35. Kapitel (List und Gegenlist – Der Überfall – Assowaum und Rowson)

35. List und Gegenlist. – Der Ueberfall – Indianer und Methodist.

„Spart Eure Kugeln!“ sagte Cotton ärgerlich, als Rowson auf den hinwegschleichenden Indianer im Anschlag lag und endlich, als er die schmale Lichtung übersprang, nach ihm schoß – „Ihr möchtet sie besser gebrauchen können. Der Indianer ist uns jetzt nicht gefährlicher, als irgend Einer der Anderen. Fielen wir der Bande in die Hände, so möchten sie die Stricke für uns bereit haben, ehe die Rothhaut ein Wort dazu sagen könnte.“


„Und wär' ich tausend Meilen von hier,“ knirschte der Priester, „so würde ich mich nicht sicher glauben, bis ich den rothen Schuft unter der Erde weiß. – Der Anderen lach' ich.“

„Er hat seinen Posten verlassen,“ flüsterte Cotton; „wäre es nicht möglich, das Canoe schnell flott zu machen und wenigstens an's andere Ufer zu entkommen?“

„Seid kein Thor und redet keinen Unsinn,“ brummte Rowson ärgerlich, während er die abgeschossene Büchse wieder lud und dann die Zündpfannen der übrigen untersuchte. „Ihr wollt uns wohl durch unüberlegtes Handeln den letzten noch gebliebenen Rettungsweg abschneiden? Wagen wir es, das Canoe vorzuholen, so lange noch Tageslicht ist, und werden wir, was unbezweifelt geschehen mag, endeckt, so haben wir unser Fahrzeug eingebüßt und sind dann rettungslos in ihre Hände gegeben. Erreichten wir aber wirklich das andere Ufer, so hätten wir die ganze Bande heulender Schufte aus unserer Fährte. Bedenkt, daß es geregnet hat.“

„Wahr! Aber wenn sie uns so umstellen, daß wir es auch in der Nacht nicht erreichen können, und uns nachher aushungern –“

„Aushungern?“ hohnlachte Rowson; „wer stürbe denn da eher, die Mädchen oder wir?“

„Allerdings,“ sagte Cotton sinnend – „das dürfen sie schon derentwillen nicht thun – aber ich weiß nicht –“

„So will ich's Euch sagen,“ flüsterte Rowson, ihn bei Seite ziehend, daß die beiden Jungfrauen seine Worte nicht vernehmen konnten. „Der Platz dort, wo das Canoe liegt, ist so versteckt und fern von hier, daß sie, wenn es dunkel wird, nicht daran denken werden, einen Posten dorthin zu stellen. Ihren Plan ahne ich. Sie hoffen auf einen Versuch von unserer Seite, das Flußufer zu erreichen, sobald es dunkelt, und das müßte auch geschehen, wenn wir nicht glücklicher Weise den unterirdischen Gang hätten.“

„Und was machen wir nachher mit den Mädchen? Verdammt will ich sein, wenn ich nicht jetzt eine ganz besondere Lust verspürte, sie mitzunehmen. Wenn wir Nachts auslagern, könnten sie uns unsere Mahlzeiten kochen, und – hol' sie der Teufel – man ist nachher durch keine großen Heirathsumstände gebunden.“

„Sie müssen mit,“ flüsterte Rowson noch leiser – „wär' es auch nur deswegen, uns gegen die Kugeln der Feinde, vom Ufer aus, gedeckt zu sehen, wenn diese unsere Flucht ja zu früh erfahren sollten.“

„Gut,“ schmunzelte Cotton, sich die Hände reibend. – „Der Lump – der Wilson ist auch unter den Regulatoren – es wird mir eine ganz besondere Wonne sein, dem den Bissen vor den Zähnen fortzureißen. Wie aber, wenn sie schreien?“

„Dafür sorg' ich schon,“ erwiderte Rowson leise. „Natürlich müssen wir sie knebeln, doch damit sie jetzt nichts merken, wollen wir uns gar nicht um sie bekümmern. Ich werde ihnen indessen schon etwas vorlügen, das sie bis Abend ruhig hält.“

„Habt also indessen ein wachsames Auge auf die Burschen, daß sie uns nicht etwa unvermuthet über den Hals kommen,“ fuhr er dann laut fort, „und wird es dunkel, so schlagen wir uns durch, den Wald müssen wir erreichen, und dann sind wir gerettet. Ihr aber“ – wandte er sich hierauf an die Mädchen – „haltet Euch bis dahin hübsch ruhig, und wenn wir das Haus verlassen und Ihr uns nachher schwören wollt, nicht eher um Hülfe zu rufen, bis wir eine volle Stunde fort sind, dann sollt Ihr Euren Freunden noch heute zurückgegeben werden.“

„Wir wollen für Euer glückliches Entkommen beten,“ rief Ellen freudig – „haltet aber Euer Versprechen, und oh – nehmt uns diese Fesseln ab. Ich gebe Euch –“

„Laß das unnütze Schwatzen, mein Täubchen,“ sagte Cotton, durch die verschiedenen Ausschaulöcher indessen den Feind beobachtend – „seid froh, daß Ihr Eure Zungen frei behaltet, mit den Armen müßt Ihr Euch nun schon einmal bis zum Abend behelfen.“

„Die Stricke schmerzen mich,“ bat Ellen, „Ihr habt sie so fest gebunden, sie zerschneiden mir das Fleisch –“

„Nun, dem läßt sich abhelfen,“ sagte Rowson, indem er zu den Mädchen trat, die Knoten etwas zu lockern. „Und was macht mein Bräutchen?“ fuhr er dann zu dieser gewendet fort, die verächtlich ihr Antlitz von ihm drehte, „so böse, mein kleines Bräutchen?“ lächelte er, indem er ihr liebkosend die Locken aus der Stirn streichen wollte.

„Zurück, Verräther!“ rief das schöne Mädchen mit funkelnden, zornblitzenden Augen – „zurück – oder ich rufe nach Hülfe und trotze Deinen Drohungen wie Deinen Waffen.“

„Aber, beste Marion –“

„An Euern Posten, Rowson – Gift und Klapperschlangen!“ rief ärgerlich der Jäger – „ist's jetzt Zeit zu solchen Possenspielen! Wartet bis – Da draußen vertheilen sich die Regulatorenhunde wieder,“ unterbrach er sich schnell. „Fast kommt mir's vor, als ob sie einen Angriff versuchen wollten. Ich hatte verdammte Lust, dem Brown eins auf den Pelz zu brennen – er ist gerade in Schußnähe.“

Marion lehnte sich zitternd an den Bettpfosten, an dem die beiden Mädchen zusammengefesselt standen.

„Nein – haltet Euer Blei zurück!“ sagte Rowson, „wir dürfen sie jetzt nicht noch mehr aufreizen. Nur wenn sie in zehn Schritt Nähe kommen und verdächtige Bewegungen machen, dann Feuer! Und in diesem Falle natürlich die Führer zuerst weggeschossen – Brown, Husfield, Wilson und Cook – das sind die gefährlichsten.“

„Und der Indianer?“

„Der ist ausgenommen,“ rief Rowson, „wo der ein Stück seines rothen Felles zeigt, da geb' ich Feuer.“

„Dort schleicht der Hund wieder hinter die Büsche,“ sagte Cotton, durch die Spalten der Hütte zeigend, „seht nur, wie er sich am Boden hinschmiegt. Es ist gar nicht möglich, ein richtiges Visir auf ihn zu bekommen.“

„So zeigt jetzt einmal Eure Kunst im Schießen, mit der Ihr immer prahlt,“ munterte ihn Rowson auf – „schickt dem indianischen Teufel dort ein Stück Blei durch die Rippen, und ich gebe Euch zweihundert Dollar.“

„Donnerwetter, Rowson,“ sagte der Jäger verwundert, ohne jedoch seine Augen von der nur dann und wann für Secunden sichtbar werdenden Gestalt Assowaum's zu verwenden. „Ihr müßt verdammt reich sein, wenn Ihr zweihundert Dollar –“

Er fuhr mit der Büchse schnell an die Backe, als ob er schießen wollte, setzte jedoch nach einer Weile wieder ab – „zweihundert Dollar für einen Schuß versprechen könnt; aber versuchen will ich's – kommt er mir vor's Rohr –“

Wieder zuckte der Lauf in die Höhe, aber auch diesmal erreichte der „befiederte Pfeil“ einen deckenden Schutzort, ehe Jener ihn auf's Korn nehmen und abdrücken konnte.

„Die Pest über seinen Schatten,“ rief der Jäger, ärgerlich mit dem Fuße stampfend, „da will ich doch eben so gern mit der Büchse einem Blitz durch eine Hagedornhecke folgen, als diesem Indianer. Wie ein Pfeil, von dem der Schuft ja seinen Namen hat, schießt er über den Boden hin. Was er nur im Sinne hat? Rowson – habt Acht auf die Canaille – sie spionirt uns sonst noch das Boot aus, und dann gute Nacht, Insel.“

Der Indianer hatte übrigens keinen bestimmten Zweck im Auge und ahnte nicht, daß in dem dichten, das Ufer begrenzenden und über den Fluß hinhängenden Rohr ein tüchtiges Canoe verborgen lag. Nur die Aufmerksamkeit der Belagerten wollte er beschäftigen, nach Dunkelwerden gedachte er dann die Feinde zu beschleichen, und mehrere der Regulatoren, unter ihnen Curtis und Cook, hatten fest versprochen, ihm beizustehen. Führten auch die Belagerten ihre Drohung aus, fielen auch die Mädchen zuerst unter ihren Streichen, was kümmerte das den Indianer – auch seine Squaw war ermordet; – Niemand hatte ihr beigestanden – der Mörder lag in jener Hütte verborgen, und ehe eine andere Sonne das Dach derselben beschien, mußte er todt oder in seiner Gewalt sein.

So verging Stunde nach Stunde; „das große Licht“ hatte den Zenith überschritten und sank tiefer und tiefer. – Schon färbte sich die Landschaft in matteren, rötheren Tinten, und feurig glühten die fernen Gebirgsrücken und die einzelnen Wipfel riesiger Fichten. Raubvögel verließen die schattigen Aeste, in denen sie die heiße Mittagszeit verträumt hatten, und strichen, wie der Hai in spiegelklarer See, durch das grüne, wogende Blättermeer nach Beute; hier und da spielten noch einzelne muntere Eichhörnchen in tollkühnen Sätzen von Ast zu Ast und suchten, als sie vergebens die übrigen Spielkameraden herbeigerufen, die sicheren Höhlen. Kaninchen krochen aus ihren Schlupfwinkeln, hohlen Bäumen und finsteren Erdhöhlen, hervor und spitzten ganz erstaunt die langen Löffel, als sie den Platz von Menschen besetzt fanden, der ihnen bis jetzt, so lange sie denken konnten, zum ungestörten Tummelplatz gedient, während sich hoch oben in klarer, hellblauer Luft ein kleiner Nachtfalke wiegte und dann und wann in kurzen, abgebrochenen Tönen den scharfen, diesen Thieren eigenthümlichen Schrei ausstieß.

Der Abend brach herein und mit ihm die Entwickelung dieses Kampfes, denn bis jetzt hatten die Belagerer nur fortwährend, theils durch gedrohte Angriffe, theils durch plötzliche Bewegungen, bald nach dieser, bald nach jener Seite, die Aufmerksamkeit der Umstellten in Anspruch genommen.

„Sobald die Sonne unter ist,“ flüsterte Rowson dem Gefährten zu – „will ich hinabschleichen zu dem Boot und recognosciren. Hoffentlich ist das Canoe flott, es war es wenigstens gestern Morgen, und der Fluß ist nur wenig gefallen. Ihr haltet unterdessen gute Wacht, und kehr' ich zurück, so schaffen wir erst die Waffen hinunter und – knebeln dann die Mädchen – das muß unsere letzte Ladung sein. Zeigen sie sich zu widerspenstig – nun – so habt Ihr gute Knochen – ein Faustschlag mag sie betäuben; schlagt sie mir aber nicht todt.“

„Nur keine Angst,“ lachte Cotton – „so ein bischen Ohnmacht kann überhaupt nichts schaden, wenigstens bis wir erst einmal fünf Meilen hinter uns haben – nachher –“

„Sprecht leiser – das naseweise Ding, Euer Liebchen – spitzt gewaltig die Ohren. Machen sie zu früh Lärm, so könnte es uns den Spaß verderben. Schreien sie aber nachher beim Knebeln ein bischen, nun so schadet's nichts, dann stürmen die Narren vielleicht, und während sie sich die Schädel an der eichenen Thür zerstoßen, sind wir durch den Gang und haben indessen an unserem Ladungsplatz Luft bekommen.“

„Wir müssen dann auf jeden Fall gleich über den Fluß hinüber,“ sagte Cotton – „im Schatten des dichten Schilfes an der andern Seite werden wir unbemerkt hingleiten können – die Dirnen tragen ja glücklicher Weise ebenfalls dunkle Röcke. Was aber fangen wir später mit ihnen an?“

„Mit den Mädchen?“ frug Rowson – „Unsinn, zerbrecht Euch jetzt den Kopf nicht darüber; im schlimmsten Fall ist Platz genug auf der Insel, oder – unten im Mississippi. Doch ich will meine Bahn antreten – also habt wohl Acht, Cotton, noch ist es hell genug und Ihr könnt bemerken, wenn die Regulatoren etwas Besonderes unternehmen sollten.“

„Sorgt nicht um mich und kommt bald wieder. Mir fängt der Boden an unter den Füßen heiß zu werden; ich wollte, ich hätte erst das Ruder in der Hand. Dort schleicht der rothe Schuft wieder vom Flusse fort – soll ich schießen?“

„Nein – jetzt ist's zu spät,“ sagte Rowson, während er die Dielen aufhob, die den Gang verbargen – „Ihr könnt ihn doch nicht mehr treffen. Zu solcher Tageszeit schießt sich's mit der Büchse am schlechtesten; aber habt Acht aus ihn – seht, wo er bleibt; ich bin bald wieder zurück.“

Er verschwand bei diesen Worten in der künstlichen Höhle, und Cotton wanderte schnellen Schrittes von einer Oeffnung zur andern, um sich keine Bewegung des Feindes entgehen zu lassen und vielleicht noch in den letzten Augenblicken überrascht zu werden.

„Marion,“ flüsterte unterdessen Ellen der Freundin zu – „Marion – fasse Muth – ich habe meine Hand befreit – als Rowson sie lockerte, rief ihn die Warnung jenes Buben fort, ehe er den Knoten wieder so fest wie früher schürzen konnte – ich bin frei.“

„Oh, löse auch meine Bande!“ flehte die Freundin leise – „ich vergehe fast vor Angst und Schmerz.“

„Ruhig – er kommt,“ flüsterte die besonnene Ellen zurück, als sich Cotton ihnen, ohne jedoch Acht auf sie zu geben, näherte, damit er auch diese Seite nicht unbewacht ließe. Ellen veränderte übrigens, um keinen Verdacht zu erregen, ihre Stellung nicht im Mindesten, warf aber ängstlich die Blicke umher, wo die nächste Waffe liege, um im Nothfall Messer oder Büchse, oder was es sei, ergreifen und sich und die Freundin vertheidigen zu können.

Auf einem Stuhl, kaum zwei Schritt von ihr entfernt, lag eine lange Pistole, und an jeder Wand – die nächste konnte sie fast erreichen, lehnte eine geladene Büchse, um nach den verschiedenen Richtungen hin augenblicklich in Bereitschaft zu sein.

„Löse meine Bande,“ bat stehend Marion – „ich muß verzweifeln, wenn Du mich noch länger –“

„Warte nur noch wenige Secunden,“ bat Ellen – „sieh – sobald Cotton wieder in jener Ecke ist, darf ich mich bewegen und Dich befreien; dann nimmst Du die Büchse, die neben Dir steht. Weißt Du damit umzugehen?“

„Ja,“ flüsterte die Jungfrau – „mein Vater lehrte es mich.“

„Desto besser – wir schieben nachher die Riegel zurück und vertheidigen den Eingang, bis uns Hülfe wird –“

„Sie werden uns aber überwältigen – Rowson hat uns doch Sicherheit versprochen, wenn wir still und ruhig sind,“ sagte Marion.

„Ich traue ihm nicht,“ erwiderte eben so leise die Freundin. – „Ich vernahm einzelne Worte, die mich Verrath ahnen lassen. – Jetzt – jetzt hab' Acht – sobald er jene Ecke betritt, kann ich Dir helfen.“

Cotton war mit dem Auge an den offen gelassenen Spalten langsam im Kreise umhergegangen und näherte sich nun dem Bett, an welchem die Mädchen standen und dessen Vorhänge sie, wenn er dahintertrat, seinen Blicken entziehen mußten.

Auf diesen Augenblick hatte Ellen gewartet – jetzt verbarg ihn das dichte, dunkelfarbige Mosquitonetz – schon setzte sie den Fuß vor, die Waffe zu ergreifen – da stieg Rowson's Kopf wieder aus der Höhlung herauf, und den Blick fest auf die Mädchen geheftet, stand er in der nächsten Minute, ein Bild der gespanntesten Aufmerksamkeit, in der Mitte der Stube.

„Cotton – hörtet Ihr nichts?“ frug er leise, als dieser wieder aus der Ecke vortrat.

„Hören? Wo?“

„Mir kam es vor, als ob Jemand irgendwo ein Stück Brett losbräche – es kann sich doch Niemand an das Haus geschlichen haben?“

„Der müßte schlau gewesen sein,“ brummte Cotton – „die hohe Fenz steht noch, und so dunkel ist es doch wahrhaftig nicht, daß man einen darüber Kletternden übersehen sollte. Was würde es aber auch dem, dem es wirklich glücken sollte, helfen? Unsere Schießscharten sind sehr zweckmäßig angebracht, und wenn –“

„Schon gut,“ unterbrach ihn Rowson, „seitdem es dunkel geworden, wird es mir ganz unheimlich hier – ich wollte, wir wären auf dem Wasser.“

„Ist das Boot in Ordnung?“

„Fix und fertig – also jetzt fort – die Regulatoren sind größtentheils da vorn gelagert, und wenn sie auch wirklich ihre heimlichen Wachen zwischen hier und dein Flusse haben, wie ich keineswegs bezweifle, so können wir doch leise über den Fourche la fave hinübergleiten und drüben die dunkeln Schatten zu schleuniger Flucht benutzen.“

„Aber die Mädchen –“

„Müssen zur Ruhe gebracht werden; jetzt fürt in's Boot!“

„Und wie schaffen wir unsere Waffen und den Koffer hinab? Wenn wir die Dirnen zu tragen haben, so –“

„Kriecht Ihr voran und nehmt den kleinen Koffer und zwei Büchsen mit – Ihr könnt nicht fehlen – die Höhle ist schnurgerade, und dicht davor liegt das Canoe. – Stellt den Koffer so geräuschlos als möglich hinein – die Büchsen auch, und kommt dann schnell zurück. In zehn Minuten muß Alles abgemacht sein.“

„Was für Provisionen nehmen wir mit?“

„Die hab' ich eben hineingetragen. Sie standen in der Höhle und liegen jetzt im Canoe,“ sagte Rowson.

„Sehr brav! – Haltet indessen gute Wacht – ich bin gleich wieder da.“

Rowson schritt unruhig im Zimmer auf und ab. Draußen regte sich kein Lüftchen – kein Laut wurde gehört – Todesschweigen lagerte über der Landschaft, und nur um die Lagerfeuer, wohl hundertfünfzig Schritt vom Hause entfernt und nach den Bergen zu, bewegten sich langsam einige dunkle Gestalten.

„Was zum Henker treiben die Schufte? Brüten sie irgendwo Unheil?“ murmelte er vor sich hin, während er mit verschränkten Armen an einer der Spalten stehen blieb und hindurchschaute.

Er drehte den beiden Mädchen den Rücken zu.

Ellen trat geräuschlos vor und nahm die Pistole vom Stuhl, glitt aber augenblicklich in ihre frühere Stellung zurück, denn Rowson wandte sich und schritt an die andere Wand der Wohnung.

„Wo nur Cotton bleibt – hol' ihn der Teufel!“ fluchte er jetzt ärgerlich, seinen früheren Marsch erneuend, „sollte er falsch –“

Er sprang in die Höhle hinunter und lauschte.

„Hätte ich nur ein Messer, Deine Bande zu lösen,“ flüsterte Ellen dem zitternden Mädchen in's Ohr –

„Die Planke, auf der ich stehe, bewegt sich –“ sagte diese eben so leise und erschreckt – „was ist das?“

„Das müssen Freunde sein,“ rief Ellen mit vor Freude kaum unterdrückter Stimme.

„Was?“ frug Rowson, sich wieder aufrichtend, daß sein Kopf eben über dem Fußboden sichtbar ward.

„Wir beten,“ sagte Ellen.

„Hol' Euch der Henker,“ zürnte der Methodist, sich wieder niederbeugend.

„Ich wollte auf ihn schießen,“ sagte Ellen bebend, „aber die Hand zittert mir so entsetzlich – ich würde nicht treffen.“

„Es muß Jemand unter der Planke hier sein,“ flüsterte Marion – „ich fühle es deutlich –“

„So hebe den Fuß – das sind Freunde,“ sagte Ellen – „der Fluß liegt auf der andern Seite, und dorthin muß der geheime Gang führen.“

„Allmächtiger Gott – hätte ich nur meine Hände frei!“ klagte die Jungfrau.

„Die Pest über den Buben – ich höre und sehe nichts,“ zürnte Rowson, wieder herausspringend. „Soll mich der Teufel holen, wenn ich nicht glaube, daß der Bursche falsch spielt. Aber dann gnade ihm Gott – ich muß ihm nach –“

Die Planke hob sich jetzt in die Höhe, und des Indianers finster drohende Augen blitzten aus der Oeffnung hervor.

Rowson hatte eine Büchse ergriffen und wollte eben wieder in den Gang hinabsteigen, da gab das schwere Brett, unter dem sich der „befiederte Pfeil“ hervordrängte, etwas nach und schurrte bei Seite – der Methodist wandte schnell den Kopf und begegnete hier, in dem ungewissen Dämmerlicht der Hütte, dem Blicke seines Todfeindes, der die erste Ueberraschung des Priesters benutzen und schnell aus seiner unbequemen Lage emporspringen wollte.

So erstarrt und erschreckt nun aber auch der Prediger im ersten Augenblick der Ueberraschung gewesen war, so sammelte er sich doch immer schnell genug, um dem noch mit halbem Leibe unter der Planke steckenden Indianer gefährlich zu werden. Dieser konnte nämlich weder schnell genug hinauf noch wieder zurück, und schon war der schwere Kolben gehoben, der ihn wohl sicher genug seinem Weibe nachgesandt haben würde, als Ellen mit einem Muthe, der eines Häuptlings würdig gewesen wäre, vorsprang und die Waffe aus den zum Todesschlag ausholenden Priester abfeuerte.

„Hölle und Teufel!“ rief dieser und stürzte zurück; längerer Zeit bedurfte aber auch Assowaum nicht, dem engen Raum, der ihm fast so gefährlich geworden wäre, zu entsteigen. Wie der Panther seiner Wälder glitt er daraus empor und sprang im nächsten Augenblick mit wildem Satz nach der Brust des Mörders, der mit einem Schrei der Angst und Verzweiflung machtlos zusammenbrach.

In derselben Minute hob sich die Planke noch einmal, und Curtis tauchte daraus hervor. Zu gleicher Zeit kehrte aber auch Cotton zurück, die Mädchen zu holen, und die Gefahr des Freundes sehend, eilte er schnell entschlossen zu seiner Hülfe herbei.

Ellen war indessen an die Thür gesprungen und hatte die Riegel zurückgeschoben, während der Indianer, kühn der neuen Gefahr trotzend, den Tomahawk aus dem Gürtel riß und diesen, ohne die Linke von der Gurgel seines Opfers zu entfernen, gegen den neu erschienenen Feind schwang.

Dieser aber überzeugte sich rasch, wie die Sachen standen. Auf der einen Seite warf sich ihm Curtis entgegen; von der andern stürmte Brown mit seinen Regulatoren durch die nun offene Thür, und Cotton ersah klug genug seinen Vortheil. Mit Blitzes Schnelle sprang er in den unterirdischen Gang zurück und floh, von der Dunkelheit begünstigt, dem rettenden Boote zu. Curtis über, der den Flüchtling mir verschwinden sah, glaubte, er hätte sich auf die Erde geworfen, dem ersten Anprall zu entgehen und dann vielleicht das Freie zu erreichen. Mit einem Kernfluch auf den Lippen sprang er deshalb gegen ihn an und stürzte im nächsten Augenblick kopfüber in das offenstehende Loch.

„Wah!“ schrie der Indianer, während seine Augen vor wilder Feude glänzten – „bin neugierig, wer zuerst wiederkommt.“

„Fackeln her!“ schrie Husfield jetzt zur Thür hin aus, „Fackeln her und umstellt das Haus – einer der Schufte hat sich unter den Dielen versteckt.“

Schnell kamen mehrere der Männer mit schon bereit gehaltenen Kienspänen herbei, und Cook, dem Ersten die Leuchte aus der Hand reißend, folgte dem Freunde. Brown sprang indessen zur Geliebten, und zitternd vor Siegesfreude und Liebeslust, war er kaum im Stande, mit seinem Jagdmesser die festen Bande des armen Mädchens zu lösen. Marion aber, betäubt von dem raschen Wechsel ihres Schicksals von Angst, Sorge und tödtlicher Gefahr zu Sicherheit und Glück, sank bebend und ohnmächtig in die Arme des theuren Mannes.

Wilson und Ellen bildeten an der Thür eine besondere Gruppe.

„Hier ist ein unterirdischer Gang,“ schrie Curtis von unten herauf – „die Anderen sind entflohen. – Nach dem Flusse zu, Ihr Männer – schnell, und schießt auf Alles, was sich regt.“

Fort stürmten die Regulatoren, und gleich darauf krachten fünf bis sechs schnell aus einander folgende Schüsse.

„So haben die Canaillen doch ein Boot gehabt,“ sagte Husfield – „und ich und der Indianer glaubten wunder wie genau wir gesucht hätten.“

„Seid Ihr verletzt, Curtis?“ frug diesen Cook, der hinuntergesprungen war und ihm im Eingang der Höhle wieder auf die Füße half.

„Ja – nein – ich glaube nicht – Pest und Gift – ich bin Hals über Kopf in das verwünschte Loch hineingefahren und kann Gott danken, so davongekommen zu sein.“

„Hallo,“ sagte Cook, indem er sich den Platz etwas näher betrachtete – „künstlich angelegter Spaziergang hier. Nun, jeder alte Fuchs gräbt sich Nothröhren, um im schlimmsten Fall ausbrechen zu können. Das Ding war auch schlau genug angelegt, ich glaube aber, der Indianer kam ein wenig zu früh.“

„Wo ist Rowson?“ frug Curtis, der sich jetzt wieder genug erholt hatte, um nach oben klettern zu können.

„Hier!“ antwortete der Indianer, während er seine lederne Schnur aus der Kugeltasche nahm und dem Gefangenen damit die Füße zusammenband – „wer hat ein Tuch?“

„Was willst Du mit einem Tuch?“ frug Cook, der sich ebenfalls wieder herausgearbeitet hatte.

„Der Methodist ist verwundet,“ sagte leise der Indianer. –

„Das junge Mädchen dort rettete das Leben des befiederten Pfeils und schoß dem blassen Mann in die Schulter – Inya!1 wie blaß er aussieht!“

„Der Indianer hat wahrhaftig Mitleiden,“ sagte Stevenson, der eben in die Thür getreten war – „auch eine neue Eigenschaft, die ich an ihn: kennen lerne.“

„Mitleiden?“ frug der Häuptling wild, indem er sich hoch emporrichtete und zornige Blicke aus den Sprecher warf. – „Wer sagt, daß Assowaum Mitleiden mit dem Mörder Alapaha's habe? Aber er darf nicht jetzt – nicht hier – nicht an dieser Wunde sterben, die ihm die Hand eines Weibes schlug. Die Rache muß mein sein. Wer hat ein Tuch für die Schulter des blassen Mannes?“

„Hier ist mein Halstuch,“ sagte Stevenson, dem Indianer das Verlangte darreichend – „aber – wie ist mir denn,“ fuhr er, sich mit der Fackel über den bewußtlosen Körper des Predigers beugend, fort, „das Gesicht hab' ich schon irgendwo gesehen – die Züge sind mir bekannt.“

Rowson schlug die Augen auf und blickte scheu zu dem Sprecher empor.

„Himmel und Erde – das ist der Mörder des Viehhändlers!“ rief jetzt der alte Farmer, indem er halb erschreckt, halb in wildem Zorn emporsprang. – „Beim ewigen Gott, das ist das Gesicht des Schurken, der ihn meuchlings niederschoß.“

„Zur Hölle mit Euch!“ rief der Verwundete und wandte zähneknirschend das Antlitz zur Seite.

„Wo ist Brown?“ frugen mehrere Stimmen.

„Hier,“ sagte dieser leise – „kann Niemand etwas Essig schaffen? Miß Roberts ist ohnmächtig.“

„Mein Kind – mein liebes Kind!“ rief Roberts, in Todesangst neben dem leblosen Körper des bleichen Mädchens knieend.

„Marion – liebste, beste Marion,“ flüsterte ihr Ellen in's Ohr, die sich, als die erste Ueberraschung und Aufregung vorüber war, erröthend den Armen Wilson's entzogen hatte.

„Hier ist etwas Wasser und Whisky,“ sagte der junge Stevenson, einen Blechbecher mit dem ersten und eine Korbflasche, mit dem letzten Getränk gefüllt, dem Regulatorenführer hinüberreichend. Brown bewies sich auch gar nicht ungeschickt und rieb Stirn, Schläfe und Puls der Geliebten mit einem Eifer, der den dabeistehenden Bahrens in Erstaunen setzte.

„Harper!“ flüsterte er dem Freunde leise zu – „ist denn Brown ein Doctor?“

„Nein,“ erwiderte dieser lächelnd – „warum?“

„Nun, weil er das Reiben so weg hat; mir wären die Arme lange eingeschlafen. Das geht ja wie mit Dampf!“

„Vater!“ flüsterte das Mädchen jetzt, die großen klaren Augen aufschlagend – „Vater!“ aber ihr Blick begegnete nicht dem des Vaters, obgleich dieser eine ihrer Hände fest in den seinigen hielt, sondern dem Geliebten, der über sie hingebeugt mit zärtlicher Sorgfalt und seliger Freude in den Zügen das Erwachen des theuren Wesens beobachtete.

„Vater!“ hauchte die Jungfrau und schloß die Augen wieder, aber mit so stillem, zufriedenem Lächeln, daß es fast schien, als hielte sie das eben Gesehene für einen schönen Traum und fürchte, ihn im wirklichen Erwachen zu verlieren.

„Habt Ihr keinen der Flüchtigen mehr einholen können?“ frug Husfield endlich, der es für seine Pflicht hielt, die Führerpflichten zu übernehmen, wo Brown's chirurgisches Talent so sehr in Anspruch genommen wurde.

„Nein,“ erwiderte Hostler – „einholen nicht, aber ich glaube fast, daß unsere Kugeln gewirkt haben. Als wir an den Fluß kamen, sahen wir den dunkeln Schatten eines Bootes am gegenüberliegenden Ufer hingleiten und feuerten unsere Büchsen darauf ab. Gleich darauf hörten wir etwas in's Wasser schlagen und drinnen plätschern; die Dunkelheit war zu groß, mehr erkennen zu können. Ich hoffe übrigens zu Gott, daß unsere bleiernen Botschaften ihre Pflicht gethan und wenigstens Einen umgelegt haben.“

„Es war nur noch Einer mit diesem da,“ sagte Ellen schüchtern – „Cotton ist sein Name, Ihr kennt ihn wohl Alle.“

„Cotton! Die – Pest,“ rief Wilson – „ob ich es mir nicht gedacht habe, daß die Bestie hier zu Bau gekrochen wäre. Daß der uns entgangen ist!“

„Und was soll mit dem Prediger geschehen?“

„Morgen ist Regulatorengericht,“ sagte Brown – „und dort muß er verhört werden. – Noch vier seiner Mitschuldigen erwarten ihr Urtheil zu derselben Zeit. – Ihr kennt den Platz. Es wäre mir auch lieb, wenn Sie sich ebenfalls dort einfinden wollten, Mr. Roberts. – Wir brauchen alte und erfahrene Leute zu solch' ernsten Verhören. – Wer ist noch draußen auf der Wache?“

„Nur Wenige,“ erwiderte Cook – „der Kanadienser mit ein paar der Unseren. Drei oder Vier sind fort, dem Flüchtling wo möglich den Weg abzuschneiden. Im Nest staken blos die Beiden, und weiter wird sich wohl Niemand hier versteckt gehalten haben.“

„Von dem Mulatten hat man also keine Spur entdecken können?“

„Nein – nichts Erhebliches – der Indianer meinte freilich, heute Morgen –“

„Er ist in die Gebirge,“ sagte Assowaum – „ich sah seine Fährte.“

„Nach dem Regen?“

„Er muß nach dem Regen wieder am Hause gewesen sein; – der Vogel, dessen Nest zerstört ist, umflattert noch eine Zeit lang den Baum. Den Gelben schmerzte der Verlust seines Bettes.“

„Wo ist Wilson?“ frug Brown, sich nach diesem umsehend.

„Er besorgt wohl die Pferde draußen,“ sagte Husfield – „es wird auch das Beste für die Damen sein, aufzubrechen. Einige von uns müssen aber hier bleiben und den Platz morgen bei Tageslicht genau untersuchen.“

„Husfield – wollt Ihr mir den Gefallen thun?“ frug Brown zögernd und, wie es Jenem vorkam, etwas erröthend. – „Es könnte doch sein, daß ich –“

„Herzlich gern,“ unterbrach ihn lachend der Regulator – „Ihr dürft überhaupt Eure Kranke nicht verlassen, und da will ich indessen Euren Rückzug decken. Morgen früh um Elf bin ich am bestimmten Platz. Ihr braucht aber mit dem Verhör nicht auf mich zu warten – fangt nur immer an.“

„Wir nehmen Atkins und Jones zuerst vor,“ erwiderte Brown – „werden auch wohl früh beginnen müssen. Kommt also dann, so schnell es Euch möglich ist, nach.“

„Ach, da sind die Pferde,“ rief Harper – „nun, Junge – Du Schlingel, hast ja nicht einen einzigen Gruß für Deinen alten Onkel heut Abend. Der ist Dir wohl bei den jungen Damen ganz aus dem Gedächtnis; entschwunden, eh?“

„Onkel!“ rief Brown und ergriff des freundlichen alten Mannes Hand – „Onkel – ich bin recht glücklich.“

„Wie transportiren wir denn den Gefangenen?“ frug Curtis jetzt – „ein Boot haben wir nicht.“

„Dafür wird der Indianer schon sorgen,“ sagte Bahrens – „der sitzt ja neben ihm und schaut ihm wie ein verliebtes Mädchen in's Gesicht. Brrrr – mich schaudert's, wenn ich mir die blutdürstigen Gefühle denke, die bei dem sanften Blick dem Indianer durch Kopf und Herz zucken. Solche Wilde sind doch entsetzliches Volk.“

„Ich möchte nicht in des Methodisten Haut stecken,“ murmelte Cook – „nicht für alle Schätze des Erdballs. Wenn den die Regulatoren frei gäben, biß ihm der Indianer, glaub' ich, die Kehle auf und söffe sein Blut.“

„Die Wunde wird ihm nicht erlauben zu reiten,“ sagte Stevenson, der Rowson's Arm indessen untersucht hatte – „der Knochen ist zerschmettert.“

„Glaubt Ihr, daß die Wunde gefährlich ist?“ frug der Indianer, wie aus einem Traum erwachend.

„Wenn er reiten muß und Erkältung dazu schlägt, ja,“ entgegnete Stevenson. – „Die Nacht ist feucht. Ein hinzutretendes Fieber könnte ihn tödten.“

„Ich trage ihn,“ sagte der Indianer.

„Wen?“ frug Bahrens – „den ganzen Prediger?“

„Ja,“ erwiderte Assowaum und schlug seine wollene Decke um den Verwundeten.

„Gentlemen,“ redete jetzt der alte Roberts die übrigen Männer an – „Einige von Ihnen bleiben, wie ich gehört habe, heute Nacht hier. Diese erwarte ich morgen um die Frühstückszeit, die Anderen aber, welche jetzt mit uns aufbrechen, da der Gefangene doch ebenfalls transportirt werden muß, und mein Haus nicht so sehr weit aus dem Wege liegt, denn meine Frau wird sich bis diese Zeit wahrscheinlich schon schön geängstigt haben –“

„– So ersuche ich Sie Alle mit einander,“ fuhr Harper in Roberts' begonnener Rede fort – „heut Abend bei mir einzukehren. Wenn wir auch ein wenig mit Raum beschränkt sein werden, so läßt sich das Alles schon einrichten – wir sind ja in Arkansas.“

„Bravo!“ sagte Roberts gutmüthig, „ganz mir aus der Seele gesprochen. Also, Gentlemen, da Sie sich so freundlich meiner annehmen – Brown nämlich meiner Tochter und Harper meiner Rede, so wollen wir denn aufbrechen. Will der Indianer wirklich den Unglücklichen tragen?“

Assowaum beantwortete diese Frage mit der That. Er hob den schweren Körper des Priesters, trotz seiner eigenen doppelten Verwundung, mit der Leichtigkeit eines Federballs empor und schritt, ohne ein Wort weiter zu äußern, auf der schmalen Straße voran. Rowson muhte aber ohnmächtig geworden sein, denn er lag regungslos in den Armen seines Feindes, und sein bleiches Antlitz ruhte, schauerlich von den langen, dunkeln, aneinander klebenden Haarbüscheln umflattert, an der Schulter des Rächers.

„Er wird ihn doch nicht ermorden?“ flüsterte Marion ängstlich ihrem Führer zu, auf dessen Arm sie sich bis jetzt gestützt hatte und der ihr nun in den Sattel half.

„Nein, Marion, fürchten Sie kein weiteres Blutvergießen heute Abend,“ erwiderte der junge Mann. „Das Gericht der Regulatoren wird aber morgen über den Elenden entscheiden, der dreifache schreckliche Blutschuld auf sich geladen hat. Das Maß seiner Sünden ist übervoll.“

Marion schauderte zusammen. Sie gedachte der furchtbaren Gefahr, der sie kaum entgangen: diesem Ungeheuer zur Beute zu fallen – aber sie sagte kein Wort.

„Und wo ist unsere kleine Heldin, unsere Amazone?“ frug Bahrens, sich überall nach Ellen umschauend – „Blitz und Hagel, wo steckt sie denn? Zu deren Ritter erklär' ich mich heut Abend.“

„Zu spät,“ lachte Brown, „zu spät, Sir – der Posten ist besetzt – Mr. Wilson hatte die Güte, diese Pflicht zu übernehmen, da sich niemand Anderes dazu meldete.“

„Zu spät? so?“ sagte Bahrens – „ja, das geht mir manchmal so, und ich könnte darüber eine köstliche Geschichte erzählen, gefröre mir nicht beim Anblick des Indianers da vorn das Blut vor lauter Grauen und Gutsetzen in den Adern. Trägt er nicht sein Opfer so zärtlich und sorgsam, wie eine liebende Mutter ihr Kind im Arme, und hat er irgend einen andern Gedanken dabei, wie Blut?“

„Es ist wahr,“ sagte der neben ihm reitende Roberts – „es hat etwas Fürchterliches, wenn man die überlegene Ruhe des rothen Mannes betrachtet, mit der er seiner Rache entgegengeht. Ihm wurde aber auch das Liebste genommen, was er auf der Welt hatte, und wenn er jetzt, wo er, um die Erfüllung seines Schwures, den er damals am Grabe seines Weibes leistete – Ihr waret ja wohl auch dabei, Bahrens –?“

„Ja!“ sagte dieser, aus tiefen Gedanken auffahrend – „ja so – ja. – Apropos, Roberts, habt Ihr (unter uns gesagt) nicht einen Tropfen Whisky in Eurem Hause? Ich weiß, Eure Frau kann ihn nicht leiden – aber heut Abend, glaub' ich, würd' ich krank, wenn ich nicht einen tüchtigen Schluck nehmen könnte. Zum Essen hab' ich den ganzen Appetit verloren.“

„Erinnert mich wieder dran, wenn wir nach Hause kommen,“ sagte Roberts leise – „aber – laßt es Marion nicht merken. – Die Frauen stecken immer unter einer Decke, und wenn sie weiter nichts thäten, so – drehten sie mir einmal die Flasche um und ließen sie auslaufen, und das wäre schade. – Es ist ächter Monongahela.“

„Wißt Ihr, Roberts, wie mir der Methodist da vorn in den Armen seines Feindes vorkommt?“ fragte Bahrens nach einer kleinen Pause.

„Nun?“

„Die Pawnees haben eine Sage, nach der ein schurkischer spanischer Händler mit der Leiche des Weibes, das er unglücklich gemacht, auf ein Pferd gebunden wurde und nun für Ewigkeiten, mit dem Elend vor sich, durch die Steppen rast; – ich glaube nicht, daß der Methodist – so lange er noch lebt – etwas anderes sehen wird, als die auf ihm haftenden Augen des Indianers.“

„Kommt, Bahrens, wir wollen voranreiten, meine Frau beruhigen und Quartier bestellen,“ sagte Roberts. – „Mir wird's auch unheimlich hier zu Muthe.“

Die beiden Männer galoppirten an dem übrigen Zuge vorbei. Als ihre Fackeln aber das Antlitz des Methodisten und des Indianers für einen Moment erhellten, sahen sie, wie Assowaum erst ängstlich zu seinem Opfer niederschaute, sich jedoch gleich darauf wieder mit triumphirendem Blick aufrichtete und schnell, wie von keiner Last beschwert, weiter schritt. – Der Methodist lebte noch.

Fußnoten

1 Ausruf des Erstaunens.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Regulatoren von Arkansas