Die Wiener und ihre Stadt

Im Volksgarten wollte mir ein vernachlässigter Beamter durchaus einen verkappten Brutus zeigen. Aber man darf es nicht glauben. Brutus ist gar kein österreichischer Name und wird nie einer werden, weil er sich nicht abkürzen läßt. Ja, wenn sich auch ein Brutus fände, was könnte das schaden, eine Lucretia findet sich nicht so leicht.

Überhaupt sind das sehr bornierte Leute, die die Entwicklung der verschiedenartigsten Staaten in gleicher Form erhoffen und sich in Österreich zum Beispiel auch nach Revolutionskeimen umsehen. Revolutionen sind die schlechtesten Entwicklungsmöglichkeiten, weil sie die heftigsten sind. Für sie hat Österreich so wenig Anlage wie ein phlegmatischer Mann zu entzündlichen Krankheiten. Es ist ein sehr großer Irrtum, vom Wiener und vom Pariser gleiche Äußerungen des politischen Willens zu erwarten.


Alles übrige beiseitegestellt, die Wiener haben auch zu viel Fleisch und zu gesunde Unterleiber. Der Menschenschlag ist kräftig; feste Formen und ein schönes, angenehmes Fleisch fallen auf. Die Taille und der elegante Wuchs sind dadurch etwas benachteiligt, nicht aber der hohe stattliche Bau. So ist ein schöner Männerschlag der halben Elegants in Wien zu finden.

Der vorherrschende Ausdruck ihrer Gesichter ist von einer sauberen Fröhlichkeit, der allgemeine Anblick heiter. Es ist absolut unmöglich, sich des Eindrucks vollkommener Behaglichkeit in Wien zu erwehren. Nur ein völlig verstocktes Menschenkind schließt dort nicht fröhlich seine Herzenskammern auf.

Wien heilt alle Wunden. Der Feenzauber der Luft und Umgebung wirkt zu allen Zeiten. Wie man in alten Ritterspielen von einem Lüftchen erzählte, das alle Wunden schloß, sobald es sie nur flüchtig umspielte, so kann man jetzt von der Wirkung der Wiener Atmosphäre berichten. Über den schmerzlich erregten Geist streicht sie mit weicher Hand, jede Wunde schließt sich.

Wahrhaftig, Wien ist in vieler Weise die Insel der Circe. Man muß gewarnt und stark wie Ulysses sein, um kein Verwandlungsunglück zu erleben. Wie instinktgemäß halten sich die Wiener in der glücklichen Mitte des vor der Verzauberung schützenden Kreises. Ihre Freuden sind stark und derb, aber man sieht sie niemals gemein.

Die Menschen sind mit allen ihren Sitten und Eigenschaften immer mehr oder weniger das Ergebnis ihres Bodens. Sie sind nur etwas verfeinerte Pflanzen. Der Mensch, der sich seinem Boden am natürlichsten anschmiegt, ist am glücklichsten. Das haben die Ahnen der Österreicher durchaus verstanden. Sie begreifen die unterirdischen Stimmen der Landschaft, ihr ursprüngliches Wesen stimmt mit ihr überein, und daher kommt ihre Behaglichkeit.

Man kann sich nichts Bequemeres denken als das Donautal, in dem Wien liegt. Der Kahlenberg und seine Genossen schützen es vor dem Nordwest. Die Donau, der rasche Kriegsstrom deutscher Flüsse, bringt dem Bedürfnisse rasche, frische Wellen. In dem dunkleren Himmel sieht man schon die tiefere Sehnsucht nach dem Süden, der Boden ist freundlich und ergiebig. Natürlich gibt es viele Städte, die malerischer liegen und interessanter sind, aber man dürfte vergeblich eine suchen, die sich so wohnlich an den Boden schmiegt.

Die Stadt Wien ist nur ein Mittel- und Sammelpunkt. Die zweiunddreißig Vorstädte gehören zu Wien wie die Strahlen zur Sonne. Alle sind frei für Luft und Aussicht. Selbst die Berge sehen in entscheidender Entfernung gehorsam wie Dienstboten mit niedergesenkten Augen hinein. Wien gleicht einer großartigen Winter- und Sommerwohnung, in der man, um sich alle Bequemlichkeiten zu verschaffen, nur die Zimmer zu wechseln braucht.

Die Zahl der Vergnügungsorte um Wien herum ist Legion. Das Vergnügen ist ein Geschäft, das jeder Wiener mit Leidenschaft betreibt. In den Dörfern nahe der Stadt wohnen während des Sommers begüterte Hochbürger, Schauspieler und Rentner.
Sehr viele Fremde besuchen Wien während des Sommers. Eine Reise nach Wien gilt als Asyl der überladenen Geschäftsleute, die ihrem Unterleibe auf einige Wochen gütlich tun wollen. Es ist in keiner Stadt so leicht, nichts zu tun und nichts zu denken wie hier.

Trotzdem kommen die Wiener Gasthäuser nicht aus dem Schlendrian heraus. Es gibt in ganz Wien nur zwei oder drei, die nach Art guter Gasthöfe eingerichtet sind. Alle übrigen sind mehr oder weniger alltägliche Kneipen, wo man nichts findet als mittelmäßige Nachtlager und schlechte Bedienung. Das ist aber von jeher so gewesen, darum muß es immer so bleiben. Wenn man ihnen erzählt, wie ganz anders und besser das im Auslande sei, so lächeln sie, gähnen etwas und sagen ungestört: „Des is holt anders bei uns in Wean!“

Sie sind in dieser Borniertheit so schnurrig und liebenswürdig, daß ich mitlachen und am Ende gar eingestehen mußte, die Einrichtung mit den mittelmäßigen Gasthöfen sei gar nicht unpassend. Das Wiener Leben spielt sich nämlich ganz und gar draußen ab, an zwanzig verschiedenen Orten. Die Dimensionen sind groß, man kommt gewöhnlich erst bei einbrechender Nacht in seinen Gasthof zurück und braucht nichts weiter als ein Nachtlager. Der Gastwirt findet es eben auch in Ordnung, daß man sonst nicht viel mehr verzehrt. Also hat der Wiener auch darin recht.

Große Ehrlichkeit und viel Bettelei herrscht natürlich in Österreich, wie in jedem abgeschlossenen Staate, wo die Mehrzahl des Volkes wie hier brav und gutmütig ist. Die Poesie der Bettelei – das Verbieten einer jeglichen wäre die prosaischeste Grausamkeit – steigt allerdings hier bis zum Unerträglichen: der Reisende steht unter einem fortwährenden Belagerungszustande. Ebenso wird jene Ehrlichkeit oder der daraus fließende Kredit bis ins Ungeheure getrieben. Man bezahlt in einem öffentlichen Lokal nichts beim Empfange, das Haus sei noch so groß, die Gesellschaft noch so zahlreich, die Verwirrung noch so betäubend. Der Fremde kann für viele Gulden verzehren und mehrmals vergeblich fragen, was er zu zahlen habe. Er kann ungehindert von dannen gehen, ohne einen Kreuzer gezahlt zu haben. Diese Art von Kredit ist sogar lästig. Es gibt nämlich nur einen bestimmten Zahlkellner, oder nur dann zwei oder drei, wenn die Gesellschaft außerordentlich groß ist. Dieser Zahlkellner macht dem Gaste die Rechnung und nimmt allein Geld entgegen. Er ist gewöhnlich so beschäftigt, daß man wegen einiger Kreuzer meist unerträglich lange warten muß.

Table d’hôte wird nirgends gespeist. Der Österreicher spielt wie der Engländer beim Essen den Individuellen. Und wunderlich genug haben beide dabei gar nichts Persönliches, sondern essen alle dasselbe, der eine sein Rindfleisch und den Plumpudding, jener „a Backhendl, a Möhlspeis und a Rostbraterl.“

Im Weintrinken sind sie mäßig, ich weiß nicht, ob es am Weine oder an ihnen liegt. Verleumder sagen, man bekomme eher Leibweh als Laune von großen Quantitäten. Und doch kommt er der Masse trefflich zustatten, weil seine schlechteren Sorten wohlfeil und allen Klassen zugänglich sind. So entgehen sie dem abscheulichen Schnapstrinken. Man sieht nirgends jene dumpfe, bestialische Schnapsbesoffenheit, die den Geist nicht aufregt, sondern verwirrt, das Hirn nicht auflockert, sondern zusammenquetscht.

Die Österreicher sind hier wirklich im allgemeinen mäßig. Selbst ihre ausgelassenste Fröhlichkeit, die man halb irrtümlich zu ihrem stehenden Charakter rechnet, ist immer polizeigemäß. Sie sind zahme, lustige Füllen, die den Hafer nicht kennen und von ihm nicht gestochen werden.

Auf der Brigittenau zum Beispiel feiert man alljährlich ein großes Volksfest, bei dem sich an dreißigtausend Menschen einfinden, die wie Böcklein in Lust und Freude herumspringen – nicht ein einziges dieser Böcklein stößt das andere. Ich gestehe, daß ihre Wohlgezogenheit etwas Philistermäßiges hat und daß ich, selbst als Regent, ein Volk mehr liebte, das zuweilen durch eine Kaprice seines Herzens Spannkraft bekundete, natürlich durch eine unschuldige und kleine, die nichts kostet.

Besonders die Ultraliberalen, die in Österreich einen mit starker Hand verstopften Vulkan sehen, irren sich sehr. Man merkt nichts von Verstopfung und nichts von einem Vulkan. Höchstens von einem, an dem gekocht und gebraten wird. Das Volk ist so unvulkanisch wie nur möglich.

Es wurde schon häufig darauf hingewiesen, daß ein Rest des italienischen Straßenlebens und mancher halbitalienischer Sitten in Wien zu finden sei. Die alltäglichen Freuden sind hier auch meistens auf der Straße und in öffentlichen Lokalen zu suchen. Da sitzt man mit großen Backenbärten und kurzen Meerschaumpfeifen, trinkt Kaffee oder Zuckerwasser und sieht der rastlos dahineilenden Zeit nach.

Nur die Fiaker sind in steter Bewegung. Sie sind der tüchtigste Schlag in Wien, denn sie haben einen festen Willen und können im Notfalle grob werden. Sie fahren so schnell und so geschickt wie die Berliner Kutscher schlecht und langsam. Sie verstehen ihr Handwerk, lesen in den Stunden des Wartens ihren Roman wie irgendeiner und sind daneben betriebsame, ganze Kerle. Ich habe eines Abends mit Gutzkow ein ganzes Fiaker-Literaturblatt durchgesprochen. Wir fuhren von Hietzing nach der Stadt und fanden in allen Taschen des Wagens Romane. In unserer nordischen Voreiligkeit glaubten wir, sie seien von Passagieren vergessen worden und machten unsern Kutscher darauf aufmerksam. Er lächelte aber sehr und deutete mit dem Finger auf den eigenen Kopf. Die Fiaker in Wien sind eine Stütze der Literatur.

Nicht darum, sondern aus anderen Gründen glaube ich, daß sie nächst Staberl den meisten Witz in Wien haben, und das will etwas sagen. Ihre Zahl hört erst in der Nähe der tausend auf. Von Staberl, den Ungarn und den Fiakern hat man die meisten Bonmots. Die Fiaker sind auch der Stolz Wiens, den es gegen alle Hauptstädte geltend machen kann. Es glauben Gelehrte, sie seien – nicht die Gelehrten, sondern die Fiaker – die eigentlichen Urbewohner Wiens, die Autochthonen, die ursprüngliche Kriegerkaste. Ihr Fahren ist eine Kunst, die lebhafteste Anerkennung verdient. Im stärksten Trabe jagen sie durch die engen, von Menschen und Wagen angefüllten Straßen, oft nur ein Haar breit am Zusammenstoß vorüber. Aber es ist ein höchst seltener Fall, daß sie ein Unglück anrichten. Sie fahren, wie man sich ausdrückt, den Schwanz vom Buchstaben herunter.

Die englischen Tories waren Napoleons unversöhnliche Feinde, die preußische Jugend sein leidenschaftlichster Gegner, die österreichischen Soldaten aber seine ausdauerndsten Bekämpfer.

Ich habe die Truppenmassen des Kaisertums fast in allen Provinzen gesehen. Eiserne Unbekümmertheit liegt in ihren Mienen. Ich bin vollkommen überzeugt, daß sich in einem neuen Franzosenkriege wiederum kein Heer so ehern und zweifellos schlagen würde wie das österreichische. Nur fanatische Begeisterung und ein überwältigendes Feldherrngenie könnte sie überwinden, eine bloß gebildete Armee, die da weiß, was Leben ist, überläßt ihr sicherlich das Schlachtfeld. Sie kommen dahermarschiert, diese praktisch gekleideten Massen, wie eine Reihe metallener Figuren. In der ganzen Front herrscht nur ein einziger Gedanke, der auf das nächste Kommandowort. „Eins, zwei, eins, zwei, aufg’schaut!“ und so marschieren sie in den Höllenrachen hinein, wenn der Offizier nicht Halt ruft. Sie tun es nicht aus Subordination. Sie haben zumeist in ihrem Leben nicht gehört, was Subordination sei. Sie tun es, weil sie subordiniert sind, einexerziert, instinktmäßig. Sie dienen dem Staate vierzehn Jahre, sie sind Soldaten ganz und gar. Eine riesenstarke Armee, fest wie ein unwandelbarer Begriff.

Die vierzehnjährige Dienstzeit trifft namentlich die österreichischen Erblande, die anderen Provinzen dienen meist kürzere Zeit. Soldatenspielerei findet man nirgends, man sieht ihnen das ruhige, arbeitsvolle, todesernste Geschäft an. Die Offiziere sind fast durchweg bescheiden, sie bramarbasieren nicht, sind äußerst gefällig, ja liebenswürdig.

Die Wiener Polizei hält sehr auf den äußeren Anstand, und so sehr auch das Vergnügen in Wien geschont wird, so wenig darf ein Teil davon dreist auftreten. Alle derartigen öffentlichen Einrichtungen sind streng verboten. Am hellen Mittag werden die Kupplerinnen auf dem hohen Markte an den Pranger gestellt. Ihre Klientinnen gehen mißvergnügt unter der Volksmenge umher und murmeln von Vorurteilen und beschränkten Ansichten. Es war die einzige Andeutung zu einer kleinen émeute, die ich entdeckte, und sie saß nur auf den Lippen einiger unternehmender Frauenzimmer, die andere Ansichten über die Liebe hegten als die Regierung.

Von den leichtfüßigen Kindern, die sonst am späten Abend durch das Palais royal tänzelten – sonst, denn dieses orleanistische Palais ist jetzt auch tugendhaft geworden – und manchen schüchternen Jüngling aufmunterten, manchen ernsten abschreckten, die in Hamburg an der Alster bei den Laternen vorüberschäkern oder seufzen, von diesen leichten Nymphen sieht man in Wien am Abend nach dem Theater nichts auf der Straße. Die Polizei hält das nächtliche Bekanntschaftsuchen für unschicklich. Und doch gibt es in Deutschland keinen Ort, in dem im Verhältnis zur Größe und Einwohnerzahl so viel lustige Mädchen leben als in Wien. Die Mädchen gedeihen überhaupt in Wien vortrefflich. Ihr Aufwachsen wird nicht durch frühzeitiges Denken, durch Lesen, durch Romantik und Sentimentalität gestört. Sie haben alle von Haus aus guten Appetit und runde volle Formen, sie werden in einem halben Katholizismus erzogen, der die bequemste Religion unter der Sonne ist, weil er alles vergibt, sie sehen alle Welt nach sinnlichen Genüssen jagen und hören ewig die Hauptfragen, ob es gut geschmeckt, und „wie haub’n sich Euer Gnod’n unterholt’n?“ Die stets wechselnde Schar neuer Anbeter erhält ihr Interesse fortwährend frisch. Sie haben ein weiches, üppiges Klima, warme Nächte, die niemand erkälten – was Wunder, daß die Sensibilität größer als sonstwo ist. Da der Abend ihnen zum Kennenlernen verschlossen ist, so werden sie zur Dreistigkeit und zum Sonnenlicht gezwungen. Sie wandeln um die Mittagsstunde Kohlmarkt und Graben entlang, inmitten der anständigen schönen Welt. Es gehört das Auge eines Linné dazu, um die verschiedenen Pflanzenarten zu unterscheiden, da das lustige Mädchen so freudig und elegant gekleidet geht wie die Fürstin, und die Fürstin auf der Straße so einfach wie diese.

Die Liebenswürdigkeit der Wiener Damen ist so allgemein bekannt und unwidersprochen wie die Gemütlichkeit der Österreicher im allgemeinen. Man kommt in Verlegenheit, wenn man ihre äußere Schönheit definieren soll. Das Ensemble tut bei der Komödie alles, und weil ihnen das Tragische zu unnatürlich dünkt, spielen sie nur Komödien. Man findet hier nicht so häufig glänzende, elegante Figuren, wie es deren im nördlichen Deutschland so viele gibt. Die in leichten, feinen Bogen geschweiften Gestalten, die durch ihre zierlichen, hüpfenden Formen bestechen, durch den schwankenden Hals, die schmeichelnde Taille, die die fein geformte Schulter trägt, jene Gestalten, in deren kleinem, hochgespanntem Fuß das bunte Vergnügen des ganzen Körpers spielt, sind in Wien nicht zu Hause. Körper und Wuchs sind in ihrer Fülle schon ein wenig italienisch. Nicht die feinen Figuren bezaubern, wenn auch der Körper straff und fest aussieht. Das Fleisch der Wienerinnen ist frisch und blühend. Vor den Bildern Tizians glaubt man, es hätten ihm Wienerinnen gesessen, denen er südliche Augen gemalt.

Den lebendigen Wienerinnen selbst, glaube ich, darf man nicht zu tief in die Augen sehen. Wahrscheinlich gibt es keine Frauen, in die man sich so schnell verliebt wie in sie. Für eine romantische Liebe sind sie allerdings zu harmlos und zu lebenslustig. Fällt ein glücklicher Keim in ein wienerisches Frauenherz, so mag es auf der Welt nichts Weicheres, Anschmiegsameres und Weiblicheres geben.

Außer der feinen Figur fehlt ihnen auch der zarte Fuß. Aber sie ersetzen beides durch die Schönheit einer volleren Form. Der Körper ist weich und doch frisch und kräftig, ein gesundes Verlangen zeigt sich in jeder Linie. Ihre Schönheit ist jene sanft schimmernde des duftigen Obstes, das noch am Baume hängt und vom Reife der Luft überhaucht ist.

Was ihnen an Geist und tiefer Empfindung abgehen sollte, ersetzen sie durch Schalkhaftigkeit und Laune. Außer den Französinnen kenne ich keine Damen, die so liebenswürdig für den bewegten geselligen Umgang geschaffen wären als die Damen von Wien. In ihrer natürlichen Unbefangenheit sind sie bei weitem angenehmer als viele unserer nördlichen sentimentalen Prinzessinnen, die jeden freien, fröhlichen Scherz unanständig finden und außer sich wären, wenn man ihren Glauben in Zweifel zöge, daß die Kinder von den Bäumen geschüttelt werden.

Im allgemeinen haben die Österreicher sehr viel Anlage zur Jugend. Sie sind reich an Blut, und Jugend und Geist brauchen Blut und frische Luft. Man sieht es, wenn man ihre Moden betrachtet, daß sie gut erfinden können. Das Gebiet des Bequemen, das sie mannigfach kultivieren, bekundet ihre schöpferischen Fähigkeiten.

Die Fremden, die in Wien leben, wirken sehr interessant und dürfen nicht mit denen in den norddeutschen Städten verglichen werden, wohin meist nur wegen des Geschäftes gereist wird. Das österreichische Prohibitivsystem läßt nicht viel Geschäftsfreunde zu. Einige Orientalen etwa, die rauchend vor ihren Läden in der Leopoldstadt stehen und so faul sind, daß man nicht begreift, welche Geschäfte sie überhaupt abschließen. Das schmierige Publikum der Musterreiter fehlt ganz. Die große Menge von Fremden, denen man in Wien begegnet, ist meist lediglich da, um sich zu amüsieren. Wien ist die deutsche Villa, wo der tüchtige norddeutsche Römer ausruht von der Mühe des Regierens. Diese Ruhe wird befördert durch den Anblick der wohlgeölten Staatsmaschine, fröhlicher Menschen und Mädchen. Man wundert sich, daß in Wien sehr anständig gearbeitet wird, daß nicht Manna vom Himmel fällt und süßer Wein aus den Dachrinnen sprudelt.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Reise durch das Biedermeier