36. Kapitel (Das Gericht der Regulatoren)

36. Das Gericht der Regulatoren.

Der zu dem jetzigen Gericht der Regulatoren ausersehene Platz lag den Fourche la fave-Niederlassungen etwas näher als der vorige, und zwar aus einem steilen Hügel oder „Bluff“, der mit senkrechter Felswand am südlichen Ufer des Flusses emporstieg, und an beiden Seiten, östlich und westlich, von dem niedern Thalland und dichten Rohrbrüchen begrenzt wurde.


Etwa eine Meile weiter stromab kreuzte jene Straße den Fluß, auf welcher damals die Regulatoren von Rowson's List irregeführt waren; und die kleine Hütte, in der Alapaha von Mörderhand fiel, lag, wie der Leser weiß, kaum eine halbe Meile in gerader Richtung von dieser entfernt.

So still und öde jener schroffe Bergesgipfel aber auch sonst gewöhnlich war, da aus viele Meilen im Umkreis, wenigstens auf der Seite des Flusses, kein Haus stand, so lebhaft und bewegt zeigte er sich jetzt. Unter den schlanken Kiefern und dichtbelaubten Eichen und Hickories lagerten, um fünf verschiedene Feuer herum, einige zwanzig kräftige Jäger und Farmer, Prachtexemplare der wirklichen Hinterwäldler, theils mit der Zubereitung ihres Frühstücks, theils mit Verzehrung desselben beschäftigt, und wieder kräuselte der blaue Rauch wie vor Zeiten lustig und wild in die klare Morgenluft hinauf, als noch der Urstamm, die Arkansas, diese Höhen bewohnte.

So gewöhnlich nun aber auch solche Lager in Arkansas oder überhaupt in den westlichen Wäldern Amerikas sind – so sehr unterschieden sich zwei Gruppen, nicht allein von dem Aussehen, sondern auch von dem ganzen freien Benehmen der übrigen Männer. Sie bildeten gewissermaßen den Hintergrund dieses Gemäldes und lagerten am weitesten von dem steilen Abhang entfernt, unter zwei einzeln stehenden Gruppen von Dogwoodbäumen, deren weiße Blüthenzweige sie wie mit einem Blumendach überschatteten. Wenig aber schienen die Hauptpersonen dieser freundlichen Umgebung zu achten, und finster brütend starrten sie auf das gelbe, vorjährige Laub nieder, in dem sie mit gefesselten Gliedern ausgestreckt lagen.

Es waren die Gefangenen Atkins, Johnson, Weston und Jones, von zweien der Backwoodsmen, die neben ihnen auf ihren langen Büchsen lehnten, bewacht.

Die andere Gruppe bestand nur aus zwei Personen – dem Methodisten und dem Indianer. – Ueber diesen hin schlängelte sich in reichen, malerischen Windungen eine rothe Feuerliane mit ihren trichterförmigen Purpurblüthen, zwischen denen die Weiße quellende Knospenpracht der Gewürzbüsche und der Dogwoods einen wunderlieblichen Abstand bildeten. Unter dem Laub- und Blumendach diente ein sorgsam zusammengetragenes, mit warmen Decken belegtes Blätterlager dem verwundeten Priester zum behaglichen, weichen Ruheplatz, und daneben kauerte der Indianer. Aber selten wandte dieser seine Aufmerksamkeit von der vor ihm ausgestreckten Gestalt ab, und das geschah dann nur, ein neben ihnen knisterndes Feuer zu unterhalten, um die kühle Morgenluft dem leidenden Gefangenen erträglicher zu machen. Ein Becher, mit Wasser gefüllt, stand neben ihm, den er manchmal an die brennenden Lippen des im Wundfieber Liegenden brachte und seinen Durst damit löschte, während er sorgsam wieder die verschobenen Decken zurechtzog, damit kein rauhes Lüftchen seine Lage verschlimmern oder sie ihm auch nur für Augenblicke unerträglich machen konnte.

Jetzt schlugen in nicht sehr großer Entfernung mehrere Hunde an, und bald darauf kamen die am vorigen Abend bei dem Ueberfall betheiligten Regulatoren, mit Brown, Roberts, Harper und einem Fremden an ihrer Spitze, den Berg herauf und begrüßten hier die schon versammelten Männer. Brown stellte dann den Regulatoren den Fremden als einen Advocaten aus Pulaski County vor, der, zufällig in der Nähe, von ihrer heutigen Gerichtssitzung gehört und dieser, wenn es ihm verstattet würde, beizuwohnen wünschte. Hierauf erklärte Brown, da Husfield erst in etwa einer Stunde eintreffen könne, die Sitzung für eröffnet.

Vor allen Dingen wurde jetzt eine Jury von zwölf Ansiedlern gewählt, wobei den Gefangenen selbst das Recht zugestanden ward, den, den sie in dieser Sache für parteiisch hielten, zu verwerfen. Keiner aber machte von dieser Erlaubniß Gebrauch. Sie wußten gut genug, wie klar ihre Schuld sei, und da Husfield nicht gegenwärtig war, so schien es selbst Johnson gleichgültig, wer von seinen Feinden Richter oder Zuhörer wäre. Nur zwei ihm vertraute, freundliche Gesichter sah er unter der Menge; die aber hielten sich wohlweislich sehr zurück und schienen keineswegs geneigt, eine active Rolle in diesem Drama zu spielen. – Es war Curneales und Junnegan, die zusammen an einem Baum lehnten und sich nur dann und wann leise flüsternd ihre Bemerkungen mittheilten.

„Und wer soll für die Gefangenen sprechen?“ frug Brown, als zwei Männer vom Petite-Jeanne, Stevenson, Curtis, der Kanadienser und Cook als Kläger gegen die Angeschuldigten aufgetreten waren.

„Mit Ihrer Erlaubnis will ich das übernehmen,“ sagte da vortretend der fremde Advokat – „mein Name ist Wharton, ich bin Advocat in Little Rock und glaube nicht, daß Sie jenen Unglücklichen einen Fürsprecher verweigern werden.“

Einige der Regulatoren wollten hiergegen etwas einwenden, doch Brown nahm das Wort und erklärte dem Fremden, daß sie bereit wären, ihm die Vertheidigung der Verbrecher zu gestatten. Er solle aber bedenken, daß sie hier, unabhängig von der Macht des Staates, ein freies Lynchgesetz gebildet hätten und ihren Grundsätzen dabei, was auch immer die Folgen sein möchten, getreu bleiben wollten.

„Vertheidigen Sie aber diese Leute!“ fuhr er dann, Mr. Wharton freundlich die Hand reichend, fort. „Giebt es etwas, das zu ihrem Vortheil spricht – desto besser. Fern sei es von uns, Unrecht thun zu wollen; aber wehe auch den Schuldigen. Die Gesetze des Staates waren zu schwach und ohnmächtig, uns zu beschützen – hier stehen wir jetzt, die Bewohner dieser herrlichen Wälder, und schützen uns selber. – Doch die Zeit vergeht und wir haben einen schweren Tag vor uns. Wir wollen beginnen.“

Die Anklagen begannen jetzt; zuerst gegen Atkins und Weston als die Hehler, und gegen Jones als den Stehler oder Zuführer von geraubten Pferden. Da es aber an Zeugen für früher verübte Diebstähle fehlte, beschränkte man sich hier ganz allein auf den zuletzt vorgekommenen und entdeckten Fall.

Das geheime Versteck für entwendete Pferde war genau untersucht worden und die Schuld des angeklagten Atkins dabei außer allen Zweifel gesetzt. Hatten sie doch nicht allein die Pferde des Kanadiensers, sondern auch noch zwei andere, vor kurzer Zeit einem Ansiedler am Fourche la fave entführte Thiere bei ihm gefunden, so daß er sich zuletzt zu seiner Schuld selbst bekennen mußte.

Weston wurde dann vorgeführt, leugnete aber standhaft Alles, bis einer der Männer vom Petite-Jeanne darauf drang, ihn zum Geständniß zu zwingen und so lange zu peitschen, bis er bekenne.

Hiergegen protestirte nun freilich Mr. Wharton vollkommen und nannte das „grausam“ und „inquisitionsartig“. Es half ihm aber nichts – die Mehrzahl stimmte für „Dogwood“. Der Unglückliche ward denn auch ohne Weiteres an einen dieser Bäume angeschnürt und mit den schwanken Schößlingen eines Hickorybusches gepeitscht, bis ihm das Blut von den Schultern rann und lange schwarze Striemen ihm über die Seiten bis auf die Brust liefen, da die Spitzen des elastischen Holzes sich wie Fischbein herumgelegt hatten.

Der Schmerz preßte ihm endlich das Bekenntniß seiner eigenen Schuld aus. Aber keine Qual der Hölle war im Stande, einen einzigen Namen der Mitschuldigen über seine Lippen zu bringen, und ohnmächtig brach er zuletzt unter den Streichen zusammen.

Die Regulatoren – aufgeregt durch das Blut und entrüstet über das stöckische Schweigen des Verbrechers, wie sie es nannten, dürsteten nach seinem Leben und riefen wild durcheinander:

„Hängt ihn – an die Eiche mit ihm! – Er hat gestanden, daß er Pferde gestohlen hat, was sollen wir uns länger mit ihm aufhalten!“

Brown aber schlug sich hier in's Mittel und erklärte, daß dies gegen das ausgemachte Gerichtsverfahren sei. – Es sollten nämlich erst Alle gehört werden, und die Jury hatte nachher über Leben und Tod der Gefangenen zu entscheiden.

Jones' Schuld lag klar und deutlich vor, und es herrschte darüber nur eine Meinung; selbst Wharton vermochte wenig zu seinen Gunsten zu sagen. Jetzt aber galt es, das schwerere Verbrechen, den Mord Heathcott's, zu prüfen, und als Ankläger gegen Johnson und Rowson traten hierbei Curtis und der Krämer Hartford auf, nach dem auf Verlangen des Indianers gesandt war.

Hartford hatte nämlich erst vor wenigen Tagen eine jener Banknoten durch zweite Hand von Rowson empfangen, die er früher bei Heathcott selbst gesehen. Sie war von der Louisiana-Staat-Bank und trug noch als besonderes Kennzeichen den Namen eines früheren Eigenthümers auf der Rückseite.

Johnson's und Rowson's Fährten hatte der Indianer später mit den an seinem Tomahawk bemerkten Zeichen verglichen und übereinstimmend gefunden.

„Johnson hat ferner noch versucht, den Indianer zu ermorden,“ sagte Brown, „wir Alle –“

„Wozu die schöne Zeit mit weiteren Anklagen versäumen,“ unterbrach ihn Einer aus der Mitte. „Der Schuft hat wegen des einen Mordes das Hängen verdient – spräche ihn aber die Jury wirklich davon frei, was ich sehr bezweifle, so ist's immer noch Zeit zu dem andern.“

Wharton wollte jetzt auftreten und den Angeschuldigten vertheidigen; ehe er aber nur seine Rede beginnen konnte, fuhr dieser, trotz den zusammengebundenen Armen, empor und rief trotzig:

„Schweigt mit Euren Salbadereien. Die Schurken sind einmal entschlossen, mich zu hängen, und werden es thun – die Pest in ihren Hals; ich will ihnen aber wenigstens nicht den Gefallen thun, zu zittern und zu kriechen. Ja, Memmen Ihr –, die Ihr zu zwanzig über einen einzelnen Mann herfallt; ich habe den Regulator erschossen, und Gott soll mich verdammen, wenn ich nicht Eurer ganzen Bande mit Wollust die Kehle durchschneiden könnte.“

„Fort mit ihm an die Eiche – fort – hängt die Canaille!“ schrieen die Meisten, und Einige sprangen sagar schon auf den Gefesselten zu. Brown warf sich aber dazwischen und rief:

„Halt! Zur Ordnung, Ihr Männer von Arkansas. Wir müssen vorher den Prediger verhören; die Geschworenen sprechen dann das Urtheil.“

„Gut denn – Rowson vor – den Methodisten her!“ schrie die Menge und zog sich wieder, den Raum in der Mitte frei lassend, zurück.

Rowson war, als er seinen Namen auf den Lippen der tobenden Menge hörte, erschrocken und leichenblaß emporgefahren. Vergebens bemühte er sich aber aufzustehen, die Banden hielten ihn nieder, und Assowaum mußte diese erst lösen und dann den durch Blutverlust und Angst Geschwächten auch noch unterstützen, ehe er im Stande war, sich in die Höhe zu richten. Doch versagten ihm seine Glieder den Dienst; zitternd und bebend schlugen ihm die Kniee aneinander, und er wäre wieder zu Boden gesunken, hätte ihn nicht sein sorgsamer Wächter gefaßt und aufrecht gehalten. Erst als er sich einen Augenblick gesammelt, führte ihn Assowaum vor die auf dem grünen Rasen gelagerten Männer des Geschwornengerichts.

„Jonathan Rowson,“ redete ihn hier ernst und streng der Regulatorenführer an, „Ihr steht vor Euren Richtern. Man hat Euch angeklagt –“

„Halt – halt – nicht weiter,“ sagte mit leisem, flüsterndem Ton und wild und ängstlich umherschleifenden Augen der Priester – „nicht weiter. – Ihr sollt mich nicht anklagen – ich will Alles gestehen – Alles verrathen – als ›State's Evidence‹ dürft Ihr mich nicht verletzen. Ich werde dadurch selbst – ich gehöre mit zum Gericht – ich will –“

„Die Pest über Deine feige, erbärmliche Seele,“ schrie Johnson entrüstet – „seh Einer, wie die Memme zittert.“

„Wenn Ihr die Zähne noch einmal von einander bringt, ohne daß Ihr gefragt werdet,“ rief Hostler, der hier Sheriffs-Dienste versah, „so klopf' ich Euch mit dem kleinen Stück Hickory hier den Schädel ein – verstanden?“

Johnson schwieg zähneknirschend still.

„Ihr dürft mich nicht morden!“ rief Rowson, dem der klare Angstschweiß in großen Perlen auf Stirn und Schläfen stand – „oder – Ihr müßt mich wenigstens vor dem Teufel hier schützen, der über meinen Körper wacht, als ob er der Seele habhaft zu werden hoffe. Ich will Alles gestehen – ich erkläre mich hiermit für State's Evidence.“

Ein Murmeln der Verachtung durchlief die Reihen der Regulatoren, Brown aber nahm das Wort und sagte, sich zu dem Unglücklichen wendend, der flehend die gefesselten Hände gegen ihn emporhob:

„Zu spät kommt diese Reue, Rowson, selbst das kann Euch nicht retten. Dreimal des Mordes angeklagt, des schändlichen Verrathes gar nicht zu gedenken, mit dem Ihr Euch in die Familien dieser friedlichen Gegend schlichet, seid Ihr dem Gericht verfallen. Habt Ihr noch etwas zu Eurer Vertheidigung zu sagen?“

„Da kommt Husfield mit den Uebrigen,“ rief Cook, „von den beiden Entflohenen bringen sie aber keinen zurück.“

Husfield ritt in diesem Augenblick bis ziemlich dicht an die Gefangenen hinan, warf ein Bündel, das er vor sich getragen hatte, zur Erde nieder, sprang aus dem Sattel und überließ das Thier sich selbst.

„Etwas Neues noch, Husfield, was Licht auf die verschiedenen Anklagen werfen könnte?“ frug Brown.

„Nichts Erhebliches,“ erwiderte der Regulator, „hier den alten Rock, der mir übrigens verdächtig vorkam, weil er so sorgfältig gewaschen schien und versteckt lag.“

„Wah!“ sagte der Indianer, der hinzugetreten war und auf die Stelle zeigte, an der einer der hörnernen Knöpfe fehlte – „diesen Knopf erfaßte Alapaha im Todeskampfe – und hier – hier war die Wunde.“

Ohne weiter eine Antwort abzuwarten, schritt er zu dem laut- und regungslos dastehenden Priester, nahm sein Scalpirmesser aus dem Gürtel und schlitzte den linken Aermel bis an die Achsel auf, wo die rothe, kaum geheilte Narbe von dem Tomahawk der Indianerin sichtbar wurde. Ruhig deutete Assowaum darauf hin und sagte leise:

„Er ist der Mörder!“

Alles schwieg – es war, als ob sich Jeder scheue, die schauerliche Stille zu unterbrechen, und Rowson's Blicke flogen ängstlich von Antlitz zu Antlitz, nur ein einziges zu finden, aus dessen Zügen Mitleiden und Erbarmen spräche. – Sie standen Alle – Alle starr und kalt, und der finstere Ernst, die zusammengezogenen Brauen verkündeten sein nahes Schicksal.

„Diese Brieftasche,“ sagte Brown endlich, „fand man ebenfalls bei dem unglücklichen Mann hier, der, wie es scheint, Verbrechen auf Verbrechen häufte, um seine dunkeln Zwecke zu erreichen. Die Summe, die hierin enthalten ist – elfhundert Dollar –, entspricht etwa der, die jener am Ufer des Arkansas erschlagene Viehhändler bei sich getragen haben soll. Mr. Stevenson hat Rowson als denselben Mann erkannt, den er an jenem Tage, wenige Minuten vor der verübten That, mit dem Ermordeten gesehen.“

„Kennt Ihr dieses Federmesser – Rowson?“ frug er dann mit leiser Stimme den bleichen Mörder – „kennt Ihr diese Blutspuren daran?“

Rowson wandte sich schaudernd ab und stöhnte, auf Johnson deutend:

„Der da gab den Rath – warum mir das Alles – warum jedes Verbrechen auf meine Schultern?“

„Und Ihr gesteht ein, daß Ihr schuldig – an dreifachem Morde schuldig seid?“ frug ihn Husfield.

„Ja – ja – ich will Alles gestehen – Alles – noch mehr – noch viel entsetzlichere Sachen – ich will Euch vom Mississippi –“

„Ich protestire gegen dieses Verfahren,“ sagte der fremde Advocat, schnell vortretend – „Sie entlocken diesem Elenden hier das Geständniß seiner Schuld, während er noch immer in der Hoffnung steht, als State's Evidence begnadigt und auf freien Fuß gesetzt zu werden. Sie haben überdies des jungen Weston, oder wie er heißt, Geständniß mit Gewalt, gewissermaßen durch die Folter herausgelockt, – und –“

„Sir,“ unterbrach ihn ruhig Brown – „ich habe Ihnen schon im Anfang gesagt, daß Sie hier vor keinem gesetzlich gebildeten und nach bestimmten Regeln hergestellten Tribunal stehen. Eben das hat uns gezwungen, selbstständig aufzutreten, daß vor dem Gesetz des Staates Kniffe und Ränke der Advocaten stets die ärgsten Verbrecher der Strafe entzogen, weil vielleicht irgend eine Kleinigkeit in der Anklage versehen, oder ein Zeuge fehlte, oder sonst ein Haken gefunden werden konnte, mit dem man Den, der im Stande war zu bezahlen, herausriß aus Noth und Strafe. Wir hier sind eine Versammlung von Regulatoren, und die Gewalt, die wir ausüben, ist das Lynchgesetz. Diese Männer wurden angeklagt und werden bestraft, wenn schuldig befunden. – Können Sie uns beweisen, oder auch nur hoffen lassen, daß Einer von ihnen schuldlos, so sei Ihnen im Voraus versichert, daß er frei und ungehindert von dannen gehen soll. – Das ist meines Wissens das Einzige, was Sie bei dieser Sache zu thun haben. – Was beschließen die Geschworenen über Atkins?“ –

„Gebt mich frei,“ schrie Rowson in Verzweiflung – „gebt mich frei – und ich will Dinge bekennen, die –“

„Schweigt – ich rette Euch!“ flüsterte ihm leise der fremde Advocat zu.

Erstaunt und freudig schaute der Elende zu diesem empor, begegnete aber nur noch dem behutsam warnenden Blick desselben, der sich eben von ihm ab und den Geschworenen zuwandte. Diese beriethen in kleiner Entfernung mit einander über das Schicksal der Angeklagten.

Nach kurzer Zeit schon kehrten sie mit dem einstimmigen Ausspruch:



„Schuldig!“



zurück. Atkins sank, das todtenbleiche Antlitz mit den Händen bedeckend, in die Kniee nieder.

„Und Weston?“ frug Brown.

„Schuldig!“

„Und Jones?“

„Schuldig!“

„Und Johnson?“

„Schuldig!“

„Und Rowson?“

„Schuldig!“ tönte es nach, im schauerlichen, marker-schütternden Chor. Weston schluchzte laut, und Johnson knirschte, seinen Richtern giftige Blicke zuschleudernd, wüthend mit den Zähnen.

„Ihr habt es gehört!“ sagte Brown nach langer Pause, während Rowson, alles Andere um sich vergessend, nur an jeder Bewegung des Fremden hing. Es war die letzte Hoffnung, die ihm der gegeben, und in seiner Todesangst hielt er den Fremden wie einen Heiligen, der mit überirdischen Kräften begabt sei.

„Das Gericht der Regulatoren erklärt Euch hiermit für schuldig und spricht Euch den Strang für Eure Vergehen zu!“ sagte Brown mit fester, tiefer Stimme.

„Fort mit ihnen,“ schrieen Einzelne aus der Menge – „an die nächsten Bäume – füttert die Aasgeier mit den Hunden!“

„Halt!“ rief Brown dazwischen, seine Hand gegen die Herandrängenden ausstreckend. – „Halt! das Gericht verurtheilt sie – aber, Männer von Arkansas – wir wollen nicht wie die wilden Thiere gegen unsere Nebenmenschen wüthen. – Nicht alle dürfen gleiche Strafe dulden; nicht Alle sind gleich schuldig. Ist Keiner dabei, den Ihr begnadigen möchtet?“

„Atkins' Kind ist heute Nacht gestorben,“ sagte Wilson, vortretend – „seine Frau liegt schwer krank darnieder – er hat nach Texas auswandern wollen – ich dächte, wir ließen ihn ziehen.“

Eine augenblickliche Stille herrschte – Atkins blickte mit stieren – thränenleeren Augen von Einem zum Andern.

„Ich stimme für Gnade!“ sagte Brown.

„Und ich auch,“ pflichtete ihm Husfield bei – „laßt uns überhaupt, Kameraden, unser erstes Gericht nicht als ein zu blutiges beginnen. Ich bitte um Weston's Leben. Der arme Teufel hat Alles, was er selbst verbrochen, bekannt; daß er die Mitschuldigen nicht verrathen wollte, können wir ihm nicht zur Last legen; ich meinestheils finde es brav. Soll er mit der erhaltenen Züchtigung hinlänglich bestraft sein?“

„Ja!“ sagten die Männer nach kurzem Bedenken.

„Aber er muß versprechen, sich zu bessern!“ rief eine feine Stimme. – Alles lachte und schaute sich nach dem Sprecher um.

„Gnade! Gnade!“ flehte jetzt auch Jones, der an dem ganzen Betragen der Regulatoren wohl sah, wie sehr sie gesonnen seien, ernst durchzugreifen, und diesen ersten lichten Augenblick zu seinem Vortheil zu benutzen beschloß. „Gnade auch mir – ich habe einmal gefehlt – und gehöre ja überdies in ein anderes County.“

„Das möchte Euch wenig helfen,“ sagte Brown – „ich stimme jedoch dafür, diesen Mann, der allerdings weder den Fourche la fave noch Petite-Jeanne angeht, den Gerichten von Little Rock zu übergeben; die mögen über ihn entscheiden. Daß er nicht wieder an den Fourche la fave kommt, davon, glaub' ich, können wir überzeugt sein.“

„Fort mit ihm,“ riefen Einige, „gebt ihn dem Sheriff.“

„Es wär' schade um den Strick,“ sagte Curtis; „jedoch, Gentlemen, hab' ich gegen das letzte Urtheil noch etwas einzuwenden. Der Bursche hat uns hier in unsere Rechte Eingriff gethan, und stecken sie ihn in Little Rock in's Zuchthaus, und bricht er durch, wie sich das von selbst versteht, so lacht er uns nachher noch aus.“

„Bei meiner Seligkeit nicht!“ rief Jones ängstlich.

„Die kauf' ich nicht theuer,“ erwiderte ihm Curtis. – „Nein – ich stimme dafür, daß wir ihn erst mit unseren verschiedenen Holzarten, Hickory und Dogwood, bekannt machen; nachher kann er gehen. Er wird dann wenigstens freundlich an unser Flüßchen zurückdenken.“

„Curtis hat Recht,“ sagte Brown – „und meiner Ansicht nach ist dieser Jones, wenn nicht so schlimm wie Rowson, doch einer der abgefeimtesten Schufte, die es geben kann. Wenn es also die Männer von Arkansas zufrieden sind, so mag ihm der Neger dort fünfzig Streiche zuzählen.“

„Gentlemen!“ bat Jones ängstlich.

„Fünfzig sind eigentlich zu wenig,“ rief Bowitt, als die Uebrigen beigestimmt hatten, „doch möchten wir dann einen andern Mann als den Neger zum Strafen wählen; ich traue dem –“

„Halt,“ unterbrach ihn der Kanadienser. „Ich will ihm die Schläge geben – bin ihm so noch etwas schuldig –“

„Gnade! Gnade!“ flehte Jones, der wohl wußte, wie dieser Halbwilde seinen Rücken bearbeiten würde.

„Die ist Euch geworden,“ sagte Brown, sich von ihm wendend – „nach Verdienst gebührte Euch der Strang – fort!“

„Und Johnson und Rowson?“ frug Husfield jetzt, sich langsam im Kreise umschauend, während der Kanadienser den wimmernden Jones zur Seite führte.

„Den Tod!“ schallte es dumpf und eintönig von jeder Lippe.

„Sir – wenn Ihr mich retten wollt,“ flüsterte Rowson, mit Leichenblässe im Antlitz, dein fremden Manne zu, „jetzt ist die höchste Zeit – Ihr kennt die Regulatoren nicht –“

„Schweigt und baut auf mich,“ sagte ihm eben so leise und vorsichtig der Advokat.

Wilson hatte indessen Atkins' Bande zerschnitten und bot ihm sein Pferd zum nach Hause Reiten an. Dieser nickte auch dankbar mit dem Kopfe, löste den Zügel desselben von dem Zweige, an dem es befestigt stand, und wollte aufsteigen. Da besann er sich noch einmal, blieb einige Secunden über den Sattelknopf des Thieres gebeugt stehen, kehrte dann zurück und reichte erst Wilson, dann Brown und dann Husfield schweigend die Hand – drückte sie herzlich – schwang sich in den Sattel und sprengte mit verhängten Zügeln seiner Wohnung zu.

Brown sah ihm sinnend nach und sagte dann zu Wilson:

„Bei dem hat's geholfen – es sollte mich nicht wundern, wenn Atkins ein ehrlicher Mann würde.“

„Rettet mich, sonst ist es zu spät,“ flüsterte Rowson wieder in Todesangst – „Ihr habt es versprochen – Ihr müßt mich retten.“

„Führt die Gefangenen zum Tode!“ sagte Brown mit leiser, aber volltönender Stimme.

„Halt!“ rief der Advocat jetzt dazwischen tretend. „Halt! im Namen des Gesetzes! Diese Verbrecher sind des Todes schuldig – es ist wahr, aber ich protestire hier öffentlich gegen dieses Gerichtsverfahren, was eben solcher Mord wäre, als jene begangen haben. Ueberliefert sie mir und ich will ihr Ankläger vor den Richtern des Staates werden, aber hier –“

„Thut Eure Pflicht,“ wiederholte Brown ruhig, ohne den Einwurf zu beachten, „hat einer der Gefangenen noch etwas zu sagen?“

„Ich will Alles entdecken,“ schrie Rowson – „hört mich nur – Alles will ich entdecken, wenn Ihr mir mein Leben sichert. – Bis an meinen Tod will ich im Gefängniß arbeiten – aber das Leben schenkt mir – nur das Leben. Ich habe fürchterliche Sachen zu entdecken.“

„Euer Leben ist verwirkt,“ erwiderte ernst der strenge Richter. – „Bereitet Euch auf Euren Tod vor!“

„Zurück!“ schrie der Elende, als ihn die Regulatoren ergreifen wollten, „zurück mit Euch – ich bin dem Gesetz verfallen – ich –“

„Halt!“ flüsterte der Indianer, der bis dahin, wie ein zum Sprung bereiter Panther, neben der gefesselten Gestalt des Methodistenpriesters gekauert hatte, sich jetzt aber zu seiner vollen Höhe emporrichtete und seine Hand auf die Schulter des vor der Berührung zurückbebenden Verbrechers legte. – „Dieser Mann ist mein, Ihr habt ihn schuldig gesprochen – aber ich bin sein Henker!“

„Nein – nein – nein!“ schrie der Methodist in Todesangst – „nein – eher Alles – fort – fort, Ihr Regulatoren, fort mit mir – hängt mich – hängt mich hier an diesen Baum! – Nein, nicht hier – weiter fort etwas – hundert Schritt – eine halbe Meile – aber gebt mich nicht in die Hände dieses Teufels – Hülfe – Hülfe!“

Assowaum umschlang, ohne weiter eine Antwort der Regulatoren abzuwarten, die Arme seines Opfers mit der ledernen Fangschnur und nahm den sich wüthend, aber machtlos Sträubenden wie ein Kind in seine Arme.

„Gentlemen – das ist entsetzlich!“ sagte der Advocat schaudernd – „Sie wollen doch nicht zugeben, daß der Wilde den Mann in den Wald schleppe und dort zu Tode martere?“

Keiner der Regulatoren antwortete eine Silbe – Alle starrten schweigend den Indianer an, dessen Züge aber, unverändert und ruhig, nicht das Mindeste von dem verriethen, was in seiner Seele vorging. Selbst Johnson schien für den Augenblick die Gefahr seiner eigenen Lage vergessen zu haben.

„Erbarmen!“ schrie Rowson – „ich bin dem Lynchgesetz verfallen – Erbarmen – rettet mich vor dem Teufel, der mich gefaßt hat.“

Der Indianer trat mit ihm aus dem Kreis und schritt den schmalen Fußpfad, der in die Niederung und von da an den Fluß führte, hinab.

„Nein – das darf ich nicht dulden!“ rief der Fremde und eilte dem Häuptling nach, entschlossen, den Unglücklichen wenigstens aus dieser Gefahr zu retten. Als aber Assowaum die Schritte hinter sich hörte, wandte er sein Antlitz dem Advocaten zu und rief drohend:

„Folge mir auf meiner dunkeln Bahn, und Du kehrst nie wieder zu den Deinen zurück – ich kenne Dich!“

„Rettet mich!“ flehte Rowson – „rettet mich – bei Eurer Seele Seligkeit!“

Assowaum wandte sich und war im nächsten Augenblick mit seinem Opfer im Dickicht verschwunden. Wharton aber blieb wie in den Boden gewurzelt stehen und starrte träumend und fast bewußtlos der langsam fortschreitenden Gestalt des rothen Kriegers nach.

Aber auch auf dem Hügel wagte Keiner die feierliche Stille zu unterbrechen. Jeder verharrte mit tiefgefühltem Entsetzen in seiner Stellung – kaum zu athmen wagten die Männer und nur Brown schritt leise und geräuschlos an den Rand des Felsens, der den Fluß überragte, und schaute, den Arm um eine junge Eiche geschlungen, hinab auf das Flußbett. Dort aber glitt in seinem Canoe der Indianer mit langsamen, ruhigen Ruderschlägen dahin, und vorn im Boot lag die gebundene Gestalt des Methodisten.

Jones' Wehegeschrei weckte die Männer zuerst wieder aus ihrer Betäubung; der Kanadienser, der in dem Rachewerk des Häuptlings weiter nichts Außerordentliches gesehen, hatte die ruhige Zeit indessen dazu benutzt, den kleinen schwächlichen Mann an einen jungen Dogwoodstamm zu binden und ließ nun mit dem besten Willen von der Welt das schwanke Holz auf seinem Rücken herumtanzen. Er kümmerte sich auch wenig darum, daß dieser, sich unter den schmerzhaften Schlägen windend, schrie und jammerte, er habe schon sechzig – einundsechzig – zweiundsechzig – dreiundsechzig Schläge bekommen.

Brown legte sich endlich in's Mittel und befreite den Gezüchtigten von seinem Executor, der keineswegs gesonnen schien, sich an die einmal zugetheilte Anzahl Streiche zu kehren. „Da er doch einmal dabei sei,“ wie er aufrichtig genug sagte, „wolle er dem Burschen den Appetit für Pferdefleisch gleich für immer benehmen.“

Eine andere Abtheilung hatte indessen Johnson unter den zu seiner Hinrichtung bestimmten Baum geführt. Bowitt ermahnte ihn, noch einmal zu beten. Als Antwort aber spie ihn der Verurtheilte an und wandte ihm verächtlich den Rücken. Kein Wort, weder Bitte noch Klage, kam über seine Lippen; die Regulatoren aber, durch diesen letzten Beweis von Frechheit empört, warfen ihm ohne weitere Umstände die Schlinge um den Hals, hoben ihn auf ein Pferd – der Neger mußte an dem Baum hinauf und das Seil an einem vorragenden Ast befestigen, und Curtis nahm dem Pony, das ruhig unter der ihm aufgebürdeten Last stand, den Zügel ab.

Johnson's Ellbogen waren ihm auf den Rücken zusammengebunden, und er saß hoch aufgerichtet im Sattel; das Seil richte gerade hinauf. – Sobald das Pferd aber nur einen Schriet vorwärts that, das Gras abzupflücken, das im Ueberfluß auf dem Kamm des Hügels wuchs, war es um ihn geschehen.

Das Pony rührte und regte sich jedoch nicht und schaute mit seinen großen dunkeln Augen von einem zum andern der Männer, als ob es wisse und verstehe, wie alle Blicke, erwartungsvoll an ihm hingen.

„Was sollen die Faxen?“ rief Johnson jetzt halb ärgerlich – halb ängstlich, während ihm der kalte Angstschweiß auf die Stirn trat – „nehmt das Pferd fort und macht ein Ende!“

Es hätte nur eines Schenkeldrucks von ihm bedurft, und das Pony wäre vorgesprungen – aber er bewegte kein Glied – das Thier, das ihn trug, eben so wenig.

Brown schwang sich in den Sattel und sprengte den Hügel hinunter. – Ihm folgten die Uebrigen, von denen einige jedoch Wharton im Auge behielten. Jones war ebenfalls zurückgeblieben, aber der Kanadienser hütete den schon, daß er das gesprochene Urtheil nicht vereitelte.

Das Pferd des Verurtheilten stand noch immer unbeweglich, und Johnson schaute halb trotzig, halb verzagt nach Jones hinüber.

„Kommt,“ sagte der Halbindianer jetzt zu diesem – „was Ihr im Sinne habt, weiß ich wohl – dem Mann sollt Ihr aber den Spaß nicht verderben – fort mit Euch!“

„Aber so laßt doch –“

„Fort mit Euch, sag' ich, oder – wir sind jetzt allein –“ er schwang bei diesen Worten einen der noch vorräthig abgeschnittenen Stöcke. Im nächsten Augenblick verließen die Männer den Platz, und Johnson saß allein auf dem immer noch still und regungslos haltenden Thiere – unter seinem Galgen.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Regulatoren von Arkansas