32. Kapitel (Die Kreuzeiche)

32. Die Kreuzeiche.

Die Kreuzeiche war ein bei den Jägern des Fourche la fave allgemein gekannter Platz. Sie stand unfern vom Ufer eines kleinen Sees, am Rande einer der vielen Slews oder Sumpfbäche, die die Niederung durchkreuzen, und nahe bei einem dichten Rohrbruch, der im vorigen Jahre durch die Nachlässigkeit einiger Jäger entzündet worden. Nur verdorrtes und halbverbranntes Schilf umgab jetzt noch den Platz, zwischen dem das junge, maigrüne Rohr kaum erst wieder an einzelnen und sehr zerstreut liegenden Stellen anfing sich Bahn zu brechen.


Ein gewaltiger, hochstämmiger Persimonbaum aber, dessen Wipfel der Blitz gespalten, hatte einen seiner Aeste in die auszweigende Hauptgabel des Nachbarstammes, eben dieser Eiche, gelegt und auf solche Art ein rohes, aber leicht erkennbares Kreuz gebildet.

Cotton wie Rowson kannten den Platz genau, und besonders hatte der Letztere an dieser Stelle oft Betversammlungen oder sogenannte Camp Meetings gehalten. Cotton war übrigens heute der Erste am Platz und wohl schon eine Stunde vor der ihm von Rowson bestimmten Zeit am steilen Ufer der Slew auf- und ab gegangen. So ungeduldige Blicke er aber nach der Seite hin warf, von welcher er den Freund erwartete, so scheu und vorsichtig lauschte er bald nach dieser, bald nach jener Himmelsrichtung hin, als ob er irgend eine Ueberraschung oder Gefahr befürchte, und jedes fallende Blatt machte, daß er rasch und ängstlich den Kopf dorthin wandte.

Da krachte ein dürrer Zweig, und schlangenartig glitt der Jäger hinter einen umgestürzten Baumstamm, wo er, still und regungslos wie das Holz, das ihn verbarg, liegen blieb. Es war aber der so ungeduldig Erwartete, und schnell brach der Flüchtling wieder aus seinem Versteck hervor.

„Endlich kommt Ihr,“ rief er mürrisch – „seit einer Stunde stehe ich hier Todesqualen aus, und –“

„Ihr dürft Euch nicht beklagen, ich bin noch etwas vor der Zeit da. – Es kann kaum halb nenn Uhr sein, und Ihr wißt, daß wir hier erst um neun Uhr zusammentreffen wollten.“

„Ja, um einander vielleicht nie wieder zu finden.“

„Was ist vorgefallen?“ frug Rowson erschrocken, denn erst jetzt fiel ihm das bleiche, verstörte Antlitz des verbündeten Freundes auf. „Ihr seht aus, als ob Ihr eine Todesnachricht brächtet. – Sind die Regulatoren –“

„Ich wollte, beim Teufel, es wäre nur eine Todesnachricht“ – knirschte, zwischen den auf einander gebissenen Zähnen hindurch, der Jäger; „die Hunde von Regulatoren haben auf irgend eine Art Wind bekommen lind Atkins' Haus überrumpelt.“

„Alle Wetter!“ rief Rowson ängstlich – „und hat er gestanden?“

„Ich war nicht neugierig genug, mich danach zu erkundigen,“ brummte Cotton. – „Auch Johnson muß in die Hände des verdammten Indianers gefallen sein, denn er ging aus, ihn bei Seite zu schaffen, und – ist selbst nicht wiedergekehrt.“

„Aber woher wißt Ihr, daß Atkins –“

„Wie Johnson nicht wiederkam, ging ich aus, ihn zu suchen, fand aber keine Spur von ihm und strich nun nach Atkins' Haus hinüber, um dem meine Befürchtung mitzutheilen. Dort aber fiel mir schon die Unruhe auf, die in der Farm herrschte. – Die Pferde galoppirten wild und scheu in der Einfriedigung umher, und als ich an der Fenz bis zu dem geheimen Eingang hinschlich, fand ich diesen offen. Hierdurch wurde mein Verdacht nur noch mehr bestärkt; ich wollte aber dennoch einen Versuch machen, mich dem Hause zu nähern, und gab mehrere Male hintereinander das bestimmte Zeichen –“

„Nun?“ frug Rowson rasch und gespannt.

„Lange ward es nicht beantwortet,“ fuhr der Jäger fort, „und endlich falsch – nur dreimal. Jetzt wußte ich, daß Verrath hinter den scheinbar ruhigen Wänden lauere. Leise umschlich ich nun eine Zeit lang die Farm, wäre aber doch bald, trotz aller Vorsicht, in die Hände der Schufte gefallen, die sich dort herum aufgestellt hatten. Als ich eben um die eine Ecke biegen wollte, sprangen eine Menge dunkler Gestalten aus ihren bisherigen Verstecken hervor und warfen sich auf einen Einzelnen, der, der Stimme nach, kein Anderer als Weston sein konnte. Ihr könnt denken, wie ich jetzt Fersengeld gab. So schnell mich meine Füße trugen, floh ich zu Johnson's Hütte zurück, verbarg dort die für uns werthvollsten Sachen in den hohlen Gumbaum, der nicht weit von dem Hause nach dem Flusse zu liegt, nahm die Waffen und steckte das Nest in Brand. Euch zu finden, war jetzt noch meine einzige Hoffnung.“

„Aber was können wir thun?“ frug Rowson, den stieren Blick angstvoll auf den Kameraden geheftet. „Wenn uns nun die Gefangenen verrathen? Wo ist Jones?“

„Wahrscheinlich auch in den Händen der Regulatoren,“ knirschte Cotton; „jetzt wenigstens glaub' ich's, denn sonst wär' er zurückgekehrt.“

„So müssen wir fliehen,“ sagte Rowson – „da bleibt weiter kein Ausweg. – Noch ist es Zeit.“

„Aber wie? man wird uns verfolgen und einholen.“

„Zu Pferde dürfen wir allerdings nicht fort,“ erwiderte Rowson. „Jetzt, da die kläffenden Hunde einmal munter sind, möchten wir sie nur zu bald auf den Hacken haben, und nach dem Regen ließen wir zolltiefe Spuren zurück. Aber mein Kahn ist uns sicher, der Fluß noch immer etwas hoch, und da uns auch von Harper's Haus hellte keine Gefahr droht, können wir den Arkansas vielleicht unentdeckt erreichen. Nachher hat es keine Noth weiter. Bis morgen früh müssen wir an der Mündung der Bayou Meter sein, und erst einmal dort, sind wir auch gerettet.“

„Aber Eure und meine Braut! – Ellen wird sich gewaltig grämen,“ hohnlachte der rauhe Jäger.

„Wir dürfen nicht mehr an sie denken,“ sagte Rowson. „Pest und Gift, sich so den Bissen vor den Lippen weggeschnappt zu sehen! Aber mein Hals ist mir doch lieber, und ich zweifle, daß sie viele Umstände mit uns machen würden, wenn wir erst einmal in ihren Klauen wären. Ja, würden wir den Gerichten überantwortet und ordentlich mit Richter und Advocaten verhört, dann wollt' ich immer noch sagen, laßt es uns abwarten; zur Flucht ist später noch Zeit. So aber mag der Teufel den Canaillen trauen, ich nicht. Glücklicher Weise ist Alles gerüstet, und wir können, sobald wir das Haus – aber alle Teufel – ich bekomme Besuch. – Verdammt! an die hätt' ich beinahe nicht gedacht.“

„Besuch?“ rief Cotton erstaunt, „was soll das heißen?“

„Daß ich heute meine Hochzeit feiern wollte,“ erwiderte Rowson mit einem gotteslästerlichen Fluch. „Die ganze fromme Gesellschaft ist in diesem Augenblick auch schon wahrscheinlich auf dem Wege nach meiner Wohnung, und erreichen sie die früher als wir, so sind wir verloren. – Noch ist es aber vielleicht nicht zu spät – vielleicht treff' ich sie noch unterwegs, und da wird mir schon Etwas einfallen, sie noch einen Augenblick aufzuhalten. Kurze Zeit müssen wir noch zu unseren Vorbereitungen haben. Gewinnen wir aber eine einzige Stunde Vorsprung, dann fürchte ich nichts mehr, dann sind wir gerettet. Eilt Ihr also so schnell Ihr könnt nach meinem Hans, ich werde, obgleich ich erst zu Roberts muß, ziemlich zugleich mit Euch dort eintreffen. Mein Pferd ist gut, und hält es nur noch heute aus, dann mag's zusammenbrechen, wann es will.“

„Aber vielleicht kommt Ihr doch später,“ sagte Cotton; „denn glaubt mir, ich werde mich unterwegs nicht aufhalten.“

„So steigt indessen die Leiter hinauf in den oberen Theil des Hauses. Dort steht auch der kleine Koffer, der, für solchen Fall gerüstet, Alles enthält, was wir unterwegs gebrauchen werden.“

„Und das Zeichen?“

„Ihr seht mich schon kommen. Das Haus beherrscht mehrere hundert Schritt weit die es umgebende kleine Waldwiese, auf der ich gebaut habe.“

„Aber unrecht ist's doch, die Kameraden jetzt so im Stiche zu lassen,“ sagte Cotton nachsinnend. „Wer weiß denn, ob wir ihnen nicht von Nutzen sein könnten, wenn wir die Nacht noch hier blieben! Es sind manche unter den hier wohnenden Farmern, die es im Stillen recht gut mit uns meinen und uns gern Vorschub leisteten; aber freilich werden sich die nicht rühren, wenn wir selbst beim ersten Schreckschuß die Flucht ergreifen.“

„Oh zum Henker mit Euren Vernunftschlüssen!“ rief ungeduldig Rowson aus. „Glaubt Ihr, ich soll jetzt zwischen sie treten, wo vielleicht Johnson oder Weston gestanden haben, um augenblicklich ebenfalls ergriffen und gebunden zu werden? Nein, verdammt will ich sein, wenn ich meinen eigenen Hals in eine Schlinge stecke, blos um zu sehen, wie sich ein paar Andere, denen ich doch nicht mehr helfen kann, darin befinden. – Ich gehe – Ihr mögt's jetzt machen, wie Ihr wollt.“

„Ihr wißt ja aber gar nicht, ob Euer Name überhaupt erwähnt wird. Ihr kennt doch unsern Schwur.“

„Ja wohl – Alles recht gut, der Teufel aber traue auf den Schwur, ich nicht. Das wäre nicht der erste, den ein schwarzer Hikorystock gebrochen hätte; – und sagtet Ihr nicht selbst, Johnson habe gefürchtet, von dem rothen, hündischen Wilden verrathen zu werden? Dasselbe droht mir, nur noch in einem viel ärgeren Grade. Hätte sich der Indianer nicht wieder in unserer Gegend gezeigt, vielleicht wagt' ich's dann und bliebe. Der heimlichen Rache eines solchen Burschen mag ich aber nicht ausgesetzt sein, und darum such' ich das Weite. Kommt Ihr also mit oder nicht?“

„Nun natürlich werd' ich die Finger nicht allein im Brei stecken lassen, das könnt Ihr Euch denken,“ entgegnete mürrisch der Jäger. „Ich darf ja meine Physiognomie nicht einmal in Little Rock zeigen. – Nein, mir ist's gerade bequem genug auf Gottes Erdboden, und ich habe nicht das Mindeste mit meinem Hals zwischen den Eichenästen zu suchen. Also fort denn – aber wohin wollen wir?“

„Ich gehe auf die Insel,“ sagte Rowson entschlossen – „wohin Ihr?“

„Zum Ueberlegen haben wir später Zeit genug unterwegs,“ erwiderte ausweichend der Jäger; „jetzt vor allen Dingen hier fort, denn jeder andere Platz, selbst das Zuchthaus von Arkansas, ist in diesem Augenblick sicherer für uns als der Fourche la fave. Also kommt bald nach und laßt mich nicht lange warten. – Mir ist's unheimlich, wenn ich da vielleicht eine Stunde allein sitzen sollte; ich würde jeden Augenblick fürchten, das Haus von Regulatoren umzingelt zu sehen.“

„Habt keine Angst – ich werde schnell genug da sein. Roberts sind hoffentlich noch nicht aufgebrochen, denn deren Gegenwart könnte uns jetzt allerdings gewaltig stören. So rasch mich also mein Pferd trägt, bin ich bei Euch. Uebrigens will ich verdammt sein, wenn ich nicht froh bin, die erbärmliche Predigermaske abwerfen zu dürfen. Sie ist mir, besonders in den letzten vierzehn Tagen, schauderhaft lästig geworden.“

„Ich will nur wünschen, daß Euch die Luft in Arkansas unmaskirt besser zusagt, als mit der Maske,“ erwiderte Cotton, indem er unter einem dichten Gewirr von Gründornen und Schlingpflanzen sein in eine wollene Decke eingeschlagenes Kleiderbündel hervorholte und es sich aus den Rücken warf – „so – nun bin ich reisefertig,“ fuhr er, einen scheuen Blick nach allen Seiten werfend, fort – „folgt also bald – Good bye!“

„Good bye!“ antwortete der Priester und schaute ihm sinnend noch eine kurze Zeit nach, bis er ganz hinter den dichten Papao- und Sassafrasbüschen verschwunden war. Dann aber schritt er schnell zu seinem Pferde, das ihn ruhig grasend erwartete, schwang sich in den Sattel, setzte dem Thiere die Hacken in die Seite und galoppirte, so rasch es ihm das dichte Unterholz erlaubte, waldeinwärts, der Wohnung Roberts' wieder zu.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Regulatoren von Arkansas