Anklam
Anklam an der Peene, den 2. Juli 1822.
Ich hatte heut früh die Wahl, mit dem gemieteten Fuhrwerke entweder hierher oder nach Peenemünde zu fahren. Letzteres liegt der Insel Rügen gegenüber und ich hätte von dort aus geradezu nach Putbus überschiffen können, auch wäre ich vor dem Orte vorbeigekommen, wo einst die große wendische Stadt Vineta gestanden haben soll. Ich wählte indes den Weg hierher, den an das ehemalige Vorhandensein eines großen Vineta glaubt jetzt so leicht keiner mehr, welcher die darüber sprechenden Nachrichten verglichen und die darüber an Ort und Stelle gemachten Nachforschungen nur einigermaßen kennen gelernt hat. Die ganze Sage von einem untergegangenen Vineta beruht auf Missverstand alter Geschichtsschreiber, und nur die Liebhaber des Wunderbaren pflanzen die Sage unter mancherlei Entstellungen noch fort, oder bedauern es wenigstens, dass eine unbefangene Beurteilung das Reich des Wunderbaren vermindert hat; sie zürnen wohl gar auf den Unglauben anderer, wenn die Ehrwürdigkeit des vaterländischen Bodens unter den wohlbegründeten Zweifeln derselben zu leiden scheint. Die Wahrheit ist indes ehrwürdiger als blinde Vaterlandsliebe. Da ich also von dem gerühmten Vineta und dessen prächtigenÜberesten im Meere doch nichts hätte sehen können und besorgen musste, wegen widrigen Windes vielleicht tagelang in dem kleinen Peenemünde zu verweilen, so ließ ich den Kutscher des Schulzen vom Dorf Swinemünde nach Kaminke einlenken. Dieser Schulze ist ein angesehener und reicher Mann, daher ich seinen Knecht einen Kutscher nenne; auch war dieser keineswegs bäurisch gekleidet, denn er tut oft Lohnfuhren, die bei seinem Herrn bestellt werden.
Der mir schon bekannte Weg bis nach Kaminke war der anziehendste auf meiner ganzen heutigen Fahrt. Wir ließen das Dorf links liegen und fuhren rechts um den erwähnten Gollenberg, auf welchem das Kreuz prangte. Die Berge zogen sich mit dem Fortgange des Weges immer weiter zurück, und verloren sich mit dem Gehölze zuletzt ganz. Der anfänglich gute Boden, hin und wieder mit gewaltig großen Kieselsteinen versehen, verwandelte sich, besonders bei dem Städtchen Usedom, in den dürrsten Sand. Zu beiden Seiten des Weges lagen mehrere Dörfer und durch einige fuhren wir hin. Sie sind sämtlich klein, und mein Fuhrmann, der in einem derselben zu Hause gehörte, wusste mir die Zahl der darin wohnenden Bauern genau anzugeben. Sie stieg von 4 bis höchstens 12. Die Bewohner der Örter, welche an dem Haff oder in der Nähe desselben liegen, treiben mehr oder weniger Fischerei, jedoch nur mit kleinen Schiffen, auf welchen sie die Fahrt über das Haff nicht wagen. Dieses kam mir erst bei dem Dorfe Dargen wieder zu Gesicht, und seitdem verlor ich es selten aus den Augen.
Usedom ist ein schlecht gebauter Ort. Zwar konnte ich die Hauptstraße desselben nicht sehen, denn wegen des Kram-Marktes, der darin abgehalten ward, mussten wir durch eine Nebengasse fahren; aber was ich hier und sonst noch von dem Städtlein sah, machte mich eben nicht begierig, das Ganze näher kennen in lernen. Ich fuhr also ohne weiteres hindurch. Es liegt übrigens an einer Einbucht des Haffs, hat eine Kirche an welcher ein Superintendent steht.
Das Dorf Zecherin ist das größte unter denen, welche ich heut sah; es sind 12 Bauern darin, und hier lohnte ich meinen Fuhrmann mit 3 Talern ab für die Fahrt von 3 Meilen. Der Anweisung meines Wirtes in Swinemünde zufolge, stieg ich bei dem Schulzen des Dorfes ab. Hofstelle und alles, was ich hier sah, war gleich schlecht und unreinlich. Der Wirt und seine Familie waren nicht zu Hause, sondern auf dem Markte in Usedom. Einer seiner Knechte und ein andrer herbeigeholter Gefährte drangen mir für die Überfahrt nach Anklam 1 Rthlr. 8 Gr. ab, da ich doch, der Versicherung meines Swinemünder Wirtes zufolge, mit 1 Rthlr. fortzukommen gehofft hatte. Ich gab indes das Geld gern, um nur aus dem Schmutzloche zu kommen.
Es war Mittag vorbei, als ich ein kleines Boot bestieg, und auf demselben binnen 20 Minuten über den Strom setzte. So heißt der hiesige Abfluss des Haffs. Die Strömung war indes nicht groß. Es begegneten uns 5 gewöhnliche Oderkäne, welche Steine zum Hafenbau nach Swinemünde brachten, und späterhin noch eins, welches von Demmin kam. Diese Schiffe steuern an der Südseite der Insel Usedom entlang und wagen sich nicht auf die Mitte des Haffs; eins derselben führte 3 gewöhnliche Segel. Nördlich sah ich ein Seeschiff nach Peenemünde segeln.
Der Wind war uns zuwider, daher meine Fährleute angestrengt rudern mussten, bis wir in einen Graben oder schmalen Abfluss der Peene einliefen, deren Hauptarm rechts abfloss. Dieser Strom war hier etwa so breit als die Warthe bei Küstrin und hatte schwarzes klares Wasser. Die Fahrt hinauf bis nach Anklam war höchst einförmig und für mich so langweilig, dass ich davon Kopfschmerz bekam. Auf beiden Seiten nichts als Wiesengrund, der größtenteils hinter Binsen versteckt war, ohne die geringste Abwechslung. Dabei konnte ich mich nicht einmal mit den beiden Kerlen, die mich fuhren, unterhalten, denn sie sprachen so unverständlich, dass ich die größte Mühe hatte, auch nur das wenige, was ich ihnen abfrug, zu begreifen. Sie kauderwelschten indes bei ihrem ununterbrochenen Rudern ohne Aufhören fort und brachten mich nach guten 2 Stunden gegen 3 Uhr hierher. Ich verließ das Boot mit Vergnügen, und stieg bei der Brücke, welcheüber die Peene führt, ans Land.
Ober- und unterhalb dieser Brücke liegen gegen 18 Seeschiffe von einem und zwei Masten müßig, denn auch der hiesige Handel stockt. Dass er sonst bedeutend müsse gewesen sein, sieht man an den vielen Läden und der Aufputzung einiger Häuser. Die meisten derselben, – es sind deren im Ganzen 600, worin 5.900 Menschen wohnen– sind nichts weniger als schön, so wie sich die Stadt überhaupt eben nicht vorzüglich ausnimmt, obwohl sie nicht ganz krumme Gassen hat. Es wird viel im Orte gebaut, was doch ein Zeichen ist, dass es mit der Nahrung so übel nicht stehen müsse. Ich sah in einer kurzen Straße 5 Häuser im Bau begriffen oder schon fertig. Der Marktplatz und das darauf stehende Rathaus sind nicht vorzüglich. Unter den drei Kirchen ist die für die Garnison bestimmte seit der Franzosenzeit zum Magazin gebraucht worden. Sie hat einen seltsam gebauten Turm, dessen Grundfläche eine Raute bildet. Das Gymnasium ist vor einiger Zeit in eine Bürgerschule umgewandelt worden, worin auch Kinder weiblichen Geschlechts, die sonst ganz vernachlässigt waren, Unterricht empfangen. Die Vorstädte gefallen mir beinah besser als die Stadt selbst. Ich durchlief die Demminer, und fand mich darin wenigstens nicht so beengt als in den schmalen Gässchen dieser.
Ich hatte heut früh die Wahl, mit dem gemieteten Fuhrwerke entweder hierher oder nach Peenemünde zu fahren. Letzteres liegt der Insel Rügen gegenüber und ich hätte von dort aus geradezu nach Putbus überschiffen können, auch wäre ich vor dem Orte vorbeigekommen, wo einst die große wendische Stadt Vineta gestanden haben soll. Ich wählte indes den Weg hierher, den an das ehemalige Vorhandensein eines großen Vineta glaubt jetzt so leicht keiner mehr, welcher die darüber sprechenden Nachrichten verglichen und die darüber an Ort und Stelle gemachten Nachforschungen nur einigermaßen kennen gelernt hat. Die ganze Sage von einem untergegangenen Vineta beruht auf Missverstand alter Geschichtsschreiber, und nur die Liebhaber des Wunderbaren pflanzen die Sage unter mancherlei Entstellungen noch fort, oder bedauern es wenigstens, dass eine unbefangene Beurteilung das Reich des Wunderbaren vermindert hat; sie zürnen wohl gar auf den Unglauben anderer, wenn die Ehrwürdigkeit des vaterländischen Bodens unter den wohlbegründeten Zweifeln derselben zu leiden scheint. Die Wahrheit ist indes ehrwürdiger als blinde Vaterlandsliebe. Da ich also von dem gerühmten Vineta und dessen prächtigenÜberesten im Meere doch nichts hätte sehen können und besorgen musste, wegen widrigen Windes vielleicht tagelang in dem kleinen Peenemünde zu verweilen, so ließ ich den Kutscher des Schulzen vom Dorf Swinemünde nach Kaminke einlenken. Dieser Schulze ist ein angesehener und reicher Mann, daher ich seinen Knecht einen Kutscher nenne; auch war dieser keineswegs bäurisch gekleidet, denn er tut oft Lohnfuhren, die bei seinem Herrn bestellt werden.
Der mir schon bekannte Weg bis nach Kaminke war der anziehendste auf meiner ganzen heutigen Fahrt. Wir ließen das Dorf links liegen und fuhren rechts um den erwähnten Gollenberg, auf welchem das Kreuz prangte. Die Berge zogen sich mit dem Fortgange des Weges immer weiter zurück, und verloren sich mit dem Gehölze zuletzt ganz. Der anfänglich gute Boden, hin und wieder mit gewaltig großen Kieselsteinen versehen, verwandelte sich, besonders bei dem Städtchen Usedom, in den dürrsten Sand. Zu beiden Seiten des Weges lagen mehrere Dörfer und durch einige fuhren wir hin. Sie sind sämtlich klein, und mein Fuhrmann, der in einem derselben zu Hause gehörte, wusste mir die Zahl der darin wohnenden Bauern genau anzugeben. Sie stieg von 4 bis höchstens 12. Die Bewohner der Örter, welche an dem Haff oder in der Nähe desselben liegen, treiben mehr oder weniger Fischerei, jedoch nur mit kleinen Schiffen, auf welchen sie die Fahrt über das Haff nicht wagen. Dieses kam mir erst bei dem Dorfe Dargen wieder zu Gesicht, und seitdem verlor ich es selten aus den Augen.
Usedom ist ein schlecht gebauter Ort. Zwar konnte ich die Hauptstraße desselben nicht sehen, denn wegen des Kram-Marktes, der darin abgehalten ward, mussten wir durch eine Nebengasse fahren; aber was ich hier und sonst noch von dem Städtlein sah, machte mich eben nicht begierig, das Ganze näher kennen in lernen. Ich fuhr also ohne weiteres hindurch. Es liegt übrigens an einer Einbucht des Haffs, hat eine Kirche an welcher ein Superintendent steht.
Das Dorf Zecherin ist das größte unter denen, welche ich heut sah; es sind 12 Bauern darin, und hier lohnte ich meinen Fuhrmann mit 3 Talern ab für die Fahrt von 3 Meilen. Der Anweisung meines Wirtes in Swinemünde zufolge, stieg ich bei dem Schulzen des Dorfes ab. Hofstelle und alles, was ich hier sah, war gleich schlecht und unreinlich. Der Wirt und seine Familie waren nicht zu Hause, sondern auf dem Markte in Usedom. Einer seiner Knechte und ein andrer herbeigeholter Gefährte drangen mir für die Überfahrt nach Anklam 1 Rthlr. 8 Gr. ab, da ich doch, der Versicherung meines Swinemünder Wirtes zufolge, mit 1 Rthlr. fortzukommen gehofft hatte. Ich gab indes das Geld gern, um nur aus dem Schmutzloche zu kommen.
Es war Mittag vorbei, als ich ein kleines Boot bestieg, und auf demselben binnen 20 Minuten über den Strom setzte. So heißt der hiesige Abfluss des Haffs. Die Strömung war indes nicht groß. Es begegneten uns 5 gewöhnliche Oderkäne, welche Steine zum Hafenbau nach Swinemünde brachten, und späterhin noch eins, welches von Demmin kam. Diese Schiffe steuern an der Südseite der Insel Usedom entlang und wagen sich nicht auf die Mitte des Haffs; eins derselben führte 3 gewöhnliche Segel. Nördlich sah ich ein Seeschiff nach Peenemünde segeln.
Der Wind war uns zuwider, daher meine Fährleute angestrengt rudern mussten, bis wir in einen Graben oder schmalen Abfluss der Peene einliefen, deren Hauptarm rechts abfloss. Dieser Strom war hier etwa so breit als die Warthe bei Küstrin und hatte schwarzes klares Wasser. Die Fahrt hinauf bis nach Anklam war höchst einförmig und für mich so langweilig, dass ich davon Kopfschmerz bekam. Auf beiden Seiten nichts als Wiesengrund, der größtenteils hinter Binsen versteckt war, ohne die geringste Abwechslung. Dabei konnte ich mich nicht einmal mit den beiden Kerlen, die mich fuhren, unterhalten, denn sie sprachen so unverständlich, dass ich die größte Mühe hatte, auch nur das wenige, was ich ihnen abfrug, zu begreifen. Sie kauderwelschten indes bei ihrem ununterbrochenen Rudern ohne Aufhören fort und brachten mich nach guten 2 Stunden gegen 3 Uhr hierher. Ich verließ das Boot mit Vergnügen, und stieg bei der Brücke, welcheüber die Peene führt, ans Land.
Ober- und unterhalb dieser Brücke liegen gegen 18 Seeschiffe von einem und zwei Masten müßig, denn auch der hiesige Handel stockt. Dass er sonst bedeutend müsse gewesen sein, sieht man an den vielen Läden und der Aufputzung einiger Häuser. Die meisten derselben, – es sind deren im Ganzen 600, worin 5.900 Menschen wohnen– sind nichts weniger als schön, so wie sich die Stadt überhaupt eben nicht vorzüglich ausnimmt, obwohl sie nicht ganz krumme Gassen hat. Es wird viel im Orte gebaut, was doch ein Zeichen ist, dass es mit der Nahrung so übel nicht stehen müsse. Ich sah in einer kurzen Straße 5 Häuser im Bau begriffen oder schon fertig. Der Marktplatz und das darauf stehende Rathaus sind nicht vorzüglich. Unter den drei Kirchen ist die für die Garnison bestimmte seit der Franzosenzeit zum Magazin gebraucht worden. Sie hat einen seltsam gebauten Turm, dessen Grundfläche eine Raute bildet. Das Gymnasium ist vor einiger Zeit in eine Bürgerschule umgewandelt worden, worin auch Kinder weiblichen Geschlechts, die sonst ganz vernachlässigt waren, Unterricht empfangen. Die Vorstädte gefallen mir beinah besser als die Stadt selbst. Ich durchlief die Demminer, und fand mich darin wenigstens nicht so beengt als in den schmalen Gässchen dieser.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Reise eines Gesunden in die Seebäder Swinemünde, Putbus und Doberan