33. Kapitel (Der entlarvte Verbrecher)

33. Der entlarvte Verbrecher.

Harper und Bahrens hatten sich ungern der Einladung gefügt. Sie war aber so herzlich gestellt gewesen, daß Beide nicht umhin konnten sie anzunehmen, und nun ihre Thiere sattelten und aufzäumten, um später die Gesellschaft nicht auf sich warten zu lassen.


Marion betrieb mit einer gewissen unruhigen Angst alle Vorbereitungen zu dem Schritt, der sie von nun an für immer aus dem elterlichen Hause entfernen sollte, und so auffallend stark war eben dieses Gefühl in ihren Zügen ausgeprägt, daß selbst der rauhe, in solchen Sachen höchst unbekümmerte und sorglose Bahrens es bemerkte und Harper darauf aufmerksam machte. Dieser versuchte jedoch, es ihm auszureden, und schweigend besorgte Jeder das, was er noch zu besorgen wünschte.

Mrs. Roberts hatte aber gar Manches vorzurichten und einzupacken und eine Zeit lang mit augenscheinlicher Ungeduld dem Hin- und Herlaufen der verschiedenen Menschen zugesehen. Endlich aber siegte ihre gewöhnliche Unruhe, mit der sie gern Alles selbst thun, Alles selbst besorgen wollte, und aus dem Stuhl, in dem sie gesessen, aufstehend, wandte sie sich an Marion und Ellen, und sagte, Marion's Bonnet dabei vom Nagel nehmend:

„Kommt, Kinder – zieht Euch an und macht, daß Ihr fortkommt; das Gelaufe wird mir hier zu arg. Ich habe noch eine Masse von Kleinigkeiten zusammen zu räumen und mitzunehmen, die in einer neuen Haushaltung unumgänglich nothwendig sind, in einer Junggesellenwirthschaft aber selten gefunden werden. Unterdessen kommt dann Mr. Rowson zurück, Sam muß die beiden Körbe auf sein Pferd nehmen, und wir Drei folgen Euch so schnell als möglich. Dort mögt Ihr Euch nachher unterhalten, so gut Ihr könnt. Ohnedies lassen wir Euch nicht lange warten.“

Hiergegen hatte Niemand etwas einzuwenden, selbst Harper sträubte sich nur noch schwach, und bald darauf setzte sich die kleine Karawane, von Roberts und Bahrens angeführt, in Bewegung, während Mrs. Roberts, geschäftiger als je, zwischen allen möglichen Krügen und Kästchen und Kisten und Schachteln umherfuhr. Eine ganze Menge von Sachen stellte sie heraus, die sie nachher als gar nicht transportabel wieder wegthun mußte, und hatte schon zum dritten Mal die beiden Körbe ausgepackt, um sie immer wieder auf's Neue zu füllen. Da plötzlich, wie sie noch in bester Arbeit war, erschien die Gestalt des Indianers in der Thür, und so ernst und düster schaute der rothe Krieger unter seinen wild die Stirn umflatternden Haaren hervor, daß die Matrone wirklich einen leisen Schrei des Schrecks oder vielmehr der Ueberraschung ausstieß. Sie hätte beinahe das irdene Gefäß mit getrockneten Pfirsichen, das sie in der Hand trug, fallen lassen.

„Ach, Assowaum,“ rief sie endlich lächelnd – „bin ich doch beinahe erschrocken, als ich Euch so unerwartet dastehen sah – es war fast wie ein Gespenst. Ihr habt Euch recht lange nicht sehen lassen. Wie ist es Euch gegangen?“

„Hat der blasse Mann das braunäugige Mädchen schon heimgeführt?“ sagte der Indianer, ohne ihre freundliche Anrede zu beachten und nur ängstlich forschend im Zimmer umherschauend – „ist Assowaum zu spät gekommen?“

„Was habt Ihr, Mann?“ rief die Matrone, jetzt in der That vor den rollenden Augen des Wilden entsetzt; „was wollt Ihr mit Mr. Rowson, den Ihr ja doch wohl immer den blassen Mann genannt habt?“

„Ich will noch nichts von ihm,“ flüsterte Assowaum, „noch nicht; aber die Regulatoren verlangen nach ihm!“

„Was geht er die Regulatoren an, er gehört ja nicht zu ihnen – billigt ihre Versammlungen nicht einmal –“

„Das glaub' ich,“ lächelte der Wilde, aber so schauerlich durchzuckte selbst dieses Lächeln seine dunkeln Züge, daß die Matrone ernstlich fürchtete, er sei über den Verlust seiner Squaw wahnsinnig geworden. Vorsichtig schaute sie sich auch nach dem Negerknaben um, der eben ihr eigenes Pferd draußen vor der Thür sattelte.

Assowaum mochte lesen, was in ihrer Seele vorging, denn er fuhr mit der Hand über die Stirn, strich sich die herübergefallenen Haare glatt und sagte leise: „Assowaum ist nicht krank – aber er kam hierher, Eure Tochter zu retten. Ist es zu spät?“

„Meine Tochter? Allmächtiger Gott, was ist mit ihr? was sollen Eure räthselhaften Reden? Sprecht das Schreckliche aus – was ist mit meinem Kinde?“

„Ist Marion schon des blassen Mannes Weib?“

„Nein – aber was hat Mr. Rowson –?“

„Die Regulatoren sind auf seiner Fährte – er ist der Mörder Heathcott's –“

„Großer Gott!“ rief die Matrone entsetzt und wankte zu dem Sessel zurück, während der Indianer ruhig und ernst in der Thür stehen blieb.

„Das ist Verleumdung,“ sagte sie endlich, sich ermannend – „schändliche, niederträchtige Verleumdung. Wer ist der Bube, der ihn dessen angeklagt?“

„Ich selbst,“ sagte Assowaum leise – „ich selbst,“ wiederholte er nach kurzer – athemloser Pause. – „Er mag sich vertheidigen, aber ich fürchte – an seinen Händen klebt auch das Blut Alapaha's – meines Weibes –“

„Entsetzlich – fürchterlich,“ stöhnte die unglückliche Frau, „und mein Kind – Aber nein, es ist nicht möglich – es ist ein Irrthum – ein schrecklicher, wahnsinnig machender Irrthum, der sich bald aufklären wird und muß. Er wird rein und unschuldig vor jedem Gericht hervorgehen.“

„Onishin,“ sagte der Indianer – „wo aber sind die Eurigen? – wo ist der alte Mann, wo das Mädchen? wo der blasse Mann selbst?“

„Er muß augenblicklich zurückkehren – Marion und Roberts sind vorausgeritten nach seinem Hause; heute Nachmittag soll in des Richters Wohnung die Trauung stattfinden. Mensch – es ist ja nicht möglich – Rowson – der fromme, gottesfürchtige Mann kann kein Verbrecher sein. – Er müßte denn den Regulator, der ihn stets beleidigte und kränkte, in der Hitze erschlagen haben –“

„Und wen beschuldigte er der That?“ frug der Indianer ernst; „der blasse Mann hatte zwei Zungen in seinem Munde, die eine sprach mit seinem Gott und die andere zürnte dem Verbrecher. That er recht, wenn er das Blut an seiner eigenen Hand wußte?“

„Ich kann es nicht glauben – ich kann es nicht begreifen,“ jammerte die Frau händeringend.

„Denkt Ihr an den Tag nach Alapaha's Ermordung?“ sagte Assowaum mit unterdrückter Stimme, indem er den kleinen Tomahawk seiner Squaw aus dem Gürtel nahm und auf den Tisch legte. „Mit dieser Waffe,“ fuhr er dann, fast noch leiser, aber mit deutlicher, nur hohl und geisterhaft klingender Stimme fort, „mit dieser Waffe wehrte sich die Blume der Prairien gegen den feigen Mörder, und Rowson's Arm war an jenem Tage verletzt. Diesen Knopf“ – flüsterte er weiter, die Reliquie dabei aus seiner Kugeltasche nehmend, „wand ich aus den im Tode krampfhaft geschlossenen Fingern Alapaha's. Er muß Rowson's sein – Assowaum hat Leute gesprochen, die da sagten, das sei Rowson's Knopf.“

„Das sind Alles nur noch unsichere, schwankende Vermuthungen,“ rief die Matrone, sich erhebend und dem rothen Sohn der Wildniß fest in's Auge schauend – „das ist noch kein Beweis, Mann. – Ich sage Euch, es ist nicht möglich – Rowson ist unschuldig!“

„Onishin! dann fragt ihn selber, denn dort kommt er,“ erwiderte Assowaum ruhig. – „Wird der blasse Mann noch blässer werden, wenn ihm die gute Frau sagt, daß er ein Mörder sei?“

Ehe die Matrone einer Antwort fähig war, hatte der Wilde den kleinen Tomahawk wieder an sich genommen und mit geräuschlosem Schritt ein Versteck, das in der Ecke stehende, mit weißem Fliegennetz überhangene Bett, erreicht. Fast in demselben Augenblick hielt auch das Pony des Predigers, ganz mit Schaum bedeckt, an der Fenz. Der Reiter schwang sich aus dem Sattel und betrat gleich darauf die Schwelle, wo er allerdings das bleiche Aussehen der Matrone hätte bemerken sollen. Zu sehr aber mit seiner eigenen Gefahr beschäftigt, frug er nur mit heiserer, fast tonloser Stimme, wo seine Braut, wo die Männer wären; ja, ein Fluch schwebte ihm auf den Lippen, als Mrs. Roberts, zwar noch zitternd, aber doch schon wieder gesammelt, antwortete, sie wären vorausgeritten und erwarteten ihn und sie selbst bald nach. Die alte gewohnte Scheu hielt jedoch noch jedes rauhe Wort zurück, und er wollte sich schon wenden, um Jene noch möglicher Weise zu überholen. Erst einmal das eigene Haus zeitig genug erreicht, durfte er ja doch hoffen, seine Flucht zu Wasser zu ermöglichen, die ihm zu Land vielleicht schon abgeschnitten war. Da rief ihn Mrs. Roberts zurück und bat ihn, zu ihr zu treten.

Wohl fühlte er, daß jetzt weitere Verstellung nur unnöthige Zeit vergeude und er vielleicht gar den günstigen Moment versäumen könne. Dann gewann aber auch sein besseres Gefühl, der Frau gegenüber, die er so fürchterlich getäuscht hatte, die Oberhand, und er beschloß, wenigstens in Frieden von ihr Abschied zu nehmen. Schnell schritt er in dieser Absicht zu dem Tisch zurück, an dem sie lehnte, und hier fiel ihm zum ersten Mal ihr ganz verändertes, bleiches Aussehen auf. Ehe er jedoch hierüber eine Frage thun konnte, sagte die Matrone sehr ernst, aber immer noch freundlich:

„Mr. Rowson, wollen Sie versprechen, mir auf Etwas, das ich Sie fragen werde, frei und offen zu antworten?“

„Ja,“ sagte der Prediger halb bestürzt und halb verlegen – „doch muß ich Sie bitten, sich zu beeilen, denn ich – ich muß wirklich noch einmal fort – Sie wissen, daß so viele Geschäfte –“

Er hatte nicht das Herz, sein Auge zu ihr zu erheben; ein ihm selbst unerklärbares Gefühl beängstigte ihn, – es war ihm, als ob er vor seinem Richter stände.

„Mr. Rowson,“ sagte die alte Dame jetzt mit leisem, aber deutlichem Ton – „Es sind mir heute Morgen wunderbare Sachen von Ihnen erzählt worden!“

„Von mir? von wem?“ frug der Prediger erschrocken, „wer war hier?“

„Es sind immer noch bloße Vermuthungen,“ fuhr Mrs. Roberts ruhig fort – „und ich hoffe zu Gott, daß es auch nur Vermuthungen bleiben sollen. Aber nothwendig ist es, daß Sie selbst erfahren, was man von Ihnen sagt, um sich dann kräftig und vollständig dagegen vertheidigen zu können.“

„Ich weiß in der That nicht – diese räthselhaften Worte – was ist nur vorgefallen?“ stotterte Rowson, immer verlegener werdend, und schon warf er einen scheuen Seitenblick nach der Thür, als sei er ent schlossen, den Faden kurz abzuschneiden und sich durch die Flucht jeder weiteren Frage zu entziehen. Unwillkürlich hatte er indessen mit einer Blume gespielt, die auf dem Tische lag, an dem er lehnte, und ebenso nahm er jetzt den Knopf auf, den der Indianer dort zurückgelassen hatte.

„Rühren Sie den Knopf nicht an, Sir – um Gottes willen,“ rief die Matrone, die es bemerkte, in einem plötzlichen Gefühl des Schreckes und der Angst – „er ist –“

„Was fehlt Ihnen, Madame Roberts?“ frug aber Rowson, der sich rasch gesammelt hatte und entschlossen schien, diesem Gespräch ein Ende zu machen. „Sie scheinen außer sich. Was ist mit dem Knopf? es ist einer der meinigen, der wahrscheinlich –“

„Der Ihrige?“ schrie entsetzt die Matrone und hielt sich an der Lehne ihres Stuhles – „der Ihrige?“

„Was ist Ihnen?“

„Den Knopf fand Assowaum in der Hand seines schändlich gemordeten Weibes,“ rief jetzt die bis dahin ängstliche und schwache Frau, sich hoch und fast krampfhaft aufrichtend. „Nur der Mörder Alapaha's kann den Knopf verloren haben –“

Des Priesters Hand fuhr wie unbewußt an seine Seite, wo er die versteckten Waffen trug. Als er aber den scheuen Blick im Zimmer umherwarf, begegnete sein Auge dem des Indianers, der, die Büchse erhoben, fest im Anschlag auf ihn lag und ihm donnernd zurief:

„Ein Schritt, und Du bist eine Leiche!“

Rowson hielt sich für verloren. Da bemerkte Madame Roberts die drohende Stellung des Wilden und nicht anders glaubend, als daß dieser hier gleich an Ort und Stelle Rache für das unschuldig vergossene Blut seines Weibes nehmen wolle, warf sie sich von der Seite auf ihn – drückte den todbringenden Lauf in die Höhe und rief entsetzt aus:

„Oh, nur nicht hier – nur nicht hier vor meinen Augen!“

Rowson sah diese Bewegung und wußte, daß dies vielleicht der letzte günstige Augenblick sei, der sich ihm zur Flucht böte. Mit der Gewandtheit eines Panthers sprang er daher, ehe der Indianer die Frau von sich abschütteln konnte, aus der Thür, schwang sich in den Sattel seines Ponys und war in der nächsten Secunde in dem Dickicht, das beide Seiten des schmalen Weges begrenzte, verschwunden.

Ihm nach stürmte in wilder Eile der rothe Krieger. Ehe er jedoch die fliehende Gestalt des Feindes wieder auf's Korn nehmen konnte, entzogen diesen schon die dichtbelaubten Büsche seinen Blicken wie seiner Kugel, und der Verbrecher war wenigstens für den Augenblick gerettet. – Aber so rasch entging er dem Verfolger nicht. Mit zwei Sätzen war Assowaum neben dem Reitpferd der Mrs. Roberts, das fertig gesattelt und aufgezäumt, von dem Neger gehalten, vor der Fenz hielt. Im Nu warf er den Damensattel ab, riß den Zügel aus der Hand des ganz verblüfften Schwarzen, schwang sich selbst auf den nackten Rücken des Thieres und folgte, diesem die Hacken wüthend in die Seiten schlagend, den Fährten seines Opfers.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Regulatoren von Arkansas