Swinemünde

Swinemünde ist das Seebad von Berlin wie Scheveningen vom Haag, Dieppe und Boulogne von Paris. Obwohl es etwa dreißig Meilen von Berlin entfernt liegt, so kann man doch mit Schnellpost und Dampfschiff in vierundzwanzig Stunden da sein. Nächst den Berlinern sind natürlich die Pommerschen Leiber vorherrschend in diesem Seebade, auch die Schlesier, tief eingekeilt ins Binnenland, wenden sich meist hierher, wenn sie Meereseinflüsse brauchen. Was weiter nach Westen in Deutschland liegt, sucht die Nordsee.

Wie das Volkslied sagt „es fiel ein sanfter Regen,“ als wir ans Land stiegen, der Schöneberger verließ uns brüske ohne Abschied, der Postbeflissene schüttelte sich, und vertraute mir, es sei ihm noch so jämmerlich zu Mute, dass er sich gleich zu Bette legen müsse, und nicht einmal ins Gesellschaftshaus kommen möge. Dies Gesellschaftshaus liegt wenige Schritte abgesondert von der Stadt, aristokratisch allein, einige hundert Schritte vom Landungsplatze und diesem gegenüber. Es ist der Mittelpunkt fashionabler Badewelt, und auf ganz stattlichem Fuße eingerichtet. Man findet Mittags dort eine große table d’hôte, und Abends Gesellschaft, die sich mit Essen, Trinken, Spiel, Musik und Tanz unterhält.


Ein Schiffer wies mich mit Gepäck und Wohnungsgesuch an sein reizloses Weib, und wir stiegen am Bollwerke hinab auf festem feuchtem Sande — dieser solide Dünensand vertritt hier die Stelle des Pflasters. Eine lange artige Reihe Häuser mit der Aussicht auf den inneren Hafen, welchen die Swine bildet, zieht sich im stumpfen Winkel an diesem Quai hinunter, langsamen Ganges fast eine kleine Viertelstunde einnehmend. Hinter dieser ersten Reihe finden sich noch zwei, drei Straßenschichten, und diese nicht unbedeutende Masse, hinten an ein Wäldchen und an Sandfläche gelehnt, bildet Swinemünde. Vom Meere ist nichts zu sehn.

Es war in den letzten Tagen des August, und ich konnte annehmen, dass die Wohnungen bereits zum größten Teile verlassen seien; suchte mir also die hübscheste mit einem Treppenaufgange und breit rankenden Pfirsichbäumen geschmückte Villa aus und trat hinein. Da fand sich denn auch eine sehr noble Wohnung. So saß ich denn bald eingerichtet im großen Zimmer einsam und allein, und wie es zu gehen pflegt, wenn man sich auf einige Zeit in neue Räume und neue Zustände einsetzt, das ganze Leben mit seinen tausend Anfängen und Versuchen tritt wie eine Summe vor die Seele. Man übersieht wie eine fremde Geschichte die kleinen und großen Wehen, die uns nahe getreten sind, und für welche wir kein glücklich Ende zu hoffen wussten, oder gar kein Ende; alle die Lagen und Verhältnisse, für welche unsere Phantasie das Bunteste, Kühnste komponierte, alle die außerordentlichen Wünsche, die wir für unser verborgenes Privatglück erzogen, deren Erfüllung uns für unmöglich galt — Alles das übersehen wir und lächeln, als ob das Alles klein und unbedeutend gewesen sei. Zusammengeschrumpft ist es in die Jahre vertrocknet. Von geheilten Schmerzen entdecken wir kaum noch die Narben, und wundern uns höchlich, wie das hat quälen können; das Bunteste und Kühnste ist geworden; nur weil wir’s auf andern Wegen, als uns vorschwebte, erreicht haben, sieht es nicht mehr bunt und kühn aus; Werken unserer stolzesten Phantasie sind wir so nahe gekommen, um sie als unwesentlich, unhaltbar nicht mehr zu begehren. Und doch erkennen wir schmerzlich — der Schmerz hat eine sichre, ewige Jugend — dass sich Anderes geöffnet hat von Wünschen und Perspektiven, und dass wir fortringen werden bis zur Bewusstlosigkeit. Diese luftgraue Ewigkeit des Lebens taucht auf wie der alte Chronos mit grauem Wellenbarte vor unsrer Seele — ich hatte die Fenster geöffnet, es regnete leise draußen, die weißen Rahen der Schiffe leuchteten aus dem Hafen; links und rechts, wo noch Badegäste wohnten, klang Gesang und Saitenspiel, frische Mädchenstimmen flogen wie Vögel durch den dunklen Abend. Und all das Menschliche rings um Dich her hat auch solche Geschichte, hofft und zweifelt und erlebt die Zeit, und hofft und zweifelt weiter, und Alles sucht das Glück, und findet Etwas, und stirbt darüber.

Unruhiger ward der Regen, Wind und Sturm erhob sich von der Meerseite her, bald hörte ich das Brausen und Toben der See, die nördlich hinter Swinemünde an die deutsche Küste pocht. Dazwischen klang zu meinem Erstaunen ein gedämpftes polnisches Lied: vier bis fünf Gestalten, dicht von Mänteln verhüllt, strichen schattenhaft durch den Regen vorüber — wie auseinander gerissene Atome fliegt diese Nation mit ihrem Weh in Europa umher, überall begegnet man ihr. Der Sturm verschlang ihre leisen Stimmen, der Regen rauschte, kalt wehte es aus dem Wasser herüber, ich schloss das Fenster, und horchte im Bett dem Toben weiter — vielleicht, dachte ich, ringt ein Schiff draußen auf Tod und Leben mit diesem Wetter, während Du ausruhst von Reise und Drang; das ist die Welt.

Am andern Morgen derselbe graue Regentag, von dem alten Schifferweibe geleitet, welche die Reisetasche und den Regenschirm trug, schlich mit fest umgeschlagenem Mantel der Postbeflissene trübselig vorüber, um sich wieder einzuschiffen und seinen Genuss von Swinemünde heimzuführen unter die Briefbücher.

Als der Regen etwas nachließ, wollte ich das Meer suchen gehen — ein oberflächlicher Bekannter, oberflächlich für mich und für sich, mit dem ich Gott weiß in welches Herren Land Wein oder Kaffee getrunken hatte, begegnete mir, und suchte mich zu orientieren.

Fast vor allen Häusern in Swinemünde sind kleine Leinwanddächer, sogenannte Marquisen, angebracht, die Sonne mag vom Wasser und Dünensand arg zurückprallen, und schattende Bäume fehlen — unter solchem Dache saß ein weißgekleidet Mädchen, ihre dunklen Haare hingen aufgelöst über Schultern und Rücken, ihre Hände waren in den Schooß gelegt, sie sah unverwandten Blickes über die kleine fichtenbewachsene Landzunge nach dem Haff hinaus, wo vor wenig Stunden die Rauchsäule des Dampfschiffes verschwunden war. Was will diese weiß und schwarze Desdemona-Romantik hier im gesunden, sandigen Pommerlande und bei diesem Regenwetter?

Das aufgelöste Haar hätte mich nicht verwundern sollen, alle Damen tragen es nach dem Seebade so, und man sieht sie links und rechts in dieser Manier, als ob Scipio vor Carthago läge, und die Frauenhaare zu Bogensehnen dargebracht würden, wie dort geschehen sein soll. Auch baden die Damen Sturm und Wetter zum Trotz viel hartnäckiger und beständiger als die Männer — Weiber fürchten die Idee der Gefahr mehr als wir, aber der Gefahr selbst stehen sie entschlossener; und was sie angefangen, treiben sie konsequenter zum Ende, vielleicht schon darum, weil es der Formel gewordene Glaube ihnen nicht zugestehen will. Offenbar gibt es viel mehr treulose Männer als Frauen, wenigstens ist der Mann öfter untreu als das Weib — fragt unsre Liebeshelden aufs Gewissen; sie wechseln schon mehr, weil es bei ihnen leichter und spurloser geschehen kann, bei der Frau macht es mehr Eklat, und darum bemerken wir's öfter, und man zählt nur das, was bemerkt wird.

Mit diesem weißen Mädchen hatte es aber eine andere Bewandnis. Noch vor einem Monate war sie ein heiteres, lebensfrohes Kind gewesen, und ein schöner Kavalier hatte sich um ihre Gunst beworben, und sie erhalten. Man fragte, ob sie sich verloben würde, dazu lachte sie. An einem sonnenhellen Abende hatte sie mit dem Kavalier unter der Marquise gesessen, das Dampfboot kommt an, und das Mädchen sagte: Dort kommt mein Schatz; der Kavalier küsst ihr die Hand und fragt: Soll der erst kommen? Die Passagiere ziehen mit ihrem Gepäck vorüber, um Wohnungen zu suchen, einer von ihnen ein junger stattlicher Mann, betrachtet stehen bleibend das Paar durch seine Lorgnette, und es ist ihm anzusehen, dass er die Dame interessant oder schön findet; er beordert die Schiffsfrau, mit dem Gepäck vorauszugehen, und zum Erstaunen des Paares tritt er unter die Marquise, sagt dem Herrn: „Ich heiße Soundso, haben Sie die Güte mich der Dame vorzustellen,“ er setzt sich neben sie, erzwingt mit großer Geläufigkeit ein Gespräch, sagt ihr die unumwundensten Artigkeiten, ja Liebeserklärungen, und veranlasst am Ende den begünstigten Kavalier, der nichts zu sprechen, keine Teilnahme in Anspruch zu nehmen findet, von dannen zu gehen. Das Mädchen, mutig und mutwillig, hat solcher Eigenschaften wegen die Partie nicht ergreifen wollen, welche der Kavalier bei der Zudringlichkeit des Fremden erwarten mochte. Er geht also, dieser bleibt, sein Ton wird dreist wie Romeos, den er zu seinem Gewährsmann aufführt, aber auch so fesselnd, dass die Dame nicht zum ernstlichen Abweisen gelangen kann — er kommt Mittags wieder, kommt Abends, Tag für Tag, und jedes Kommen ist ein Sturm. Der Kavalier, nicht einmal zu einer Verteidigung gelassen, ist verdrängt, reist ab, man fragt die Dame wieder, ob sie sich verloben werde — sie schweigt, sie hat den schönen Fremden den ganzen Tag nicht mehr gesehen. Des Morgens, als das Dampfboot zur Abfahrt fertig gewesen, ist er in demselben Rocke, den er an jenem ersten Abende getragen, vorüber gegangen, er hat nur gefragt, wie es ihr ginge, und ob sie ihn noch liebe, und ist lächelnd fürbaß geschritten. An diesem Morgen war er abgereist, und das Mädchen hat nichts mehr von ihm gesehen und gehört. Ihre Wangen sind noch rot, die schwarzen Augen noch glänzend, wenn auch nicht so glänzend wie früher, nur ihre Munterkeit ist hin, und sie starrt oft nach dem Haff hinaus wie jetzt, es gehen auch nicht mehr viele Leute, besonders wenig Damen mit ihr um. Das arme Mädchen soll von ihrer Mutter sehr gescholten und hart behandelt werden. —

Freilich ist es den Leuten stets interessanter, die Verwüstungen eines Schlachtfeldes, Unglück und Elend zu lesen, an dessen Mitempfindung sie nicht vorüber können, weil es turmhoch im Wege liegt, oder schreit. O, seht mitunter auch die kleinen Blumen an, unter deren Kelchblatte der schlimme Wurm nagt. Was war denn das für ein Wurm, den wir da gesehen? Die Dreistigkeit verwöhnter Kräfte, durch steten Erfolg, durch freche Erziehung verwöhnter Kräfte, oder die Waffen- und Schutzlosigkeit des Weibes?

Ich bat meinen Begleiter, nicht zu anatomieren, und mir den Weg nach dem Meere zu zeigen. Dem fernen Donnern nachgehend, kam ich in ein Wäldchen, welches drei Schritt hinter Swinemünde beginnt, und bis an die Dünen geht. Man nennt es Plantage — der Name zerstreute mein Interesse, und führte mich in die Jugendzeit zurück, nach Glogau aufs Gymnasium, und auf die dürren Spaziergänge um die Festung, wo wir uns von der Wenck'schen Grammatik erholten. Da war eine grüne Gartenanlage, viel schattiger denn Alles ringsum, mitten drinnen stand ein Kaffeehaus von Baumrinde, da saßen die Honoratioren, rauchten Tabak und erholten sich ebenfalls — das Ganze hieß die Plantage. Wir kleine Brut durften uns nicht hinein wagen, und lauschten und kuckten heimlich über den niedrigen Zaun, die vornehmen Mädchen in schönen Kleidern anstaunend, seufzend und weiter springend. Die vornehmen Leute haben's doch gut, sagten wir, und besonders die Mädchen, sie brauchen keine Vokabeln zu lernen, überhaupt nichts zu lernen, hübsch sind sie ja von Natur alle. —

Die vornehmen Leute waren Rendanten, Lieutenants und Capitains, Kanzlei-Inspektoren, Gymnasiallehrer — jetzt konnt' ich viel vornehmere Leute haben, und sie interessierten mich nicht — das Verhältnis ist Alles, Alles liegt nur in uns, alle Färbung, aller Reiz, draußen ist Alles, und draußen ist nichts. Mit aufgelöstem Haare fuhren schöne Mädchen an mir vorüber — was kümmerte mich's! Es war kein Glaube in mir, kein Vertrauen, gereizt zu werden. —

Man sieht, es war eine ganze Gegend des Schönebergers wie ein braunes Moor mit Heidekraut in mir aufgeblüht. Dann hofft man töricht auf Masseneindrücke, ich dachte: das Meer wird Dich zwingen.

So kam ich an die Dünen. Das sind kleine Sandhügel, drei, vier, fünf Schritt hoch, welche das Land vom Meere scheiden. Sie haben den schönsten Streusand, und sind offenbar für die Kanzleien und Sekretäre geschaffen; traurig, halmartig vereinzeltes Struppgras sprießt aus ihnen, so dass sie ganz das Ansehen eines alten, grauen Mannskopfes gewähren, der schlecht barbiert ist.

Es ist einzugestehen, dass die See viel zu tun hatte, wenn sie auf einen so Vorbereiteten, dermaßen Profanen erklecklich Eindruck machen wollte. Ich trat auf die Dünenspitze — Meer! Ostsee! Schwarzgrün, mit weißem Schaum bedeckt, kam sie daher, als wollte sie weit hinein ins Land, wenigstens bis Angermünde oder Neustadt Eberswalde, hielt aber still an dem ebenen Sandufer, noch eine ganze Strecke jenseits der Dünen. —

Von Ewigkeit, von Unendlichkeit, von Menschenkleinheit, von wüster Absolutheit sollt' ich durchdrungen sein, das gilt für die kourante Art, wie man empfindet beim Anblick des Meeres, und wer dergleichen Empfindung nicht zur Hand hat, das ist ein verwahrlostes Geschöpfe. Ja, ich war ein verwahrlostes Geschöpfe, aber ich trug die Schuld nicht allein, sondern der Schöneberger und die Ostsee selber.

Der Schöneberger nämlich ging am Strande spazieren, um erquickende Seeluft zu genießen, hatte sich aber gegen etwaige Erkältung dermaßen in Pelzmütze, Mantel und Wasserstiefel eingepackt, dass schier allein die gesunde Schnupftabaksnase der Seeluft teilhaftig, werden konnte. Und die Ostsee war mir zu geniert um einen überwältigenden Eindruck ohne Weiteres auf mich zu machen. Rechts laufen die sogenannten Molen ein langes Stück hinaus ins Meer, an deren Spitze der Leuchtturm, links tritt die Küste mit den roten Dächern von Heringsdorf auch ein wenig vor, aufdringlich für das Auge — was den Eindruck der Unermesslichkeit betrifft, da ist das Meer nur Meer, wenn man eben nirgends einen Maßstab sieht. Sobald man wegdenken, hinzudenken muss, da ist eine kombinierende Tätigkeit von uns in Anspruch genommen, und die unmittelbare Illusion ist gestört; Illusion ist eben etwas Unmittelbares.

Weiß ich doch, wie es mir mit Venedig ergangen ist: eine Wasserstadt fand ich, aber Meer, Meer, das Meer der Dichter suchte ich umsonst. Dann, als ich des Morgens auf dem Schiff erwachte, das mich nach Triest trug, und mit dem grau dämmernden Tage auf das Verdeck kletterte, und nichts erblickte als Himmel und Wasser, da fiel der Göttergedanke des Meeres wie eine neue Welt auf mein Herz, da sah ich mich Aug in Auge mit der ewigen Gottheit, eine Menschenflocke mit ohnmächtigen Gliedern und einem allmächtigen Geiste, einem Geiste, der sterben kann still und fest — das war Meer. Auch die rot aufgehende Sonne wohnte nur im Meer, und sah nichts als Meer. Alles war Meer — der Vogel, den man sieht, braucht keinen Zweig, um darauf auszuruhen, er schläft auf der Woge; dann ist es eine selbstständige, ungeheure Welt, die mit ihrer ganzen Masse uns befängt, weil wir allein nicht hinein gehören.

Wenn ich links und rechts Land sehe, wie hier auf einer Düne bei Swinemünde, wer bürgt mir denn dafür, dass da hinten der Wasserhorizont meeresweit hinausreiche? Kann nicht gleich dahinter Land sein? Muss ich denn der Landkarte aus dem geographischen Institute zu Weimar glauben? In Weimar kann man sich ja auch mal irren. Meer ist nur das Zweifellose; was ich vor mir sah, war nicht die See, sondern nur die Ostsee. Aber auch eine bloße See, eine mediatisierte, die keine Souveränität besitzt, hat ihre großen Reize: ich habe doch stundenlang an ihr gesessen und ihrem einförmigen Treiben zugesehen, und gefühlt, wie sehr man sie lieben kann. Aus dem Philistertume, den kleinen Verhältnissen und Bewegungen, aus der trivialen Duodezwelt ist man gerettet, die uns mit Nasenstübern tötet, dem ächten, ursprünglichen Pulsschlage der Schöpfung ist man näher — da, mit den Meereswogen kommt nichts Verbrauchtes, Destilliertes, nur Elementarisches bewegt sich, was direkt aus Gottes Schooß entsprungen ist; der Meeresstrand ist das schönste und größte Kämmerlein, wo nichts Gemeines stört. —

Unter die Badehütten, welche vor mir lagen, hatte sich aber zu abscheulicher Ironie ein kleiner hoffnungsvoller Pommerknabe geflüchtet, um den Gesundheitsgöttern sein Frühopfer zu bringen, der Bademeister, welcher so etwas wittern mochte, umkreiste die Anstalt und überraschte den offenen Pommeraner in Flagranti — es sollte mir heute auch keine Gedankentäuschung verstattet sein.

Die vor mir liegenden Hütten sind nun das, was man ein Seebad nennt: auf hölzernen Stegen findet sich ein Quantum Kammern zum Auskleiden, und offene Stege führen etwas weiter ins Meer hinein; in weiße Tempelherrenmäntel gehüllt wandeln die Entkleideten da umher, bis ihnen der Moment kommt, hineinzuspringen. Kränkere, oder die sich sonst mehr separieren wollen, finden zwei große Badekutschen, das heißt mit Leinwand überzogene, auf 4 Rädern stehende Kasten; diese sind schön so weit hineingeschoben in See, dass man von ihnen aus gleich in ein genügende Tiefe des Wassers steigen kann. Wer bei mangelndem Wellenschlage das Wasser stürmischer auf den Leib oder auf bestimmte Teile des Leibes haben will, den versehen Badediener mit genügenden Kübelstreichen, das heißt sie versetzen ihm aus ledernen Kübeln, die etwa wie Feuereimer aussehen, so geschickte Wasserstreiche, als man nur verlangen kann. In der See selbst ist Hauptsache, die heranbrausenden Wellen da aufzufangen, wo sie sich am stärksten brechen. — Das ist alle Verrichtung und Wissenschaft eines Seebades.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Reise Novellen von Heinrich Laube, Teil 7