Rehbinder, Nicolai Graf (1823-1876) Beamter und Literat. Biographie

Allgemeine Deutsche Biographie Bd 27 (1888)
Autor: Brümmer, Franz (1836-1923) deutscher Lexikograph, Erscheinungsjahr: 1888
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Rehbinder: Nicolai Graf R. entstammte einer alten livländischen Adelsfamilie und wurde am 6. Dezember a. St. (18. Dezember n. St.) 1823 zu Reval geboren. Er erhielt seinen Unterricht teils durch Hauslehrer, teils auf der Ritter- und Domschule seiner Vaterstadt, trat im 17. Jahre als Junker in den russischen Flottendienst und wurde nach zwei Jahren Offizier. Nachdem Graf Rehbinder mehrere interessante Seefahrten im baltischen Meere und in der Nordsee, darunter eine mit dem Großfürsten Konstantin längs der finnischen Schären und eine nach Dänemark, mitgemacht hatte, trat er 1845 aus dem Seedienst und lebte nun einige Zeit als Gutsbesitzer und Landwirt in Estland. Doch gab er diese ihm nicht zusagende Beschäftigung bald wieder auf, zog als Privatmann nach Reval und trat 1848 in russische Zivildienste. Graf Rehbinder amtierte viele Jahre in Hapsal, einem Ostseestädtchen, daß als Badeort von den Bewohnern der benachbarten Provinzen und besonders von den Petersburgern während des Sommers gern besucht wird, nachmals in Libau, wo er 1860–61 die „Libau’sche Zeitung“ herausgab, während des polnischen Aufstandes 1863–64 an der russischpreußischen Grenze in Polangen und zuletzt als Beamter der baltischen Eisenbahn in Reval. Treu seiner Überzeugung und ein unermüdlicher Kämpfer für Aufklärung, Wahrheit und Recht, ist Graf Rehbinder hart vom Schicksal heimgesucht worden und hat schwer zu leiden gehabt, sowohl im Kampfe gegen alles Ultramontane und Feudale von seinen Standesgenossen, die ihn unerhört anfeindeten, als auch im Streit gegen die Korruption des Beamtentums in seinen Dienstverhältnissen; ja es gelang seinen Feinden sogar, ein ihm und seinen Kindern zustehendes Vermögen durch Erbschleicherei ihm zu entziehen. Alle diese Kämpfe spiegeln sich auch in vielen seiner lyrischen Poesien wieder und eröffnen erst das rechte Verständnis derselben. Als Dichter zeichnete sich Graf Rehbinder durch ein edles Streben, einen unermüdlichen Eifer und besonders durch Förderung junger poetischer Landsleute aus. In dem von ihm herausgegebenen „Baltischen Album“ (1848) und dem „Musenalmanach der Ostseeprovinzen“ (III, 1854–56) vereinigte er eine Reihe von jungen Poeten, von denen mehrere später eine achtungswerte Stellung in der Literatur einnahmen. Seine Berichte in der Zeitschrift „Das Inland“ über „Die belletristische Literatur der Ostseeprovinzen Russlands von 1800–1852“ (sep. 1854) bieten eine klare und erschöpfende Übersicht der literarischen Personen und Werke während jenes Zeitraums. Von Graf Rehbinder selbst besitzen wir folgende Sammlungen seiner Gedichte: „Blätter“ (1846); „Neue Gedichte“ (1848); „Seemanns Ende. Episches Gedicht“ (1849); „Vom Meeresstrande“ (1856); „Aus dem Innersten. Letzte Gedichte“ (1873). Von seinen Dramen zeichnet sich besonders „Rizzio, Trauerspiel in 5 Akten“ (1849) aus. Seit dem Jahre 1874 schwer leidend, suchte Graf Rehbinder vergebens Hilfe durch den Besuch deutscher Bäder, doch blieb ihm auch in seiner Krankheit die Muse noch treu und konnte er noch die Veröffentlichung seines letzten Werkes „Jesus von Nazareth, Trauerspiel in 5 Akten“ (1875) in Wiesbaden ins Werk setzen. In die Heimat zurückgekehrt, mußte Graf Rehbinder sich bald in Dorpat einer schweren, gefährlichen Operation unterwerfen, und an den Folgen derselben ist er am 31. August a. St. (12. September n. St.) 1876 in Dorpat gestorben.