Stralsund

Stralsund, den 10. Juli 1822.

Die Stadt, welche ich nun zum zweiten Male betreten habe, war ehedem eine Festung, wie Ihr, meine Lieben, aus der Geschichte wisst, und Wallensteins kriegerische Ehre bekam vor den Mauern derselben einen großen Fleck. Dieser gefürchtete Feldherr musste von ihr abziehen, ohne seinen Schwur zu lösen, dass er sie wegnehmen wolle, wenn sie auch mit Ketten am Himmel hinge. Jetzt ist von diesen Bollwerken der deutschen Freiheit zur Zeit des 30-jährigen Krieges wenig mehr übrig; die Franzosen haben sie größtenteils gesprengt und die Bausteine verkauft. Ich sah bei einem Gange um die Stadt noch einige Überreste von Brustwehren und alte eiserne Kanonen. Mein Wirt, der Hafenkapitän Wallis versicherte mir, dass vor dem Einmarsch der Franzosen 700 Kanonen und Mörser auf den Wällen gewesen wären. Davon erhielten die Dänen späterhin durch Napoleons Güte 100 Stück; die übrigen nebst vielen andern Kriegsbedürfnissen musste Wallis auf 300 Fahrzeugen nach Stettin befördern, von wo sie in alle Welt gingen. Viele Einwohner bejammern noch jetzt den Verlust ihrer schönen Festungswerke, obwohl sie schon jetzt hinreichend dafür entschädigt sind durch die schönen und zierlichen Landhäuser, welche wenigstens auf der nördlichen Seite statt derselben entwachsen sind. Diese Häuser mit den freien und durch herrliche Blumenstücke geschmückten Gärten und Gärtchen, waren wenigstens für mich ein weit freundlicherer Anblick, als alle Wälle und Schanzen der schönsten Festung. Wenn späterhin die Gräben ganz ausgefüllt werden, jetzt sind sie es erst zum Teil, und mit Baumreihen und Hecken bepflanzt sind, so werden hoffentlich alle Einwohner die Einbuße der Befestigung verschmerzen.


Für unsre jetzige Art Kriege zu führen, ist Stralsund nicht mehr ganz gut zur Festung geeignet, da es von Anhöhen beherrscht wird, obwohl es sich außerdem wegen seiner Sage sehr dazu schickt. Denn östlich wird es vom Meere bespült und von der Landseite von morastigen Seen fast ganz eingeschlossen, so dass die Stadt mit Hilfe der Gräben auf einer Insel lag, wozu nur drei Tore führten, das Triebseer westlich, das Knieper nördlich und das Frankentor südlich. Die Vorstadt vor dem letztern ward von den Schweden abgebrannt, und jetzt stehen erst einige massive Häuser mit Ziegeldächern wieder da. Etwas wüst sieht es hier noch aus. Desto angenehmer ist es schon, wie gesagt, vor dem Knieper Tore. Ich wanderte eine halbe Stunde Weges zwischen Hecken, zierlichen Gittern, Landhäusern und Gärten nach dem Schützenplatze zu der dort aufgerichteten Vogelstange und einigen Buden. Hier ist jetzt das freudigste Leben der Stralsunder, an welchem auch der Kronprinz teilgenommen und zum großen Jubel der Anwesenden den Vogel getroffen hat. Es sollen sich zur Feier dieses Volksfestes wohl 8.000 Menschen hier einfinden und bei meiner ersten Anwesenheit wollten mich meine Wirtsleute überreden, noch den folgenden Tag hier zu bleiben, um dem größten Jubel bei des eigentlichen Königsschießens, das dann einfiele, beizuwohnen. Leider konnte ich ihrem dringenden Anliegen nicht genügen. Die Zurüstungen dazu sah ich indes insoweit treffen, dass ich ganze Wagen mit Möbeln jeder Art beladen aus der Stadt kommend bemerkte, die nach dem Schützenplatze und den Gartenhäusern in der Nähe fuhren.

Nach der Seeseite gehen vier Tore und vor denselben gibt es ebenso viele Brücken, und Landungsplätze für die Seeschiffe jeder Art. Sie gehen einige hundert Schritte ins Meer hinaus und die größten Fahrzeuge können dort anlegen, um ein- und auszuladen. In dem Hafen, der durch die Meerenge zwischen der Stadt und der Insel Rügen gebildet wird, liegen wohl 100 Seeschiffe müßig, abgetakelt und modern. Der Handel geht äußerst schläfrig. An einer Brücke liegen sieben russische (finnische) Schiffe, meist aus Nystädt, ganz mit Balken, Latten, Brettern, Tonnen jeder Art, Schaufeln und anderem hölzernen Gerät beladen; für mich ein neuer Anblick. Ich trat zu einem freundlichen Manne hin, dessen äußerst weiße Zähne mir auffielen und redete ihn deutsch an. Er schien mich nicht völlig gehört zu haben, deshalb wiederholte ich meine Anrede etwas lauter. Er gab aber zu verstehen, dass er den Inhalt meiner Rede nicht fasse, indem er ein Finske-Männ sei. So viel brachte ich indes doch aus ihm heraus, dass er bereits 6 Wochen hier liege, um den Auskauf seines nicht ganz kleinen Schiffes zu betreiben. Dies geschieht im Einzelnen und ich mischte mich unter die Käufer und feilschte wie sie, ein Waschfass, Wanne usw. an. Eine Schaufel hätte ich hier um 4 Schillinge kaufen können. Bei uns kostet sie, wie Ihr wisst, wenigstens das Doppelte und ist nicht so gut. Trotz der Unkunde der deutschen Sprache, wissen sich die Finnen im Handel verständlich zu machen. Man klagt, dass sie durch die jetzigen Zolleinrichtungen im Preußischen bei ihrem Verkauf sehr belästigt würden, indem sie vor demselben Ihre Frachtstücke müssen zählen und wiegen lassen. Die Fahrt von ihrer Heimat bis hierher dauert wohl 14 Tage; ihre Schiffe waren sämtlich Zweimaster und bis an das Verdeck voll gepfropft, sogar auf dem Verdecke noch beladen. Die Frachtstücke waren sehr künstlich ineinander geschoben, besonders die kleinern Fässer in immer größere, wie die Gewichte bei unsern Handwagen. Die meisten Seeschiffe, welche hier ein- und auslaufen, umfahren die südliche Küste der Insel Rügen, indem der Gellen, so heißt die Meerenge zwischen Rügen und dem festen Lande, oder eigentlich nur zwischen der nordwestlichen Insel Rügens und dem Festlande, zu seicht ist. Nur solche Schiffe, welche nicht über 6 Fuß tief gehen, können ihn befahren, und so sah ich z. B. die Postyacht von hier nach Ystädt in Schweden über denselben segeln. Diese Post geht wöchentlich zweimal ab, und es werden dazu zwei preußische und zwei schwedische Schiffe gebraucht.

Stralsund kündigt sich in seinem Innern als eine alte Stadt an, die eigentlich nur aus 6 von Morgen gegen Abend laufenden krummen und ziemlich engen Straßen besteht, welche durch Gässchen miteinander verbunden sind, diese sind mitunter so eng, dass eine derselben bei 10 Taler Strafe nicht befahren werden darf, wie auf dem Eckhause zu lesen war. Bei einigen andern verbot sich das von selbst. Ich ging durch eine, worin sich kaum drei Fußgänger ausweichen konnten. Die Rinnsteine gehen überall in der Mitte der Straße. Die Häuser sind größtenteils klein, schmal und schlecht gebaut, mit gewaltigen Giebeln, wenigstens sah ich eins derselben dadurch sehr entstellt. Der neuen geschmackvollen Häuser gibt es nicht viele. Die Dächer sind meist mit Hohlziegel gedeckt. Auf und an den beiden Marktplätzen am westlichen Ende der Stadt finden sich die meisten guten Häuser. Die Gesamtzahl derselben beträgt 1.475 und die der Einwohner 16.000.

Die drei Hauptkirchen der Stadt liegen versteckt und sind so sehr verbaut, mit Katen und Kisten so eng umgeben, dass man Mühe hat, zu ihnen zu kommen. An eine freie Ansicht derselben ist daher gar nicht zu denken; auch scheinen die Baumeister dies nicht beabsichtigt zu haben, wie bei den meisten gotischen Kirchen, deren Unterteil durch die gewaltigen Strebepfeiler meist entstellt ist. Erst wenn sie sich über die Dächer der Stadthäuser erhoben haben, fängt ihre Schönheit an, und prangt in der luftigen Höhe. Es liegt vielleicht ein tieferer Sinn in dieser Anordnung. Unten das gemeine Erdenleben, oben das idealische Himmelssein. Ich habe alle drei Kirchen besucht und jede ungleich größer gefunden als ich's vermutete; aber nicht in jeder gleich gemütlich. In der Jacobi Kirche war es reinlich, und eine ziemlich gut gearbeitete Abnehmung Christi vom Kreuze zierte das Altarblatt. In der Nicolai Kirche sah es sehr schmutzig aus, und die vielen Gitter und Schränke mit den vielen Schnörkeleien machten hier um deswillen einen noch widrigeren Eindruck als in jener. Die Maienkirche, welche vom Markt her noch die freiste Ansicht gewährt, hatte zur Zeit der Franzosen zum Magazin gedient und war erst seitdem wieder der gottesdienstlichen Feier zurückgegeben. Daher vermählte sich hier das großartige Alte mit dem winzigen Neuen auf eine widrige Art; besonders ärmlich machte sich die Kanzel mit ihrem schwarzen Behange. Zum Bau eines Altars ward erst gesammelt, wie die Inschrift auf einem Kasten besagte. In allen drei Kirchen hausten eine Menge von Sperlingen, die ein betäubendes Geschrei verursachten, und mich nichts verstehen ließen. Können denn die Bestien nicht verjagt werden?

Es war Mittwochnachmittag und die Jugend beiderlei Geschlechts versammelte sich auf das Geläut der Glocken zum Unterricht im Christentume. Ich trat mit dem Sohne meines Wirtes, der diesem Unterrichte beiwohnte und den Auftrag hatte, mich mitzunehmen, in die Kirche. Die Mädchen saßen still in ihren Sitzen; die Knaben liefen wild in der Kirche umher und tobten gewaltig. Einer derselben trat mich etwas hart auf den Fuß, und wie sein schelmisches Lächeln fast vermuten ließ, vorsätzlich. Er rannte davon, ohne sich zu entschuldigen. Es ward ein Lied gesungen, der Prediger trat vor den Altar und tat an die versammelten Kinder Fragen, die ich nicht hören konnte, worauf diese eine ebenso unverständliche Antwort, oder auch gar keine gaben. In einer Kirche vernahm ich so viel, dass die Rede von den Pflichten der Kinder gegen ihre Eltern war. Nach einer Stunde ungefähr wird ein Lied gesungen und die Kinder gehen nach Hause. Einen Erwachsenen sah ich nirgends. Dies ist der Konfirmanden-Unterricht, welcher hier jeden Mittwoch in angezeigter Art erteilt wird, und wer keinen Privatunterricht in dem Christentume erhält, der muss sich mit diesem öffentlichen begnügen, der wöchentlich eine Stunde hindurch erteilt wird. Dafür, sagte meine Wirtin, segnen wir hier auch spät ein, wohl erst im 20sten Jahre, und die Kinder gehen zeitig hin; aber unregelmäßig, wie sie eingestand; und von allen Kindern, die ich sah, hatte schwerlich einer mehr als 14 Jahr.

Das hiesige Gymnasium befindet sich in einem ehemaligen Klostergebäude, das von außen nichts verspricht. Die Zahl der Schüler inzwischen 200 und 300. Sie sind in fünf Klassen geteilt; die sechste wird mit einer andern zusammengezogen. Von den 6 Lehrern hat jeder nach alter Sitte seine eigene Klasse. Außerdem stehen einige Gehilfen an der Anstalt.

Ich habe auch den Ort gesehen, wo Schill den holländischen General Carteret und einen Offizier neben ihm niedergehauen hat. Man zeigte ihn mir am Knieper Tore. Schill blieb 8 Tage hier, und mein Wirt erzählte mir mehrere Geschichtchen von ihm, da er als Hafenkapitän in vielfachen Verkehr mit ihm kam. Der einst so hoch gefeierte Held, der im Munde des gemeinen Mannes noch fortlebt, hätte sich retten können, wenn er früher dazu Anstalten getroffen hätte. So ward er erschossen, da er einen Ausweg suchte, wo keiner zu finden war. Der Kopf ward ihm, wie man sagt, abgeschnitten, eingesalzen und fortgeschickt; der Körper ruht auf einem hiesigen Kirchhofe. Sein Anhang, etwa noch 1.500 Mann stark, kapitulierte einzeln.

Die Insel Dänholm, zwischen dem Festlande und Rügen, welche sonst ebenfalls befestigt war, dient jetzt bloß zum Lustort der Stralsunder, die unweit dem Knieper Tore auch ein Badehaus im Gellen haben, aber sonst keine Anstalt zum Seebade. Die hiesige Sprache dehnt die Selbstlaute ungemein lang, und es klingt mir ganz eigen, wenn meine Wirtin sagt: Wolle Sie dahiihn gehe? der Maahrkt ist vuhl. – Übrigens fand ich es auf diesem Markte ziemlich teuer. Für ein Schweinchen, das wir bei uns um zwei preuß. Taler gekauft hätten, forderte man hier nicht mehr als 5 schwedische; ein Faden Holz, den ein Wagen bequem fortfuhr, kostete auf der Stelle 5 Taler und einige Schillinge. Seefische wurden überall in großer Menge feilgeboten, und bei meiner Rückkehr von Rügen aß ich zu Abend sehr schöne, auch ungewöhnlich große Barsche mit jungen Kartoffeln und hinterher Besingsuppe mit Mehlklößen. Merkt Euch diesen Gang der Gerichte. In einer Straße fand ich über der Tür eines Hauses mit großen Buchstaben die Inschrift: Harmonie der Kleidermacher-Gesellen. Ehedem hieß es dafür, wenigstens bei uns, kurz und schlecht: Schneider-Herberge. – Mein Wirt hat als Seemann große und viele Reisen gemacht; zu den schnellsten rechnet er eine von hier nach Messina, die er binnen 19 Tagen vollendete. Der Wind war ihm aber auch ungemein günstig. Jetzt stimmt er in die allgemeine Klage über schlechte Zeiten ein. Sonst beschäftigte der hiesige Handel wohl 200 Schiffe, zu deren Befrachtung die Hände von wenigstens 1.000 Menschen beschäftigt waren, die jetzt brotlos sind. Wallis berechnet, dass mindestens jährlich 400.000 Taler weniger jetzt in der Stadt umgesetzt werden, als sonst, den Gewinn der Kaufleute ungerechnet.

Soeben kommt ein Schiffer und klagt dem Hafenkapitän, dass ihn ein Lotse auf die Untiefe festgefahren habe. Der Kapitän geht hin, um dem Übel abzuhelfen. Es sind hier 8 Lotsen für die abgehenden Schiffe bestimmt; die ankommenden nehmen die ihrigen bei Thiessow auf Mönchgut ein.

Was ich über die Unzufriedenheit der Neu-Vorpommern mit der preußischen Regierung und über die nähern Gründe derselben, besonders bei den bisher Bevorrechteten, teils selbst erfahren, teils durch mündliche Mittelungen hier und anderwärts gehört habe, verspare ich lieber bis zu meiner Rückkehr zu Euch, da es sich nicht gut zu schriftlicher Mitteilung eignet. Nur so viel kann ich Euch jetzt sagen, dass diese Unzufriedenheit nicht überall auf triftigen Gründen ruht und teils aus Bequemlichkeit, Gewohnheit und Anhänglichkeit an dem Alten, teils aus Befangenheit des Geistes, um nicht zu sagen aus Verblendung, hervorgeht. Wie groß die blinde Vorliebe für das Alte sei, geht indes daraus hervor, dass man mir sogar die Möglichkeit abstritt, die nachfolgende Generation könne ebenso gut preußisch gesinnt werden, wie die Bewohner Magdeburgs und anderer älterer Provinzen es jetzt sind, obwohl ihre Vorfahren auch ungern unter den preußischen Herrscherstab sich beugten.