Glowe

Glowe, den 7. Juli.

Hier, beim Anfange der Schaabe oder Wittower Heide, wodurch die beiden Halbinseln Jasmund und Wittow getrennt und verbunden werden, sitze ich und warte bei einer Kossatenfrau auf die Ankunft des bestellten Wagens, der mich nach Arkona bringen soll. Die vier Kinder der Frau, welche zur heutigen Sonntagsfeier die Wohnstube von dem Schmutz der ganzen Woche reinigt, und mit ihrem Besen einen gewaltigen Staub macht, stehen um mich her und starren mich Schreibenden an. Ich bin nämlich willens, das Merkwürdigste aufzuschreiben, was ich gestern gesehen habe.


Nach einem Besuche bei dem Herrn Pastor Willich in Sagard, wo ich auch den Herrn Pastor Frank aus Bobbin fand, fuhr ich vorgestern Abend spät 10 Uhr mit letzterm von dort ab, während zwei aufsteigende Gewitter uns zu durchnässen drohten, und uns wenigstens befeuchteten. Wir kamen noch glücklich nach Bobbin; aber der Herr Pastor erklärte es für unmöglich, bei diesem Wetter nach Kampe, wohin ich eigentlich noch wollte, zu kommen, und nahm mich für die Nacht freundschaftlich auf. Leider verursachte meine späte und unvermutete Ankunft noch eine unruhige Bewegung im Hause. Es war mir indes ungemein lieb, im Trocknen zu sein, da ich für eine Fußreise auf einige Tage nur leicht angezogen war und durchaus nichts zum Umkleiden hatte. Mein Koffer steht rühmlich im Wirtshause zu Sagard.–

Gestern (den 6ten) früh machte ich mich zu Fuß von Bobbin nach dem benachbarten Dorfe Kampe, wo mich der Herr von Schewe, unserer Abrede gemäß, schon den Abend vorher erwartet hatte. Des Regens halber fuhren wir etwas später als es unsre ursprüngliche Absicht war, nach der Stubbenitz (Stubnitz, de Stoow). Dies ist eine herrliche Waldung von 2 Meilen Länge und einer halben Meile in der Breite, größtenteils aus Buchen, einigen Eichen und Erlen bestehend. Aus diesem Walde erhalten die Jasmunder und Wittower, jeder Hof und jede Dorfschaft ihren bestimmen Teil Bedarf von Holz. Dieser ist aber in neueren Zeiten sehr heruntergesetzt, und auf 1.400 Fuder jährlich veranschlagt worden, weil die Bäume zu sehr mitgenommen wurden und die Art dem ganzen Walde den Untergang drohte. An vielen Stellen findet man schon nicht mehr sehr alte und starke Buchen.

Hier in diesem Walde nun finden sich die merkwürdigsten Naturschönheiten und Altertümer Rügens, welche schon so viele Reisende hierher gelockt haben und noch immer herziehen, dass man in der Nähe derselben vor 5 Jahren ein Wirtshaus erbaut hat, das aus einem Saale und vier kleinen Schlafkammern, jede mit 3 Betten, besteht, so dass die Reisenden nicht bloß die nötigen Erfrischungen an Speise und Trunk hier finden, sondern auch den Sonnenauf- und Untergang mit Bequemlichkeit abwarten können. Denn nur wenige Schritte von diesem Haus ist die überall berühmte Stubbenkammer mit dem Königsstuhle, der seit der Anwesenheit unsers Königs Friedrich Willhelmsstuhl heißt; nicht dass ein Stuhl wirklich hier stände, sondern weil in frühern Zeiten ein König von dieser Bergspitze aus einer Seeschlacht zugesehen haben soll. Der Überraschung wegen führte mich mein Begleiter bis an diesen Stuhl und an den Rand des Abgrundes mit verbundenen Augen. Und welch einen Anblick hatte ich nun! Es wäre Torheit, das so oft beschriebene Euch noch einmal zu beschreiben, da Ihrs schon mehrmals in verschiedenen Reisebeschreibungen gelesen habt, durch Kosegartens Gedichte kennt und ich Euch auch die neuste Abbildung der Ansicht, nicht bloß von der Stubbenkammer, sondern auch von andern rügischen Merkwürdigkeiten mitbringen werde; ich habe sie in Stralsund gekauft. Auch einige am Meeresstrande aufgelesene Steine sollt Ihr sehen. Nur einiges von dem, was ich mit meinen eigenen Augen hier sah und jeder Reisende anders sieht, will ich bemerken.

Es segelten sechs kleinere Schiffe vorüber und eins derselben näherte sich uns so sehr, dass ich auf demselben ziemlich deutlich alles bemerken konnte. In sehr weiter Ferne segelte ein großes. Dieses von mir noch nie gesehene Schauspiel, das sich mit jedem Fortrücken der Schiffe änderte, die verschiedene Beleuchtung der Meeresfläche, indem bald die Sonne schien und dann wieder finstre Wolken sie verdeckten und das Meer mit tiefen Schatten überzogen, fesselte mich so sehr, dass ich immer wieder zu demselben mit neuem Vergnügen zurückkehrte. Späterhin ankerten zwei Schiffe in einer Entfernung von etwa 3/4 Meile vom Lande und hier lernte ich’s abermals kennen, wie wenig ich mich noch auf Abschätzung der Entfernung auf dem Meere und der Größe der Gegenstände verstand. Ein Boot ruderte von einem dieser Schiffe zum andern, und dies erschien mir so klein, dass ich’s allenfalls für einen schwimmenden Pfahl gehalten hätte, wenn nicht zwei Leute darin gewesen wären. Ich stand indes auch auf einer bedeutenden Höhe, die zwar nicht 600 Fuß über der Meeresfläche beträgt, wie einige angeben, aber doch 430, und so hoch hinauf schoss 1811 ein englischer Kauffahrer mit Kugeln, welche die Bäume beschädigten. Damals hausten nämlich die Franzosen hier, und hieben für die Baracken der aufgestellten Wache viele mit Namen der Reisenden versehene Bäume ab. Die Wut, seinen Namen hier zu verewigen, (die Ewigkeit dauert indes oft nicht lange) ist so groß, dass fast jeder Baum in der Nähe davon Beweise liefert und einige Wagehälse hatten die ihrigen in die Rinde einer Buche geschnitten, welche waagerecht über dem Abgrund hing und nur mit wenigen Wurzeln in dem Kreideberg noch festsaß. Aus Kreide aber besteht nicht bloß die Große und Kleine Stubbenkammer, sondern das ganze Meeresufer, so weit die Stubnitz reicht. Über den Namen des berühmten Geklüftes hat man viel geklügelt und nichts ausgemacht. Dass im 14ten Jahrhundert die beiden berüchtigten Seeräuber Störtebeker und Godike Michel hier gehaust und den Raub versteckt hätten, ist eine unwahrscheinliche Sage, welche dem Orte bloß größere Wichtigkeit geben soll. Dass man auch von unten den Berg hinaufklettern könne, wisst Ihr aus andern Reisebeschreibern, dennoch erzählte mir mein Begleiter, dass ein Reisender Namens Kummer aus Dresden, vor einigen Jahren dieses Unternehmen mit dem Leben bezahlt hätte, wenn ihm bei Ermattung seiner Kräfte nicht jemand zu Hilfe gekommen wäre, dem er noch jährlich seinen Dank durch Übersendung eines Geldgeschenkes abtrage.

Ein starker Regen hielt uns eine geraume Zeit in dem Wirtshause auf und als er nachgelassen hatte, fuhren wir nach der eine Viertelstunde davon gelegenen Herthaburg und dem Schwarzen See dicht dabei. Dieser hat zwar kein schwarzes Wasser, wie man sonst behauptete, ist aber wegen der Schatten von den Bäumen, die ihn umgeben und wegen der Höhen, worauf sie stehen, von düstrer Oberfläche, und war es bei dem Regen; der wieder zu fallen anfing, noch mehr. Er ist eirund und hat in seinem längsten Durchmesser etwa 200 Schritt und eine Tiefe von 43 Fuß in der Mitte. Er enthält auch Fische, die aber, wenigstens vordem, schwer zu fangen waren, indem der Grund mit Baumstämmen, Reisig usw. angefüllt war. Der ganze See liegt 300 Fuß über der Meeresfläche. An der Nordseite desselben liegt die Herthaburg, oder auch Borgwall genannt, eine ansehnliche Umwallung, oben von 386 Schritten im Umfang und am Fuß von 560 Schritten, in der Mitte eine Ebene von etwa 160 Schritten, die mit Buchen bewachsen und mit Laub bedeckt ist. Die innere Höhe des Walles beträgt 34 bis 40 Fuß; die äußere ist weit bedeutender und beträgt an einigen Stellen 100 Fuß, an andern sogar 200. Beide Seiten sind mit Bäumen und stellenweise dicht bewachsen, so dass man nicht viel um sich sehen kann. An einem Baume fanden wir zur Bequemlichkeit der hierher Kommenden eine hölzerne Leiter befestigt, von welcher wir eine überraschende Aussicht in die Tiefe und über die daraus hervorragenden Bäume, auch in die Ferne hatten; sie würde noch reizender gewesen sein, wenn es nicht wieder geregnet hätte. Die frisch gefallene Nässe machte den Hinuntergang zum See, der hier ziemlich jähe Ufer hat, etwas schwierig und beinah hatte ich das Schicksal der Sklaven gehabt, welche nach der Erzählung des römischen Geschichtsschreibers Tacitus, in diesem ersäuft wurden, nachdem sie den Wagen der Göttin Hertha abgewaschen hatten. Ich hielt mich indes an den Wurzeln der Bäume.

Ihr kennt die Erzählung des erwähnten Geschichtsschreibers und wisst, wenigstens aus unserer letzten gemeinschaftlichen Lesung der deutschen Geschichte von Kohlrausch, dass dieser und viele andre die Erzählung des Römers von diesem See und dem daneben liegenden Borgwalle verstehen, der eben um desselben Herthaburg, wie jener Herthasee heißt. Beide Namen sind erst neueren Ursprungs und da sie poetischer klingen auch beliebter, und mancher jetzige Rüge würde gewaltig zürnen, wenn man ihm den Glauben nehmen oder im Geringsten daran zweifeln wollte, dass Tacitus in jener Erzählung von diesem See und Wall,überhaupt nur an Rügen gedacht habe, und doch ist dies mehr als wahrscheinlich. Von einer alten Burg findet man keine Spur mehr, nur 2 Steingräber, offen, mit Buchenlaub zugeschüttet, findet man hier. Wahrscheinlicher hat hier nicht die heilige Göttin Hertha oder Erde, sondern eine unheilige Räuberbande gehauset, und Männer wie Kohlrauch sollten wenigstens nicht mit solcher Zuversicht ihre befangenen Ansichten aussprechen, da ebenso viele und viel sagende Stimmen des Tacitus Erzählung auf Helgoland, andere sogar auf Seeland oder eine andere deutsche Insel deuten.

Noch an demselben Abend besuchten wir nach unserer Rückkehr den Herrn Prediger Frank zu Bobbin, welcher die Güte hatte, uns seine Sammlung rügischer Merkwürdigkeiten zu zeigen. Von den Mineralien schweige ich, da Euch die Altertümer mehr anziehen werden. Hier sahen wir Urnen mit allerlei Zierraten, die man den verbrannten Toten mit ins Grab gegeben hatte, und so wie Böttitiger, von den ausgegrabenen Altertümern in Italien den Putztisch einer Römerin beschrieben hat, so könnte man beinah aus hier auf Rügen ausgegrabenen Aschtöpfen und den darin gefundenen Sachen den Putztisch einer alten Rügin beschreiben, der freilich etwas dürftiger ausfallen würde als jener. Hier sahen wir nämlich auch Weiberkämme, Kinderspielzeug usw., Kinnketten und Stirnblätter der Pferde usw., Opfermesser in mancherlei Gestalt, einen Runenstab mit einem darauf eingegrabenen Kalender, auch eine Nadel mit einem andern, wahrscheinlich Marterwerkzeuge, das an einem gefundenen Schädel gehaftet hatte, der vielleicht einem getöteten Verbrecher zugehörte. Eine Behauptung des Herrn Pastors wird Euch vielleicht ebenso sehr auffallend sein als sie mir war, nämlich dass die Feuersteine, deren es hier in dem grauen Kreideboden ungeheuer viel gibt, ehedem Tiere gewesen wären.

Die äußerst anziehende Beschreibung von dem Schiffbruch des englischen Schiffes Cabalva, von dem Sohne des Herrn Pastors verfasst, der diesen Schiffbruch überlebte, und die mir der Vater lieh, beschäftigte mich bis tief in die Nacht. Ihr sollt sie auch lesen.

Es ist 11 Uhr vormittags; der Knecht hat gegessen und der Wagen ist angespannt, der mich nach Arkona bringen soll.

Sagard, den 8. Juli 1822, früh 5 Uhr.

Für 40 Schillinge Fuhrlohn und etwa 12 Schillinge Nebenkosten habe ich gestern einen herrlichen Tag und eine köstliche Zeit auf Arkona zugebracht, von wo ich Dir, Lorchen, eine Blume mitbringe, da du Kosegartens Gedichte liebst. Ich traf nach einer Fahrt von etwas mehr als 2 Stunden hier ein. Doch ich muss in der Ordnung, wie ich die Sachen sah, erzählen.

Ich saß auf einem Bunde Queck oder Peden, womit mein Fuhrmann die Pferde auf Arkona fütterte. Daraus mögt Ihr abnehmen, wie wenig Heu sein Herr gewinnen musste. Das Dorf Glowe, in welchem er einer der 5 Kossaten war, die außer einem Bauer, einigen Tagelöhnern und Fischern die ganze Gemeinde ausmachen, liegt am Eingange der sandigen Schaabe oder Wittower Heide, die an einigen Stellen kaum 1/5 Meile breit, aber länger als 1 Meile ist, denn wir brachten wohl 1 ½ Stunde darauf zu. Auf dieser dürren Erdenge wächst kaum ein Grashalm. Wir fuhren am östlichen Gestade des Meeres, das hier Tromper Wiek heißt, hin, größtenteils so nahe, dass die Wellen die Räder bespülten. Zur Linken konnte ich wegen der vorliegenden Dünen den Jasmunder Bodden nicht sehen, musste auch wegen des scharf wehenden und kalten Nordwestwindes den Kragen meines Rockes zum Schutze für meinen noch empfindlichen Hals so sehr in die Höhe ziehen, dass ich auch um deswillen nach dieser Seite hin nicht viel blicken mochte. Desto fester blieb mein Auge auf das östliche Meer geheftet, und ich sah mit inniger Lust dem Spiele der Wellen zu und dem Fluge der kleinen und großen Möwen, die sich eintauchten, um Fische zu fangen, auch den gefangenen wohl wieder fallen ließen. Unter diesen Umständen kam mir selbst die tote, tote, wüste Schaabe weniger abschreckend vor, als sie wirklich ist. Ob man späterhin je Rosen auf derselben pflücken wird, wie ein früherer Wanderer hoffte, lässt sich zwar nicht mit unumstößlicher Gewissheit verneinen, denn was ist dem ausdauernden Fleiße nicht möglich? Aber so zeitig wird es wenigstens noch nicht geschehen. Obgleich die Wagenspur auf dem nassen Sande, der von dem Meere eben und glatt gespült war, kaum gesehen ward, so sank ich doch ein paar Schritt weiter landwärts bis an die Knöchel in den getrockneten. Einige Mal überraschten mich die von dem Winde herangewehten Wellen und überschütteten mir den Fuß. Der Seetang, welcher hin und wieder von dem Meere ausgeworfen war, stank höchst widrig. Zuweilen ging der Weg über eine Lage von Feuersteinen.

Drewoldke ist das erste Dorf auf Wittow, wenn man von der Schaabe kommt; es liegt noch im Sande und besteht nur aus 10 elenden Häusern. Die furchtbare Steppe verwandelt sich immer mehr in fruchtbares Land und ich sah grünende Saaten von schönem Roggen, dem besten Weizen und gutem Gährschte (so spricht man zuweilen hier statt: guter Gerste) wieder. Andre Sommerfrüchte standen wegen der Dürre schlecht, denn auch selbst der Regen, dessen wir vorgestern in der Stubnitz gern überhoben gewesen waren, hatte kaum die Sandschellen bei Glowe erreicht, und auf Wittow war kein Tropfen gefallen. Übrigens gilt diese Halbinsel sowie Jasmund, für sehr fruchtbar, sie führt jährlich 1.000 Last Korn, meistens Weizen aus, die Last zu 4 Wispeln gerechnet. Wie groß die Fruchtbarkeit auf Jasmund sei, kann ich Euch aus dem Munde des Herrn v. Schewe sagen, auf dessen Feldmark zu Kampe, die übrigens eine der besten ist, trotz der ungeheuer vielen Steine, die ich an vielen Stellen fand, ich ein Weizenfeld sah, von dem er das 12te Korn, selbst in diesem dürren Jahre zu ernten hoffte, und in der Gerste noch drüber.

Die Bewohner der Dörfer, durch welche der Weg weiterging, kamen in ihrem Sonntagsstaate aus der Kirche zu Altenkirchen nach Hause, meistens gefahren, die Weiber in baumwollenen Kleidern und mit zierlichen Strohhütchen auf dem Kopfe, die ich von Stettin an gesehen hatte. Das letzte Dorf durch welches wir kamen, war das ziemlich große Putgarten und kurz dahinter liegt der äußerste Nordpunkt Rügens, das Ziel meiner Reise von dieser Seite, das bekannte Vorgebirge Arkona. Denkt Euch indes dabei nicht zu viel Großes, denn es ist nichts weiter als ein schmutzig weißer Kreideberg, etwa 200 Fuß über der Meeresfläche erhaben, und auf 3 Seiten von derselben umgeben. Der ganze Umfang des Berges mag 800 Schritt betragen. Oben ist er flach und war zum Teil besäet, das übrige mit Rasen bewachsen. Obwohl nun dieses Vorgebirge nicht die Höhe der Stubbenkammer erreicht, so gewährt es doch einen freiern Umblick, den ich einige Stunden lang mit dem innigsten Vergnügen genoss, während mein Fuhrmann in einiger Entfernung, auf den Rasen hingestreckt, schlief, obwohl er zum ersten Mal in seinem Leben hierher gekommen war. So stumpf ist der Sinn des gemeinen Mannes! - Der Himmel hatte sich völlig aufgeklärt und alles um mich her stand in der schönsten Erleuchtung. Ein großes Schiff segelte nach der Stubbenkammer hinüber; die Stubnitz jenseits des Tromper Wieks lag mit ihren dunkleren Schatten auf einmal vor mir, dass ich im Anschauen der übrigen Gegenstände verloren, mir anfangs gar nicht erklären konnte, woher mir von dieser Seite das Land käme. Ein weißes Segel in weiter Ferne blieb die ganze Zeit über für mich ein lichter und fester Gesichtspunkt in dem unbegrenzten Meere. Auch die dänische Kreideinsel Möen, 9 Meilen von hier, glaube ich gesehen zu haben als einen weißen schimmernden Punkt. Das leicht bewegte Meer hüpfte in kurzen weißschaumigen Wellen, die sich erhoben und wieder verschwanden, oder auch an den Steinen zu meinen Füßen sich brachen. An diesem mir immer neuen Schauspiel konnte ich mich nicht satt sehen. Nur zwei höher liegende Landflecke verbargen mir das Meer, das mich sonst von allen Seiten umgab, und in diesem Betrachte ist Arkona der anziehendste Landfleck auf der ganzen Insel Rügen.

Ihr wisst indes, dass er auch geschichtlich merkwürdig ist. Denn hier war der blutige Schauplatz des Krieges zwischen dem Christentume und dem wendischen Heidentume, das unterlag und seitdem von der Insel verschwunden ist. Von Arkon oder Archona aus (so heißt nämlich schon in den alten Geschichtsbüchern dieses Vorgebirge mit der darauf befindlichen Stadt, Burg oder Festung) herrschte der Gott Swantewit über die Gemüter der Menschen. Sein großes unförmliches Bildnis stand hier in einem Heiligtume, das die Wenden zwar tapfer vereidigten, aber zuletzt doch den Christen aus Dänemark überlassen mussten, die es verbrannten. Dies geschah im Jahre 1168 und ich will Euch den Hergang der Sache, so wie ihn uns ein Augenzeuge aus dem dänischen Heere erzählt, bei meiner Rückkehr aus der lateinischen Urschrift verdeutschen.

Es ist zweifelhaft, ob der Wall, welcher noch jetzt von der Landseite her den Berg einschließt, aus jenen ältern Zeiten sei oder nicht; spätere scheinen wenigstens etwas daran geändert zu haben. Ich zählte 13 verschiedene Hügel auf demselben; die Vertiefungen zwischen ihnen scheinen mir nicht von Schießscharten herzurühren, wie einige annehmen; dies ist indes unwichtig. Der Eingang in den Wall zieht sich schräg hindurch, wie die Auffahrt bei unsern Festungswällen. Auf dem größten unförmlichem Hügel im Norden saß ich eine Zeit lang und warf eine Zeichnung von dem Grunde dieses merkwürdigen Erdfleckes aufs Papier, verlor mich in meinen Gedanken und Empfindungen, die zuletzt in Gebet übergingen. Schweigend stand ich auf und ging weiter.

Einige meinen, dass Arkon eine sehr große Wendenstadt gewesen sei und einen starken Handel getrieben habe. Dies wird durch den Anblick des Grund und Bodens sattsam widerlegt, und wenn auch das Meer, wie es wahrscheinlich ist, einen Teil des Vorgebirges weggespült haben sollte und noch immer wegspült, so ist doch der Raum für eine große Stadt nicht bloß jetzt zu klein, sondern war es auch gewiss vor sieben Jahrhunderten.

Außer dem Burgwalle sah ich üppige Weizenfelder, aber schlechten Hafer. An einer Stelle war der Pflug nur einen Fuß breit vom steilen Absturz des Kreideberges hingegangen. Mit welchen Empfindungen mögen die Landleute hier ackern? Doch ich blickte auf meinen Fuhrmann, ging hin und weckte ihn aus dem Schlafe, und wir fuhren nach Vitt.

Dieses Dorf liegt am Ufer des Meeres, wohin eine weit gestreckte Schlucht führt, und wird von Fischern bewohnt, denen der Prediger zu Altenkirchen in den Monaten August, September und Oktober unter freiem Himmel acht Predigten halten muss. Um dies bei stürmischem Wetter mit mehr Bequemlichkeit tun zu können, ist seit 1816 eine kleine achteckige Kapelle eingeweiht, die auf einer Anhöhe steht, aber nicht viel Menschen fassen kann. Ich stieg in einer Fischerhütte ab, um meinen Hunger in etwas zu stillen und schwatzte mit den Leuten, die sich auch über die jetzige Regierung äußerten, und zwar weit unbefangener, als die meisten Personen gebildeten Standes in Neu- Vorpommern, welche die gute alte Schwedenzeit auf Kosten der jetzigen nicht genug rühmen können. Hier in Vitte waren die Fischer (wie andre Personen aus dem niedern Stande, die ich darüber befragte) mit der Veränderung ganz zufrieden.

Ich nahm meinen weitern Rückweg längs dem Meeresufer und kam unter andern vor dem Dorfe Nobbin (oder Labbin) und dem dabei befindlichen Steinsalze vorbei. Hier liegen nämlich in Gestalt eines Rechtecks, das 40 Schritt in der Länge und 10 in der Breite hat, 40 große Feldsteine nebeneinander, darunter 2, die sich durch ihre Größe von den übrigen wieder auszeichnen, vielleicht die Tür zu dem Bet-, Opfer- oder Begräbnisort bildeten, oder was dieser Fleck sonst mag in alten Zeiten gewesen sein, denn die Mutmaßungen darüber sind sehr verschieden. Etwas Gewisses lässt sich nicht sagen. Man sieht indes, dass die alten Rügen ihren Überfluss an großen Steinen zu verwenden wussten, nur nicht auf eine sehr künstliche Art. Die Kunst schlief noch zu sehr.

Meine fernere Rückreise nach Glowe über die Schaabe, und von da nach Bobbin bis hierher, war für mich in der Wirklichkeit genussreicher, als die Erzählung davon Euch sein würde. Das von dem schwedischen General Wrangel erbaute Schloss Spycker, jetzt dem Fürsten Putbus gehörig, hat eine sehr schöne Lage an einer Einbucht des Boddens, und bei Bobbin genoss ich nochmals der herrlichen Aussicht über das Tromper Wiek nach Arkona, und nach den Ufern Rügens jenseits des Boddens, bei einer vorteilhaften Abendbeleuchtung der sich neigenden Sonne. Bei meiner Rückkehr erhielt ich noch unerwartet einen Besuch von meinem Gastfreunde v. Schämen, der mir die auf Stubbenkammer gesammelten Steine zustellte. Mein Wirt hat mich mit artigen Versteinerungen versehen, die er von einem Steine auf seinem Hofe losgeschlagen hat. Ich werde sie Euch zeigen. Es ist früh 7 Uhr und ich rüste mich zur Abfahrt, obwohl es regnet, der Kronprinz ist gestern nach Stubbenkammer gefahren und hat die Nacht dort verweilt. Der Himmel ist ihm dort und auch wahrscheinlich auf Arkona nicht so günstig als mir. Ich bin glücklicher als der Königssohn.