dem kleinen Kaik langsam und die Schönheiten rings genießend auf dem goldenen Horn umher fährt, dann öffnet sich leicht die Brust und nimmt gerne in sich auf die Klänge und Sagen, die ihm jener Thurm, jener Fels, selbst die spielenden Wellen geheimnißvoll zuflüstern. Die ganze Gegend hier gleicht einem aufgeschlagenen riesenhaften Geschichtsbuch, wo man in jeder Zeile, jedem Fuß breit Landes etwas Neues, Ungeheures lesen kann. Welche Poesie, welche Geschichte versammelt sich nicht auf und an diesen Gewässern! – Könnte ich den Nachen zur Muschelschale des Zauberers machen und in ausgestrecktem Arm den Zauberstab schwingen, um den Schatten die einstens hier gewandelt, zu befehlen, daß sie sich auf der dunkeln Fluth zeigten und langsam bei mir vorbeischwebten! Ach, keine Macht kann das, und nur die Phantasie vermag aus der Erinnerung Gestalten vor das innere Auge zu zaubern, gewaltige Bilder, die wir in der Kindheit in uns aufnahmen und die in den spätern geräuschvollen Wellen des Lebens allmälig erblaßten, jedoch hier auf dem Platze ihrer Entstehung ihr volles Recht wieder geltend machen und lebhafter als je vortreten. – Hier, wo ich jetzt mein Boot wende, schifften die Argonauten, denen die Jugendträume so gern nach Colchis folgten, um ihnen genau zuzusehen, wie sie unter Gefahren und Mühen das goldene Vließ des Widders zurückholten. Dort die Landspitze hieß einst Bosphorus und hier trat die schöne Io, in eine Kuh verwandelt, an's Land. Zur Linken bei Top-Chana, wo sich jetzt der bunte Palast des Sultans erhebt, opferten die Jünglinge dem Helden Ajax, und wo heute die Gebäude der türkischen Artillerie stehen, hatte einst Ptolemäus Philadelphus seinen Tempel. – Vor mir liegt Skutari, das alte Chrysopolis, der letzte Ruhepunkt der Karawanen, die ihre Schätze von Asien nach Europa führten. Hier aus diesen Gewässern zeigten sich um's Jahr 654 zum ersten Mal die Schwärme der räuberischen Araber unter ihrem Kalifen Moarin, der erste, welcher das Verbot Omars übertrat, der den Arabern, wie früher Lykurg den Spartanern, die Seefahrt verboten, und nach dieser Zeit machten die Araber bis um's Jahr 780 sieben Versuche, die Hauptstadt des griechischen Kaiserthums zu erobern, alle vergeblich, bis Mahomed II. im Jahre 1453 nach einer Belagerung von sieben Wochen die Stadt zu Wasser und zu Land stürmte, und sie erobernd das Wort des Propheten erfüllte, ein Wort, welches den Herrscher der Osmanen stets zu neuen Versuchen wider Byzanz geführt hatte: »Sie werden erobern Konstantinopel, wohl dem Fürsten, dem damaligen Fürsten, wohl dem Heere, dem damaligen Heere.-«

Unter all' diesen Betrachtungen, die Land und Meer gewaltsam herbeiführen, und denen ich ruhig nachhängen kann, geht es mir wie dem Kinde, das von all dem Schönen, was ihm erlaubt ist, den Blick beständig nach jenem prächtigen Palaste hinschweifen läßt, dessen Thore ihm verschlossen sind, und wo es doch so gern wenigstens durch's Schlüsselloch sehen möchte, um etwas zu erspähen von den Herrlichkeiten, die er, wie man sich heimlich erzählt, enthalten soll. Mir lag dieser verschlossene Palast, das neue Serail, zur Rechten, und wenn auch auf seinen Terrassen nicht mehr wie sonst, zahlreiche Sklaven lauern, die das sich unvorsichtig nähernde Boot ergreifen, es umstürzen und die darin Sitzenden ertrinken oder erschießen, so haben doch die entsetzlichen Geschichten, die dort geschehen, und die Flüche, die aus jenen bunten Lusthäusern hervordrangen, einen Zauberkreis um seine Mauern gebildet, dem man sich nur mit ängstlich klopfendem Herzen nähert.


Im hellen Mondschein lag das Serail vor mir; es scheint nur der Aufenthalt einer bösen Fee zu sein, die den Unerfahrenen anlockt, um ihn zu verderben. Wie schön glänzen in dem weißen Lichte die vergoldeten Dächer der bunten Kioske und scheinen so freundlich zwischen Gruppen von schwarzen Cypressen und dicht belaubten Platanen hervor, schönen Mädchen gleich, die sich zwischen Rosengebüschen verbergen und den Vorübergehenden neckend anrufen. Die Wellen des Meeres schlagen einförmig an die Grundmauern des Gartens und ich weiß nicht, ist es das Gemurmel des Wassers, wenn es von dem zackigen Gestade herabträufelt, oder was sonst – ich glaube, leise hinsterbende Accorde zu vernehmen. –

Das ganze Gestade, welches jetzt die Wohnung der Sultane mit ihren Heimlichkeiten und Verbrechen trägt, ist mir immer wie ein verfeyter Platz vorgekommen, der bald gut, bald böse auf seine jedesmaligen Bewohner einwirkt. Kein Fleck der Erde hat wohl eine so großartige, aber auch blutige Geschichte zu erzählen wie dieser. Schon der erste Gründer von Byzanz, Byzas, baute auf diesem sanft ansteigenden Hügel dem Poseidon und der Aphrodite Altäre, die sich unter den Konstantinern, dem christlichen Glauben gemäß, in Kirchen und Kapellen verschiedener Heiligen umwandelten. Auf derselben Stelle erhob sich später der große Palast der griechischen Kaiser oder vielmehr die verschiedenen Gebäude, welche die alte Kaiserburg bildeten und die noch einen größeren Raum einnehmen, als das heutige Serail. Stolze Bauten spiegelten sich zu jener Zeit in den Wellen der Propontis, Thore, Säle und Bäder von glänzendem Marmor, stattliche Porphyrsäulen ragten hoch empor und von ihnen schauten die Bildsäulen verschiedener Kaiserinnen weit in's Meer; – Alles das verschwand größtentheils, indem bald große Empörungen, sowie auch die Zeit diese Bauten zusammenstürzten. Nicht minder griff auch die Hand einzelner Menschen zerstörend ein, wie die des Kaisers Justinian; der aus den vergoldeten Ziegeln des ehernen Thorpalastes Chalke seine auf dem Saal des Augusteon aufgestellte Bildsäule gießen ließ.

Mit Zeit und Geschichte Hand in Hand gehend, entstanden alsdann neue Paläste und Denkmäler hier, dem jedesmaligen Weltalter analog. Die alte Zeit wurde in ihrem Eisenkleide zur Ruhe gelegt und die neuen Herrscher von Byzanz legten ihr beturbantes Haupt einer schönen Sklavin in den Schoos, und bauten sich mitten in den dunkelsten Partien ihres mit Marmorbecken und Rosengebüschen gezierten Gartens zierliche Kioske, leichte vergoldete Häuser, die das Auge der Neugierigen blendeten und ihn wie der Blick der Schlange festhielten, bis ihn der Arm erreichte, der den Unglücklichen für seine Verwegenheit tödtet. Ehrgeiz und Wollust zogen lange glänzende Fäden an diesen Mauern, einem Spinnennetz gleich, und so entstand das neue Serail, in dessen Mitte der Beherrscher der Gläubigen thronte, fast unsichtbar und jedem fürchterlich, der sich der schimmernden Höhle nähern mußte.

Wer nach Konstantinopel kommt, umsegelt gewiß öfters die Spitze des Serails, und wenn er sich träumend verlor in die gewaltige blutige Geschichte, die hinter diesen Mauern vor sich ging, steigt gewiß der Wunsch in ihm auf, etwas Näheres über das Innere und die Einrichtung dieser geheimnißvollen Paläste und Lusthäuser zu erfahren. Doch ist es wenig Europäern gelungen, von der Seite des Meeres, wo sich die Frühlingsharems, die meisten Gärten und Bäder befinden, einzudringen; denn so sehr sich auch hier schon die Zeiten geändert haben und dem Neugierigen erlaubt wird, manche Blicke in Gebäude und Verhältnisse zu thun, die früher mit dem Tode bestraft worden wären, so ist doch die Erlaubniß, das neue Serail zu sehen, sehr eingeschränkt und wird mit seltenen Ausnahmen nur der Eintritt von der Landseite gestattet, wo auch wir ohne viele Mühe bis hinter das Thor der Glückseligkeit drangen.

Daß wir bei unsern Spazierfahrten oftmals den Blick verlangend zu den hohen Mauern des Uferpalastes schickten, und Alles anwandten, die Erlaubniß zu einem Besuch zu erwirken, kann jeder denken; doch hatte man uns im Allgemeinen versichert, obgleich der Sultan augenblicklich in seinem gegenüber liegenden Palaste von Beschiktasch residire, es würde unmöglich sein, einen Ferman zu erlangen, um diese stets verschlossenen Gärten und Gemächer auch nur flüchtig zu sehen, und schon hatten wir alle Hoffnung aufgegeben, als es durch eine sonderbare Verkettung von Umständen dem Baron und mir gelang, an einem schönen Abend und im wahren Sinn des Worts durch eine Hinterpforte in die geheimnißvollen Räume des neuen Serails zu dringen. Doch da es uns nicht vergönnt war, einen Dragoman mitzunehmen, auch unser Führer im Innern des Palastes, obgleich er sehr redselig war, nur türkisch sprach, so hätte ich wohl für meine Person die wirklich ängstlichen und gespannten Empfindungen beschreiben können, die mich ergriffen, als das Thor sich hinter uns wieder schloß und wir uns in den Gärten befanden, wo im Falle unseres Verschwindens keine Macht der Erde augenblicklich im Stande gewesen wäre, unserer Spur nachzuforschen; aber für mein Tagebuch und andere Mittheilungen hätte ich keinen Gewinn gehabt, wenn der Baron nicht den guten Gedanken hatte, einen Theil des trefflichen Werkes von Hammer über Konstantinopel und den Bosporus mitzunehmen, der vor mehreren Jahren ebenfalls und bessere Gelegenheit hatte, diese Gebäude zu besehen, welches uns nun als Cicerone und vorzüglicher Erklärer diente.

Es war an einem der schönen Herbstabende, so lau und angenehm, daß man glauben möchte, im Frühling zu sein, und doch waren wir schon im Monat November, als uns das kleine Boot quer über das goldene Horn hinwegtrug, um die Spitze des neuen Serails herum in die Propontis. Wir flogen, ohne ein Wort zu sprechen, längs der Felsen, die das Meer bespült und auf welchen die hohen festen Gartenmauern des Serails stehen. Unser Kaikschi, ein Armenier, den wir bei unsern Fahrten oft benützt, ein redseliger Mensch, der uns stets mit einer Menge Fragen quälte, die wir ihm doch nicht beantworten konnten, sprach bei unserer heutigen Fahrt kein Wort, und als wir unter die vergitterten Fenster des ersten zum Serail gehörigen Kiosk kamen, drückte er seine Filzmütze fest auf die Stirn und bearbeitete ohne aufzusehen mit seinem Ruder die Wellen so gewaltig, daß wir einer Seemöve gleich an dem zackigen Ufer hinfuhren. – Der Abend war so schön, die Sonne warf ihre letzten Strahlen herüber, die Wellen des Marmormeers vergoldend, die vergnüglich auf- und abspielten, und die Berge Kleinasiens, vor Allen der schneebedeckte Olympos, brannten in hellem Feuer. – Jetzt waren wir am Ziele unserer Fahrt angelangt, der Kaikschi legte ein Ruder weg und trieb die Spitze des Fahrzeugs mit dem andern zwischen zwei Felsen am Ufer. Wir sprangen hinaus und mußten zurückblickend über die Angst des Armeniers lachen, über die Hast, mit der er sein Boot wieder vom Ufer entfernte, und alsdann mit noch größerer Geschwindigkeit wie früher weit in's Meer hinausfuhr, um auf einem großen Umweg den Hafen wieder zu gewinnen. In wenigen Augenblicken sahen wir seine Nußschale in den hohen Wellen der Strömung auf- und abtanzen und bald verschwinden.

Wir traten zu einer kleinen Pforte, nicht weit von dem Kiosk Selim III., die uns auf ein gegebenes Zeichen ein Schwarzer öffnete, der dieselbe aber hinter uns wieder sorgfältig verschloß, und befanden uns in einem großen Garten voll duftender Jasmingruppen, Rosengeländer und großen Partien schöner Platanen, die ihre dunkeln Zweige wie schützende Flügel ausstreckten und unter denen eine tiefe unheimliche Stille brütete. Ich weiß nicht, es war ein sonderbares Gefühl, hier zu wandeln. Wie Diebe in der Nacht schlichen wir anfangs vorwärts, auf jedes fallende Blatt lauschend und beinahe über das Knistern erschreckend, das unser Fußtritt auf dem weichen Sand verursachte. Doch die Sicherheit unseres schwarzen Führers, mit der er so laut als möglich sprach und uns die Gegenstände umher erklären wollte, lösten die ängstlichen Träume, die das Andenken an die frühere fürchterliche Geschichte dieses Orts um mein Herz gelegt, und ließ uns die interessanten Sachen so genau betrachten, wie es in der Schnelligkeit, mit der wir hindurch gingen, möglich war. Der Garten, in dem wir uns befanden, der neue Garten genannt, wird durch zwei große Laubgänge in vier Theile getheilt, auf denen Gruppen, sowie Lauben von Rosen und Jasmin Schatten gegen die Sonne geben, während allerlei da angebrachte Wasserwerke, speiende Löwen, gewöhnliche Fontainen, Sterne ec., die sich aber gerade nicht durch großen Geschmack auszeichneten, den Damen, die auf den angebrachten Steinsopha's ruhen, Erfrischung gewähren. Wir ließen uns einen Augenblick auf einen dieser Ruhesitze nieder, von dem man zwischen den Zweigen einiger Baume eine Aussicht bis auf die hohe See hatte. Wie manche jener unglücklichen Frauen, die hier in der Gefangenschaft ihre Schönheit und Jugend verblühen sahen, hatte wohl ihre Blicke hoffend oder verzweifelnd da hinausgesandt, und sich, in die spielenden Wellen schauend, goldenen Träumen überlassen, in denen sich ihr die verschlossenen Thore des Harems öffneten und sie die erdrückenden prächtigen Gewänder zurücklassend, mit Freuden in ein armseliges kleines Boot sprang, das sie ihrer Heimath zuführte, ihrer Heimath, wo sich liebende Arme, denen sie entrissen war, jauchzend zu ihrem Empfange öffneten. Wie mußten diese Träume so süß ihr Herz erfrischen und der Unglücklichen ihre Schmach vergessen machen, bis der rauhe Ruf der Wächter sie emporschreckte und sie hineintrieb in ihre vergitterten Zimmer, wo die murmelnde Fontaine ihr melancholisch andere Dinge zuflüsterte, entsetzlich blutige, die das klare Wasser mit angesehen.

Das Kiosk Selim III. liegt in diesem Garten hart am Meere und man muß von den obern Zimmern desselben eine prächtige Aussicht auf die asiatische Küste und die vorüberfahrenden Schiffe haben. Das untere Stockwerk dieses Gebäudes ist ein gewölbter Saal mit einem einfachen Springbrunnen, um den die dienenden Weiber und Mägde ruhen und sich die Zeit mit Märchenerzählen vertreiben. Die Zimmer oben, zu der unser Führer leider keinen Schlüssel hatte, bestehen aus einem prächtigen Gartensaal, halb europäisch eingerichtet, wo sich neben den türkischen Divans große französische Spiegel befinden, und wo englische Kronleuchter das Gemach erhellen. Rechts und links von diesem Saale sind zwei Zimmer, eins für den Sultan, das andere für die jedesmalige Favorite.

Von diesem äußern Garten tritt man durch einen langen dunklen Gang, der einen Flügel des Harems durchschneidet und mit zwei eisernen Thoren verschlossen ist, in den inneren Blumengarten; der rechte Theil heißt der Cypressen- und der linke der Hyazinthen- und Tulpen-Garten. Dieser innere Blumengarten ist ein Viereck, von Gebäuden des Serails umschlossen und in einem wunderlich phantastischen Geschmacke angelegt. Die schwarzen Gestalten hochstämmiger Cypressen werden noch schärfer hervorgehoben durch den glänzenden bunten Blumenteppich, aus dem sie wachsen, indem Tulpen, Hyazinthen und Rosen durcheinander blühend, ein schönes Farbenspiel entfalten, das angenehm unterbrochen, aber nicht gestört wird durch die mit Marmor ausgelegten Fußwege und die bunte Porzellaneinfassung der verschiedenen Beete.

In seltsamen Gestalten ragen hie und da aus dem Laubwerk einzeln stehender Platanen und kolossaler Rosensträuche kleine Bauwerke hervor, dünne Pfeiler, kleine Thürmchen mit glänzenden Dächern, Kamine, mit Arabesken verziert, Marmorgeländer, die Behälter voll klarem Wasser umgeben, und eine Menge anderer Spielereien, um die Herumwandelnden zu erfrischen und zu zerstreuen. Wir gingen gerade durch diesen Garten und traten durch ein anderes Thor, das dem, zu welchem wir oben hereingekommen, gegenüber liegt, in einen langen schmalen Gang, der fast eine ganze Seite der Gebäude einnimmt, die um den innern Blumengarten liegen. Diese Gallerie erhält ihr Licht durch kleine runde Fenster. An den Wänden hingen verschiedene Kupferstiche; wie mir schien, waren es Pläne von Festungen oder Schlachten.

Lang und schmal, wie dieser Gang ist, möchte ich ihn die Lebensader des Serails nennen; aus ihm strömen die, freilich bösen Säfte, welche das ganze Getriebe des Haremwesens in Leben und Kraft erhalten, denn zu ebener Erde wohnen hier die Eunuchen, die barbarischen Wächter der Weiber und die privilegirten Angeber der Vergehen, die sich jene zu schulden kommen ließen oder die ihnen nur angedichtet wurden. Schrecklich wirkte die Anklage aus dem Munde eines Verschnittenen, fast gleich, ob sie die Sultanin oder die geringste Zofe traf. Aus diesem Gange treten wir links in die Gallerie der Kupferstiche und kommen aus ihr in die eigentliche Wohnung des Sultans, zuerst in den sogenannten persischen Saal der Hängeleuchter, ein wirklich heimliches reizendes Gemach. Die Divans rings an den Wänden sind mit geschnittenem Sammt überzogen und große prächtige Spiegel, einst von den Russen zum Geschenk dargebracht, bedecken die Wände. Die Fenster dieses Saales, von außen durch rankende Pflanzen und Rosengebüsche fast unsichtbar, gewähren dennoch eine reizende Aussicht auf den Blumengarten – hier möchte ich auch als Sultan ruhen, die lange Pfeife in den Händen und stundenlang gedankenlos in den Garten schauen, auf den Flor der Blumen und Mädchen meines Harems, oder mich in dem klaren Wasser spiegeln, das vor meinen Fenstern ein schönes Marmorbecken füllt. Wie oft mag der Beherrscher der Gläubigen da hinabgeschaut haben und die tanzenden Rosenblätter auf dem Wasser waren ihm seine Flotten, die er in Gedanken hinaus sandte in die Welt, um neue Länder zu erobern – bis ihn ein weißer runder Arm aus diesen Träumereien weckte, um ihn in andere süße zu versenken. Hier dieses Wasserbecken war es vielleicht, wo Sultan Ibrahim auf seine Lieblingsweise mit seinen Weibern und Kindern scherzte, indem er sie aus dem Fenster des Gemachs entkleidet in das Marmorbecken warf und eine Zeit lang darin herumplätschern ließ, ehe er den umstehenden Sklaven den Befehl gab, sie wieder herauszufischen.

Durch ein Bad des Sultans Abdul-Hamids traten wir aus dem persischen Saal in die Bibliothek Selim III.; zwei prächtige Zimmer, ein kleineres mit Bücherschränken, nach Hammer die Handbibliothek Selims, Geschichtsschreiber und Dichter, durchgängig Prachtexemplare, durch Schöne der Schrift ausgezeichnet. Das größere hat einen ganz goldenen Plafond, von welchem Körbe mit künstlichen Vögeln herunterhängen, die dem ruhenden Gebieter etwas vorsingen. Uns mochten sie nicht für würdig halten, ihre Stimmen ertönen zu lassen und uns zu unterhalten; denn sie waren stumm wie alle diese zauberhaften Räume. An den Wänden des Gemachs hingen prachtvolle, meistens alte Waffen, reich mit Gold und Edelsteinen besetzt, Dolche, Pistolen, Säbel, Bogen und Köcher. In der Mitte auf einem prächtigen Bodenteppich stand ein großes Kohlenbecken (Mangahl). Wir sahen in diesem Privatzimmer rings auf allen Divans herum, ohne zu finden, was wir suchten; denn hier lag, wie Herr von Hammer erzählt, die große Brieftasche des Sultans, aus gelbem Leder mit Silber gestickt, eine ähnliche, wie ihm bei festlichen Gelegenheiten von einem der Kronbeamten vorgetragen wird. Jetzt war sie nicht mehr da; wahrscheinlich hat sie Sultan Abdul Medschid mit nach Beschiktasch genommen, wo er jetzt gerade wohnt; denn die Großmächte werden ihm so viel zu notiren geben, daß er vermuthlich seines ganzen Brieftaschen-Vorraths bedarf, um sich Alles gehörig zu merken.

Eine Thüre von vergoldetem Schnitzwerk führt aus dem Zimmer des Herrschers zurück in den Theil des Blumengartens, der der Hyazinthengarten heißt. Die Gärten des Serails, sowie die Privatwohnung des Sultans hatten wir nun gesehen und unser schwarzer Begleiter führte uns quer durch den Garten zu einer andern Thür, wo ich im ersten Augenblick nicht im Stande war, mich trotz der genauen Angaben Hammers zu orientiren. Wir traten in einen Gang, an dessen Ende sich ein anderes großes Thor befand, und erst, als uns der Schwarze jenes als das Top-Kapu – Kanonenthor bezeichnete, wußte ich, daß wir uns in dem Gang befanden, der das Haremlik, Wohnung der Weiber, vom Selamlik, Begrüßungsort oder Wohnung der Männer, scheidet. Zur linken Hand gingen wir eine Stiege hinauf und kamen in den großen Tanz- und Theatersaal, der durch Stufen in zwei Hälften getheilt wird, und hiedurch eine Gestalt wie unsere Theater erhält. Hier wird der Beherrscher der Gläubigen von seinen Frauen und Odalisken mit Tanz und Gesang unterhalten, die sich aber sonderbar genug im untern Theile des Saals, ich möchte ihn zum Vergleich das Parterre nennen, befinden, wogegen der Sultan oben auf der Bühne sitzt und dem Ballette zusieht. Auch befindet sich hier ein vergittertes Geländer, hinter welchem er zuweilen mit einer Favoritin verborgen ruht und sich so auf verschiedene Weise amüsirt. Der ganze Saal ist mit den prächtigsten Spiegeln von Krystall und Agat geschmückt und muß bei Lampenschimmer und Musik, sowie bei den flatternden gestickten Kleidern der üppigen Tänzerinnen einen feenhaft zauberischen Anblick gewähren. Jetzt lag der weite Saal ruhig und still; nichts regte sich, selbst unser redseliger Führer verstummte und nahte sich leise auftretend einer Thür, die der, zu welcher wir eingetreten, gegenüber lag und über welcher die Inschrift stand:

Sie werden hereintreten von allen Thüren.

denn dort fängt der Harem an, und aus dieser Pforte erscheinen die Sultaninnen mit ihrem Gefolge vor dem Herrn, bald um ihn zu erheitern, freudig und munter auf die Töne der Zither lauschend, bald um vor sein erzürntes Antlitz zu treten und dicht in ihre Schleier verhüllt, stumm und trostlos; dann unterbrechen keine Musikklänge die dumpfe Stille, ein Gewitter ist im Anzug, des Gebieters Auge schleudert Blitze und drunten donnern die Wellen des Meeres an die Mauern, als verlangten sie stürmisch ein Opfer. Ehe wir den Harem betreten, möchte ich gern einige erklärende Worte über dieses innere Hauswesen der türkischen Herrscher vorausschicken. Der Sultan hat sieben rechtmäßige Frauen, wahrscheinlich sieben als heilige Zahl, wovon jede ihr eigenes Gemach – Oda – und so viel Zofen, dienende Weiber und Mägde hat, als der Sultan will, von denen er jede einzeln nach seinem Belieben zur Bettgenossin erklären kann. Diese dienenden Mädchen, von dem Worte Oda, die Kammer, Odaliken oder Odalisken genannt, was demnach so viel bedeutet als unser Name Frauenzimmer oder Kammermädchen, sind dazu bestimmt, ihr ganzes Leben lang niedere Dienste zu thun, wenn sie nicht das Glück haben, dem Sultan, ihrem Herrn, zu gefallen und vielleicht durch eine Schwangerschaft aus der dienenden Classe emporgehoben werden. In diesem Falle tritt die Glückliche nicht nur in den gleichen, sondern noch in einen höhern Rang als der der sieben Frauen, die dem Sultan vielleicht keinen Erben geboren haben und erhält den Namen Sultanin Chasseki; beschenkt sie ihren Herrn noch gar mit einem Prinzen, der sein Nachfolger wird, so kann sie es bis zum höchsten Range im Harem, zur Sultanin Valide, Mutter des regierenden Sultan's, bringen und beherrscht nicht selten von den Polstern ihres Gemaches den Sultan und das Land. Die andern Odalisken, denen kein solches Glück zu Theil wird, fühlen sich in der Regel in ihrer Sklaverei nicht unglücklich und die des Sultans sind wenigstens froh, diesem zu dienen und nicht vielleicht in den Harem irgend eines Paschas oder gar in den eines obersten Verschnittenen gekommen zu sein; denn auch diese haben einen Harem, der sogar, wie ich aus einer glaubwürdigen Quelle erfuhr, öfters aus Weibern und Knaben besteht; doch versteht sich von selbst, daß dieser Harem nur zum Staate gehalten wird, wie dieses im Morgenlande von der ältesten Zeit her üblich ist. So war nach der geschichtlichen Ueberlieferung der Araber, Perser und Türken, Putifar, der Oberschatzmeister des Pharao, ein Eunuche, und seiner Gemahlin, Suleicha, brennende Liebe für den schönen Jussuf erscheint dadurch in milderem Lichte. [Fußnote]Hammer, Gesch. d. v. R. V. Th.

Im Allgemeinen muß man nicht glauben, daß sich die dritte und vierte Frau eines Türken deßhalb unglücklich fühle, weil sie die dritte oder vierte ist; im Gegentheil ist sie entzückt darüber, denn ein Mann, der schon drei Weiber hat und sie zur vierten nimmt, muß von ihren Reizen bezaubert sein, und dieselben höher halten, als die seiner andern Weiber. Die liebsten Träume unserer Mädchen sind, einstens einen Mann zu bekommen und die der Türkinnen, als Frau oder Odaliske zu einem Mann zu kommen. Ländlich, sittlich. Und da letztere keine großen Ansprüche machen, warum sollten sie nicht glücklich sein. Ein Divan, um sich darauf bequem zu legen, etwas Spielzeug wie das unserer Kinder, und sonstige Kleinigkeiten, um sich die Zeit angenehm zu vertreiben, ein Springbrunnen, dessen Plätschern sie einschläfert – Herz, was verlangst du mehr?

Aus dem Theatersaal treten wir in einen langen dunkeln Gang, und sind im eigentlichen Harem. Hier im obern Stockwerk wohnen die Frauen des Sultans in kleinen Gemächern, in denen sich Divans und Ruhebette befinden. An den Wänden sind zierlich geschnitzte Schränke von vergoldetem Holz mit kleinen Spiegeln eingelegt oder von hartem dunklem Holz mit Perlmutter verziert, in welchen die Damen ihre Schmucksachen, Kleider und das Toilettengeräth aufheben. Eine Verzierung der Wände, die man in diesen Gemächern am häufigsten antrifft, ist die Personbeschreibung der Propheten mit Perlmutterschrift, meist auf himmelblauem Grunde eingelegt. Sie ist auf jeder Wand einige Mal, so daß man sie beständig vor Augen hat. Herr von Hammer sagt hierüber: Der Text dieser Beschreibung, der auch auf den von Frauen getragenen Gürteltalismanen häufig vorkommt, vertritt hier die Stelle des gemalten Porträts, das der Islam verwehrt, und schwebt den Sultaninnen als Schönheitsideal vor, um durch die wiederholte Lesung derselben das Bild des Propheten im höchsten Glanze der Schönheit und Vollkommenheit ihrer Einbildungskraft, und durch dieselbe dem Unterpfand der Liebe in ihrem Schooße einzuprägen. Diese Inschrift vertritt also in den Gemächern schwangerer Sultaninnen die Stelle der Statuen des Apollo von Belvedere, oder der mediceischen Venus, welche zu diesem Behufe in europäischen Schlafgemächern aufgestellt sein könnten. In Perlmutter eingelegt, hat sie die Bestimmung, die lesende Sultanin zur Perle der Mütter zu erheben, und deßhalb findet sie sich hauptsächlich auch in dem Gemach der Sultanin Balide, der Mutter des regierenden Sultans, welche dem plastischen Segen derselben vielleicht die Ehre ihres gegenwärtigen Hofstaats und Ansehens verdankt.

Diese talismanische Personbeschreibung lautet folgendermaßen: »Es ist kein Gott als Gott, und Mohamed ist Gottes Prophet; der Vortrefflichste war braun und weiß zugleich; mit langen dünnen Augenbrauen; glänzend von Angesicht; in voller Reife des männlichen Alters; dunkeläugig; von ehrwürdiger Stirne; kleinen Ohren; gebogener Nase; mit von einandergetrennten Zähnen; runden Gesichtes und Bartes; langhändig; feinfingerig; von vollkommenem Wuchse; ohne Haare auf seinem Bauche, ausgenommen eine Linie von der Brust bis zum Nabel, und zwischen seinen Schultern das Siegel des Prophetenthums (ein großes Muttermahl ), worauf geschrieben stand: Wende dich wohin du willst, so folgt dir der Sieg.«

Im untern Stockwerk wohnen die Odalisken oder Sklavinnen, deren Anzahl unbestimmt, aber meistens sehr groß ist, in langen großen Sälen, wo jedesmal ein paar hundert zusammen schlafen oder vielmehr zusammen eingesperrt werden; denn an beiden Seiten dieser Säle sind zwei Stiegen, die, sobald die Odalisken sich auf Befehl ihrer Aufseher zurückgezogen haben, durch große schwere Fallthüren und eiserne Riegel verschlossen werden. Diese Gemächer sind nicht sehr brillant eingerichtet, ungefähr wie die Kasernenstuben bei uns. Mehrere dieser Sklavinnen haben jedesmal zusammen einen kleinen Kasten, der blau oder roth angestrichen ist. Diese Behälter, in denen sie ihre Habseligkeiten bewahren, stehen einander in zwei Reihen an den langen Wänden des Saales gegenüber und lassen in der Mitte einen Gang frei. An den Fenstern befinden sich breite Divans, auf denen stets fünfzehn bis zwanzig Odalisken zusammen schlafen.

Durch den Gang, an dem die Gemächer der Sultaninnen liegen, gehen wir zurück in den Theatersaal und auf der Stiege, wo wir hinaufgegangen, wieder hinab in den Gang am Kanonenthor, auf dessen anderer Seite wir zur ebenen Erde noch die Gemächer und Bäder der Sultanin Valide sahen, die fast ebenso eingerichtet sind, wie die Wohnungen der Sultaninnen. Dann stiegen wir noch in den obern Stock des Haremliks über der Wohnung der Sultanin Valide, wo sich die Staatsgemächer des Sultans befinden: der Thronsaal, der Audienzsaal und prächtige Bäder. Der schon stark hereinbrechende Abend erlaubte uns nicht, die Säle genauer zu besehen. Wir gingen noch durch eine schmale sehr schöne Gallerie in den sogenannten Marmorkiosk, von Sultan Selim erbaut, und ließen uns hier einen Augenblick am Fenster nieder, von wo uns die letzten Lichter des Tages noch eine prachtvolle Aussicht auf die Propontis, den Bosporos und das goldene Horn gewährten.

»Indessen war die Sonne schlafen gangen.«

Die Wellen färbten sich dunkel; einzelne Kaiks zogen langsam vorüber, Handwerker und Kaufleute aus den jetzt verschlossenen Bazars nach ihren Häusern in Pera, Galata und Skutari bringend – die Abenddämmerung stritt sich noch mit den Lichtern im Leuchtthurm und hielt sie wie mit einem Nebel überzogen, den der Schein der Lampen noch nicht durchdringen konnte. Unser Führer rasselte laut mit seinen Schlüsseln, uns an den Abschied mahnend. Wir traten durch das Kanonenthor in's Freie, und fanden glücklicherweise noch einen Kaikschi, der uns übersehend einen langen Umweg über die neue Brücke ersparte. Oefters blickten wir zurück zu den dunklen Massen der Paläste und Bäume, die uns gleich einem verschwindenden schönen Traume mit jedem Ruderschlage undeutlicher wurden und weiter zurücktraten. – Ja, es war mir wie ein Traum, denn ich hatte in den Paar Stunden so viel Schönes und Wunderbares gesehen, daß das Herz es nur wie Traumgestalten in undeutlichen Umrissen auffassen konnte, und ich fürchte, ich habe es hier so wiedergegeben.
II. Von der Landseite.

Die Erlangung eines Fermans, um in das neue Serail von der Landseite bis zum Thore der Glückseligkeit zu dringen, ist leicht. Herr von C. verschaffte ihn uns, und wir zogen am andern Morgen aus, auch dies Denkmal alter und neuer Baukunst zu besehen. Durch eine Menge schmutziger Gassen und armseliger Stadtviertel, die wir bisher noch nicht betraten, kamen wir bei dem Portal der Aja Sophia vorbei und traten auf einen kleinen, unregelmäßigen Platz, der von dieser und den Mauern des neuen Serails umschlossen wird, den Serai Meidan. In der Mitte desselben steht eines der vielen zierlichen Brunnenhäuschen, die man überall findet, und hier quillt das beste Wasser der ganzen Stadt, weßhalb auch täglich viele silberne Flaschen voll zum Gebrauch des Großherrn davon geschöpft werden. Fast mehr als alle andere Plätze Konstantinopels hat dieser eine denkwürdige Geschichte zu erzählen. Hier war früher das Forum Constantini, einer der größten Plätze des alten Byzanz; jetzt ist er fast ganz verschwunden, und die Häuser sind nach und nach zusammengerückt, den merkwürdigen Boden bedeckend, und haben alle Spuren der prächtigen Bauwerke und Bildsäulen verdrängt, die hier gestanden. Etwas weiter zurückgehend, kommen wir an eine kleine Fontaine, die in einem Winkel zwischen den Häusern liegt, die wir unbeachtet hätten liegen lassen, wenn uns nicht die Geschichtschreiber von diesem armseligen Brunnen erzählt, daß hier der Mittelpunkt des Forums gewesen sei, wo sich auf einer steinernen Unterlage von sieben Stufen die große Säule erhob, die so häufig ihre Statuen wechselte. Hier stand das silberne Bild des Kaisers Theodosius; Justinian stürzte es um und stellte auf einer Porphyrsäule seine eigene Statue zu Pferde aus Erz gegossen dahin. Das Pferd hob den linken Vorderfuß, als ob es schlagen wollte; die drei andern standen auf dem Postamente. In der linken Hand trug die Statue die Erdkugel mit dem Kreuze und streckte die rechte Hand drohend und herrschend gegen Osten aus, die Herrschaft des Kaisers über das Morgenland anzudeuten. So stand diese Bildsäule noch, als Muhamed, der Eroberer, über die Leiche des letzten Konstantins hinweg in die Stadt drang. Doch nicht damit zufrieden, blos Sieger zu sein, schnitt man diesem letzten unglücklichen Kaiser das Haupt ab und Muhamed ließ es höhnend vor die Füße dieser Statue rollen; ein Hohn, dessen Tiefe nur dann ganz gefühlt weiden kann, wenn man weiß, daß den östlichen Triumphatoren der Siegeswunsch zugerufen wird: »daß sie die Köpfe ihrer Feinde unter die Hufe ihrer Pferde treten sollen.« So werden noch heute in Persien bei öffentlichen Einzügen der Fürsten und Statthalter Kugeln und Flaschen unter die Füße des Pferdes unter dem Zuruf: »So sollst du die Köpfe deiner Feinde zertreten!« geworfen, ebenso wie an den Thoren des neuen Serails die Köpfe der aufrührerischen Paschas zu den Füßen des einreitenden Sultans rollen.

Zur linken Seite des Serai Meidani erheben sich die Trümmer der sogenannten Hohen Pforte, eigentlich der Palast des Großveziers, worin die wichtigsten Angelegenheiten des Staates berathen wurden. Bei dem letzten großen Aufstand der Janitscharen und bei einer großen Feuersbrunst vor einigen Jahren ist er größtentheils zerstört worden und jetzt unbewohnbar. Von hier aus gingen die Minister der Sultane täglich zu ihrem Herrn durch das Thor der Glückseligkeit, das ihnen indeß öfters zu einem Thor des Todes wurde. So blieben z. B. die Minister Sultan Selims kaum einen Monat im Amte, und es war damals eine bei den Türken übliche Verwünschungsformel: »Mögest du Sultan Selims Vezier sein!« Von einem derselben, dem Großvezier Piribascha, erzählt Hammer, daß, als er eines Tags seinen gestrengen Herrn bei guter Laune fand, er es sich als eine Gnade ausbat, wenn ihn der Sultan wolle hinrichten lassen, möge er es ihm doch wenigstens einen Tag vorher sagen, damit er sein Testament machen könne; worauf ihm Selim lachend erwiderte, offenherzig gestanden, ginge er schon lange mit dem Gedanken um, ihm den Kopf abschlagen zu lassen, und er würde gern seine Bitte erfüllen, wenn er nur gleich einen Andern hätte, den er an seine Stelle setzen könnte.

Durch die kaiserliche Pforte, einen hochgewölbten Thorweg, an dem zu beiden Seiten die verdächtigen runden Steine stehen, auf denen die Köpfe der Enthaupteten zur Schau ausgestellt wurden, traten wir in den ersten Hof des Serails. Hier werden die Wachen von gewöhnlichen Thorwächtern, Kapitschi, gethan, doch haben sie nicht mehr ihr früheres Costüm, sondern sind wie die Kawaschen der Gesandten gekleidet, im blauen Ueberrock, das Feß auf dem Kopfe und um den Leib zwei Taschen geschnallt, in denen Pistolen stecken. In diesem ersten Hofe befindet sich links die im Jahr 1726 erbaute neue Münze, die massiv in Steinen aufgeführt wurde: aus dem von einem türkischen Geschichtsschreiber angeführten Grunde, um den anziehenden fremden Gesandten durch den Anblick dieses steinernen Gebäudes einen vortheilhaften Eindruck beizubringen. Neben der Münze ist die alte Kirche der heiligen Irene, jetzt das Zeughaus des neuen Serails. Es ist ungefähr eingerichtet wie die unsrigen, nur daß die ans Säbeln, Pistolen und Flinten zusammengestellten Pyramiden und andere Figuren sehr geschmacklos sind. Die Gänge bestehen aus Mosaikpflaster von kleinen Kieselsteinen. Einige merkwürdige alte Waffen sollen sich hier befinden, unter andern die Rüstung des sorbischen Fürsten Milosch Kobilovich, der den Sultan Murad den Großen in der Schlacht auf der Ebene von Kossova in seinem eigenen Zelte ermordete. An den Wänden hingen eine Menge sonderbarer Helme und Pickelhauben, wahrscheinlich in früherer Zeit in den Kriegen mit den Tartaren und Mongolen erbeutet. Auch zeigte man uns Harnische aus den Zeiten der Kreuzzüge; doch da es hier nicht wie bei uns in derartigen Anstalten einen Führer gab, um uns diese Sachen zu erklären, so mußten wir viele gewiß merkwürdige Stücke unbeachtet lassen. Etwas, dessen Gebrauch der uns begleitende Artillerieoffizier erklärte, waren in einem besondern Gemach aufgestellte große Schwerter, die der edle Türke mit inniger Freude herumschwang, um uns anzudeuten, daß sie zum Kopfabschlagen dienten.

Auf der rechten Seite des ersten Hofes befinden sich das Krankenhaus, die Kasernen der Baltadschi – Hausknechte des Serails – und vor diesen Gebäuden ist ein freier, mit Rasen bedeckter Platz, wo sich die Pagen des Serails am dritten Festage des Beyrams in Gegenwart des Sultans im Werfen des Dscherits üben. Nachdem wir diesen Hof durchwandert, kamen wir an ein Thor, welches in den zweiten Hof führt und das Mittelthor, auch Orta-kupa, heißt. Rechts vor dem Eingang dieses zweiten Thores ist der große berühmte Mörser, in welchem, wie die Sage erzählt, die zum Tode verurtheilten Muftis oder Rechtsgelehrten zerstoßen wurden. Wenn schon das kaiserliche Thor, zu welchem wir in's Serail getreten, durch die rechts und links aufgestellten blutigen Köpfe auf den Eintretenden einen unangenehmen Eindruck machten, so nahte sich doch jeder, den seine Pflicht in diese Höfe rief, mit größerer Angst dem Mittelthore; denn unter diesem ist das Gemach des Henkers. Hier wurden die Beamten des Reichs, die Veziere und Pascha's, die sich eines Vergehens schuldig gemacht hatten, oder wenn es der bösen Laune ihres Gebieters gerade so gefiel, von den Henkersknechten ergriffen, enthauptet oder in das am Ufer des Hafens befindliche Gerichts-Kiosk gebracht, wo sie durch bereit liegende Schiffe in die Verbannung geführt wurden. Eine der Hausordnungen des Serails ist, daß jeder, selbst die höchsten Würdenträger des Reichs, so wie die fremden Gesandten und Botschafter, hier bei einem aufgerichteten Steine, der Binek Taschi – Vortheil der Reitschule – heißt, vom Pferde steigen muß und zu Fuß in das Mittelthor gehen. Dieser Gebrauch ist wahrscheinlich deßwegen hier eingeführt, damit keiner der Unglücklichen, die unbewußt des Schicksals, das ihrer harrt, in diesen Thorweg treten, beim Anblick der Henker den Versuch machen kann, sich durch die Schnelligkeit seines Pferdes zu retten.

Ein anderer unangenehmer und demüthigender Gebrauch für die fremden Gesandten war es, daß sie sich eine Zeit lang am Thore dieses Henkergemachs ohne Stuhl und Sitz aufhalten mußten.

Von dem Mittelthor gingen wir auf einem gepflasterten und mit Bäumen besetzten Wege nach dem Eingange des dritten oder innersten Hofes des Serails – Babi seadet – Thor der Glückseligkeit genannt, an dem weiße und schwarze Verschnittene die Wache halten. Diese sind noch mit dem Kaftan bekleidet und haben auf dem Kopfe eine spitzige Mütze mit einem Busche von Pfauen- und andern glänzenden Federn. Auf der rechten Seite dieses zweiten Hofes sind neun verschiedene Küchen für den Sultan, die Sultanin Chasseki und Valide, den obersten schwarzen und weißen Verschnittenen, Kislar Agassi, und Kapu Agassi, den Schatzmeister und Präfect des Serails. Gegenüber diesen Küchen sind die Zuckerbäcker und Sorbetbereiter des Serails. Vor diesen Küchen wurden an Audienztagen große Schüsseln mit Pillau aufgestellt, auf welchen die in dem Hofe sich befindenden Janitscharen auf ein gegebenes Zeichen beim Eintritt der fremden Gesandten rasch losstürzten, was als ein Beweis ihrer Zufriedenheit angesehen wurde. Waren diese übermüthigen Knechte jedoch mit dem Sultan selbst oder irgend einer fremden Macht unzufrieden, so blieben sie stehen und rührten die Gerichte nicht an. Darauf wurden sie ausgezahlt, wobei die Schatzmeister viel mit ihren Geldsäcken klapperten, um den Gesandten einen guten Begriff von dem Reichthum des Großherrn beizubringen. Sobald dieselben auf diese Art der Speisung und Ablöhnung beigewohnt, wurden sie bis vor das Thor der Glückseligkeit geführt und der Großvezier suchte bei dem allerhöchsten Steigbügel um die Gnade nach, »ob der fremde Gesandte, nachdem er gespeist und gekleidet worden, seine Stirne in den Staub der Füße sultanischer Majestät reiben dürfe.« Die Andeutung des gespeist und gekleidet werden kommt daher, daß der Gesandte in einem Gebäude rechts am zweiten Hofe mit dem Großvezier an einem kleinen runden Tische einiges Backwerk genoß und ihm darauf, damit er würdig vor dem Auge des Sultans erscheine, ein Ehrenkaftan umgehängt wurde. Nach diesen Ceremonien öffnete sich das Thor der Glückseligkeit und der Gesandte wurde in den Audienzsaal geführt, wo zwei Kämmerer seine Arme faßten, ihm mit ihren Händen den Kopf niederdrückten und auf eine so handgreifliche Weise zu einer Verbeugung zwangen. Auch wir gelangten bis hinter das Thor der Glückseligkeit und in den Audienzsaal. Dies ist ein nicht sehr großes, mit Teppichen belegtes Gemach; seine Wände sind mit goldgestickten Stoffen bekleidet und hie und da mit Figuren, aus gefaßten Edelsteinen bestehend, verziert. Der Thron ist ein kleiner Divan, über dem vier mit Edelsteinen besetzte Säulen einen Baldachin tragen. Das Gemach hat nur ein einziges vergittertes Fenster, das kaum so viel Licht hereinläßt, um die kostbaren Stickereien der Wände und die blitzenden Juwelen zu unterscheiden.

Hinter diesem Audienzsaal fangen die Gebäude des innern Winterharems an, wohin bis jetzt außer Aerzten noch kein Europäer gedrungen ist. Auch wir mußten hier umkehren, nachdem wir noch zuvor einen neugierigen Blick aus dem Fenster dieses Saales in die daranstoßenden Gärten geworfen hatten. Doch sahen wir nichts als Gruppen von Platanen und Cypressen, unter denen die glänzenden Dächer verschiedener Kioske hervorschimmerten. Alles war da ruhig und still; nur eine kleine Fontaine, die nicht fern von uns ihr Wasser in die Höhe warf, murmelte geschwätzig und hätte uns vielleicht viel erzählen können, wenn wir ihre Sprache verstanden hätten. Das Thor der Glückseligkeit schloß sich wieder hinter uns zu, und wir gingen über beide Höfe zurück durch die kaiserliche Pforte auf den Serai Meidani, um nach Pera zurückzukehren.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Reise in den Orient – Erster Band