Stettin

Stettin, den 27. Juni 1822.

Gestern Abend gegen 10 Uhr bin ich hier eingetroffen und wohne in einem Gasthofe auf der so genannten Breiten Straße, die aber, hier wenigstens, so schmal ist, dass man den Bewohnern der gegenüberstehenden Häuser fast die Hände reichen könnte; mindestens können diese, da nicht einmal Vorhänge vor meinen Fenstern sind, alles sehen, was ich in meiner Stube vornehme. Und doch ist dieser Gasthof einer der ersten in Stettin, wie auch die selbst gesetzte und von der Polizei bestätigte Taxentafel, welche an der Stubentür aufgehängt ist, bezeugt. Da der künftige Inhaber auf sein Gewerbe förmlich reiset, um die nötigen Kenntnisse einzusammeln, so wird er auch wohl dem erwähnten Mangel abhelfen.


Stettin ist eine alte Schöne, die jung sein will. Die krummen und zum Teil sonderbar laufenden Straßen bergauf und ab sind meistens mit alten Giebelhäusern besetzt, neben welchen andere in neuerem Geschmack und zum Teil sehr schön aufgeführt sind; ihre Zahl beträgt 1.722, und die der Einwohner 22.000. Die Stadttore, deren 7 sind, haben kein übles Ansehen; König Friedrich Wilhelm I. hat sie meistens erbaut, dazu kommen noch zwei Brückentore, welche nach der Lastadie auf dem rechten Oderufer führen. Die Stadt selbst ist mit dreifachen trocknen Gräben und Wällen versehn und insofern sehr fest, hat aber ihre schwache Seiten, denen die Franzosen während der Besitzung in den Unglücksjahren des preußischen Staates dadurch etwas abzuhelfen suchten, dass sie eine Insel in der Oder noch befestigten. Da aber benachbarte Höhen die ganze Stadt beherrschen, so sind die Festungswerke nur von untergeordnetem Werte, wie Kenner versichern.

Das Fort Preußen, welches mehrere hundert Schritte von dem Berliner Tore liegt, hat ebenfalls dreifache Wälle und trockne Gräben, und schließt einige Häuser mit etwa 50 Menschen ein. Unter den Kasernen in der Stadt sah ich eine neu erbaute, deren Dach im Fall einer Belagerung mit Erde bedeckt werden, und als Wall dienen kann und soll.

Auch die Lastadie ist befestigt sowie das Städtchen Damm eine Meile von hier, an der Einmündung der Plöne in dem Dammschen See gelegen, 368 Häuser und 3.000 Einwohner enthaltend. Es führt ein gut unterhaltener Damm, mit Bäumen besetzt, zwischen Wiesen von hier dort hin. Da ich nichts Erhebliches dort zu finden hoffte, so kehrte ich bald wieder nach der Stadt zurück.

Mich beschäftigten besonders die Seeschiffe, welche ich hier zum ersten Mal mit Augen sah, und mein erster Ausgang war daher nach ihnen. Sie lagen größtenteils zwischen den beiden Brücken, welche die östliche Lastadie mit der eigentlichen Stadt am linken Oderufer verbinden. Die obere heißt die Friedrichs- oder Neue Brücke, und ist die am meisten befahrene und begangene, daher auch hier für die Wagen eiserne Geleise eingelegt waren, die ich indes auch bei der untern Brücke bemerkte. Es lagen sehr viel Schiffe, nicht bloß zwischen diesen beiden Brücken, sondern überall auf der Oder, aber darunter auch viele völlig unbenutzt und enttakelt. Die Klagen über stockenden Handel erschallen von allen Seiten; doch sah ich hier noch weit mehr Leben als in allen Handelsstädten, die ich nachher besuchte. Die Wissbegier trieb mich auf das Schiff Emma (geführt vom Kapitän Ueckromann), das mit Talg beladen, binnen 14 Tagen von Petersburg hier angekommen war; ein daneben liegendes Schiff, von dem jungen Kapitän Möller geführt, war binnen 4 Tagen mit Stückgut von Kopenhagen hier angekommen. Die Nachrichten von solchen schnellen Reisen fachten in mir die Lust an sie auch zu machen, und wäre ich nicht gebunden gewesen, wer weiß, was ich getan hätte! So aber begnügte ich mich, die Einladung des Kapitäns Ueckermann, in seine Kajüte zu kommen, anzunehmen, und etwas von dem Rum, den er aus Petersburg mitgebracht hatte und mir vorsetzte, nebst hartem Schiffszwieback, anzunehmen. Bei dieser Gelegenheit erfuhr ich, dass es den Matrosen nicht erlaubt ist, den Zwieback einzuweichen, um ihn zu verzehren, weil sie sonst den nicht genossenen über Bord werfen, statt dass der trockene aufgehoben werden kann.

Alle Seeschiffe, welche ich hier sah waren bloß Zweimaster und Eindecker, von mancherlei Nationen, große und kleine; man zeigte mir auch ein englisches. An den Kais lagen mehrere kleinere Fahrzeuge aus Holstein und Schleswig, mit Butter und Käse beladen, und eine Menge Boote von Usedom, Wollin usw., die zum Teil Seefische hierher gebracht hatten, welche auf der Straße feilgeboten wurden. Ich ergötzte mich an dem bunten Gewühle so verschiedenartiger Menschen, und kann mir jetzt eine Vorstellung machen, wie es an größeren Handelsörtern sein mag, und selbst hier, wenn der Seehandel in besserem Schwunge ist. In der Lastadie stehen die großen Speicher der Kaufleute längs dem Oderufer. Die Seeschiffe können hier, wie an der Stadt selbst anlegen und ausladen. Dazu sind mehrere hölzerne Vorbauten gemacht.

Außer den Kaufmannspeichern enthält die Lastadie noch viele 2-stöckige Bürgerhäuser. Sie ist die größte unter Stettins Vorstädten und wird östlich von einem Arme der Oder begrenzt, wo sie auch befestigt ist. Von den übrigen Vorstädten sind die Ober- und Nieder-Wike so gut als verschwunden. Sie lagen am linken Oder-Ufer, jene oberhalb, diese unterhalb der Stadt, wurden von den Franzosen abgebrannt und sind nicht wieder aufgebaut worden. In der Nieder- Wike sah ich mehrere Spuren alter Häuser und Leute in deren Kellern wohnend, wahre Troglodyten. An der Stelle dieser abgebrannten Vorstädte ist in einiger Entfernung von dem alten Tornay der neue angelegt worden; beide liegen in einiger Entfernung von der Stadt. Vor dem Anklamer Tore hat man seit der Befreiung von den Franzosen schöne Garten-Anlagen gemacht, die bis auf den bedeckten Weg der Festung gehen und jetzt schon recht artig sind und fleißig besucht werden, für die Zukunft aber den Stettinern einen noch angenehmern Ergötzungsort versprechen. Man findet auch dort ein Haus, wo Erfrischungen zu bekommen sind.

Zu den übrigen Merkwürdigkeiten der Stadt gehört das alte Schloss der ehemaligen pommerschen Herzoge, von ziemlichem Umfange, aber ohne großen Wert. Mehrere landesherrliche Kollegien halten ihre Sitzungen darin, und in den Kellern liegen die Weinfässer der Kaufleute aufgestapelt. In dem Schlosshofe ist eine Uhr, welche bei einiger Nachhilfe den Mond in seiner Wechselgestalt darstellt, und im Zifferblatte einen Mädchenkopf hat, der beim Schlagen der Stunden die Augen verdreht, zum großen Staunen der häufig zu diesem Zwecke herbeieilenden Bauern. Das Zeughaus ist ohne alle Auszeichnung; ebenso das Schauspielhaus. Das Landschaftshaus ist wenigstens in neuerem Stile gebaut und liegt am Königsplatze, auf welchem die Marmorstatue Friedrichs des Großen zu Fuß, von einigen Akazien umgeben, steht. Sie ist von Schadow verfertigt, von den Landständen hierher gesetzt und führt die Inschrift: Friderico II. Pomerania. Warum denn nicht eine deutsche?

An diesem Platze, zwischen dem Anklamer und Berliner Tore, liegen die Wohnhäuser für die Lehrer des hiesigen Gymnasii, dessen Lokal selbst in einer ehemaligen katholischen Kirche ist, und ebendarum weder freundlich noch ganz bequem. Die 300 Schüler sind in 7 Klassen geteilt und werden von 20 Lehrern unterrichtet. Der physikalische Apparat der Schule ist bedeutend, und die Bibliothek in der zum Teil abgetragenen Marienkirche enthält 12.000 Bände. Von der Sternwarte des Gymnasialgebäudes hat man eine schöne Aussicht auf die Stadt und ihre ganze Umgegend, besonders auf den großen Dammschen See, jenseits dessen ich die Stadt Gollnow sowie anderwärts die Städte Stargard und Greifenberg, oder vielmehr nur die Türme derselben erblickte. In der Stiftung des Bürgermeisters Holzteufel finden mehrere Gymnasiasten freie Wohnung und Kost.

Die Ministerialschule, so genannt, weil das Ministerium der hiesigen Kirchen sie gestiftet hat und erh?lt, besteht aus 7 Klassen, deren 3 untere Knaben und Mädchen zugleich aufnehmen, und die ersten Anfänge im Lesen, Schreiben usw. lehren. Die 4 andern setzen den angefangenen Unterricht für die dann getrennten Geschlechter parallellaufend fort. Die Lehrer sind in dem damit verbundenen Seminar gebildete junge Männer; jeder unterrichtet seine ihm zugeteilte Klasse in allen Lehrgegenständen, steigt aber dabei von unten nach den obern Klassen hinauf, so dass er nicht immer einerlei Dinge und mit Schülern von derselben Stufe der Geistesbildung zu betreiben hat. Der Direktor des Ganzen ist Herr Großmann, dessen Unterricht in der Raumlehre für mich sehr anziehend war. Die Seminaristen, deren über 20 waren, zeigten, dass sie den Vortrag gefasst hatten. Es haben mehrere derselben in dem nicht ganz günstigen Lokal freie Wohnung. Ich bedaure, dieser Anstalt nicht mehr Zeit widmen zu können, denn meine Abreise nach Swinemünde zu Wasser ist festgesetzt.

Der Schiffer, welcher Freitag, den 28. Juni Nachmittag abzufahren versprach, hat nicht Wort gehalten; ich habe daher meinen Entschluss geändert, und werde morgen mit Gelegenheit zu Lande nach Ueckermünde abgehen.

Statt der Wasserfahrt beschloss ich nach Frauendorf zu gehen, dem berühmtesten Lustorte der Stettiner, an der Oder unterhalb der Stadt gelegen. Auf dem Wege dahin geriet ich aber in das von Stettiner Reichen stark bewohnte Dorf Grabow, welches angenehme Landsitze enthält, und in so üppige Getreidefelder, mit Wiesen untermischt, dass ich meinen Plan aufgab, und in der angenehmen Umgegend mich ergötzte, die noch reizender sein wird, wenn die neuern Anlagen zu einiger Reife werden gediehen sein. In der Nachbarschaft befindet sich auch der gewöhnliche Sommeraufenthalt der Prinzessin Elisabeth, die sonst auf dem Schlosse in der Stadt wohnt.