5. Kapitel (Brown und Marion)

5. Brown und Marion.

Rowson war fortgeritten, um, wie er sagte, „das Wort des Herrn in einer andern Ansiedlung zu predigen,“ und Marion lehnte bleich und erschöpft in einem Sessel. Nur noch dann und wann stahlen sich einzelne große Thränentropfen über ihre Wangen hinab und rollten leise auf die zarten Finger nieder, die sie im Schooße gefaltet hielt; aber tiefer Schmerz sprach aus den sanften Zügen des schönen Mädchens. Harper, Roberts und Brown saßen am Kamin, in dem die Negerin wohl mehr der Gewohnheit, als der wirklich kühlen Luft wegen ein Feuer entzündete, und Mrs. Roberts stand neben ihrer Tochter und streichelte ihr das nußbraune Haar.


„Komm, Kind – laß das Sorgen und Träumen,“ sagte sie beruhigend zu dem Mädchen, „sieh, es ist ja Alles vorbei. Mr. Rowson kann den Männern auch heute unmöglich mehr begegnen, er hat ja eine ganz entgegengesetzte Richtung eingeschlagen – geh hinaus an die frische Luft, dann wird Dir besser – Mr. Brown begleitet Dich vielleicht und führt Dich ein wenig spazieren. Sieh, Du hast wirklich Fieber – wie erhitzt Du nun auf einmal wieder aussiehst – komm, komm – schäm' Dich doch, so ein großes Mädchen und weint.“

Marion hatte bei den letzten Worten ihr Gesicht an der Mutter Brust verborgen und schluchzte laut. „Nicht wahr, Mr. Brown, Sie führen das närrische Kind ein wenig in's Freie? Ich wollte wirklich, Mr. Rowson hätte heute bei uns bleiben können, aber freilich – der Dienst Gottes geht dem der Menschen vor.“

Brown war schon bei der ersten Andeutung, daß seine Begleitung erwünscht werde, aufgesprungen und näherte sich jetzt, etwas verlegen, der Tochter des Hauses, ihr seinen Arm anzubieten.

„So, das ist recht, mein Kind,“ ermunterte sie die Mutter – „das ist brav – Köpfchen hoch – draußen wird Dir's besser werden, und laufen Sie tüchtig, Mr. Brown, daß sie ordentlich in Bewegung kommt. Gott verzeih' es den bösen Leuten, solchen Streit und Unfrieden in die ruhigen Häuser seiner Diener zu tragen.“

Harper war indessen sehr nachdenklich geworden und starrte schweigend auf das knisternde, nasse Holz hin, während Roberts, der ein Gespräch über den letzten Streit begonnen, durch seine gewöhnliche Reihenfolge von Ideen in den Revolutionskrieg gekommen war und eben eine Anekdote aus Washington's Leben anfangen wollte, als die beiden jungen Leute das Haus verließen und langsam und schweigend den breiten, ausgehauenen Fahrweg hinwandelten, der den Fluß hinauf nach den oberen Ansiedelungen führte.

Die Sonne neigte sich dem Untergange zu, und der Schatten der riesengroßen Bäume fiel über den Weg hinüber; Scharen von munteren Peroquets1 flatterten kreischend von Baum zu Baum, graue Eichhörnchen sprangen in kühnen Sätzen über die Zweige hin oder kauerten knuppernd an irgend einer aufbewahrten Nuß, deren Schale dann raschelnd in das Laub herunterfiel. Vorsichtig den schönen Kopf erhebend, schritt leise eine Hirschkuh mit dem jungen Kalbe über den Weg, blieb einen Augenblick, die breite Straße hinauf- und hinabschauend, stehen und verschwand dann langsam im Dickicht, als ob sie wisse, es drohe ihr von den Nahenden keine Gefahr. Stiller Friede lag auf der Landschaft, und majestätisch rauschten die gewaltigen Wipfel der Kiefern und Eichen im darüber hinstreichenden Südostwind.

„Wir sind Ihnen eigentlich recht großen Dank schuldig, Mr. Brown,“ brach endlich Marion das peinlich werdende Schweigen. „Sie nahmen sich so freundlich und tapfer meines – des Mr. Rowson an und – setzten sich selbst so großer Gefahr aus.“

„Nicht so großer, als Sie vielleicht glauben, mein Fräulein,“ erwiderte Brown zögernd – „der Bursche ist ein Feigling und suchte nur mit Mr. Rowson Streit, weil er von diesem – weil dieser als Prediger nicht darauf eingehen konnte.“

„Sie wollten etwas Anderes sagen? Sprechen Sie es aus – Sie halten Mr. Rowson für feig?“

„Er ist Prediger, Miß Roberts, und es würde ihm einen gar schlechten Namen in der Gemeinde machen, wollte er Händel suchen.“

„Nicht suchen, aber – es bleibt sich gleich – Sie nahmen sich seiner an – es ist mir ein recht wohlthuendes Gefühl, daß Sie so gut mit einander befreundet sind. Wo haben Sie sich eigentlich kennen gelernt?“

„Kennen gelernt? befreundet? Miß Roberts, ich kenne Mr. Rowson gar nicht – wir haben heute die ersten Worte mit einander gewechselt.“

„Und Sie setzten Ihr Leben für ihn auf das Spiel?“ frug Marion schnell, während sie erstaunt stehen blieb und dem jungen Mann in das große blaue Auge sah.

„Ich hörte, daß – er – Ihnen verlobt sei – ich sah Sie erbleichen und – ich bin etwas heftiger Gemüthsart. Der Zorn übermannte mich selbst über den rohen Burschen; ich war wohl etwas rascher, als ich eigentlich hätte sein sollen; aber mein Gott, Miß Roberts – Sie werden wieder unwohl, wollen wir uns nicht einen Augenblick auf diesen Stamm setzen?“

Marion ließ sich von ihm zu einem der Bäume führen, die beim Aushauen der Straße gefällt und auf die Seite gerollt waren, um dort im Lauf der Zeit zerstört zu werden. Wieder trat eine lange Pause ein, und Marion frug endlich leise:

„Sie wollen uns verlassen, Mr. Brown? Vater sagte vorhin, daß Sie in den Freiheitskampf nach Texas zögen.“

„Ja, Miß Roberts, es wird besser für mich sein, wenn ich eine derartige Beschäftigung finde. – Ich möchte Manches vergessen, und dazu ist ein Kampf wohl das passendste Mittel. Vielleicht kommt dann auch eine mitleidige – ich werde wahrscheinlich einen Pferdehandel mit Ihrem Vater machen.“

„Sie scheinen nicht glücklich zu sein,“ sagte leise das schöne Mädchen, indem es ernst und sinnend zu ihm aufsah. – „Sie lebten lange in Kentucky?“

„Ich verließ Kentucky mit leichtem Herzen!“

„Und hat Arkansas Ihnen solchen Schmerz bereitet? Das ist nicht schön – ich habe das Land bis jetzt so lieb gehabt.“ –

„Sie werden es auch lieb behalten. – In wenigen Wochen feiern Sie die Verbindung mit dem Manne Ihrer Wahl, und mit dem Herzen, das man liebt, muß ja die Wüste zum Paradies werden, wie viel mehr denn der schöne Wald, das wunderliebliche Klima von Arkansas. – Ach, es giebt doch noch recht glückliche Menschen auf der Erde!“

„Und wen zählen Sie dazu?“

„Rowson!“ rief der junge Mann und erschrak dann selbst über die Kühnheit dieses Wortes.

„Die Mosquitos sind recht arg auf dieser Stelle,“ sagte Marion, indem sie schnell aufstand, „lassen Sie uns weiter gehen, Mr. Brown. – Wir werden auch bald wieder umkehren müssen – die Sonne steht nicht mehr hoch.“

Auf's Neue verfolgten sie schweigend eine Zeit lang ihren Weg.

„Sie wohnen mit Ihrem Onkel ganz allein, nicht wahr, Mr. Brown?“ frug endlich Marion wieder nach langer Pause, „Mutter sagte mir wenigstens so.“

„Ja, mein Fräulein – wir führen eine Junggesellenwirtschaft; ein rauhes Leben.“

„Ihr Onkel ist gar ein wackerer Mann – immer heiter – immer zu einem Scherz bereit; und hat dabei so etwas Ehrliches, Offenes im Blick – ich war ihm vom ersten Augenblick an gut, wo ich ihn sah; – so ernst wie heute hab' ich ihn übrigens noch nie gesehen. – Aber auch Sie kommen mir heute recht ernst vor; die bösen Menschen sind an dem Allen schuld.“

„Mr. Rowson wird sich wohl hier in der Gegend ankaufen? Ich hörte, daß Mr. Roberts sagte, er erwartete erst einen Theil seines Vermögens.“

„Ja“ – flüsterte Marion – „Vater wollte es so – Vater – war überhaupt gegen diese Verbindung.“

„Das ist nicht recht von Ihrem Vater, Miß – er darf dem Glück des eigenen Kindes nicht im Wege stehen.“

„Er behauptete aber, daß ich nicht glücklich wer den würde,“ sagte Marion, wehmüthig lächelnd.

„Ist die Liebe nicht das größte Glück?“

„Man sagt so.“

„Man sagt so? Lieben Sie denn nicht Ihren Bräutigam?“

„Mutters ganzes Herz hing an dieser Verbindung. Durch den gottesfürchtigen Wandel des frommen Mannes eingenommen, glaubte sie für mich nicht besser sorgen zu können, als wenn sie mich vermochte, ihm meine Hand zu reichen. Ich bekam hier im Walde wohl manchen Mann zu sehen, aber keiner hatte Eindruck auf mich gemacht. – Die wilden, rauhen Streifschützen, die zügellosen Floßleute – die Otterfänger und selbst die ungebildeten Farmer, die sich hier in unserer Nähe niederließen, waren Alle nicht geeignet, mein Herz zu gewinnen. Mr. Rowson war der Erste, der sich durch sein gesittetes, freundliches Betragen meine Achtung erwarb. Er kam öfter in diese Gegend, predigte häufig hier, und – Mutter lernte ihn schätzen. – Sie selbst beredete ihn, sich unter uns niederzulassen und ein Weib zu nehmen – er bat um meine Hand, und Mutter – sagte sie ihm zu.

Ich hatte bis dahin nie an eine Verbindung mit ihm gedacht,“ fuhr Marion nach einer Weile zögernd fort, „immer mehr den väterlichen Freund, als den möglichen Geliebten in ihm gesehen, und der Antrag überraschte mich. Dabei hatte – Ihnen kann ich es viel leicht gestehen – sein Auge Etwas, das mir Grauen einflößte, wenn ich schnell und unerwartet zu ihm aufblicke; sah ich ihn aber recht ernst und fest an, so lag wieder etwas so Mildes, Sanftes in den Zügen, das mich endlich selbst für ihn einnahm. Durch Mutters nicht endende Vorstellungen getrieben, gab ich zuletzt mein Jawort. Aber Vater wollte nicht einwilligen; er mochte den stillen, ruhigen Mann nicht leiden und hatte darüber mit Mutter ein paar recht ernste Auftritte. Aufrichtig gestanden, war es mir ziemlich gleich, wer von ihnen Recht behielt, denn ich glaube wohl mit Mr. Rowson glücklich, ohne ihn aber auch nicht unglücklich zu werden. Wie daher Vater sich entschloß, der Mutter das Feld zu räumen, und nur noch darauf bestand, daß Mr. Rowson ein Eigenthum haben müsse, welches ihm die Hoffnung gebe, eine Frau zu ernähren, ohne blos auf das Predigen angewiesen zu sein, versprach ich Mr. Rowson, – sein Weib zu werden. – Wie er uns nun heute sagte, hat er die Hoffnung, in wenigen Wochen eine hinreichende Geldsumme zu erhalten, um nicht allein das Land, auf dem er wohnt, zu kaufen, sondern sich auch noch einen Anfang zur Viehzucht, wie alles übrige nöthige Ackergeräth, anzuschaffen. Dann steht der Erfüllung seines Wunsches weiter nichts im Wege und ich – werde die Seine.“

Marion sprach diese letzten Worte mit so leiser, zitternder Stimme, daß Brown unwillkürlich stehen blieb und zu ihr hinabsah – sie hatte den Kopf abgewendet, und das Bonnet, das sie trug, verbarg ihm ihr Antlitz.

„Sie werden glücklich werden,“ flüsterte er, und ein tiefer Seufzer entrang sich seiner Brust.

„Wir müssen umkehren, Mr. Brown,“ sagte Marion nach einer kleinen Weile – „sehen Sie nur, die Wipfel der Bäume röthen sich schon, die Sonne ist bald unter, und in diesen dichten Wäldern wird es gleich Nacht – Mutter möchte sich ängstigen.“

Die beiden jungen Leute wandten sich stumm zum Heimweg, und Marion sprach nach einigen Minuten lächelnd:

„Ich habe Ihnen jetzt meine ganze Lebensgeschichte in den wenigen Worten erzählt und dadurch erstaunlich viel Vertrauen bewiesen; Vertrauen aber, wie Mr. Rowson sagt, erweckt Vertrauen, und es wäre jetzt nicht mehr als recht und billig, daß ich ein Gleiches von Ihnen forderte. Das heißt – wenn Sie keine Geheimnisse zu bewahren haben, die ein geschwätziges Kind, wie ich bin, natürlich nicht erfahren dürfte.“

„Mein Leben ist ziemlich einfach verflossen,“ erwiderte Brown – „fast zu einfach. Ich bin in Virginien geboren, doch zog mein Vater, als ich noch ein Kind war, mit uns nach Kentucky, wo er mit Daniel Boon die ersten Ansiedlungen gründete. Ich war kaum stark genug, die Büchse zu tragen, als ich schon mit gegen die Indianer kämpfen mußte, die uns damals Tag und Nacht beunruhigten. Lange trotzten wir all' ihrer Hinterlist und Uebermacht, einmal aber doch, in einer unglückseligen Nacht, hatten sie meinen Vater von unserer Wohnung abgeschnitten, überfallen und erschlagen. Mit Tagesanbruch weckte uns ihr Schlachtgeschrei und das Prasseln der Flammen, die unsere Blockhütte zerstörten. Alle die Meinigen fielen unter dem Tomahawk der rothen Teufel, und nur wie durch ein Wunder entging ich ihren Blickenund dadurch dem Scalpirmesser. Ich floh und erreichte die nächste Ansiedlung. Von da an aber trieben wir kämpfend die Wilden aus ihren Schlupfwinkeln und zwangen sie, uns in Frieden zu lassen. Es ist in jenen Zeiten viel Blut – viel unschuldiges Blut vergossen, und ich weiß noch nicht, ob die weißen Männer damals ein Recht hatten, so hart und grausam von Anfang an gegen die Eingeborenen aufzutreten. Freilich rächten sich die Wilden dann auch wieder auf eine entsetzliche Art.

Später zog ich zu meinem Onkel nach Missouri, wo wir mehrere Jahre lebten und dann von dem herrlichen Lande und dem gesunden Klima am Fourche la fave hörten – wir beschlossen hierher auszuwandern. Onkel hatte mich nun immer angetrieben zu heirathen, denn die Junggesellenwirthschaft, die wir führten, war wohl Beiden schon zur Last geworden, nie aber fand ich ein Wesen, das dem Begriff entsprach, die ich von meinem künftigen Weibe gebildet hatte. – Ich konnte mich nicht entschließen, eine Frau zu nehmen, ohne daß ich mich von meinem Herzen zu ihr hingezogen fühlte – ach, ich ahnte wohl die Liebe, aber ich kannte sie noch nicht. Da ritt ich eines Abends spät – es war noch in Missouri – durch eine Gegend, die mein Fuß früher nicht betreten hatte, Wolken verhüllten den Himmel, ich verlor meine Richtung und kam an eine Hütte, von der aus ich zwar meinen Weg wiederfand, meine Ruhe aber und meinen Frieden auf ewig verlor –

Ich sah ein Mädchen in dieser Hütte – ich sah – doch wozu einen Engel schildern, den ich nur finden mußte, um die Gewißheit zu bekommen, daß ich ihn nie besitzen könnte. – Jenes Mädchen, Miß Roberts, war verlobt. Ich blieb nachdem nur noch wenige Tage in Missouri und ging nach Texas – ging nach Arkansas; daher mag denn wohl mein oft verstörtes Wesen kommen, was Sie, mein Fräulein, freundlich entschuldigen müssen. Es thut weh, wenn man einmal sein Glück gefunden zu haben glaubt, und sieht es dann in Schaum und Nebelbilder zerrinnen; ach und doch war es ein so schöner Traum!“

Marion hatte den Köpfchen gesenkt, und heiße Thränen quollen unter den langen seidenen Wimpern vor, aber Brown sah sie nicht, denn neben ihnen, im dichten Gebüsch von Sumach und Sassafras, rauschte und rasselte es, ein leiser Tritt war im dürren Moose gehört, und in demselben Augenblick, als der junge Mann, eine mögliche Gefahr befürchtend, still stand und mit der Hand nach der Waffe fuhr, öffneten sich die dichten Zweige gerade vor ihnen, und ein gewaltiger Panther trat in den Weg und schaute, keineswegs ängstlich, sondern eher wild und frech zu den beiden Menschen empor, die es gewagt hatten, seine Einsamkeit zu stören. Mit einem leisen Schrei warf sich das zum Tod erschreckte Mädchen in die Arme Brown's, der es mit seiner Linken umfaßte, während die Rechte das Terzerol aus der Tasche zog, das er schon einmal heut' auf den wilden Kentuckier gerichtet hatte.

Der Panther schwang indessen den langen Schweif halb zornig, halb spielend in der Luft und schlug sich die Flanken damit, als ob er noch unschlüssig sei, was er thun solle – angreifen oder den Platz verlassen. Brown zielte ruhig auf den Kopf des Thieres, das sich eben, fast wie zum Sprung, niederbog, und drückte ab. Durch das Zittern des schönen Mädchens aber, das er in seinem Arm hielt, vielleicht selbst durch die süße Last zu aufgeregte, verfehlte er den Kopf, und die Kugel fuhr über der rechten Schulter der Bestie in die Weichen. Hochauf sprang diese in peinlichem Schmerz, dann aber, als ob die unverhoffte Kugel jede weitere Kampflust vernichtet hätte, stieß es einen scharfen, gellenden Schrei aus und floh mit mächtigen Sätzen in das Dickicht.

„Die Gefahr ist vorüber, Miß Marion – wenn uns überhaupt eine Gefahr gedroht – das Thier ist entflohen,“ sagte Brown leise, indem er die an seiner Brust ruhende bebende Gestalt sanft zu heben versuchte, „mein Schuß hat es verscheucht – Marion – was ist Ihnen – Marion, fassen Sie sich – um Gottes willen – Marion!“ Die lang' verhaltenen Gefühle brachen sich aber jetzt mit Gewalt Bahn aus dem bis zu diesem Augenblicke fest verwahrten Herzen. Schluchzend lehnte sie an der Schulter des Geliebten und flüsterte leise, aber in tiefem, bitterem Schmerz:

„Oh, ich bin recht – recht unglücklich!“

„Marion – Sie tödten sich und mich!“ rief, von wildestem Seelenschmerz erfüllt, der junge Mann; „oh, daß die glücklichste Stunde meines Lebens auch die sein muß, die mich mein ganzes Elend mit einem Blick überschauen läßt! Ja, Marion, ich liebe Dich, liebe Dich mit all' der Gluth eines Herzens, das auf Erden weiter kein Glück kennt, als Dich zu besitzen, das nur in Dir den Stern sieht, der seine künftige Lebensbahn erleuchten könnte, und nun verzweifelnd dem letzten hellen Schein nachblickt, als er auf ewig am Horizonte seines Glückshimmels verschwindet, um ihm nie wieder zu erstehen.

Es ist Zeit, daß wir scheiden,“ fuhr er mit leiser, unterdrückter Stimme fort – „ich darf nicht hier bleiben; meine Gegenwart würde nur Unheil stiften, nur Dich und mich elend machen. Morgen schon verlasse ich Arkansas, und im wilden Schlachtenlärm will ich versuchen, das Andenken an Dich zu betäuben. – Vergessen, Marion – vergessen kann ich Dich nie!“ –

Schluchzend lehnte das schöne Mädchen an seiner Brust, und lange hielten sich die Liebenden schweigend umfaßt. Brown führte sie endlich wieder auf denselben Stamm, auf dem sie vorher gesessen hatten, und im tiefsten Schmerz barg Marion das Engelsantlitz in ihren Händen.

„Liebst Du den Mann, dem Du Dich zugesagt?“ frug Brown jetzt leise, indem er ihre Hand ergriff und fanst zu sich herüberzog – „hast Du ihn je geliebt?“

„Nie – nie!“ beteuerte Marion, die freie Hand auf das Herz pressend – „ich hatte keinen Willen, kannte Niemand, dem ich freundlicher gesinnt gewesen wäre, als ihm, weil meine Mutter mit wahrer Verehrung an ihm hing, und alle anderen Leute sagten, daß er ein braver, guter Mann sei. Ich glaubte, es wäre Liebe, was ich für ihn empfand. Da kamen Sie, da sah ich Sie, sah Ihr freies, offenes Benehmen, lernte Ihr redliches, treues Herz kennen und – wurde elend. In Trauerbildern stieg meine Zukunft vor mir empor, ein Leben endlosen Jammers breitete sich an der Seite des Mannes vor mir aus, den ich nun nicht mehr lieben konnte, hätte er sich auch nicht heute so feig und unmännlich benommen; ein dunkler Nebel umhüllte alle meine Träume von Glück und Zufriedenheit, und mit Ihnen – nimmt das lichte Leben von mir Abschied. – Aber es muß Abschied nehmen,“ fuhr sie, sich sich eehebend, fort – „selbst unser Zusammensein hier ist Sünde. – Ich bin dem fremden Manne verlobt – bin seine Braut – lassen Sie also dies das letzte Mal sein, daß wir uns sehen – es ist besser für uns Beide. – Schonen Sie meiner, ich bin ja nur ein schwaches Weib und müßte dem Schmerz unterliegen.“

„Sie haben Recht, Marion – wir müssen scheiden, ich bin das Ihrem Herzen, Ihrer Ehre schuldig. Ich will Sie nur noch zurückgeleiten zu den Ihrigen, dann kreuze ich Ihren Pfad nie mehr. – Aber ein Angedenken an diese Stunde lassen Sie mich mit mir nehmen in meine trübe, freudlose Zukunft, gönnen Sie mir eine Locke Ihres Haares, daß das Auge einen Halt hat, an dem es hängen kann, wenn das Herz für Sie und Ihr Wohl Gebete zum Lenker unserer Schicksale hinaufsendet.“

Marion bog das liebe Haupt zu ihm hinüber, und leicht trennte er mit dem scharfen Jagdmesser eine kleine Locke von ihrer Stirn.

„Dank, mein Mädchen,“ flüsterte er dann, „Dank, heißen Dank, und möge Dich Rowson so glücklich machen, als Du es verdienst, und wenn Du zu Deinem Gott flehst, so denke auch manchmal des armen Streifschützen, der dann vielleicht schon das Land der Freiheit, das jugendliche Texas, mit seinem warmen Herzblut getränkt hat. Lebe wohl und Gott schütze Dich!“

Er umschlang im heftigen Schmerz die Geliebte, und ihre Lippen begegneten sich zum ersten Mal im langen, Abschiedskuß; dann riß sich Marion aus seinem Arm. Harper und Roberts begegneten ihnen gleich darauf; sie hatten den Schuß gehört und gefürchtet, es könne ihnen etwas begegnet sein. Roberts nahm jetzt seiner Tochter Arm, und Harper und Brown folgten ihnen in geringer Entfernung.

„Onkel,“ sagte Brown, nachdem sie eine Weile schweigend neben einander hingeschritten waren, „Onkel – ich reise morgen früh!“

„Unsinn!“ rief Harper und blieb, seinem Neffen in's Auge sehend, erschreckt stehen. „Unsinn!“ sagte er dann noch einmal, aber mit ungewisser, nur noch halb zweifelnder Stimme – „und wohin willst Du?“

„Nach Texas.“

„Willst Deinen alten Onkel hier allein auf dem Trocknen sitzen lassen? ist das recht?“

„Ich muß fort, Onkel!“

„Du mußt? und wer zwingt Dich?“ Brown schwieg und wandte sein Gesicht ab, drückte aber krampfhaft des alten Mannes Hand.

„Und da soll ich wirklich hier zurückbleiben, trübselig und einsam in meiner Hütte? Bill, das ist hart – das ist nicht halb recht von Dir. Ich werde Dich enterben, Bill!“ fuhr er nach einigen Secunden wehmüthig lächelnd fort – „ich enterbe Dich wahrhaftig!“

Brown ergriff seine Hand und schaute ihm mit von Thränen verdunkelten Blicken in's Auge. – Der alte Mann war arm, und Alles, was Beide jetzt an Land, Vieh und Geld vereint besaßen, gehörte eigentlich dem Neffen an.

„Haben Sie keine Angst, Onkel – Ihr Alter ist gesichert; Sie wissen ja, daß ich vor acht Tagen einen Brief von meinem Advocaten aus Cincinnati erhielt. – Mein Proceß ist gewonnen, und die Auszahlung der Gelder kann nicht mehr lange dauern; heute Abend noch schreibe ich an Wolfey und gebe ihm den Auftrag, Alles an Ihre Adresse zu befördern. – Sie werden es dann verwalten, bis ich zurückkehre, und – kehr' ich nicht zurück – nun – doch darüber sprechen wir noch. Ich will morgen früh an den Petite-Jeanne und von da nach Morrisons Bluff am Arkansas hinüber, wo ich Geschäfte zu besorgen habe. In acht Tagen komm' ich dann auf meinem Wege nach Texas noch einmal an Ihrem Hause vorbei. Unter der Zeit erhandeln Sie den Fuchs für mich von Mr. Roberts.“ –

„Hallo da!“ rief Roberts jetzt vom Hause aus, das er mit seiner Tochter indessen erreicht hatte – „hallo da! – Ihr geht ja, als ob Ihr Blei an den Sohlen hättet – kommt, Brown – das Abendessen ist fertig.“

„Und Du willst wirklich fort?“

„In diesem Augenblicke brech' ich auf – ich muß noch den Brief schreiben und Kugeln gießen, auch etwas Brot backen, um einige Provisionen mitnehmen zu können.“

„Und kommst Du aber auch gewiß in acht Tagen wieder hier vorbei?“

„Hier meine Hand darauf – ich muß ja auch das Pferd abholen; bis dahin – leben Sie wohl, Onkel, in acht Tagen bin ich sicher wieder da. – Sagen Sie aber Roberts nichts davon, daß Sie mich zurück erwarten – ich – ich könnte dann keine Zeit haben, ihn zu besuchen, und er möchte das übel nehmen.“

„Heda, Brown! – Was will denn Brown im Stalle, Harper?“ fragte Roberts, als dieser allein zum Hause kam, „das Essen wird kalt – meine Alte hat schon gebrummt.“

„Er will fort,“ meinte Harper traurig, „weiß der liebe Gott, was ihm in den Schädel gefahren ist.“

„Fort? Heut abend?“ riefen Mr. und Mrs. Roberts – „aber weshalb denn?“

„Er hat Geschäfte morgen am Petite-Jeanne und muß erst noch vorher nach Hause. Da würd' es zu spät werden, wenn er heute Nacht hier bliebe.“

„Sonderbar, daß ihm das so auf einmal eingefallen ist,“ sagte Mrs. Roberts – „heute Nachmittag war er doch ganz damit einverstanden, den Abend hier zuzubringen.“

„Er hat mit mir schon unterwegs davon geredet,“ sagte Marion, während sie sich abwandte, ihr Bonnet abzulegen, „und daß es ihm leid sei, nicht bei uns bleiben zu können. Er muß wohl dringende Geschäfte haben.“

„Ja, und ich will ihn lieber begleiten,“ warf Harper ein, „wir haben keine Köchin weiter zu Hause, als mich, und da muß ich doch für Proviant sorgen. – Es könnte sein, daß er einige Tage wegbleibt.“

„Aber, Mr. Harper!“ rief Mrs. Roberts halb beleidigt – „ich begreife Sie Beide gar nicht – das Abendbrot ist angerichtet. – So essen Sie nur wenigstens erst einen Bissen!“

„Danke schön, Mrs. Roberts – danke schön – morgen früh, wenn Sie nichts dagegen haben, lad' ich mich zum Frühstück ein, denn die Jagd mach' ich mit, Roberts. – Jim, bring mir mein Pferd auch – aber schnell,“ unterbrach er sich dabei, während er einem kleinen Neger den Befehl gab. „Also um sechs Uhr bin ich hier – soll ich den Indianer mitbringen?“

„Der kann uns beim Aufsuchen der Schweine von wesentlichem Nutzen sein,“ meinte Roberts.

„Aber, Mr. Harper – nur eine Tasse Kaffee, ehe Sie gehen. – Sie haben doch nichts Warmes, wenn Sie nach Hause kommen.“

„Das ist eine unbestrittene Wahrheit, Mrs. Roberts,“ erwiderte der alte Mann, während er zum Tische trat und die dargebotene Schale heißen Kaffees leerte, „leider wahr – 's ist ein elendes Leben, so eine Junggesellenwirthschaft – ich denke, ich heirathe!“

„Hahaha!“ lachte Roberts, „das ist ein gescheidter Einfall. Reitet hier in der Nachbarschaft herum und macht den Mädchen den Hof. Dazu müßt Ihr aber den neuen hellblauen Frack anziehen, den Euch der Schneider in Little Rock gemacht hat, wie? Ihr habt mir noch nicht einmal gesagt, was er kostet. Ja, die Schneider sind merkwürdig theuer in Little Rock. Neulich, wie ich unten war –“

„Gute Nacht, Mr. Roberts – gute Nacht, Ladies!“ rief Brown's vor dem Hause, wo er mit dem Pferd hielt.

„Aber, Mr. Brown – so kommen Sie wenigstens einen Augenblick herein und trinken Sie eine Tasse Kaffee – Ihr Onkel –“

„Danke herzlich, Madame – habe gar keinen Durst – gute Nacht nochmals zu Allen!“

„Halt da, Bursche – ich komme mit,“ rief Harper.

„Sie, Onkel?“

„Ja wohl – da ist schon das Pferd. – Nun also morgen früh, und, Roberts, nehmt nicht etwa wieder die kleingebohrte Büchse mit, gießt lieber heut Abend Kugeln zu der andern – 's ist elendes Schießen mit einem so erbärmlichen kleinen Blei – gute Nacht zu Allen denn,“ fuhr er fort, als er aufstieg und sich im Sattel zurechtsetzte – „gute Nacht!“

Mr. und Mrs. Roberts standen in der Thür – hinter ihnen Marion.

„Gute Nacht!“ rief Brown noch einmal und schwenkte den Hut – noch einmal sah er die Gestalt der Geliebten – er wußte, ihr Auge ruhte auf ihm; zum letzten Mal rief er den Gruß hinüber und stieß dann dem treuen Thier den Hacken so wild in die Seite, daß dieses mit jähem Seitensprung in die Höhe fuhr und in wenigen tollen Sätzen aus dem Lichtkreise verschwand, der aus der offenen Thür des Hauses strömte.

„Halt da!“ rief Harper dem Neffen zu – „bist Du toll – willst Du Hals und Beine brechen? – Hübsch langsam, wenn ich Schritt halten soll – toller Bursche, das – wahnsinniger Bursche, das –“ und noch lange hörten sie den alten Mann schimpfen und raisonieren, wie er sein Pferd antrieb, um das uurch den Sporn erschreckte, unruhig tanzende Thier seines Neffen wieder einzuholen.

„Wunderbar!“ sagte Mrs. Roberts, als sie sich zum Abendessen mit ihrem Mann und ihrer Tochter niedersetzte – „wunderbar! – das war doch ein ganz absonderliches Betragen von den Beiden – hätten den heiligen Sabbath auf eine würdigere Weise beschließen können, als heim zu reiten und –“

„Thorheit, Alte!“ unterbrach sie Roberts – „dem Jungen, dem Brown, geht die Geschichte mit dem Lump, dem Heathcott, noch im Kopf herum; kann's ihm nicht verdenken. Der Bube drohte sehr unzweideutig, ihn über den Haufen zu schießen, wo er ihn finden würde, und er ist schlecht genug dazu, in dieser Hinsicht sein Wort zu halten.“

„Glauben Sie wirklich, Vater?“ – frug Marion leichenblaß werdend.

„Nun, der Junge wird schon seinen Mann stehen,“ fuhr der Alte fort – „ein tüchtiger, braver Bursche ist's – hat das Herz auf dem rechten Flecke. Seit der Zeit, wo er mit seinem Onkel herkam – das sind nun jetzt etwa sechs Wochen; nicht wahr? Ich dächte, ich hätte damals gerade das neue Stück Land eingefenzt, wo uns noch das eine Stück wieder abbrannte. Ja, die Tagelöhner soll der Henker holen, und wenn es aus einem fremden Säckel geht –“

„Trinkst Du noch eine Tasse Kaffee, Roberts?“ frug sein Weib.

„Nein, danke schön.“

„Nun, dann wollen wir unser Abendgebet halten,“ sagte die Matrone und holte vom kleinen Gesims die sorgsam aufbewahrte heilige Schrift herunter.

Oh, mit welcher Andacht betete an diesem Abend das arme unglückliche Mädchen; wie heiß erflehte sie von dem Allerbarmer Glück und Ruhe für den Geliebten! Und als sie endlich ihr Lager suchte, netzte sie mit unzähligen Thränen das schneeweiße Kissen und schlief, wie ein vom Weinen ermüdetes Kind, mit gefalteten Händen und den Namen des theuern Mannes auf den Lippen, ein.

Fußnoten

1 Eine Art von Papageien.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Regulatoren von Arkansas