Der Rhein

Eine Rheinreise zu schildern, ist heute so überflüssig, wie wenn einer erzählen wollte, er habe ein Gedicht verfaßt. Jeder gebildete Mensch macht jetzt beides. Auch ist das Wort Rhein in Deutschland so bekannt und angesehen wie das Wort Nachtigall. Man himmelt in beiden. Rhein heißt soviel wie: schöne Gegend. Wenn Engländer oder Franzosen eine Vergnügungsreise nach Deutschland machen wollen, so verstehen sie unter Deutschland das Rheinland.

Ich kroch auf den Bergen nördlich des Taunus zwischen Frankfurt und dem Rhein umher und sah hinunter in das gesegnete Nassau, wo die Gesundheit in allerlei Gestalt aus der Erde quillt und die Kranken herbeilockt. Am Fuße des Gebirges in einem Tale kleiner Wellenhügel liegt Wiesbaden breit und reich mit gastlich winkenden Landhäusern, ein üppiger Anblick südlicheren Landes. Alles dehnt sich hier gemächlich und wohlhabend. Ein großes Bad, in dem man eine Saison verbringt, um die Schwächen des Winters zu reparieren, im Freien zu frühstücken, sich die Sommerluft um das Gesicht wehen zu lassen oder im prächtigen Kursaale Tänze zu versuchen. Der dortige Kellner hält den Saal für den größten in Europa, diesseits und jenseits, wie er sich ausdrückt. Warum das süße Glück ihm rauben? Wissen ist nützlich und gut, aber Illusionen sind ein noch wohlfeileres Glück.


Das Ländchen ist wie eine Grotte, wo Schatten, Wein, allerlei Nahrung und Heil zu finden ist. Sagen und Nymphen wohnen überall, schützend rauscht an der Grenze der Rheinstrom hin. Bis jetzt hatte ich den Rhein nur auf englischen Stahlstichen gesehen. Es war Abend, der Mond ging auf, als wir den Hügel von Wiesbaden hinabfuhren und der breite Wasserspiegel mir zum ersten Male entgegenschimmerte. Mondstrahlen hüpften auf ihm umher, alle Wassernixen des Märchens und der Lieder tauchten dazwischen auf. Die Lorelei kämmte ihr goldenes Haar, und aus Uferbüschen guckten römische Gesichter, die einst hier gelebt. Auf der Straße sah ich die Burgunder vorüberziehen, dann verschwanden sie im Nebel. Mittelalterliche Ritter setzten auf Rossen über den Strom. Dann kamen die Jakobiner mit roten Mützen aus den Sträuchern gesprengt, verjagten alles, erhoben ein großes Geschrei und verscheuchten die Mondbilder. Die breite Schiffsbrücke von Mainz lag mit ihrer langen Lichterreihe wie ein Juwelenschmuck dicht am Körper des Rheins. Mainz ruhte drüben schwarz mit goldenen Punkten, vor mir lag die feste Vorstadt Castell.

Wer am Tore wohnt, hat mehr Abwechslung, mehr Freude und Leid. Das Rheinland von Basel bis Mainz am Oberrhein, und von Mainz bis Holland am Niederrhein ist durch alle Jahrhunderte das Grenzland Deutschlands gewesen, wo die Ideen zwischen den Völkern ausgetauscht wurden und die Interessen am heftigsten gegeneinanderspielten. Dazu kommt, daß hier ein guter Wein wächst, das Leben an Schwere verliert und die schöne Natur die Menschen fröhlich macht. So ist hier ein Menschenschlag entstanden, der voll Farbe und Blut und von leichter Empfänglichkeit ist. In diesem großen Garten vom Bodensee bis Düsseldorf blüht allerlei Gesträuch und gibt es verschiedenen Geschmack. Ein Garten ist hier aber wirklich.

Ich bin nur darüber hingeflogen wie ein Vogel und wollte in einem langen Blicke den Farbenzauber des Rheins genießen. Es regnete fein und durchsichtig, als wir am linken Ufer hinauffuhren, um den Rheingau zu sehen. Von Mainz bis Rüdesheim liegt nämlich dieses Herzblatt des Rheins. Man fährt auf der linken Seite, um ihn wie das verheißene Land aus der Ferne sonnenbedeckt zu sehen. Wie unter einem Silberschleier lag drüben das rechte Ufer mit seinen dicht folgenden Ortschaften und Weinbergen. Rasch fuhr uns der Mainzer Kutscher dorthin, alte berühmte Namen nennend, mit der Peitsche auf das vor uns liegende Ingelheim deutend. Dort ist Karl der Große geboren worden, hier hat er später seinen großen Palast erbaut, ein palatium, eine Pfalz. Dieser Rheinstrich ist eine Bildergalerie der deutschen Geschichte. Am Fuße der Rochuskapelle, die auf einem samtgrünen Berge allen guten Christen Absolution winkt, hielten wir still. Rüdesheim liegt gegenüber. Die Welle des Rheins schlug an unsere Räder, wir schifften uns ein. Grün wie ein dunkler Smaragd ist dieser Strom. Seine Farbe hat er gemein mit den südlichen Bergflüssen. Ein Schimmer der grünen Bergmatten seiner Kindheit bleibt ihm treu. Vielleicht darum, weil er in dieser Farbe so rein und lockend aussieht, haben sich so viele Wasserfeen auf seinem Grunde angesiedelt, von denen die farblosen, traurigen Flüsse des Nordens nichts wissen. Welche reinliche Fee hätte auch wohl Lust, in den graugelben Elbstrom, in die ausdruckslos-bleiche Oder zu steigen.

Abwärts hinter Bingen scheint die Welt mit Bergen verstellt. Hier beginnt der Kampf des Rheins zwischen den Felsen hindurch, auf denen Schlösser hängen, wo die Nebel des Himmels geballt hindurchfegen und jenen Gebirgsduft spenden, der die Rheinbilder so zauberhaft und lockend macht. Rückwärts nach Mainz, den eigentlichen Rheingau hinauf, liegt eine üppige, schwellende Ebene am Ufer, und die sanften Berge treten bescheiden einige Schritte zurück.

Trotz des Regens mieteten wir uns in Rüdesheim Esel, um auf den Rößl zu reiten. Eines dieser Tiere, dem der Rhein jetzt schon gleichgültig wurde, weil es ihn täglich sieht, führt den sanften Namen „Fritze“. Es wird hiermit der Aufmerksamkeit der Rheinreisenden empfohlen. Es hat sich dieser Fritze ein sehr interessantes Verhältnis mit seinem Führer gebildet, das lebhaft an eine Ehe erinnert. Fritze tut gewöhnlich das Gegenteil von dem, was der Führer sagt. Dieser flucht dann und setzt sich in unverkennbaren Rapport mit Fritzen.

Kurz, Fritze und sein sanfterer Mitesel trugen uns über die Weinberge in den Wald des Rößl hinauf. Wir gelangten an eine Ruine, wo der Berg jäh nach dem Rhein hinunterstürzt, ein Windstoß warf den Nebel aus den Schluchten, und vor uns erstreckte sich der schönste Rheinblick, den es geben soll.

Dicht vor uns lag der Mäuseturm mitten im Rheine am Binger Loch. Jedermann weiß aus der deutschen Geschichte, daß Bischof Hatto vor den zudringlichen Mäusen hierher flüchtete, daß die Bestien nachschwammen und ihn auffraßen. Für jeden, der die Mäuse nicht eben liebt, eine quälende, lehrreiche Geschichte. Drüben, etwas rückwärts, fließt die Nahe in den Rhein und führt ihr Wasser eine Zeitlang bescheiden an der Seite hin, wie die Reverenz eines schüchternen Mannes, der den König sprechen will. Bei dieser Mündung am Ausgange des schmalen Tales der Nahe ruht die alte Stadt Bingen, wo einst Kaiser Heinrich IV. von seinem Sohn gefangen war. Noch weiter zurück öffnet sich über Rüdesheim hinauf der Rheingarten wie in eine gelichtete, freundliche Zeit. Aber rechts, rheinabwärts, wo der Strom die Krümmung durch die Felsen schlägt, sieht der Blick weit hinaus in das dampfende Schluchttal des Rheins, über Felsenmauern und Ritterschlösser. Ein kleiner, schüchterner Kahn fuhr im blauen Dämmer über den Strom.

Wir kehrten mit Fritze zurück und fuhren in der schönsten Nachmittagssonne den Rheingau entlang. Hinten bleibt das Bergdüster des Bingener Winkels und die weitlockende Rochuskapelle. Rechts rauscht zwischen blühenden Ufern die grüne Rheinwelle dahin. Mitunter hebt sich aus ihrer Mitte eine bebuschte Insel. Links lehnen sich sanfte Hügel braun und gelb nach rückwärts; auf ihnen wächst der beste Rheinwein. Da ist Geisenheim, liegt Hattenheim, da winkt goldgelb, etwas aristokratisch abgelegen, der Johannisberg, der echte Johannisberg, der dem Fürsten Metternich gehört. Hier gibt es einen kühlen, tiefen Keller.

Diese Rheingaustraße von Rüdesheim nach Mainz, dieser Weg von einigen Meilen, ist eine fortlaufende Stadt, unsere Residenz des Weines. Die sieben oder acht einzelnen Städtchen, aus denen er besteht, haben nur immer ein Viertelstündchen Straße zwischen sich, damit man die Zunge wieder auf einen neuen Geschmack vorbereiten könne. Bekanntlich hat dies Zungenvergnügen des Weintrinkens, das im Norden Europas für ein dogmatisches Vergnügen gilt, das heißt für ein Vergnügen, das über jeden Zweifel erhaben ist, bekanntlich hat es auf den Universitäten einen ausgebildeten Kultus, der Komment heißt. Er ist sehr kultiviert, und man muß sehr viel vertragen können, um sich in ihm auszuzeichnen. Drei seiner Priester, im gewöhnlichen Leben Studenten genannt, unternahmen einst eine Reise von Bonn nach Heidelberg. Sie waren sehr gute Fußgänger und erledigten des Tags mit Leichtigkeit acht Meilen. Es begegnete ihnen das Wunderbare, daß sie einen ganzen Sommer lang die scheinbar kleine Strecke bis Mainz nicht zurücklegen konnten. Man nennt dies den Bann des Rheingaues. Auch ich habe ihn empfunden, obwohl ich nicht aus dem Wagen gestiegen bin. Ich habe nicht begreifen können, wozu es hier Schuster und Schneider gibt, wo bloß Winzer, Böttcher und Kellner nötig sind. Man schwimmt durch den Geruch alten Weines bis nach Biberich. Erst dort, wo der Herzog von Nassau dicht am Strande des Rheins Hof hält, endigt diese großartige Weinkarte. Die Residenz Biberich, deren Fenster sich im Rheine spiegeln, sieht eben noch so aus, als erwartete man jeden Augenblick Ritter und Herren, um ein Turnier oder einen Minnehof abzuhalten.

Wir fuhren des Nachts über den Rhein und in einer Fähre über den Main, um nach Darmstadt zu kommen. Hessen ist nur ein mageres Leinwandfutter gegen das stoffreiche Rheinhessen. Ein trockenes Waldland, das erst südlich nach dem Neckar hinauf in die Bergstraße ergiebig ausschlägt. Seine Verlängerung nach Norden hin, die durch Frankfurt unterbrochen wird, führt in das dürftige Niederhessen, wo die Vogelsberge streichen und sich das kleine Gießen nach Studenten sehnt.

Darmstadt selbst ist rings von Wäldern umgeben. Ich weiß nichts von ihm zu erzählen, als daß man des Nachts dort ganz ungestört schläft und daß es auch bei Tage recht still ist. Die Sonne schien, als uns der Postillon durch breite und vornehme Straßen hinausfuhr, neben denen große Gärten schlummerten. Die Dame, die neben mir saß, meinte, hier müßten Kinder recht gut gedeihen. Es sehe recht friedlich aus, und die Kleinen könnten nach Herzenslust spielen. Woher Verkehr und Erwerb und befruchtendes Leben in die Heideeinsamkeit kommt, hat mein flüchtiger Reiseverstand nicht ergründet, doch was kümmert das mich? Ich ließ mich lustig in den Wald hineinrollen, aus dem ein Trupp schöner Reiter uns entgegenkam.

Die Waldberge des alten melibocus drängten sich neugierig hinzu. Neben ihnen hin läuft die Bergstraße zwischen Darmstadt und Heidelberg. Die Berge im Osten sind abgerundet und reich bewaldet, mit Ruinen geschmückt und locken durch ihre Nähe. Man fährt durch fruchtbare Obstgärten. Nach Westen dehnt sich die Pfalz flach und plan nach dem Rhein hinüber. Der eigentliche Süden Deutschlands fällt hier mit tieferen Farben auf uns herab. Das Kolorit der Laubberge ist dunkler und sanfter, der Himmel ist blauer, edle Kastanien gedeihen, der Mandelbaum grüßt, Heidelberg liegt hinter dem Berge.

Heidelberg, das klingt wie Minnegesang und nach Romantik. Dort wohnt die lyrische Poesie in eigener Person, man sitzt unter dunklem Laube am Bergeshang, schaut ins Paradies hinab, seufzt, schließt die Augen, öffnet sie wieder und seufzt. – Neidisches Schicksal! Dieser Genuß hätte für mich Unbequemlichkeiten gehabt, denn als ich um die Bergecke fuhr, fing es zu regnen an, und Heidelberg, wo jeder anständige Mensch schöne, leuchtende Farben voraussetzt und dem Prinzip nach nicht zugibt, daß die Straßen verschlammt sein könnten, Heidelberg trat mir grau und kotig entgegen. Dies abgerechnet, war auch vieles anders, als ich es mir gedacht hatte. Die Stadt kriecht in eine Schlucht hinein, das Schloß sitzt ihr fast auf Hals und Schulter, und der Ort dehnt sich länger und schmäler, als man nach der Beschreibung denken sollte. Der Neckar erscheint dadurch zudringlich. Der weite, geschmeidige Blick fehlt. Aber trotzdem ist es sehr schön. Die alte Ruine ist eine Welt für sich, mit Schatten und Vorsprüngen, mit Blick und Fall. Die Formen und Winkel des Tales sind scharf, die Berge im Hintergrund sind höher, als man dachte, die Ebene nach der Pfalz hin lockt in ihrer unklaren Verdecktheit.

Ich schloß mich einer Gruppe bunter Studenten an, die in den Ruinen des großartigen Residenzschlosses der Pfalz herumstrichen. Dann stellte ich mich an einen Abhang, sah weit hinab in das blühende Land und folgte mit den Blicken dem sanften Wechsel von Tälern und Hügeln.

Am großen Schwetzinger Garten vorüber flacht und vereinfacht sich das badische Land nach Karlsruhe hinab. Westlich drüben grüßt schmucklos in der Ebene der Rhein. Seine Ufer sind hier sehr einfach, selbst in der Nähe der freundlichen Pfalzhauptstadt Mannheim. Das heitere Land hat sich hier ans linke Ufer aufsteigend hingelagert. Dort lacht das warme Rheinbayern mit seinen freundlichen Städtchen, Burgen und Weinbergen, mit Hambach, seinen Hardtbergen und seinen lang aufgeschossenen, dunklen und leicht erregten Bewohnern.

Nach links abzweigend, nähert man sich dem Laubwalde, in dem Karlsruhe liegt. In dieser fächerartig gebauten Stadt, wo alle Straßen nach dem Schlosse, dem Griffe des Fächers, auslaufen, findet man ein reges Geistesleben. – Wendet man sich über Rastatt nach dem berühmten Baden-Baden, so fühlt man sich wie in einer Hauptstadt Europas. Alle Sprachen unseres Erdteils hört man durcheinander. Großartige Gasthöfe und ausgesuchter Luxus erwecken den Eindruck einer Metropole. Schwarz-grüne Waldberge lassen romantische Stimmungen in der Seele erwachen.

Der Schwarzwald ist wirklich ein schwarzer Wald. Langsam und allmählich erheben sich die Berge über dem Tal. Links und rechts sieht man in dunkle, tiefe Schluchten, die umsäumt und umschattet sind von finsteren Tannenwäldern. Es ist kein riesiges Gebirge, aber es fällt in tausend Gruppen ab. Stiller Friede liegt über ihm. Aus den Einschnitten lockt hier ein Tal und dort ein Grund mit grünen Matten und blinkenden Bächlein. Wo die Bergwüste sich zu verwirren scheint, öffnet plötzlich ein lichter Abhang wie ein Sonnenstrahl die Wirrnis, und Hütten, in denen hölzerne Uhren gemacht werden, wo zwei Menschen von einer Kuh und einigen Hühnern das ganze Jahr hindurch leben, treten in lockender Bescheidenheit vor die Augen. Über schwarzen Bergforsten schwebt der Raubvogel nach der Ebene hin, die nur einen reichen Rahmen dieser dunklen Waldeinsamkeit bildet. Unten grüßt die Pfalz im Sonnenscheine, Straßburg winkt von ferne und die blauen Vogesen begrenzen den Blick. Dürftig ist der Schwarzwald, aber man lebt hier unabhängig. Des Himmels Sonne und sein Regen, sie mögen sparsam oder üppig kommen, gewähren doch so viel, wie der schwarze Baum bedarf, wie der Grashalm und ein wenig Getreide zum Gedeihen erheischt.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Reise durch das Biedermeier