Rügen. Vom Sonnenaufgang geweckt.

Wir schliefen gut, und als wir zum Sonnenaufgang geweckt wurden, war alles vorbei. Den Lesern wird hier die Beschreibung eines Sonnenaufganges erlassen, den sie in jedem leidlichen Romane nachlesen können. Wir fuhren durch die vom nächtlichen Regen eingewässerten Wege eiligst zurück nach der Schabe. Endlich waren wir wieder auf Jasmund, und weiter ging es über kleine Hügel und Täler. Wir kamen in den lichten grünen Wald des Stubnitz und hofften, bald Stubbenkammer und unsere Mecklenburgerinnen zu sehen. Wir hatten aber kein Glück. Mitten während eines Gespräches rollten die Wagen mit Mecklenburgs Stolzen an uns vorüber. Verschlafen und melancholisch grüßte die Coeur- und Piquedame. Besonders die Coeurdame. Auf ihrem niedlichen Gesichte lagen schmollende Vorwürfe. Wir bildeten uns natürlich ein, es gelte uns, denn so sich junge Männer und Mädchen begegnen, findet auch sogleich ein offizielles Verhältnis statt. So wie Studenten überall Brüder finden, Offiziere überall Kameraden und Referendare überall gleichgestimmte Beamtenseelen.

Nun werden die Leute sagen, die Coeurdame aus Mecklenburg sei schuld, falls uns Stubbenkammer nicht gefallen habe. Stubbenkammer hat uns aber gerade zum Trotz sehr gut gefallen. Der schöne Wald zieht sich bis zum Abhang des Strandes, der hier wenn auch nicht hoch, so doch steil und aus wirklicher Kreide ist. Aus der grünen Waldeshöhe sieht man prächtig in das Meer hinaus. Ein geschmackvolles Wirtshaus, wo die Coeurdame übernachtete, liegt lockend in der Mitte.


In Sagard, wohin wir jetzt wieder zurückkehrten, verließ ich meine Reisegenossen und wünschte den Siebenbürgern statt einer glücklichen Reise die beste Courage. Gott sieht auf das Herz, mein Freund, nicht auf die Orthographie. Ich fuhr nun allein die Schmale Heide entlang an der Granitzgrenze hin nach Putbus zurück. Die Schmale Heide ist eine etwas breitere Landenge als die Schabe zwischen dem unteren Teile des Boddens und dem Meere. Der Kutscher mußte noch ein Stück in die Granitzforste einlenken, und erquickt von Wald und Luft kam ich diesen Abend in das todesstille weiße Putbus.

Rasch eilte ich nach dem Stranddorfe hinab, um nach dem Schiffer Ulrich zu fragen, der auf mich gewartet hatte, und nach dem Wind, der nicht zu warten pflegt. Ulrich stand auf seinem Schoner und sah etwas mürrisch aus. Er begriff nicht, wie man bei so vortrefflichem Nordost, wie gemacht, um nach Swinemünde zu segeln, mehrere Tage lang auf der Insel herumlaufen könne.

Es flatterte ein lauer Südwind. Dennoch ward beschlossen, am anderen Morgen zeitig in See zu gehen. Erich, der zweite Schiffer, der dem Besitzer des Schoners, dem kurzstämmigen Ulrich, zur Hand war, versprach, den lieben Herrgott die Nacht über fleißig zu bitten.

In stiller Pracht leuchteten noch die Sterne, als ich zum Strande hinabschritt, um mich dem Meere anzuvertrauen. Die Luft war ruhig. Um so unruhiger war Ulrich. Erichs Beten hatte nichts geholfen. Wir pusteten uns langsam aus der Bucht heran hinter den Vilm und hofften auf die Zukunft, was bekanntlich die Menschen immer tun, wenn sie nichts Besseres anfangen können oder wollen. Außer den beiden Schiffern und mir fand sich noch ein kleines Männchen vor. Das war ein Uhrmacher, der einen grünkarierten Schlafrock und ein gesticktes Mützchen trug. Der Schlafrock war sehr lang, länger als der ganze Uhrmacher und vollständig zugeknöpft. Vorne auf den Beinen hatte er zwei Taschen, in denen sich stets die Hände des kleinen Mannes aufhielten, wenn er sie nicht notwendig zum Feuerschlagen oder zum Schneuzen brauchte. Denn er rauchte Tabak und hatte Schnupfen. Bei der Abfahrt nahm er zärtlich Abschied von einem kleinen Hunde und beiläufig von einer Frauensperson, die allem Ermessen nach seine junge Ehehälfte war. Dann sang er ein aufrührerisches Lied mit einigen irrtümlichen Ausdrücken, produzierte starke Rauchwolken und versprach, den Schiffern Wind zu machen. Kurz, er war sehr guter Dinge und außerdem aus Potsdam gebürtig. Dies sagte er mir nebenbei. Er sei jetzt in Putbus etabliert, wo es ihm sehr fidel gehe. Er mache eine Besuchsreise, und zwar diesmal zu Schiffe, weil es sich damit schneller abmachen ließe. Zu Lande sei er schon weit herum gewesen in der Welt, in Krossen, unweit der schlesischen Grenze, und in Torgau bei Leipzig.

Ich machte ihn aufmerksam, daß wir vielleicht sehr langsam fahren würden, weil wir schlechten Wind hätten, und daß es auch auf See gefährlich werden könne.

„Pah, larifari, ich habe viel mitgemacht und immer Glück gehabt. Ich trinke abends meine drei Boddellen Bier und spüre nichts dabei. Was soll mir die See?“

Ulrich lächelte zum ersten Male. Des kleinen Uhrmachers Stimmung hielt nicht lange an. Es kamen einige Windstöße, das Schifflein schwankte, und dem Uhrmacher schmeckte der Tabak nicht mehr so recht. Kopfschüttelnd stellte er endlich die Pfeife zur Seite. Unter der steten Versicherung, das sei ihm gänzlich unerklärlich, stolperte er endlich beiseite und tat das Gebräuchliche.

Die Windstöße waren den Schiffern aber noch bedenklicher. Ulrich kratzte sich in den Haaren. Der alte Erich zog seine schwarze Pelzmütze tief über die Ohren vor, faltete die groben Hände und bewegte die Lippen wie ein Italiener, der eiligst etwas von der Lieben Frau in Loretto zu erbitten hat. Ihre Besorgnisse waren auch nicht grundlos. Bald fiel das Segel zusammen und wedelte passiv an dem Mastbaum. Wir hatten totale Windstille und lagen unbeweglich auf einem Fleck. Die Sonne schien mild und warm, wir waren noch mitten im Rügenschen Busen, und es war bereits Mittag. Der Uhrmacher bewegte sich nicht, die Schiffer krochen in die kleine Kajüte, um Kartoffeln zu kochen. Ich saß in stiller Mittagseinsamkeit am Vorderschiff und sah in das dunkle Wasser hinab. Geheimnisvoll lockte es mit seiner Tiefe. Alle Geschichten von Wasserfeen summten in der singenden Mittagswärme in meinem Kopfe. Ich legte die Kleider ab und sprang in das lockende Element.

Aber ach, es gibt keine Feen mehr, wenigstens mochten sie nichts mit einem Reisenden zu tun haben, der beim Halloren schwimmen gelernt hatte. Heutzutage muß man ersaufen, um mit den Wassergöttern in Berührung zu kommen.

Als Ulrich sah, was ich trieb, erhob er ein großes Geschrei und lief nach einem Taue. „Wenn der Wind sich hebt, sind Sie verloren, Herr. Wir erreichen Sie gar nicht, oder nicht eher, als bis Ihnen Hören und Schwimmen vergangen sind.“ Man kann auf offenem Meere auch bei Windstille nicht ohne Tau baden, ohne das Äußerste zu riskieren.

Die Wellen und kleinen Strömungen schaukelten uns zur Küste von Mönchgut hin. Ein Frauenzimmer saß am Strande und winkte mit einer dunklen Flagge. „Gott stehe uns bei, das ist die alte Fretten, die auf ihren ertrunkenen Liebsten wartet. Heiliger Jakob, habe ein Einsehen mit uns!“

Erich bewegte noch lebhafter die trockenen Lippen, und wirklich wachte auch der Wind ein wenig auf, und wir trieben wieder in die See hinaus.

Doch wir kamen bei dem steten Südwinde wenig von der Stelle und konnten namentlich die Meeresflut zwischen Ruden und der Oie nicht gewinnen, sondern wurden westlich abgetrieben. Darüber verging die Zeit, und ich bekam langsam Hunger. Erich wollte durchaus noch nicht das Schöpsenfleisch kochen und erklärte, es werde uns wahrscheinlich noch sehr nötig sein. Der kleine Uhrmacher hatte keine Lust, mir von seinem Paket kalter und zerbröckelter Beefsteaks abzugeben. Ich bot große Summen für ein Brot, aber Geld hatte wenig Wert bei der drohenden Hungersgefahr. Ein Bäcker- oder Fleischerladen in der Nähe wäre mir viel erwünschter gewesen als Erichs Erzählung von der spanischen See. Bald erhob sich der Wind voll und ruckweise aus jeder Gegend. Der Uhrmacher seufzte vernehmlich aus der Kajüte heraus, denn der Schoner machte sehr fatale Bewegungen. Erich warf seine Segel bald hierhin, bald dorthin, während er mit kläglichem Gesicht wieder zu beten anfing. Selbst Ulrich sah sich unruhig und besorgt nach dem aufsteigenden Meere um.

Lange schon hatten wir ein kleines Fahrzeug in der Ferne gesehen. Bald wurde es deutlicher, wir erkannten einen Logger, der ebenfalls dürftigen Schutz unter dem Ruden suchte. Schiffer kennen sich mit ihren luft- und wasserklaren Augen auf weite Strecken. „Es ist der liederliche Störte“, sagte Ulrich zum Troste, „er lungert nach Seegras herum.“

Es gab noch Wogen und Spritzregen genug, ehe wir Störte unser Verlangen zurufen konnten, er möge sein kleines Boot aussetzen, den Logger ankern und uns an Land bringen. Störtebecker, der Rinaldini Rügens, vielleicht ein Ahnherr Störtes, konnte nicht seeräuberischer aussehen als dieser verwilderte Schiffer mit seinen zerwühlten, groben Gesichtszügen und dem braunen Tabaksmaule. Die Schiffer riefen sich einige plattdeutsche, nicht eben tröstliche Notizen über Meer und Sturm zu, und ich und der Uhrmacher wurden in einem nassen Kahn zum Strande gefahren.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Reise durch das Biedermeier