37. Kapitel (Roberts' Haus)

37. Roberts' Haus.

Stille Trauer herrschte indessen, während auf dem Felshügel des Fourche la fave das Lynchgesetz seine Opfer verurtheilte und strafte, in Robert's Hause, wo bis jetzt Marion's Mutter bleich und besinnungslos auf ihrem Lager gelegen hatte. Die Regulatorenschaar war mit ihrem Gefangenen aufgebrochen, die Sonne schon hoch über die Wipfel der Bäume gestiegen, und noch immer hatte Mrs. Roberts kein Zeichen ihres zurückgekehrten Bewußtseins gegeben. Da plötzlich, als schon der alte Roberts anfing, mit einem sehr ernsten und bedenklichen Antlitz im Zimmer auf und ab zu gehen, als Marion still weinend am Bett kniete und betete, und Ellen ebenfalls stumm und traurig an ihrer Seite saß und die kalte Hand der alten Frau in der ihren hielt, schlug diese plötzlich die Augen auf, schaute wie erstaunt und verwundert – immer noch nicht recht darüber im Klaren, was eigentlich vorgegangen sei – zu ihrer Marion auf. Diese aber sprang jubelnd auf und flog mit einem Freudenschrei der zu neuem Leben erwachten Mutter um den Hals.


„Kind – liebes Kind –“ sagte diese leise, „bist Du mir wiedergegeben? Bist Du wieder zu uns zurückgekehrt? Hat der – Gott sei mir gnädig – mir schwindelt, wenn ich an jenen Augenblick zurückdenke – hat der böse Feind, der in der Gestalt jenes Menschen bei uns erschien, keine Gewalt über Dich gewonnen?“

„Nein, Mütterchen – nein, herziges, liebes Mütterchen,“ rief das erschütterte Mädchen – „oh, nun ist Alles gut, da Du die Augen wieder so hell und klar geöffnet hast. Nun wird Alles gut werden.“

„Aber – wie ist mir denn, Kind? Haben wir denn Morgen oder Abend? Mir kommt es vor, als ob ich eine lange, lange Zeit durchträumt hätte. Wo kommen die Leute alle her?“

„Margareth!“ sagte jetzt Roberts, der leise und vorsichtig hinzugetreten war und sich auf dem Stuhl neben dem Bett seines Weibes niederließ – „Margareth – liebe, gute Margareth, wie geht Dir's?“

„Roberts hier? und Mr. Bahrens und Harper? und Ellen? – Seid Ihr denn gar nicht fortgeritten?“ frug die alte Frau erstaunt und unruhig; „hab' ich denn Alles nur geträumt?“

„Du sollst Alles erfahren, Mütterchen,“ flehte Marion, bittend ihre Hand streichelnd – „aber jetzt, nicht wahr, jetzt hältst Du Dich recht ruhig und erholst Dich erst wieder!“

„Erholen?“ frug die Mutter, sich von ihrem Lager aufrichtend – „erholen? ich bin stark und kräftig – nur der Kopf – der Kopf schwindelt mir noch ein wenig. Aber erzählt mir, oh bitte – erzählt mir, was vorgefallen. Roberts – Bahrens – Harper – was fehlt den Männern? Sie sehen alle so ernst aus.“

„Nichts fehlt ihnen, Mrs. Roberts“ erwiderte ihr Bahrens, indem er vortrat und ihre Hand schüttelte – „nicht das Mindeste – jetzt wenigstens nicht mehr. Nur so lange Sie da kalt und bleich wie eine Leiche lagen, so lange war's uns hier nicht geheuer im Zimmer, und da mögen wir wohl noch ein wenig alberne Gesichter schneiden. Harper hier ist überdem selbst halber Patient. Aber heraus jetzt mit der Sprache; am besten erfahren Sie gleich Alles auf einmal, da es überdies nichts Schlimmes ist, und nachher wird Ihnen und uns das Herz leicht.“

Marion mußte nun erzählen; von dem ersten Augenblick an, wie Rowson in das Haus gesprungen und Cotton aus seinem Versteck herabgeklettert sei, wie sie gebunden gewesen und wie sich Ellen befreit; Assowaum's erstes Erscheinen, der Freundin Heldenthat und die Rettung durch die – Regulatoren, unter welchem allgemeinen Namen das holde Mädchen schüchtern die Nennung des geliebten Mannes umging. Dies Alles kündete sie dem aufhorchenden und liebend ihre Hand in die ihre pressenden Mütterchen, das immer noch das theure Kind in Gefahr zu sehen glaubte und nicht von ihm lassen wollte, um es nicht auf's Neue zu verlieren.

„Also Dir, gutes Mädchen, danke ich eigentlich allein das Leben meiner Tochter,“ wandte sie sich dann aber zu der erröthenden Ellen und reichte ihr die noch freie Hand hinüber.

„Mir? ach Gott, nein,“ entgegnete diese schüchtern – „mein Verdienst ist gar gering dabei – die Pistole – ich weiß nicht – ich glaube, sie muß von selbst losgegangen sein; ich habe mich wenigstens immer vor Feuerwaffen gefürchtet.“

„Ellen war gewiß unser Rettungsengel,“ unterbrach sie Marion. „Der Indianer wäre verloren gewesen, wenn jener Schuß nicht fiel und nach ihm – vielleicht der – Nächstfolgende. Auf jeden Fall aber würde der Wüthende uns selbst seiner Rache geopfert haben. Ellen ist sicherlich die Heldin jener Nacht.“

„Wo aber sind die Uebrigen? Mr. Curtis, Brown und Wilson?“ frug die Matrone – „sie, die neben dem Indianer ihr Leben so kühn und uneigennützig für Euch auf's Spiel setzten, verdienten doch sicher den heißesten Dank.“

Harper hustete bei dem Worte „uneigennützig“ bedeutend, und Marion's Antlitz überflog eine Scharlachröthe.

„Die jungen Leute sitzen über die Buben zu Gericht,“ sagte Roberts – „und wärest Du nicht so sehr krank gewesen, so hätte ich heute ebenfalls dem Regulatorengericht beigewohnt. Wo solche Schurkereien vorfallen, da muß den Schuften einmal bewiesen wer den, daß der alte Geist in uns Hinterwäldlern noch nicht etwa erstorben ist. Nun – sie werden's auch ohne uns, die wir doch nun einmal hier, wo wir vollauf zu thun haben –“

„Aber sagtet Ihr nicht,“ frug Mrs. Roberts schaudernd, – „daß jener Rowson – jener – Rowson –“

„Laß das jetzt sein, Alte,“ unterbrach sie schmeichelnd Roberts – „wenn Du wieder recht wohl und kräftig bist, dann wollen wir über die Vorfälle genauer sprechen, bis dahin hören wir auch das Resultat des Regulatorengerichts. Aber nun, Mädchen, schafft einmal an, was Küche und Rauchhaus zu bieten vermögen. Wir feiern heute ein Fest, ein Fest der Erlösung, und zwar ein doppeltes, in geistiger und leiblicher Hinsicht, denn in leiblicher sind uns diese verwünschten Pferdediebe, vor denen kein Huf im Stalle mehr sicher war – Hostlern haben sie neulich versucht, seinen Hengst mitten aus dem Hofraum zu stehlen, und seine Fenz ist über elf Fuß hoch. Uebrigens hat er keine ›Reiter‹1 dran, und ich habe es ihm –“

„Und in geistiger können wir unserem Herrgott fast noch mehr danken –“ unterbrach ihn Bahrens, als er fand, daß Roberts wieder mit verhängten Zügeln nach New-York sprengte – „jetzt wird das Predigen doch einmal ein wenig nachlassen.“

„Aber, Mr. Bahrens,“ sagte in vorwurfsvollem Ton die Matrone – „wollen Sie die Schuld aus eine so heilige Sache werfen?“

„Nein, sicherlich nicht“, erwiderte dieser, um Alles zu vermeiden, die noch nicht ganz Genesene zu kränken – „sicherlich nicht – aber das Gute hat es, daß wir künftig in der Wahl der Prediger sehr vorsichtig sein werden, und auch mit Recht. Ein gebranntes Kind scheut das Feuer.“

„Hallo da!“ rief Harper dazwischen – „hier ist verboten worden, die Sache weiter zu berühren, bis wir erst einmal eine ordentliche Mahlzeit im Magen haben, und das sind' ich nicht mehr wie recht und billig. Seit gestern Abend sitzen wir hier neben dem Bett und hungern; das mag ein Anderer aushalten.“

„Gleich sollen Sie befriedigt werden, bester Herr Harper,“ sagte Marion, ihm lächelnd das Händchen hinüberreichend – „Sie dürfen schon nicht böse sein – Mutter –“

„Bst – bst – keine Entschuldigungen,“ lachte der kleine Mann – „ich weiß Alles – habe den Hunger bis jetzt selbst nicht gespürt. Aber nun kommt's, darum meld' ich's auch gleich, eh' es zu spät oder später wird; von Mittag kann's so nicht weit mehr sein.“

„Wie wär's, wenn wir jetzt noch nach der Versammlung hinüberritten?“ frug Bahrens – „ich hätte gewaltige Lust, daran Theil zu nehmen.“

„Wir kämen doch zu spät,“ erwiderte Roberts; „der Platz ist ziemlich weit, deshalb warten wir's besser ab. Brown und Wilson haben mir Beide versprochen, heut Abend noch hinüber zu kommen und das Resultat zu melden. Es ist sehr gefällig von ihnen.“

„Sehr!“ sagte Harper und warf einen Seitenblick nach Marion hinüber. Diese aber schien, mit der Mutter beschäftigt, die Bemerkung ganz überhört zu haben, während Ellen sich ebenfalls herumwandte. Mit außerordentlich lobenswerthem Eifer blies sie die fast verglommenen Kohlen im Kamin zur hellen Flamme an und legte Holz nach, um die verspätete Mahlzeit für die Mutter zu kochen.

Der Abend rückte indessen heran; Mrs. Roberts hatte sich wieder vollkommen erholt, und da das Wetter mild und warm war, so saßen Alle unter den blühenden Dogwoodbäumen im kleinen Gärtchen. Der Platz war aber besonders freundlich, denn nicht allein standen hier viele Schattenbämne, sondern Marion's sorgsame Hände hatten hier auch manche wilde Waldblumen heimisch gemacht, die mit ihrem Farbenschmelz das Auge erfreuten.

Wie oft sie aber auch das Gespräch auf fernliegendere, gleichgültigere Gegenstände bringen mochten, immer flogen wieder die Augen hinüber nach der Gegend, aus der sie die Freunde erwarteten, und immer wieder war das wahrscheinliche Resultat jener ernsten Verhandlungen die Axe, um die sich ihre Vermuthungen und Bemerkungen drehten.

„Sie werden ihn Wohl nicht so hart bestrafen,“ sagte Mrs. Roberts endlich nach kleiner Pause, in der sie nachdenkend vor sich niedergestarrt hatte – „wenn die Wunde so bös war, ist ja das schon Züchtigung genug –“

„Für solche Verbrechen?“ frug ernst und mahnend ihr Gatte. Schaudernd barg die Matrone ihr Antlitz in den Händen.

„Der Indianer hatte Mitleiden mit ihm,“ flüsterte schüchtern Marion – „er pflegte ihn mit einer Sorgfalt, deren ich ihn nicht für fähig gehalten hätte –“

„Der Indianer?“ frug, staunend zu der Tochter aufschauend, die alte Frau – „der Indianer pflegte den – Mörder seines Weibes?“ wiederholte sie dann immer noch ungläubig und verwundert.

„Ja – wie wir das Vieh pflegen, das wir schlachten wollen,“ sagte Bahrens mit einem leisen Schauder; „mir ist der Indianer noch nie so entsetzlich vorgekommen, als in seiner zärtlichen Sorgfalt – ich kann sein Bild gar nicht los werden.“

„Und Du – armes – armes Kind,“ wandte sich die Mutter jetzt liebevoll zu der neben ihr sitzenden Jungfrau; „wer wird Dir je für jene fürchterliche Täuschung Ersatz geben können?“

„Brown! wahrhaftig – dort kommt er angesprengt,“ rief der alte Roberts, während Marion erst erschreckt zu ihm aufschaute und jetzt zitternd und erröthend ihr Antlitz an der Brust der Mutter barg.

„Und dort ist auch Wilson,“ rief Harper – „nun, jetzt werden wir erfahren, wie Alles abgelaufen ist.“

„Sie sehen ernst und feierlich aus,“ sagte Bahrens.

„Ein ernstes und feierliches Geschäft war es auch, das sie beendet,“ erwiderte Roberts; „aber ein schönes und herrliches Recht haben sie zugleich dabei ausgeübt, das Recht des Selbstschutzes – der Selbstvertheidigung, und das wollen wir uns in Arkansas bewahren, so lange wir noch Mark in den Knochen und Blut in den Adern haben.“

In diesem Augenblick sprengten die beiden Männer heran, warfen sich von den Pferden, übersprangen die Fenz und begrüßten mit herzlichem Wort und Händedruck die Freunde.

Fußnoten

1 Eine Benennung der obersten, durch besondere Stützen hoch gestellten Fenzstangen.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Regulatoren von Arkansas