Merkwürdigkeiten Rügens.

Rührend ist die aristokratische Absonderung kleiner Inseln, wie es Hiddensee und Ummanz sind. So wie die Neapolitaner und die Pariser stolz auf die übrigen Italiener und Franzosen herabsehen, so nennen die Ummanzer ihr Inselchen vorzugsweise „das Land“. Sie verkehren ungern mit den Rügenern und wollen es auch nicht gerne gestatten, daß einer von ihnen eine Rügenerin heiratet. Die Hiddenseer nennen ihre kleine Insel das „söte Länneken“. Manche von ihnen kommen ihr Lebtag nicht nach Rügen. Auch ihre Sprache sondert sich etwas ab. Ihre Kleidung fertigen sie sich selber an.

Ganz verschieden von den hoch und schlank gewachsenen Hiddenseern sind die großen und starkknochigen Mönchguter mit ihren vorwiegend dunklen Haaren. Ihr Platt wird selbst von den anderen Rügenern nicht verstanden. Ihre Tracht ist sehr charakteristisch. Schwarz herrscht als Farbe darin vor. Sie tragen eine selbstgewählte weite Jacke, zwei Paar Beinkleider übereinander und darüber noch weite Fischerhosen. Die Frauen setzen eine hohe kegelförmige Mütze auf, in der so viel Zeug steckt, als eine Grisette zur ganzen Bekleidung ihres unteren Körpers braucht.


Darüber wird noch ein Strohhut gestülpt. Ehefrauen und Jungfrauen unterscheiden sich durch ein Band an der Mütze. Der Busenlatz ist bei Festkleidern rot und mit Silber- oder Goldstreifen besetzt.

In den sehr niedrigen Wohnstuben leben diese Leute höchst einfach, meist von Fischen. Wir Binnenleute könnten bezweifeln, daß diese Nahrung für so weitläufige Gestalten ausreiche. Ihre Antipathie sind das Kalbfleisch und die Putbusser.

Es wird erzählt, daß die Frauenzimmer das Recht haben, den Mann, der ihnen gefällt, selbst anzusprechen. „Na ehn’ utstellen“ (nach einem ausstellen), wie sie sich ausdrücken. Außerdem hörte ich von einer originellen Landessitte. Wenn ein Mädchen nämlich heiratsfähig ist, so hängt sie ihre Schürze ans Fenster und darf nur unter den Männern wählen, die vorübergehen. Sind nun Eltern und Verwandte gegen eine Liebschaft, so zwingen sie das Mädchen, die Schürze zu einem Zeitpunkt auszuhängen, da der Liebste zur See ist und nicht bei ihr vorüberkommen kann. Da steht nun das arme Mädchen und schilt das Meer. Weinend guckt sie aber doch durch die Lücke, ob nicht wenigstens ein leidlicher Stellvertreter gewählt werden könne.

Das Hauptinteresse Mönchguts gilt dem Seehund, der zahlreich an der Küste herumstreift. Ist einer in den Netzen gefangen, so gibt es ein Landesaufgebot. Weiber und Männer tanzen am Strande und singen einen uralten Reigen, ehe sie an den Feind gehen.

Es war ein stiller, niedriger Wald, durch den wir nach Bergen wanderten. Hinter ihm öffnete sich ein hügeliges Land, in dem hin und wieder wie Ruheplätze einzelne Gehöfte, umgeben von Bäumen, lagen. Gegen Sonnenuntergang sahen wir auf einer mäßigen Höhe das Städtchen vor uns. Es war ein Landstädtchen ohne besonderen Charakter, aber Mittel- und Hauptpunkt des Landes. Dicht in der Nähe liegt der Rugard, die gepriesenste Höhe der Insel. Er ist der Rest einer alten Wallburg auf einer kleinen Anhöhe. Um Wälle und einzelne Teile der Festung auszumachen, muß man über einige Phantasie verfügen. Hier soll das alte Residenzschloß der Fürsten von Rügen gestanden haben. Von hier sieht man ganz Rügen. Nach Norden und Osten jenseits des offenen Wittows, des bebuschten Jasmund und der dunklen Granitz die uferlose, ins All verschwindende See. Darüber der Hauch des Abendrotes, das von Pommern herüberglimmt. Auf der anderen Seite Küsten und Inseln, Einschnitte und Buchten, Türme und Kirchen. Zunächst Stralsund, weit hinab Greifswald, noch weiter Wolgast und die blaue Spitze von Usedom, dazwischen alle Stationen unserer Fahrt.

Den andern Morgen schritten wir durch sanfte Hügelschluchten, an Berglehnen über kleine, stille Plateaus. Die Sonne schien freundlich, der Tau blitzte, ein Schäfer grüßte uns freundlich, umgeben von seiner Herde. So kamen wir an die Abdachung, die zum Jasmunder Bodden abfällt. Mit Freuden sahen wir auf der breiten ruhigen Wasserfläche einen matten Sonnenstrahl tanzen. Die Luft war still, alles lud zur Beschaulichkeit. Das Meer ausgenommen, macht alles auf Rügen einen kleinen, gefälligen Eindruck. Die Berglehnen sind niedrige, sanfte Hügel, das Gestein ist weich und bröcklig, die Wälder sind freundlich und bestehen meist aus Buchen von mäßiger, halbjunger Stammstärke.

Wir schifften über den seichten Bodden, schritten über die Hügel, die Jasmund schützen, und gelangten durch breite Hügelbecken gegen Mittag in das Städtchen Sagard. Dieses Örtchen mit seinen krummen Straßen hat zwei tote Merkwürdigkeiten und eine lebendige. Am Leben ist der Wirt des Gasthofes, dessen Namen ich leider vergaß, der aber in seinem grünen Rocke, in seiner rüstigen Wohlgenährtheit und taktfesten Geschäftigkeit noch lebendig vor mir steht. Der Mann gewährt mir die beste Erinnerung: er betreibt nämlich einen kleinen Gasthof so rührig, befriedigt seine Gäste und beutet sie aus, liebt und pflegt seine hübschen Kinder und ist über alle Merkwürdigkeiten Rügens gut unterrichtet. Im Wirtszimmer hat er sich eine Sammlung von Raritäten angelegt und gibt Auskünfte über alle Steine, Muscheln, Opfermesser, Streitäxte und Urnen, die sich auf, bei und unter Rügen irgendwo vorfinden. Das meiste hat er selbst zusammengesucht, er steht mit berühmten Forschern im freundlichsten Verkehr. Das flicht sich alles so anspruchslos und doch bewußt mit seinen gewöhnlichsten und beflissensten Gastwirtsorgen für ein Beefsteak oder ein Glas Bier durcheinander, daß es wirklich an ein Ideal erinnert, wie wissenschaftliche Forschung mit alltäglicher praktischer Wirksamkeit verbunden sein könnte. Ein sehr schmerzhaftes Gegenbild zu ihm ist der Barbier von Sagard, den Gott und die Kunst bessern mögen.

All dies erfuhren wir in dem kleinen Städtchen. Damit war es aber noch nicht zu Ende; zwei lange, unbedeckte Korbwagen fuhren vor. Die Pferde waren ziemlich gewöhnlich angeschirrt, es waren aber prächtige Tiere, deren reines Blut man auch in der unscheinbaren Tracht und Umgebung leicht erkannte. Solche Korbwagen hat man in Mecklenburg. Es fahren dort und in Holstein ganz noble Leute darauf. Die Pferde konnten auch nur aus Mecklenburg stammen. Die Gesellschaft, die das Gespann besaß, mußte also notwendig aus Mecklenburg sein. Die Damen waren es bestimmt: von großem, vollem Wuchse, mit weiten blauen Augen, mit festem weißem, luftig gerötetem Fleische, nicht fein, aber üppig, kräftig, mit tüchtiger Gutmütigkeit in den Zügen, großen weißen Zähnen und dichtem braunblondem Haare. Die eine trug ein weißes Kleid, die andere ein schwarzes. Beide gefielen uns sehr. Nach der Unbefangenheit ihrer Art gingen sie leicht in ein Gespräch ein. Wir waren im Begriffe, nach Arcona zu fahren, sie stiegen eben auf den Wagen. Von allen Herrlichkeiten der Welt hatten wir im Augenblicke nichts anderes zu wünschen, als daß diese freundlichen, schönen Mecklenburgerinnen auch nach Arcona fahren würden. Lieb und zutraulich fragten sie: „Sie fahren gewiß ebenfalls nach Stubbenkammer?“

„Herr Gott, nein, wir törichten Menschen haben einen Wagen bestellt – geschwind, läßt sich das nicht ändern?“

Da rasselten sie schon fort, die im weißen Kleide sah sich ermunterungsvoll um. „Meine Herren, ändern wir den Plan.“ Aber die Siebenbürger blieben unberührt, der Sachse konnte sie auch nicht überzeugen, und wir mußten auf dem harten Wagen über die Schabe nach Arcona mitpoltern.

Wir mußten wieder zurück nach der westlichen Hälfte der Insel, an deren Nordspitze ein Vorgebirge liegt. Obwohl der Jasmunder Bodden zwischen Jasmund und Wittow liegt, konnte das zu Lande geschehen. Wie eine skurrile Ironie drängt sich nämlich eine schmale, klägliche Landzunge zwischen den Bodden und das Meer. Nirgends habe ich so viele Möwen gesehen als auf der Schabe. In allen Farben sitzen sie da und konspirieren. Der Wagen fährt meist mit einem Rade in der See, um festen Boden zu haben. Die Möwen lassen ihn oft ganz nahe kommen. Die Siebenbürger waren nicht so ruhig wie sie. Sie versicherten dem Kutscher, nicht schwimmen zu können. Der lachte aber bloß: hier gebe es keine Unebenheiten, der Meeresstrand sei gleichmäßiger Sandboden.

So fuhren wir denn halb im Wasser und fortwährend zwischen zwei Wassern. An einigen Stellen ist die Schabe nicht breiter als zwei oder drei Normalstraßen. Im Winter mag wohl die Passage hier durch das Eis gehemmt sein.

Die Meeresbucht, auf deren innerem Landesbogen wir fuhren, wird auf der östlichen Inselhälfte durch Jasmund begrenzt. Schief vor uns lag auf Wittow, an der Spitze der Insel, Arcona. Die Gestade glänzten wie Kreidefelsen aus der Ferne. Der Leuchtturm von Arcona, in dessen Nähe sich noch einige Wallreste der alten Jaromarsburg finden, sah wie ein Kastell über das Meer zu uns herüber.

Die Sonne schien freundlich, wir ließen zu großer Beunruhigung der Siebenbürger den Wagen etwas weiter in das Meer fahren, machten ihn zur Garderobe und wateten in die See hinein. Nicht einmal das Meer hält heutzutage sein Wort: sein Anblick versprach Reinheit der Gesinnung, doch erfüllte schwarzer Schleim die Strandquellen und machte uns schmutzig. In großer Menge schwimmt hier der Seestern umher. Er gleicht aus der Ferne einer kleinen platten Muschel, in deren Nähe sich eine weißliche Gallertmasse mit dunklem Mittelpunkte zeigt.

Es war gegen Abend, als wir den Leuchtturm dicht vor uns sahen. Der Himmel hatte sich bedeckt, die Sonne ging rot unter. Wir stiegen aus und traten an die nördlichste Spitze Deutschlands. Ein feiner Staubregen perlte auf die Blätter der Bäume.

„Treten Sie nicht zu nahe an den Strand, der Boden bröckelt, dieses Nordkap Deutschlands fällt nicht so imponierend ab, wie man es gewöhnlich zu beschreiben pflegt.“ Es ist allerdings eine Bergspitze, aber kein stolzer Fels, an dem sich die Brandung bräche, sondern nur Geröll aus Lehm und Erde. Ist das Meer ruhig, so bedeckt es nur zuweilen mit einer Sprungwelle die Steine am Fuß der Anhöhe. Wahrscheinlich löst sich hier von Jahr zu Jahr immer ein wenig vom Boden. In Rechnung auf den nachgiebigen Boden hat man auch den Leuchtturm eine Strecke zurück erbaut.

Solch ein Leuchtturm ist sehr kostspielig. Es ist schwierig, ein Licht zu erhalten, das meilenweit gesehen werden muß. In alter Zeit, da das Holz noch wohlfeil war, brannte man Holzstöße ab. Jetzt werden die Leuchttürme mit sauberen Öllämpchen versehen, deren Schein von einem dreifachen Kranze blank schimmernder Kupferkessel zurückprallt. Wir waren dabei, als in dem verglasten obersten Räume des Turmes das Feuer angezündet wurde. Wir bewunderten die glänzend polierten Geschirre und ließen uns durch den knochigen, kurzangebundenen Pommern von den Schiffen erzählen, die zu Sturmeszeiten in wilden Nächten Hilfe erbäten. Der Mann hatte Ordenszeichen und Medaillen, besonders von den Schweden, denen er mehrere bedrängte Schiffe rettete. Er versprach uns zur Nacht einen soliden Sturm.

Wir waren in dem schmalen Stübchen wie auf einem Schiffe eingeschlossen. Wir schliefen noch nicht, da erwachten schon draußen die Wetter. Ich suchte mir eine Luke zum Hinausblicken und dankte Gott, daß ich ein Schriftsteller und kein Leuchttürmer sei. Schwarz stürzte das Meer aus der Finsternis in den bleichen Lichtschimmer.

Einer der Siebenbürger machte die triviale Bemerkung, ›Übung tue alles‹, und huschelte sich wieder tief in die Bettdecke, um den Sturm nicht zu hören und die Erschütterung des Sturmes weniger zu empfinden.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Reise durch das Biedermeier