Küstrin - Stadt und Festung

Auch Küstrin ist Euch aus einer frühern Reise hierher, noch in gutem Gedächtnis, und Ihr wisst es, dass der Ort, welcher jetzt über 4.500 Einwohner und 450 Häuser zählt, in dem nördlichen Winkel liegt, den die Warthe bei ihrem Einflusse in die Oder bildet, oder vielmehr sonst bildete. Denn seitdem Ihr hier gewesen seid, hat sich dies, wie manches andere, sehr geändert. Ihr erinnert Euch noch des Abzugsgrabens zwischen der Festung und so genannten kurzen Vorstadt, welcher von Friedrich dem Großen deshalb gezogen ward, um einen Teil des Warthewassersöstlich von Küstrin wegzuleiten, wodurch diese Festung gänzlich auf einer Insel zu liegen kam. Dieser Abzugsgraben, ursprünglich nur auf wenige Ruten berechnet, erweiterte sich mit der Zeit so sehr, dass er nicht bloß alles Warthewasser, sondern auch einen Teil des oberhalb Küstrins in die Warthemündung einströmenden Oderwassers ableitete, wodurch der eigentliche Oderstrom bei der Festung immer mehr versandete. Man hat daher die frühere Warthemündung 1818 durch einen eingesenkten Faschinendamm gänzlich verstopft, so dass sich dieser Nebenfluss der Oder jetzt etwa 3/4 10 Meile unterhalb Küstrins mit ihr vereinigt. Man kann also nicht mehr, wie ihr es früher mit großem Vergnügen tatet, von den Wällen der Festung die Vermischung des schwarzen Warthewassers mit dem gelblichen Lehmwasser der Oder, und die mancherlei Kräuselungen beider während der Beimischung, wahrnehmen.

Die Stadt selbst und ihre Befestigung hat sich seit der Einschließung derselben im Jahre 1813 und 14 gar nicht geändert, außer dass die kleine Neustadt jetzt noch weniger Häuser enthält als sonst; denn die Franzosen haben alle die, welche bei der mutmaßlichen Belagerung der Verteidigung hinderlich waren, abgebrochen und verbrannt. Ein gleiches Schicksal hatte die ganze so genannte Lange Vorstadt auf dem linken Oderufer und das ebendaselbst gelegene Fischerdorf, der Kiez. Beide sind auch nicht wieder dort aufgebaut worden, da sie der Festung gerade gegenüberlagen. Man arbeitet dagegen jetzt daran, den hier befindlichen Brückenkopf zu erweitern, und ist in dieser Arbeit schon ziemlich weit vorgerückt. Nur in einer Entfernung von 4 bis 5.000 Schritt nördlich sind wieder einige zerstreute Häuser aufgeführt worden, und an der Stelle der von Friedrich dem Großen erbauten Magazine, die ihr vor 13 Jahren besuchtet, die aber von den Franzosen im Innern fast ganz zerstört waren, um des darin befindlichen Holzes wegen, das man zur Verwahrung der Festung brauchte, und die deshalb abgetragen werden mussten, ist eine andere Vorstadt, Neubleven genannt, dicht an der Oder, aber eine gute Viertelstunde von der Stadt ab, entstanden. Sie zählt indes erst wenige Häuser. Die Kurze Vorstadt, auch 3/4 Stunde nach Osten hin entfernt, ward von den Franzosen nur teilweise eingeäschert und steht jetzt etwas erweitert und verschönert auf dem alten Fleck, und nicht weit davon die königlichen Schneidemühlen an der Warthe, auf welchen polnische und posensche Hölzer zu mancherlei Bedarf geschnitten werden.


Ihr erinnert Euch doch noch dieser holländischen Windmühlen? Der ehemalige Kiez steht jetzt auf einem ganz andern Fleck, 3/4 Stunde westlich von der Festung, zu beiden Seiten der 1817 und 18 erbauten Kunststraße, und bildet ein ansehnliches Dorf von 12 500 Einwohnern und 60 Häusern, die sich mit jedem Jahre vermehren. Ein viereckiger Marktplatze ziert den stets lebhaften Ort.

Am 24sten fuhren wir zu unsern guten Freunden nach G***, um den übrigen Teil des Tages in ihrer Gesellschaft zuzubringen. Dass wir alle herzlich aufgenommen wurden, darf ich Euch nicht sagen; es ward vielmehr wacker gescholten, dass Ihr Übrigen nicht auch mitgekommen wäret. Lasst Euch das Weitere von den zurückkehrenden Schwestern erzählen.

G*** liegt, wie Euch bekannt ist, im Oderbruche, das angeführtermaßen beim Dorfe Reitwein anhebt, sich von der Oder westwärts über die Dörfer Bodeltzig, Dolgelin, Friedersdorf nach dem Städtchen Selow von 224 Häusern mit 1.500 Einwohnern, und von da weiter über Werbig, Gusow, Platikow, Neu-Hardenberg, Friedland, Kunersdorf usw., bis nach Wriezen, Freienwalde und Oderberg hinzieht, in seiner Ausdehnung von Mittag nach Mitternacht 5 Meilen, oder wenn man will, auch 8 Meilen, beträgt, und eine Breite von 1 1/2 bis 3 Meilen hat. Diese Fläche Landes von beiläufig 10 Quadratmeilen war sonst den Überschwemmungen der Oder ausgesetzt und dürftig bevölkert, denn nur einige hervorragende Erdschollen, die gewöhnlich von dem übertretenden Wasser nicht berührt wurden, waren mit einigen elenden Fischerhütten besetzt, deren Bewohner wenig oder gar keinen Ackerbau trieben, im Sommer aber einen bedeutenden Heuwerb machten. Schon König Friedrich Wilhelm der Erste machte im Jahre 1717 den Anfang bei Küstrin, das Bruch zu entwässern; aber erst Friedrich der Große brachte das Werk in den Jahren 1747 bis 56 zustande. Das ganze linke Oderufer von Lebus an bis Oderberg ist mit einem Walle versehn, der in der Krone 3 Ruten breit ist, und auf welchem sich zwei Wagen bequem ausweichen können. An einigen Stellen bespült die Oder unmittelbar den Fuß des Walles, der auch gegen den Andrang des Wassers hin und wieder durch Buhnen geschützt ist; an den meisten Orten dagegen hat der Damm noch ein bedeutendes Vorland. Er ist bei hohem Wasserstande, besonders 1785, an einigen Stellen durchbrochen worden und hat hier seine ursprüngliche Richtung geändert. Diese geht nicht immer geradeaus, sondern krümmt und wendet sich oft bedeutend. Auf beiden Seiten des Dammes, der im Durchschnitt 12 Fuß hoch ist, wenigstens auf der Innenseite, stehen ein bis zwei 2 Baumreihen von Weiden, welche das zu den Faschinen nötige Reisig geben. Die Unterhaltung des Dammes liegt allen Dörfern ob, welche durch die Anlegung desselben gewonnen haben. Jeder Landbesitzer trägt daher nach Maßgabe seines Grundstückes insofern dazu bei, dass er die ihm zugeteilte Rutenzahl bei Aufforderung der Deichschau, welche über das Ganze gesetzt ist, in gehörigen Stand setzt, die etwa entstandenen Löcher ausfüllt und einen jährlichen Beitrag von 8 guten Groschen für die Rute, zur Besoldung der Deichschau usw. entrichtet. Zur innern Entwässerung des Landes wurden außer einem Haupt-Abzugsgraben, noch viele Nebengräben gezogen und werden noch jährlich von den Dorfschaften und einzelnen Besitzer gezogen. Die Aufsicht der Deichschau, welche jährlich im Frühjahr und Herbst das ganze Bruch bereiset, erstreckt sich auch auf diese Abzugsgräben im Innern, wenigstens auf die wichtigsten. Sie ergießen sich sämtlich bei Wriezen in die Oder. - Mit dieser Umwallung der Oder auf dem linken Ufer ward die Ziehung eines Grabens auf dem rechten Ufer von Güstebiese an bis zu den Dörfern Hohen- und Nieder-Wutzen verbunden. Dieser Graben ist unter dem Namen: Oderkanal, oder auch neue Oder bekannt und jetzt das gewöhnliche Fahrwasser, das auch oberhalb; Güstebiese zum Teil verändert ist.

Durch die erwähnten Schöpfungen Friedrichs des Großen ist nicht bloß die Schifffahrt auf der Oder merklich verkürzt, sondern auch, und das ist das Wichtigste, ein Landstrich für die menschliche Kultur gewonnen worden, der bis dahin einen geringen Nutzen gewährte. Man erstaunt, wenn man alte, vor der Verwallung der Oder gezeichnete Flurkarten der Bruchdörfer mit dem gegenwärtigen Zustande der Dinge vergleicht, und Häuser dort sieht, wo jenen Karten zufolge Sumpf und Morast war, oder gar See und fließendes Oderwasser. Wo man sonst fischte, da wird jetzt geackert und geerntet, und wo sonst einige Familien kümmerlich lebten, da treibet das Vierfache derselben, und noch mehr, ihr fröhliches Gewerbe. Freilich hat erst die neuste Zeit dem Wirken des großen Königs die Krone aufgesetzt; denn seit der nun fast allgemein hier gewordenen Separation der Gemeinden, und der gesetzlichen Erlaubnis, die Bauerhöfe und Grundstücke zu zerschlagen, ist das Bruch überall mit Gehöften und einzelnen Häusern übersäet, so dass man auf jeder Straße binnen kurzem einige derselben erreicht und noch mehr sieht. Wenn der große Schöpfer dieser ehemaligen Sumpfgegend jetzt die Folgen seines Wirkens sehen könnte, er würde mit Wohlgefallen darauf blicken und sich vielleicht mehr darüber freuen alsüber die Verschönerungen seines Potsdams. Denn schon jetzt leben hier auf einer Quadratmeile 2.400 Menschen und wohl drüber, und es lässt sich vorhersehen, dass diese Zahl binnen wenigen Jahren sich vielleicht verdoppelt; wenigstens ist die Vermehrung in den letzten fünf Jahren auffallend, wovon ich weiterhin einige Beispiele anführen werde.