Doberan

Doberan, den 13. Juli 1822.

Heut früh machte ich noch einige Gänge in Rostock bei unfreundlichem Regenwetter und fand eine Gelegenheit hierher mit einem Fuhrmann, der täglich Personen und Sachen zwischen beiden Orten wechselt. Ich bestieg den bedeckten Wagen in der Flora, so heißt ein Wirtshaus mit Garten vor dem Kröpeliner Tore, und fand auf demselben als Mitreisende 1) den Kapitän eines Seeschiffes von 54 Fuß Länge im Kiel, das sich der Großherzog zu kleinen Lustreisen hat bauen lassen, und welches ich gestern im Rostocker Hafen liegen sah; 2) eine junge geborne Berlinerin, nicht übel von Gesicht, in Romanen gut belesen, welche die Zitter spielte und auch eine Probe ihrer Gesangskunst ablegte, munter und unbefangen, aber etwas unweiblich in ihren Worten. Auch war ihr Ohr nicht ganz zärtlich gegen gewisse Anzüglichkeiten des Kapitäns. Beide Reisegefährten unterhielten mich abwechselnd; der eine mit seinen Klagen über das viele Kopfbrechen, welches ihm der Bau und die Ausrüstung des Schiffes seit dem März bereits gemacht habe und noch mache, mit seinen Abenteuern zur See, Anekdötchen von Matrosen usw.; die andre mit ihren Erfahrungen, welche sie zu Wasser und zu Lande auf ihren Reisen nach Amsterdam, Rotterdam usw. gemacht hatte. Beide überboten sich zuweilen in lustigen Schwänken vom Seeleben. Darüber vergaß ich größtenteils, unter dem Verdeck hervor in den bezogenen Himmel und auf das stark bewässerte Erdreich zu schauen, das ohnehin wenig Abwechslung darbot. Nach einer Fahrt von etwa 3 Stunden traf ich gegen 3 Uhr nachmittags hier ein, und trinke meinen Kaffee im Lindenhofe, einem öffentlichen Gasthause, wo ich abgetreten bin. Ich rüste mich zu einem Ausgange, um diesen berühmten Badeort dem Äußern nach näher kennen zu lernen.


Sonntag, den 14. Juli.

Doberan liegt in einem Tale, durch welches sich ein kleines Gewässer schlängelt. Es ist rings von Hügeln und kleinen Bergen umgeben, wovon die meisten mehr oder weniger mit Holz bedeckt sind und angenehme Spaziergänge gewähren. Besonders ist der ziemlich hohe Buchenberg, dicht beim Orte, lieblich bewachsen und durch geebnete Gänge, Bänke usw. zu einem Lustgarten eingerichtet. Man stößt am Ende der Gänge oft unerwartet auf reizende Aussichten in die Umgegend, in welcher die Hügel mit Wiesen und Kornfeldern gar mannigfaltig abwechseln. Die Vegetation ist bei dem guten Boden, meistens Lehm, üppig und das Ganze höchst anziehend. Schon in dieser Hinsicht trägt Doberan den Preis vor Putbus davon. Dort übersieht man alles auf einmal; hier muss man sich mit den einzelnen Schönheiten langsam bekannt machen. Man weiß nicht, ob man den hiesigen Ort eine Stadt oder Dorf nennen soll. Ursprünglich war es ein Kloster, das 1552 aufgehoben und landesherrliche Domäne ward. Man findet daher auch noch ein Amt mit den zugehörigen Gebäuden hier. Aber seitdem Doberan im Jahre 1793 zu einem Seebade erhoben worden ist, hat es eine ganz veränderte Gestalt gewonnen und gewinnt noch immer, denn man baut fleißig hier, welches die immer steigende Aufnahme des Ortes beweiset, wo sich ländliches und städtisches miteinander vermischt, kleine und schlechte Häuser mit Strohdächern gegen die Pracht der fürstlichen Anlagen sehr abstechen. Regelmäßigkeit in der Anlage des Ganzen sucht man vergebens, und eigentliche Straßen findet man auch nicht. Hauptgebäude sind: das großherzogliche Schloss in schönem Stile, von welchem eine Fahne herabwehte, Zeichen dass Se. Durchlaucht da sind, wie mein Kapitän sich höflichst ausdrückte; daneben der große Speisesaal, oder vielmehr die Säle; neben diesen, aber nicht ganz in grader Linie, das Logierhaus und dann das Schauspielhaus. Vor diesen Gebäuden liegt der Kamp, ein Rasenplatz, den man füglich in einer Viertelstunde umgeht; er ist mit Baumgängen umgeben und hier lustwandelt die gesunde und kranke schöne Welt Doberans von früh bis spät. In der Mitte dieses fast dreieckigen Platzes steht der so genannte Trichter; wo man Erfrischungen haben kann, und auf einer der Seiten, rechts vom Schlosse ein Musiktempel, worin sich jeden Tag von 12 bis 1 Uhr die herzogliche Kapelle hören lässt. Zu beiden Seiten desselben stehen einige Kaufläden im Halbkreise. Um den Kamp stehen nun noch die besten Privathäuser, auch der Lindenhof, worin ich wohne, und wo die großherzoglichen Wagen und Pferde stehen. An einigen großen, geschmackvollen Häusern in der Nähe wurde gearbeitet. Der alte mit einer Mauer eingefasste Klosterraum ist zu einem schönen Park umgeschaffen, in welchem die große alte Klosterkirche steht. Dies ist das Wesentlichste des Orts, der mit jedem Jahre durch die Vorliebe des Großherzogs für diese seine Schöpfung verschönert und durch mancherlei Anlagen erweitert wird.

Jetzt ist ein fröhliches Leben und ziemliches Gedränge hier, wegen der Anwesenheit des Kronprinzen und der übrigen hohen Herrschaften, die sich gestern Abend auf dem Kamp mit Reifwerfen ergötzten. Die herzoglichen Bediensteten laufen geschäftig hin und her, das Militär prangt mit gewaltigen Bärenmützen und die Läufer in ihrem besilberten Staate. Die Anzahl der Badegäste und Fremden gibt das gedruckte Verzeichnis in seiner vierten Fortsetzung auf 240 an. Darunter ist indes auch das Personal des Mecklenburg-Schwerinschen Theaters sowie der Großherzoglichen Harmonie (Kapelle) aus Ludwigslust mit begriffen, welches zusammen ein halbes Hundert ausmacht, so dass der eigentlichen Badegäste und Fremden nicht 200 sind. Der jetzt überall sichtbare Geldmangel macht sich auch hier bemerkbar. Sonst hat man weit mehr angekommene Fremden gezählt.

Soeben hat der großherzogliche Hof- Zahnarzt mir seine Aufwartung gemacht und sich mit seiner Geschicklichkeit im Ausziehen der Zähne, Abschneiden der Leichdornen usw. empfohlen. Er hatte nicht übel Lust, mich sogleich in seine liebreich helfenden Hände zu nehmen und mein zerbröckelndes Gebiss von allen Mängeln zu befreien. Es kostete Mühe ihn loszuwerden. Er suchte alle Beteuerungen, dass ich seiner nicht bedürfe, durch den Fluss seiner Beredsamkeit zu entkräften.

Früh 9 Uhr besuchte ich die hiesige Bibliothek, welche nicht unbedeutend ist, und fand in dem Lesezimmer mehrere mecklenburgische Tagblätter, die Berlinische, Hamburgische Zeitung usw. Ich zahlte für das Lesen derselben 2 Schillinge und für die gedruckte Badeliste auf 4 Halbbogen, die sich füglich auf einen zurückführen ließ, etwa 5 gute Groschen preußisch. Man kann unter nicht ganz wohlfeilen Bedingungen die vorhandenen Schriften geliehen bekommen. Es war mir eben nicht erfreulich zu bemerken, dass meine Kasse hier auf einmal ärmer geworden war, als ich wusste. Denn jeder meiner harten Taler: galt hier nur 3/4 dessen, was er im Preußischen wert ist; auf der Post wollte man ihn sogar nur 2/3 gelten lassen.

Die hiesige Kirche ist eine der größten im Mecklenburgischen, und wegen ihres Alters, Baues und der darin befindlichen Denkmäler merkwürdig; sie ward von 1186 bis 1252 gebaut. Ich fand verhältnismäßig nur wenig Anbeter darin. Es ward ziemlich viel gesungen, kurz gepredigt und der Gottesdienst mit manchen Responsorien usw. beschlossen. Die vielen gemalten Fensterscheiben, die in aller Frische der Farben leuchten, dürften für den Altertumsforscher noch manche Ausbeute liefern und besonders dem Heraldiker wichtig sein. Es liegen mehrere fürstliche Personen hier begraben und die Kirche ist mit ihren sowie anderer Verstorbener Bildnissen, Denkmälern, Kapellen usw. angefüllt, aber nicht immer verschönert. Es laufen viele Albernheiten und abgeschmackte Dinge mitunter. So stellt z. B. ein Altar vor, wie Gottes Wort von den vier Evangelisten auf eine Mühle gegossen, abgemahlen und unten von Bischöfen in Kelchen aufgefangen wird. Die Apostel treiben dabei die Mühle um. Viele Denkmäler sind im 30-jährigen Kriege ihrer Kostbarkeiten beraubt oder verstümmelt worden. Unter den läppischen und fast gottlosen Inschriften, die sich in diesem Gotteshause befinden, führe ich bloß folgende Probe an, woraus man den frommen Geist der Vorzeit erkennen kann.

Auf den Koch Peter Klahr.
Hier rauhet Peter Klahr,
He kaakte selden gahr,
Dartau gans unflädig,
Gott sy siener Seelen gnädig.

Auf Frau Ahlke Pott.
Hier ruhet Ahlke Ahlke Pott
Bewahre my lewe Herre Gott,
As ick die wull bewahren,
Wenn du wehrst Ahlke Ahlke Pott
Un ick währ leve Herre Gott.

Wiek düwel wiek, wiek wiet van my,
Ick scheer my nig een hoar um dy.
Ick bün een meklenbörgsch edelmann,
Wat geit die, düwel, mien suupen an?
Ick suup mit mienen herrn jesu christ,
Wenn du, düwel ewig dösten müst,
Un drinck mit öm söet kolleschaal,
Wenn du sitzt in de höllenqual.
Drüm rahd ick: wieck, loop, rönn un gah,
Efft by dem düwel ick tau schlah.


Man findet auch noch kostbare Reliquien hier, welche der Kirchendiener den Neugierigen bereitwillig um Geld zeigt. Da ich dergleichen Narrheiten schon genug gesehen habe, so hatte ich nicht Lust sie näher in Augenschein zu nehmen. Man findet darunter auch: etwas Flachs aus dem Spinnrocken der Jungfrau Maria sowie etwas Leinwand, welche die heil. Jungfrau eigenhändig verfertigt hat; einen Lappen vom Rock des armen Lazarus; ein Stück von der Serviette des Bräutigams zu Cana; ein Stück von Josephs Mantel, welches Potiphars ihm abgerissen; ein Stück von den Windeln Christi; die Schlafmütze der Jungfrau Maria etc.

Halb 2 Uhr ging ich in den großen Speisesaal, wo ich eine so zahlreiche Gesellschaft fand, dass der neue Saal, welcher an den ältern unter einem rechten Winkel angebaut ist, sie nicht alle fassen konnte; ich schätzte sie über 400. Darunter befanden sich indes sehr viele Rostocker, welche des Sonntags häufig herüberkommen und sich heut zahlreicher als sonst eingefunden hatten, wegen der Anwesenheit des Kronprinzen, der in dem prachtvollen Saale obenan mit den übrigen hohen Herrschaften saß. Das Essen zu 24 Schilling war gut, der Graveswein zu 24 Schilling die Flasche ging an und der Zufall hatte mich zu einer angenehmen Nachbarschaft geführt, mit der ich mich während der Mahlzeit sehr gut unterhielt. Der Großherzog ließ einen geschriebenen Zettel bei Tische umlaufen, worin er sämtliche Badegäste und Fremden auf morgen 7 Uhr zu einem Thée dansant im Speisesaal einlud. Wenn mich sonst nichts hindert, werde ich mich auch dabei einfinden.

Doberan, den 15. Juli 1822.

Von dem Heiligen Damme hab ich mir eine weit größere Vorstellung gemacht, als mir die Wirklichkeit heut zeigte. Es ist nichts weiter als ein Steinlager am Meere, das sich etwa ½ Meilen weit erstreckt und gegen 100 Fuß, auch drunter und drüber breit ist. Die Steine sind sämtlich nur klein, und bestehen aus Porphyr, Jaspis, Achat, Quarz usw. Sie werden zum Teil in Schwerin zu Perschaften, Stockknöpfen, Dosen etc. verarbeitet. Das rollende Meer hat sie ziemlich abgerundet und ich las einige auffallende Stücke auf. Das Merkwürdigste an diesem Damme ist seine Entstehung und die märchenhaften sehr abweichenden Erzählungen darüber. Auf Rügen ist der Meeresstrand an mehreren Orten mit einem gleichen Rande von Steinen eingefasst; aber dort sind sie zum Teil von dem hohen Ufer durch Regengüsse herabgespült, oder aus der Nähe von den Meereswellen herangespült worden. Hier hingegen ist das Ufer flach und in der Nähe kein erheblicher Berg. Der Sage nach ist der Heilige Damm in einer Nacht des 12ten oder 13ten Jahrhunderts unter einem furchtbaren Sturme entstanden, und die Mönche zu Doberan rühmten sich, durch ihr Gebet den Sturm sowohl als den schützenden Damm bewirkt zu haben. Denn das Meer soll vorher zuweilen bis nach Doberan hin übergetreten sein, und wirklich ist an der Südseite der dortigen Kirche, außerhalb unter dem Dache ein Anker eingemauert, der hier gefunden sein soll. Ein heftiger Sturm mag allerdings den Damm gebildet haben; die Mönche bedurften aber auch der Wunder, um sich und ihr Kloster berühmt zu machen,– auch die an vielen Orten vorkommenden Geschichtchen vom Wunderblute benutzten sie hier dazu – und darum legten sie dem Damme den Namen des Heiligen bei, den er noch trägt. Seltsam genug heben sie unter den hochwichtigen Reliquien in der Kirche auch einen einzelnen Stein von diesem Heiligen Damme auf, womit David dem Riesen Goliath den Kopf soll eingeworfen haben. Der Stein befindet sich noch zu Doberan.

Man fährt von hier auf Wagen, die man zu 48 Schilling mieten kann, zum Bade nach dem Heiligen Damme. Diese Ausgabe allein macht die hiesige Badeanstalt etwas teuer, und nur für Reiche geeignet. In Putbus kommt man wohlfeiler davon. Ich fuhr um 8 Uhr fort und war gegen 9 Uhr beim Damme. Der Weg dahin ist mit Bäumen gepflanzt und geht zum Teil durch ein schönes Laubholz. Das große Badehaus enthält eine bedeutende Anzahl von Gemächern zu warmen Bädern für jeden beliebigen oder von dem Arzte verordneten Grad. Die Einrichtung und Ordnung ist die gewöhnliche. Das Wasser wird durch ein Druckwerk, das hart am Strande erbaut ist, ins Haus geleitet. Ich fand ein großes Gedränge von Personen beiderlei Geschlechts dort, und hatte Mühe, eine Karte zum kalten Bade im Freien zu erhalten. Ich zahlte dafür 6 Schillinge, und in diesem Verhältnisse sind auch die übrigen Bäder teurer als in Putbus, über diesem Badehause steht eine ziemlich lange – leider lateinische– Inschrift, welche sich mit den schlecht witzelnden Worten endet:

non curatur qui curat,

und die ich Euch eben schlecht witzelnd übersetzen möchte:

Wer sorgt, wird hier nicht versorgt.

Ein anderes großes Gebäude in besserem Stil, mit einem Säulengange versehn, und dicht bei jenem, trägt auf der vordern Seite, die nach dem Meere sieht, über den Säulen die gleichfalls lateinische Inschrift:

HEIC TE LETITIA INVITAT POST BALNEA SANUM. Es ließe sich auch gegen den richtigen

Ausdruck dieser Inschrift manches einwenden; er ist wenigstens etwas schielend; der Sinn ist dieser:

Hier freue dich nach dem stärkenden Bade.

Denn Ihr müsst wissen: das Innere enthält einen Saal zur Unterhaltung und verschiedene Gemächer, worin man ein beliebiges Frühstück einnehmen kann. Hinten ist ein kleines Gärtchen mit einem verdeckten Gange umgeben, wo man sich, gegen Wind und Regen geschützt, eine Bewegung machen kann. Bei gutem Wetter kann man in dem nahen Holze lustwandeln, in welchem zu diesem Ende mehrere geebnete Gänge sind. Mich hinderte das stürmische Regenwetter daran.

Am Strande, unmittelbar bei dem Damme, befindet sich ein an den Seiten offenes Obdach mit einem Fernglase, wodurch man das, was auf der See vorgeht, beobachten kann. Heut war hier kein Schiff zu sehen, außer einem kleinen Boote, das dem Herzoge gehört und zu Lustfahrten benutzt wird. Es lag hart am Strande vor Anker sowie ein etwas Größeres. Sie wurden von dem heftigen Winde stark geschaukelt. Auf jeder Seite dieses Obdachs standen 3 bedeckte Karren im Wasser, links für die Frauen zum Kaltbaden, rechts für die Männer. Die Entfernung ist zwar bedeutend, aber in Putbus kommt das Lokale dem Anstande besser zugute. Hinter den Karren ist ein steinernes Gebäude und darin etwa 12 Kammern, etwas geräumiger als die hölzernen Häuschen zu Putbus, aber mit denselben Bequemlichkeiten versehn; bis auf die Pantoffeln, welche hier fehlten. Es traf sich grade, dass der Kronprinz zu gleicher Zeit hier badete und ich folgte ihm nach der Entkleidung über den Heiligen Damm, der mit einem Brette belegt war, auf die Brücke, deren hier 3 ins Meer hinaus gingen. Der Wind bewegte die See so sehr, als ich’s noch nie gesehen hatte, und die Wellen, welche sich heftig an der Brücke brachen, bespritzten mich schon vorher, ehe ich mich in sie stürzte. Sie erfassten mich so sehr, dass ich nicht aufrecht stehen konnte, und das Schwimmen in ihnen war mir wenigstens ungewohnt. Ich versuchte es, auf einem Tau, dergleichen einige von einer Brücke zur andern gespannt sind, zu reiten, aber eine Welle stürzte mich kopfüber in den Grund. Alle Badenden – und ich fand viele hier – sind sich in dem nassen Elemente gleich, und aller Unterschied der Stände verschwindet.– Der Königs-Sohn, mit dem ich einige Mal zusammenstieß, war hier nichts mehr und weniger als ein Mensch wie ich. Das Bad bekam mir besser, als ich bei dem Anfalle von Durchlauf, den ich mir durch Erkältung beim Schlafe unter einer gar zu leichten Decke zugezogen hatte, erwarten konnte. Nur der Zeigefinger an der linken Hand blieb mir einige Stunden hindurch abgestorben.

Ich muss hier bemerken, dass die Rostocker schon vor Anlage des hiesigen Bades,öfter nach dem Heiligen Damme wallfahrteten und die in der Nähe erkauften Fische in mitgebrachten Kesseln kochten usw. Wie hat sich das alles seit 1/4 Jahrhundert geändert! In dem Speisesaale fanden sich heut die hohen Herrschaften nicht ein, und die Tischgesellschaft war wenigstens um die Hälfte kleiner als gestern. Bei dem Thée dansant ließ der Großherzog seine Gäste mit den gewöhnlichen Erfrischungen bewirten. Der Tanz dauerte von 7 – 9 Uhr, und außer den zum Hofe Gehörigen bemerkte ich nicht viele andere, welche daran teilnahmen.

Den 16. Juli 1822.

Der Himmel will mir hier keinen guten Tag schenken; es hat diese Nacht viel geregnet und als ich um 8 Uhr zum Bade fuhr, fiel es noch nass. Die See war noch stürmischer als gestern, so dass auch die verdeckten Karren als unbrauchbar für heut am Lande standen und nur im Freien gebadet werden konnte. Es war mir völlig unmöglich, gegen die stürmenden Wellen anzuschwimmen und die Wasserberge hoben mich nicht bloß, dass ich den Grund unter mir verlor. Sondern warfen mich auch mit Ungestüm gegen die Taue und den etwas steinigen Boden, auf welchem ich keinen sichern und ganz angenehmen Stand hatte. Der Badenden waren heut auch weniger als gestern. Auf dem Meere sah ich durch das Fernrohr bloß ein Schiff in einer Weite von 2 bis 4 Meilen, denn die Meinungen der Umstehenden waren darin geteilt. Unter die verschiedenen Bekanntschaften, die ich hier gemacht habe, gehört auch ein Schulmann, der das hiesige Stahlbad gebraucht. Dieses liegt ganz nahe bei Doberan und wird jetzt neu eingerichtet, so dass der Ort dadurch nicht bloß an Heilsamkeit, sondern auch an Schönheit gewinnt. Der Kranke rühmte die guten Wirkungen des Bades, die es nach einem kurzen Gebrauche bei ihm hervorgebracht habe.

Der Erbgroßherzog und seine junge Gemahlin waren vor einigen Tagen von den Landleuten der hiesigen Gegend feierlich eingeholt worden. Dafür bewirtete das junge fürstliche Ehepaar sie heut Nachmittag mit Speise, Trank, Musik und Tanz. Ich ging etwa um 7 Uhr nach dem Lustorte, welcher in dem Park vor dem Amthause war. Hier sah ich zwischen hohen Bäumen auf einem Rasenplatz ein Brettergerüste errichtet und vor demselben den Rasen durch Bretter zu einem Tanzboden tüchtig gemacht und mit Gewinden von Laub und Blumen umsteckt. Hier tummelten sich schon bei meiner Ankunft die aus den benachbarten Dörfern dazu eingeladenen Bauern männlichen und weiblichen Geschlechts wacker umher. Wenn ich es je bedauerte, nicht Zeichner und Maler zu sein, so war es hier. Ich hätte gern durch lebende Farben sowohl die eigentümliche Tracht der hiesigen Landleute als einige ausgezeichnete Physiognomien und das seltsame Gemisch der vornehmen und geringen Welt, Euch, meinen Lieben, anschaulicher gemacht. Was ich hier hinwerfe, soll mir bloß dazu dienen, mich des lebenden Gemäldes etwas genauer zu erinnern, als es das untreue Gedächtnis oft tut. Die Bauern, größtenteils in braunen Tuchjacken und Beinkleidern, erstere mit Schößen, die etwas über die Hüften reichten und in den letzteren eine starke Seiten-Schlitze mit Taschen; unterhalb des Knies waren die Beinkleider mit blauen Bändern zugebunden, weißgraue Strümpfe bedecken den Fuß, und die stumpfen Schuhe waren mit breiten roten Bändern befestigt, die eine stattliche Quaste bildeten. Den Kopf bedeckte ein runder Hut mit kleiner Erhöhung und daran prangte ein größerer oder kleinerer Blumenstrauß. Die Bäuerinnen trugen den hier und in der ganzen Umgegendüblichen Strohhut, etwas über eine Spanne lang, hinten abgerundet und vorn mehr oder weniger ausgebreitet, von der Linken zur Rechten mit schwarzen, roten und blauen Bändern hier mehr, dort weniger geziert. Schade, dass ich darunter nur wenige schöne Gesichter fand. Andere wollen zwar viele bemerkt haben; indes ich habe auch ein Auge und brauchte es absichtlich für den fraglichen Gegenstand. Ich kann Euch dreist versichern, das mir in unsern Gegenden unter den Landleuten weit mehr Gesichter mit feinen Zügen und regelmäßiger Bildung antreffen, als ich hier unter einer Anzahl von wenigstens 400 Landfrauen und Mädchen antraf. Die Farbe der Gesundheit trugen sie alle; aber bei starken Backenknochen, eckigem Gesicht und Aufgedunsenheit; selten ein sprechendes Auge, dagegen desto mehr geist- und seelenlose. Ein starr hinglotzendes Gesicht mit weit geöffnetem Munde fiel mir besonders auf. Doch zurück zur Beschreibung des weiblichen Putzes. Eine Tuchjacke, meist schwarz oder doch von dunkler Farbe, aber nur kurz, bedeckte den Oberleib, ein Tuch den Hals; ein schwarz und weiß gestreifter Rock ging ein wenig über die Knie hinaus und darunter guckten meist blutrote Strümpfe hervor und Schuhe mit hohen Absätzen.

Nun denkt Euch diese so geputzten Weiber und Mädchen auf beiden Seiten des Tanzplatzes stehend und sitzend, die Männer und Junggesellen in der Mitte meist stehend oder mit dem gefüllten Bierkruge, der ziemlich groß und bedeckelt war, kommend und ihren Schönen den Labetrank reichend; andre mit vollen Zügen trinkend aus blechernen Kannen, Bechern usw. nicht bloß den gebrauten Gerstensaft, sondern auch den gebrannten. Im Hintergrunde einige Tonnen Bier mit dem Spender desselben, das schon leere Fass auskippend, um die Neige auszuschenken; Bauernkerl umherstehend, die Krüge leerend oder die geleerten darbringend, um eine neue Gabe zu empfangen; leere Branntweinflaschen, Karren, welche neue Vorräte von Starkgetränken herbeiführten usw. Unter dem Geräusch des wohlbesetzten Orchesters vor diesen Nektarquellen tanzte mit den beschriebenen Bauern und Bäuerinnen der Erbgroßherzog und einige vom Hofe. Andre gingen umher und munterten die männliche Jugend auf, die Erbgroßherzogin und andre Damen zu gleicher Ehre und Ergötzung aufzufordern. Es währte auch nicht lange, so tanzte die hier vornehmste weibliche Welt zu großer Freude aller zahlreich versammelten Zuschauer. Unter den Tanzenden zeichnete sich, meinem Gefühle nach, besonders die Prinzessin M... aus. Mit einem höchst jovialen Gesichte, in welchem die ungezwungenste Freundlichkeit lachte, gab sie ihre Hand dem Tänzer, der sie aufgefordert hatte und verlor in den Windungen des Tanzes nie diese freundlich lächelnde Miene, welche zu sagen schien: Das ist höchst spaßhaft! Die rote Feder auf dem Kopfe nickte dazu ebenso freundlich und gutmütig. Den Übrigen glaubte ich’s anzusehen, dass sie sich einigen Zwang antaten. Der Kronprinz erschien und eine dreiste Bäuerin trat mit den Worten zu ihm: „He kann ok woll mit mi danzen.“ Die Aufforderung ward gebührend angenommen, und so walzten hier Königs- und Fürstensöhne mit den Landdirnen, Prinzessinnen mit den Führern des Pfluges; eine ehrwürdige Mischung der Menschen, welche der bürgerliche Stand so selten in so genaue Berührung bringt. Bettler werden Fürstenbrüder, wo dein sanfter Flügel weilt! Ein Bauer sagte mit entzückter Miene: „Neh! Dat ne lustge Freud!“ (das ist eine lustige Freude!) Ein schöner Lobspruch für die Anordner dieses Satunalienfestes, das mir stets im Gedächtnis bleiben wird. Ihr mögt nun selbst urteilen, ob mein hiesiger Aufenthalt in eine gute Zeit gefallen sei, und ob ich Ursach’ habe, mir Glück zu wünschen, dass der Kronprinz grade hier anwesend ist. Er geht morgen nach Rostock zurück. Ein kleines Feuerwerk schloss die Lustbarkeit im Freien. Später ward den Tanzlustigen ein Boden eingeräumt, wo sie sich bis zur Frühe des folgenden Tages herumtummelten.

Den 17. Juli 1822.

In vergangener Nacht bin ich zweimal durch ein überziehendes furchtbares Gewitter geweckt worden und beim Bade ward ich außerdem – hier sehr salzigen und bittern – Seewasser; noch durch einen gewaltigen Platzregen abgewaschen. Hin- und Herfahrt gingen noch glücklich ab.– Es geht wöchentlich zweimal eine Post von hier nach Güstrow. Die Person bezahlt dafür 36 Schillinge und hat 30 Pfund Gepäck frei. Ich habe mich einschreiben lassen und die Überfracht bezahlt; morgen reise ich weiter.