Bis Swinemünde

Stettin ist zu großer Wichtigkeit erhoben worden, da es der Hauptort des Ausgangs und Eingangs für die preußische Schifffahrt ist. Die Zeiten der Hanse sind vorbei, wo Danzig eine Rolle spielen konnte, jener abgelegene Teil der Ostsee mit den kärglichen Beziehungen zu Russland, dem Verkehre mit Tran und kleinen Kaviarfässchen ist eben ein abgelegener worden. Es ist von da keine kourante Straße ins Herz des Landes, die Weichsel verirrt sich zu weit nach Osten, der Landweg ist zu weit und zu teuer, jene altpreußischen Provinzen sind durch zufällige Konstellationen viel unbedeutender, und für eignen Markt viel unwichtiger geworden, als sie es einmal gewesen sind. Stettin aber hat die Oder, den rein preußischen Fluss, es grenzt näher an England, an dieses Alpha und Omega alles dessen, was Geld, Erwerb und Handel heißt. Stettin ist der erste Seeort Preußens, obwohl es gar nicht an der See liegt. Bald hinter der Stadt dehnt sich die Oder ins Haff aus, und mündet im Hauptarme Swine ins Meer. Sie ist glücklicherweise bis Stettin so tief, dass sie große Schiffe trägt, und am Bollwerke von Stettin sieht man Fahrzeuge von allen Kalibern. Freilich müssen die schweren einen Teil ihrer Ladung vorher auf die sogenannten Lichter schaffen; indessen hat das ungeheure Werk schon lange begonnen, allmählich ein so tiefes Fahrwasser zu gewinnen, dass dies Ausladen oder Lichten erspart werde. Zu dem Ende arbeiten die Bagger Tag um Tag — dies sind plumpe, breite Fahrzeuge, in welchen eine Dampf-Maschine stöhnt, und an beiden Seiten eine Reihe kupferner Kessel in Bewegung setzt. Diese scharf geränderten Halbkessel schneiden in den Wassergrund ein, schöpfen sich damit voll, steigen wieder auf, schütten den Sand in den Schiffsleib, gehen dann von Neuem hinab, und vertiefen auf solche Weise den Grund. Man sieht dieser teuren Instrumente von Stettin bis jenseits des Swinemünder Hafens mehrere, und es steht zu erwarten, ob die Natur den Baggern weichen wird.

Ich hab mir dies Oder- und Swine-Seewesen mehr wie einen Dilettantismus vorgestellt, hab' aber doch viel mehr gefunden, als ich erwartet hatte. Stettin hat einen sehr respektablen Wasserverkehr, und Teer und Masten, gekauter Tabak und Warentonnen, Matrosenlärm und kräftiger Geruch sind in Genüge zu finden, wenn man von der obern Stadt nach dem Wasser hinabsteigt.


Die Pommern und Stettiner sind sehr stolz auf Stettin, und finden es sehr schön gelegen und mit schöner Gegend umsäumt — das hügelige Terrain am Wasser ist auch wirklich für diesen sonst magern Teil unsers Vaterlandes ganz artig; objektiv betrachtet ist es freilich nicht viel. Frauendorf, ein am Bergeshange seitwärts des linken Oderufers gelegenes Örtchen ist der besondere Stolz Stettins. Die Verleumdung sagt, es laure ein fanatischer Stettiner an der Luisenstraßen-Ecke dicht bei der Post allen Reisenden auf, und falle sie meuchlings mit dem Vorschlage an, Frauendorf zu sehen, um jeden Preis Frauendorf zu sehen.

Unweit Frauendorf liegt eine Villa auf dem Hügel dicht in Bäumen, und ich muss gestehen, dass dies der einzige Punkt gewesen ist, der mir einen Reiz gewährt hat. Wenn man in solcher Gegend lebt, dann mag es recht und notwendig sein, sich die vorliegenden Gaben so günstig als möglich ins Auge zu stellen; in jedem Kreise lassen sich auch wohl Verhältnisse auffinden, die uns behaglich sind, es mag auch dies gar nicht so schwer sein bei dieser Gegend, aber ohne Weiteres will ich nicht zu den Stettinern stimmen. Wenig Farbe, bis auf das melancholische Grün des Flussufers, das so niedrig ist, dass der schmale Fluss jeden Augenblick in unserm Glauben überlaufen kann, gleich einer Suppenmasse in grün glasiertem Topfgeschirre, keine Gruppierung, ungleiche, fast immer unbequeme Temperatur vom Wasser her — nur wenn man lange Zeit keine weckende, schwunghafte Gegend vor Augen gehabt, wenn man lebhaft dessen eingedenk bleibt, es sei ein nordisches, weniger zeugendes Klima ringsumher, nur dann streift man mit „O ja, hem, hem, ganz artig“ durch all diese nördlichen Partien. Die rücksichtslosen Lobpreise! haben ihnen freilich am meisten geschadet.

Stettin ist bis jetzt die einzige Stadt in Preußen, welche eine Statue Friedrichs des Großen besitzt — hatten die Engländer doch lange Zeit Shakespeare vergessen, und Garrick musste ihn aufwecken.

Es ist ein Bild aus weißem Marmorsteine, auf einem hübschen Paradeplatze aufgestellt, welcher davon „der weiße“ genannt wird. Überhaupt lehrt es hier jeder Schritt, dass Preußen seinen markigsten Kern in diesem Pommerlande besitzt — ein einfach, treues und der tüchtigsten Aufopferung fähiges Volk sind diese Pommern. Braucht nicht nach entfernten Gebirgsländer zu reisen, um offene Biederkeit zu suchen, ohne Affektation haben die Pommern alle Tüchtigkeit der Tiroler — die Gesinnung dieses Volksstammes im Ganzen, im Durchschnitte hat mir einen durchweg lieben, überaus wohltätigen Eindruck gemacht. Mag es einige Beschränktheit abgeben, mag Spekulation ein ganz wo anders herkommendes Wort sein, das Herz behält doch ewig seine Macht und Rechte, und das Herz erhält die besten Eindrücke unter den einfachen, redlichen Pommern. Dass dieser Eindruck gehoben wird durch das Äußerliche dieses Volksstamms, durch die kräftigen, tüchtigen Leiber, die vorherrschend wohlgebildeten Gesichtszüge, durch den allgemeinen gesunden Anstrich der Generation, das ist natürlich und eine Bezeichnung mehr.

„Haben Sie Löwe gehört? haben Sie die neue Börse gesehen, — nicht wahr, der schlechte Platz dafür blamiert uns auf 150 Jahre und länger? Sind Sie in Frauendorf gewesen?“

Diese Fragen, Stettiner Fragen, die jedem Reisenden zukommen, der einen Frack besitzt, waren vorüber, und ich schwamm auf dem Dampfboote die Oder hinab, vorüber an den unzähligen Schiffen und Kähnen, Holzplätzen, kleinen Fabriken und sonstigen Betriebsamkeiten, die der Philister Handel und Wandel nennt, nach dem Haff hinaus. Hier hat man eben zur linken Seite etwa eine Viertelstunde vom platten Ufer jene kleinen Hügel, den Stolz Stettins, wo Frauendorf des Bewundertwerdens harrt, hier kommt auch jene Villa, deren ich oben gedachte. Ein stattlich italienisch Haus, reich und gestaltig von Bäumen umgeben macht sie allein jenen Eindruck, den man reich nennen dürfte, und der im Allgemeinen hier vermisst wird. Sie gehört auch einer reichen Wittwe, bei der die angenehmste, bedeutendste Gesellschaft, also auch wirklich reicherer Lebensreiz zu finden sein soll. Der bekannte Komponist Löwe ist öfters in der Woche hier anzutreffen; seine Stellung in Stettin ist die eines Organisten an der Jacobikirche, seine Stellung in der musikalischen Welt eine fast einzige; der Übergang vom Poeten, welcher mit Worten und Gedanken den bewussten Menschen bewegen will, zum Musiker, der mit Ausdrücken wirkt, welche Empfindungskräfte berühren, Empfindungskräfte, deren die Geistesoperation nicht habhaft werden kann, — mit Tönen. Löwe steht mitten inne: seine Kompositionen haben noch so viel Geistesoperation des Poeten, dass die Musik nur ein Begleitendes, Untergeordnetes wird, und doch so viel des Eindrucks aus der geheimnisvollen Tonwelt, dass der bewusste Weg des Poeten umschleiert ist. Man sollte ihn vorzugsweise statt Musiker — Komponist nennen; er stellt zwei große Welten zusammen, und ist mehr ein Spekulant, als ein Talent. Das hier vermisste musikalische Genie, ist freilich bei den meisten Musikern nur ein Instinkt, der nur im musikalischen Elemente eine Existenz hat, und sein Verhältnis zur übrigen Welt nicht versteht, wer will aber etwas sagen gegen solche Kapricen der Gottheit, man nimmt sie hin wie eins der vielen Mysterien, in denen wir weben, und vergisst es gern, dass der unser Innerstes bewegende Musiker außer seiner Kunst ein Dummkopf sein könnte.

Die überwiegende Richtung nach Goethescher Poesie bei Löwe ist aus Obigem erklärt, und dass er die Musik nur als eine Hilfskunst betrachtet eben daher. Diesem Nationalismus der Musik steht als barer Gegensatz Mendelssohn-Bartholdy gegenüber, welcher die musikalische Welt als eine vollkommen selbständige geltend machen will, und Lieder ohne Worte schreibt. Dies gilt bei Löwe für baren Unsinn; ein solcher Vorwurf müsste aber dann freilich alle bloße Instrumentalmusik treffen. Ich glaube, wir werden wohl daran tun, uns beider Weisen zu erfreuen, bis einmal ein großer Geist die Geheimnisse der musikalischen Kunst definiert, und wir dann paragraphenweise dartun können, was unser Herz bewegen soll, was nicht.

Löwe selbst soll ein einfacher, bedeutender Mensch sein, der sich wie die meisten derartigen Figuren mehr in kleine Kreise und wenig Menschen zurückzieht. In der Tat gibt es wenig Anlagen zu innerlich bedeutender Wirksamkeit, welche nicht eine Konzentrierung auf einzelne Menschen nötig machten; in dieser Gedankenrichtung liegt wohl auch die Monogamie, es liegen darin die gerechten und ungerechten Vorwürfe gegen den kargen Goetheschen Umgang.

Gesellige Genies werden selten historische.

Wo der schmale Oderfluss aufhört, diesen Namen zu tragen, wo sich die Wasserfläche zuerst mehr ausbreitet, da wird es Papenwasser genannt; ist es zum weiten, kaum übersehbaren See ausgedehnt, dann heißt es Haff. Hier beginnen schon meerartige Erscheinungen: die kartoffelfesten Landbewohner werden mitunter seekrank, hier und da erblickt man einen Heineschen Vogel, eine Möwe. Dieser Vogel ist wirklich durch ihn und seine Gedichte zu einer anständig und allgemein honorierten poetischen Figur geworden. Ich zog mich indessen in die Kajüte zurück, um mir den Meeresgenuss nicht durch diese Haffanfänge verkümmern zu lassen.

Dort in der Kajüte saß im Winkel, abgewendet von aller Welt, ein Bekannter aus Berlin, der mich nur etwa des Jahres einmal erkannte, ein Muster-Hypochonder, der sich darin von den gewöhnlichen unterscheidet, dass er sich seit mehreren Jahren für hergestellt ansieht und ausgibt. Ich befinde mich außerordentlich wohl, pflegt er zu sagen, wenn er etwas sagt, seit ich nux vomica brauche, außerordentlich wohl.

Die erste Pflicht, die man jedem Hypochonder zu erweisen hat, besteht darin, ihn nicht eher wirklich zu kennen und anzureden, als bis man deutliche Anzeichen hat, er wolle es selber. Dass er antworten, auf etwas eingehen, sich betrachtet sehn muss, das ist ihm bereits eine gewaltige Anstrengung, deren er Kräfte und Nerven nicht immer fähig fühlt. Stumm neben jemand sitzen, der ihm nicht stockfremd ist, macht ihm schon Arbeit und Mühe, denn der neben ihm Sitzende ist ja doch der stumme Gläubiger eines Gespräches. Jede Nähe nimmt in Beschlag; das empfindet der Hypochonder bis in die feinsten Nuancen — wer nie hypochondrisch gewesen ist, kennt das feinste Gewebe von Kombinationen gar nicht, dessen der Mensch fähig ist.

Mein Schöneberger — in Schöneberg bei Berlin hatte ich mit ihm Kegel geschoben, als die nux vomica in glänzendster Blütenwirkung bei ihm stand — schien keinen ganz schlechten Tag zu haben, obwohl er im Winkel saß; es war zwar nicht der kleinste Buchstabe in seinem Gesicht, als ob er mich jemals gesehen; aber ich sah schärfer, seine Augenlieder verrieten mir, dass es heute seine Hypochondrie erregen würde, wenn ich ihn ignorierte. Diese Gegensätze liegen einmal in dem Zustande: jetzt um keinen Preis gekannt sein, im nächsten um jeden Preis, weil man sonst Verachtung, Feindschaft, im Stillen schleichende Intrige und alles Schlimme dahinter tragen kann. Kurz, sein linkes Augenlied sagte mir: heut will ich gegrüßt sein, und dann werd' ich mich besinnen, wo wir uns gesehen haben, und dann werd' ich nach einiger Zeit Schöneberg erraten mit dem Kegelschieben, und dann werd' ich sehr lächeln.

So geschah's. Er wollte nach Kopenhagen reisen — Brechmittel haben etwas Vehementes, sagte er, obwohl sie eine vortreffliche Erschütterung des Organismus erzeugen, eine gelinde Seekrankheit muss ausgezeichnet wirken, ich hoffe darauf — den Ocean hab' ich erschöpft, die langen ungeschickten Wellen vermögen nichts mehr über meinen Magen, aber ich hoffe noch Alles von den kurzen, unregelmäßigen Stoß-Wellen der Ostsee —

Sie fahren also bloß nach Kopenhagen, um —

Bitte ergebenst, der Herr hinter Ihnen wünscht Sie zu sprechen — pah!

Ein richtiger Hypochonder lässt große Zwecke niemals bei ihren blanken Namen nennen.

Der Herr hinter mir wollte L’hombree spielen; und da es auf dem Verdecke etwas Regen warf, so ließ sich nichts dagegen sagen, der Herr schlug aber dermaßen hohe Sätze der Points vor, dass ich so lange äußerst erstaunte, bis ich mit einigem Detail dieses Herrn bekannt wurde. Er war nämlich bei der Post angestellt, und hatte nur drei Tage Urlaub, drei Tage Urlaub sind aber in einem Postofficiantenleben schon eine so außerordentliche Seltenheit, dass während derselben alles mögliche Außerordentliche versucht wird — ist's schon gefährlich, mit einem Commis zusammenzutreffen, der nach vierzehn Tagen oder gar drei Wochen seinen Sonntag-Nachmittag hat, so kann die ganze Existenz aufs Spiel kommen bei einem Postofficianten, der nach so und so viel Monaten einige Stunden Urlaub hat. Alles an Wagnis und Genuss soll da zusammengedrängt werden, was sich klein, einzeln, unscheinbar in unserem stets offen stehenden Leben herausmacht und verliert.

Der Hypochonder lächelte zum L’hombre: Kartenspiel kümmert sich um Nachbarn und Zuschauer nicht, der Nebensitzende ist leicht beschäftigt, und doch nicht in Anspruch genommen, bleibt stets ein Freiwilliger. Dieser Zustand ist das Ideal eines Hypochonders. Er flüsterte zuweilen seinen Lieblingsspruch: „das Leben ist wenig, das Leben ist blutwenig“, und daran war zu erkennen, wie vortrefflich er sich befand, denn der eigentlich schlimme Hypochonderzustand hat keine Worte.

Wir waren mitten im riskanten L’hombre, als der Postofficiant erfuhr, das Dampfschiff gehe am andern Morgen schon wieder von Swinemünde ab, dann pausierte es zwei Tage, ehe es wieder ankäme und abführe. Dies war gegen den Plan seiner dreitägigen Ferienzeit, und er war nun genötigt, des andern Morgens wieder zurückzureisen, wenn er zur rechten Zeit hinter'm Brieffenster sitzen wollte. Dies machte ihn noch verwegener, und er passte gar nicht mehr, sondern entrierte jedes Spiel, um die Zeit auszubeuten — die Situation mochte den Hypochonder amüsieren, er flüsterte immer lebhafter: das Leben ist wenig!

Da wechselte, die Szene: der Postbeflissene vollendete die stehende Formel „ich entriere“ nicht mehr, die Karten entsanken seiner Hand, er neigte sein Haupt — das Haff war unruhig geworden, und stieß unser Schiff heftig in die Rippen, Neptuns Opfer begannen ringsum — mit dräuender Miene blieb nur der Hypochonder aufrecht sitzen — jeder Lump wird seekrank, sprach er vor sich hin, nur ich nicht.

Man erzählt, dass alte, ausgepichte Matrosen, lebenslange Indienfahrer, denen der Ocean die Magenheiterkeit keinen Augenblick trübt, dass diese Autoritäten des Schönebergers auf dem Haff und der Ostsee krank werden wie Landratten; ich machte die entsprechende andre Erfahrung: auf dem adriatischen Meere straften mich die Meeresgötter in den ersten fünf Minuten, hier fühlte ich nur den Kopf ein wenig belegt. Da ich ausgestrecktes Liegen, besonders wenn der Kopf sich ebenfalls horizontal fügt, als probat erfunden hatte, so nahm ich eine Kajütenbank in Beschlag, und das stille Schaukeln, das gleichmäßige Ächzen und Stöhnen der Opfernden, der unverrückbar in der Mitte des Zimmerchens sitzende, vergebens den Meereszorn herausfordernde Schöneberger wirkten so einförmig, schläfernd auf mich, dass ich bald bewusstlos auf den Wogen schwamm.

Behält es nicht immer etwas tief Erschreckendes, wie unser Leben fortwährend an unermessnen Abgründen schlummert! Wir haben uns so hinein gelebt in die gröbsten äußerlichen Gesetze der Dinge und Kräfte, dass wir die Furcht vergessen, weil wir nicht mehr nachdenken. Es ist auch das Beste, da gar nichts zu fürchten, wo man Alles fürchten müsste — man denkt nicht daran, dass die See einmal senkrecht, aufwärts strömen könnte statt horizontal, dann verschlänge sie solch Dampfboot wie einen Tropfen, man schläft ein im unbewussten Vertrauen auf herkömmliche Gesetze.

Ich hatte lange geschlafen, aber der Hypochonder saß noch unverrückt dräuend da, ein kugelfester Held, um den rings Alles gefallen war — nicht seekrank? fragte ich — ein verachtendes Schweigen antwortete — die Ostsee machte mehr Wirtschaft, tröstete ich, und zum Zeichen des Empfangens solcher Tröstung pustete der Schöneberger.

Ich stieg aufs Verdeck — kalter Wind und Regen schmissen darüber hin; an der Backbordseite war ein Raum den Seebrüchigen angewiesen; Matrosen führten allerlei Kandidaten dahin, namentlich eine alte Stettinerin hatte fest wie an der Farobank Posto gefasst, mit beiden magern Händen den Rand des Schiffes haltend, und in gemessenen Pausen sich vom Sitze nach dem Wasser zu erhebend. Sie hat ihren Posten bis wir landeten unverrückt bewahrt wie der Steuermann. Eine Dame jüngerer Zeit verdeckte das Gesicht mit schönen weißen Händen, die Augen schienen geschlossen zu sein, sie regte kein Glied — der Postbeflissene, welcher sich herauf geschleppt hatte, kauerte nicht weit von ihr, und genoss in Angstschweiß gebadet seine Ferien. Kleine Hügel rechts vom Schiffe flogen dicht am Ufer vorüber, die Lebbiner Berge, noch weiter rechts zeigten sich die Vollmer, Swinemünde war nahe. Mittelmäßigen Geographen wird es bekannt sein, dass in der Schule gelehrt wird, die Oder bilde bei ihrem Ausflusse zwei Inseln, Usedom, oder vollständiger Uisedom und Wollin; heißt nun auch das Wasser nicht mehr Oder, und datiert es auch nur zum geringsten Teile von ihr, die Sache hat doch ihre ziemliche Richtigkeit, und als wir um eine kleine, mit Fichten sparsam bewachsene Landzunge gebogen waren, lag die östliche Ecke von Usedom vor uns, und darauf mit leuchtenden weißen und gelben Häusern Swinemünde. Es erinnert an die Landhäuserreihe, welche zwischen Padua und Venedig am Ufer der Brenta liegen. Von den vielen Kauffahrern im Hafen schallte jener monotone Matrosengesang, der uns noch zu sprechen geben wird; was noch von Badegästen in Swinemünde war, kam an den Quai, Bollwerk hier genannt, um das Dampfschiff landen zu sehn; dunkelnd fiel der Abend nieder; der Postbeflissene sah’s mit Schmerz; nur diesen Abend, den ihm die Nachwehen der Seekrankheiten füllten, war der stille Genuss seiner Reise, den andern Tag musste er fort; der Schöneberger erschien auf dem Verdecke und sagte „Pah!“
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Reise Novellen von Heinrich Laube, Teil 7