Den 10. September

Ich stieg auf den dicht bei Brunsbüttel vor-beilaufenden Deich, wo man deutlich in das Bremische hinüber sieht. Hier ward gerade eine Ausbesserung vorgenommen. Die Deiche werden mit Steinen befestigt, welche gegen perpendiculär eingerammte Pfähle liegen. Unten wird Stroh in die Erde hineingeknetet, oben darauf Heide und Buschwerk, welche mit Steinen beschwert werden; und diese Deiche, welche nach den nämlichen Grundsätzen, wie die Batterien bei Cronenburg gemacht sind, werden durch die Arbeit der See, welche Sand darauf spült, immer je älter desto stärker.

Alle Erde, welche auf der äußern Seite des Deiches gebraucht wird, muss auf Schiebkarren dahin gefahren werden; aber oben auf und an der innern Seite braucht man Karren mit zwei Rädern und zwei Pferden. Auf dem einen von diesen Pferden reitet der Fuhrmann, der immer im Trabe fährt. Auf der Stelle, wo abgeladen wird, steht ein Mann, welcher, indem er einen eisernen Bolzen auszieht, die Karre kippen lässt. Diese hält keine Minute still, sondern fährt sogleich in vollen Trabe wieder an den Ort, wo aufgeladen wird. Hier braucht der Kutscher wieder keine Minute zu warten, weil schon eine unterdessen beladene Karre dasteht, vor die er seine Pferde spannt, und, ohne sich aufzuhalten, in vollem Trabe damit fort fährt. Ich kenne keine Arbeit, welche mit größerer Schnelligkeit von Statten geht, als die Arbeit an den Deichen in der Marsch. So wahr ist das deutsche Sprichwort: Not lehrt beten. In manchen Augenblicken, bei hoher Flut und starkem Sturm, kann vieler hundert Familien Leben und Wohlfahrt auf die hurtige Arbeit einer halben Stunde beruhen, um zu verhindern, dass das Wasser kein Loch findet; denn ist ein Mal ein Bruch im Damm: so ist alle menschliche Hilfe zu schwach. Hierbei wird daher die Gewohnheit zur andern Natur, und die Arbeit bei den Deichen geht beständig im 3/4 Takt.


Nachdem ich den größten Teil des Tages in Brunsbüttel auf den Deichen und Feldern durch die Gastfreundschaft und Bereitwilligkeit der Herrn Gebrüder Piehl sehr angenehm zugebracht hatte: so reiste ich noch drei Meilen durch die Marsch nach Meldorf. Je mehr ich mich von Brunsbüttel entfernte, desto schlechter schien mir das Land; die Häuser sahen weniger wohlgebaut aus, und was das Schlimmste war: der Fleiß beim Ackerbau nahm sichtbar ab; die Gräben waren schlecht unterhalten, u. s. f. Doch muss ich davon den 60 Morgen großen Hof des Herrn Dührsen ausnehmen, welcher dicht vor Meldorf liegt; denn dieser ist der schönste und am besten gebaute Marschbauernhof, welchen ich gesehen habe. Er ist, wie die Fig. 8. zeigt, gebaut, gut eingerichtet, um dem Eigentümer die Aufsicht zu erleichtern, und hat, meinem Bedünken nach, keinen andern ökonomischen Fehler, außer die vielleicht durch die Nähe des Futters vergrößerte Feuergefahr. Zur Betreibung des Hofes gebraucht Herr Dührsen, außer den Tagelöhnern in der Ernte, zwei Kerle, zwei Jungen, zwei Mädchen, zwölf Pferde und sechs Kühe, deren Milch in der Haushaltung verzehrt wird so, dass also das Korn der einzige Artikel ist, welcher Einkünfte abwirft.

Hiermit verließ ich auch die Marsch, dieses jüngste und fruchtbarste Land unserer Erdkugel. Hier herrscht keine Spur des Mangels oder der Armut. Man sieht niemanden, welcher von dem Mangel oder dem Elende seiner Mitbrüder zu leben schiene. Der Überfluss unterhält alle, und man wird keinen Dürftigen gewahr. Bei allem diesen aber bin ich doch überzeugt, dass die Erhöhung der Steuern und Abgaben in diesem in aller Rücksicht reichen Lande verhältnismäßig weniger einbringen, und mehr Schaden anrichten würde, als in einer von der Natur weniger begünstigten Gegend. Die außerordentliche Fruchtbarkeit der Marsch ist die Folge einer außerordentlich starken und mühsamen Arbeit, und der innerlichen Güte des Erdreichs. Die Pflüge sind an einigen Orten, außer den gewöhnlichen Eisen, mit einem scharfen eisernen Rade versehen, um die lehmige harte Erde voneinander zu schneiden, welche, wenn sie schlecht gebaut wird, weniger, als die schlechtesten Sandfelder einbringt. Auf Kosten seiner eigenen Küche und seines eigenen Kellers hält es niemand lange aus, sein Land, seine Arbeitsleute und sein Vieh zu verpflegen. Der vermeinte Wolstand der Marscheinwohner ist daher, in Rücksicht auf die Erhaltung der Fruchtbarkeit des Landes, nur Notdurft. (sollte einst ein Terray nach den messingnen Knöpfen der Ösen und den silbernen Knöpfen der Kleider seine Klauen ausstrecken: so würden Weizen und Rübsensaat bald den Disteln und Klettenkraut Platz machen.

So angenehm diese Gegenden im Sommer sind, so ungesund, unangenehm, und wegen ihrer tiefen Wege, fast unmöglich zu betreten, sind sie im Winter. Zur Unterhaltung der Wege ist in den Monaten, da es das Wetter möglich macht, eine vortreffliche Polizei eingeführt. Sobald sie nämlich trocken sind, wird von der Kanzel bekannt gemacht, dass des Montags und Dienstags die Wege des Kirchspiels ausgebessert werden sollen. Dieses besteht darin, dass die Löcher und die Spuren von den Rädern mit Schaufeln und Spaten geebnet, und darauf gewalzt werden. An der Mittewoche besichtigt sie der Kirchspielvogt, und am Donnerstage werden die Nachlässigen ausgepfändet. Die Wegearbeit geht also der Feldarbeit vor, und daher sind die Wege bei trockenem Wetter nicht nur wie eine Dreschdiele, sondern sie können auch durch die tiefen Gräben zu beiden Seiten einem sogar beträchtlichen Sommerregen widerstehen. Nie hab ich auch einen Marschbauer im Schritt fahren sehen: sondern selbst mit vollen Kornfudern geht es im vollen Trabe, wie bei der Arbeit an den Dämmen.

In Meldorf sah ich eine Tonne Gestland, welche ihrem Eigentümer, der ein Schuster ist, 28 Rthlr. einbrachte. Er vermietet sie nämlich rutenweise an arme Leute in dem Ort, welche Kartoffeln darauf pflanzen, und für jede Quadratrute 6 Schillinge (3 Ggr.) bezahlen. Ein Organist, welchem die Vorsehung gute Gaben mit dem gemeinen Manne umzugehen verliehen hatte, und der in Sachsen geboren war, ist der Erste gewesen, welcher die Meldorfer gelehrt hat, Kartoffeln zu essen; und nun sind sie die vornehmste Nahrung des gemeinen Mannes.