31. Kapitel (Eine Damengesellschaft – Die Überraschung)

31. Die Damengesellschaft. – Die Ueberraschung.

„Oh, Madame Mullins, ich möchte Sie bitten, mir noch eine Tasse Kaffee einzuschenken,“ sagte die Wittwe Fulweal, als sie das ängstlich stöhnende Kind eben wieder aus der Hängematte genommen hatte und damit im Zimmer auf und ab lief. „Wie ihm das kleine Köpfchen glüht,“ rief sie dann, den Kleinen so dicht an's Licht haltend, daß er das fieberheiße Gesichtchen ängstlich verzog und eben in einen neuen Schmerzensschrei ausbrechen wollte.


„Was kriegt denn das Kind hier für blaue Fleckchen?“ sagte Madame Bowitt, sich zu ihm niederbeugend.

„Wo? wo?“ schrie die Mutter entsetzt – „was ist mit den blauen Flecken? Sind die gefährlich? Ach Gott, das Kind stirbt mir!“

„Unsinn,“ sagte Mrs. Fulweal – „blaue Flecken – ich möchte wissen, wo blaue Flecken sein sollten. Was weiß denn Madame Bowitt von Kinderkrankheiten; das dritte, das ihr starb, war kaum sechs Monate alt, und alle drei sind keine acht Tage krank gewesen.“

„Die blauen Flecken sollen, wie mir einmal ein fremder Doctor versichert hat – ein sehr böses Zeichen sein,“ piepte die jüngste Miß Heifer – „Bruder George's Mädchen bekam sie, und es fehlte nicht viel, so wäre es dieselbe Nacht gestorben; so aber lebte es doch noch bis zum nächsten Morgen.“

„Bekommt denn das Kind wirklich blaue Flecken?“ klagte Mrs. Atkins in Todesangst – „ist es denn schon so weit? Muß es denn wirklich sterben?“

„Oh bewahre,“ sagte Mrs. Hostler, „so – gefährlich ist es gar nicht – die blauen Flecken machen nichts. – Wenn es nur nicht das Pfeifen beim Husten hätte – mein armes, kleines Mädchen, das im vorigen Monate starb, keuchte ebenso.“

Die Mutter setzte sich in trostlosem Jammer auf das eine Bett und rang die Hände.

„Ladies!“ nahm Mrs. Kowles das Wort. Sie hatte bis zu diesem Augenblick schweigend ihre Pfeife geraucht und klopfte jetzt die Asche auf dem einen Herdstein aus, der den ungeheuren Vorderklotz im Kamin trug – „ich sehe wirklich nicht ein, warum Sie die arme Mutter so ängstigen. – Herr Jesus, der Blitz – ist mir's doch in alle Nerven gefahren! – Weder blaue Flecken noch Keuchen und Pfeifen sind so sichere –“

Sie mußte aufhören zu reden, denn der rollende Donner übertäubte wohl eine Minute lang selbst das Schreien des Kindes – „sichere Anzeichen,“ fuhr sie endlich, als sich der Sturm legte, in ihrer Rede fort – „daß man bei ihnen immer nur auf Tod zu zählen hätte. Bewahre, ich weiß selbst zwei Fälle, wo die Kinder beide davon kamen, das heißt, das eine wurde blind, und das andere biß ein toller Hund, da waren aber die Flecken nicht daran schuld. Wozu sich ängstigen, wenn noch keine Gefahr da ist?“

„So glauben Sie, daß mein Kind wieder genesen kann?“

„Warum denn nicht? Es hat genug Medicin genommen, um sechs Kinder gesund zu machen, und wenn es nicht so gelb in den Augen aussähe –“

„Gelb in den Augen?“ frug die auf's Neue gequälte Mutter, indem sie mit dem Lichte zu dem Kinde stürzte – „und was bedeutet das? Madame Fulweal – Sie haben doch Erfahrung; glauben Sie, daß –“ sie wagte nicht den Satz zu vollenden, sondern barg ihr Gesicht in den Händen und lispelte leise: „Das habe ich verdient – an Ellen verdient – verdient durch mein Mitwissen –“ Erschrocken fuhr sie empor, ob Niemand die verrätherischen Laute gehört habe, und sank erst dann wieder in ihre vorige Stellung zurück.

Da schmetterte jener schon zweimal erwähnte furchtbare Schlag über den Wipfeln des rauschenden und zitternden Waldes dahin, und die Frauen fuhren entsetzt vor dem zürnenden Sturmgott zusammen, der an den Grundvesten der Erde rüttelte.

Mrs. Atkins war emporgesprungen und horchte aufmerksam nach außen hin.

„Rief nicht da draußen Jemand?“ frug sie, bleich und erschrocken ihr Ohr an die Spalten der Hütte haltend.

„Ih Gott bewahre,“ brummte Mrs. Fulweal, „wer sollte in solchem Wetter draußen sein – ja – was ich sagen wollte – Jesus im Himmel!“

Mit ihr sprangen alle Frauen entsetzt und geängstigt in die Höhe, denn auf flog die Thür und herein stürzte – Todesfurcht und Grauen im Blick, mit fliegenden, nassen Haaren und stieren Augen, der junge Weston – während er mit von Furcht erstickter Stimme schrie:

„Verbergt mich, oder ich bin verloren!“ Dann brach er, schon halb bewußtlos, aber noch mit einem gewissen Instinct den sichersten und verstecktesten Winkel der Stube in einem Sprunge erreichend, hinter dem Bett, das ziemlich die eine Ecke ausfüllte, zusammen.

„Um Gottes willen – Weston – was ist vorgefallen?“ hauchte in Todesangst Mrs. Atkins. Jener behielt aber keine Zeit zum Antworten, denn in diesem Augenblick schon sprang die dunkle Gestalt des Halbindianers in die offene Thür, und mit rauher Stimme rief er aus:

„Hier herein muß er sein – wo ist er?“

„Wo ist wer?“ sagte Madame Fulweal, die, mit Cotton und Weston vertraut, halb und halb begriff, was geschehen, und also auch am ersten ihre Geistesgegenwart wieder gewonnen hatte. „Wo ist wer? Ist das eine Manier, in fremder Leute Häuser zu kommen, und noch dazu in ein Zimmer, wo Ladies und Kranke sind? – Wo ist wer? was steht der Herr da und gafft – der Wind bläst das Licht aus – drüben wohnen die Leute!“ und ohne weiter den verdutzten und durch diese trotzige Bewegung überraschten Kanadienser weiter zu Worte kommen zu lassen, schob sie ihn von der Thür zurück und warf diese in's Schloß.

„So!“ sagte sie, als sie den kleinen eisernen Riegel vorschob, der an dieser Thür – ein wahrer Luxusartikel in Arkansas – angebracht war – „nun wollen wir einmal unsern Gefangenen betrachten.“

Indessen hatten aber auch die übrigen Frauen, Mrs. Atkins ausgenommen, ihre Besinnung und Zungen wieder erlangt, und ein solches Durcheinander-Rufen und- Fragen begann jetzt, daß selbst das kranke Kind erschrocken und geängstigt das Köpfchen hob. Beim Ausbruch der Verwirrung war es wieder in seine Hängematte gelegt worden und schwieg einen Augenblick erschreckt still. Dann aber warf es sich wieder auf sein Kissen zurück und hob ein solches Zeter-Mordio an, daß es sich Mrs. Fulweal als eine besondere Gnade vom Himmel erbat, dieses unermüdliche Kind einmal zum Schweigen gebracht zu sehen.

„Was ist hier vorgefallen? wer ist der Mann? was hat er verbrochen? wem gehörte das dunkle Gesicht? woher kam der nasse Mensch auf einmal? sollen wir ihn verbergen, oder wird noch einmal nach ihm gefragt werden?“ Das Alles schwirrte und schwamm in einem wahren Chaos von Tönen durcheinander, daß die einzelnen Damen kaum die Fragen hören konnten, die sie selbst stellten. Da faßte etwas an die Klinke, und gleich darauf pochte Jemand von außen an die Thür.

„Wer ist noch so spät da draußen, und was wollen Sie?“ frug die Wittwe Fulweal, sich wiederum das Sprecheramt zueignend, das ihr die Andern gern überließen; „wissen Sie nicht, daß hier ein krankes Kind liegt?“

„Ladies – Sie werden mir eine Frage erlauben,“ sagte die Stimme, die Mrs. Atkins mit Entsetzen als die Brown's erkannte – „hat sich ein junger Mann in dieses Zimmer geflüchtet?“

Mrs. Fulweal sah, ehe sie antwortete, ihre Mitverschworenen im Kreise an. Bei denen hatte aber auch schon zu Gunsten Weston's das weiche weibliche Herz – das Mitleiden – gesiegt, und was er auch verbrochen hatte (sie waren übrigens sämmtlich fest entschlossen, das herauszubekommen), ausliefern wollten sie ihn nicht. Ein allgemeines Kopfschütteln antwortete dem Blick, und Wittwe Fulweal, als Dolmetscher der Festung, übernahm die Vertheidigung. Um aber nicht geradezu eine bestimmte Lüge auszusprechen, hielt sie es für zweckmäßiger, die Beleidigte und Gekränkte zu spielen, und rief daher mit ihrer etwas scharfen und schneidenden Stimme sehr empört und indignirt aus:

„Nun, jetzt wird's mich wundern, was Sie sonst noch hier suchen wollen? Zu Narrenspossen ist's doch wahrhaftig mitten in der Nacht und bei einem solchen Wetter keine Zeit. – Wir sind im Begriff schlafen zu gehen, und wünschen ungestört zu sein – good night, Sir!“

Damit war die Verhandlung abgebrochen und der Frager schien befriedigt. Er hatte wenigstens jeden weiteren Versuch, etwas Näheres über die Sache zu erfahren, aufgegeben und die Thür verlassen. Mehrere Minuten lang lauschten nun Mrs. Fulweal und alle die Uebrigen, klopfenden und ängstlich schlagenden Herzens, an der Thür. Kein Laut ließ sich aber weiter hören – Alles war still und ruhig wie das Grab, und auf den Zehen wollte jetzt die Wittwe zu dem noch immer regungslos hinter dem Bette kauernden Flüchtling schleichen, als ihre Aufmerksamkeit, wie die der sämmtlichen übrigen Frauen, auf Mrs. Atkins gelenkt wurde. Diese hielt sich nämlich krampfhaft an der Lehne ihres Stuhles fest und that augenscheinlich Alles, was in ihren Kräften stand, den auf sie eindrängenden Gefühlen nicht zu erliegen. Nach kurzem Kampf aber verließ sie das Bewußtsein, und sie wäre zu Boden gestürzt, hätten die Frauen sie nicht in ihren Armen aufgefangen.

Das ganze Schreckliche ihrer Lage war in dem einen Moment, als sie die Stimme des Regulatorenführers erkannte, auf sie eingestürmt, und das Schlimmste fürchtend, da sie wußte, ihr Mann hatte das Schlimmste verdient, brach ihr so schon durch Nachtwache und Angst geschwächter Körper unter dem Schmerz und Bangen zusammen. –

In dem andern Zimmer ging es indessen nicht weniger wild und unruhig her. Kaum hatte Curtis dem Freunde die Warnung zugerufen und beide Männer ihre Posten an den zwei verschiedenen Thüren eingenommen, als ein Sprung auf den hohlen Dielenboden in der Verbindungs-Porch der beiden Häuser gehört wurde und auch fast in demselben Augenblick Atkins mit wild blitzenden Augen und fliegenden Haaren hereingestürzt kam. Er war überzeugt, daß die Männer mit zum Complot gehörten, wußte aber auch, daß er ohne Waffen im Walde rettungslos verloren sei, und die mußte er sich jetzt, und wenn es mit Gefahr seines eigenen Lebens geschehen sollte, verschaffen. Auf die erste Ueberraschung daher am meisten zählend, riß er mit kräftiger Hand die Thür auf und sprang in das Zimmer.

Hier aber übersah er schnell genug, daß seine Büchsen in der Gewalt der Feinde seien, das Bett war jedoch nicht besetzt, und mit einem Triumphruf flog er diesem zu, riß die Pistolen hervor und drängte, die gespannte Waffe auf Cook gerichtet, gegen die Thür zurück, die ihm dieser verstellt hatte. Vielleicht wollte er ihn nur zum Weichen bringen, da der Regulator aber ruhig seinen Stand behauptete, drückte er ab, das fremde Leben natürlich dem seinigen opfernd.

Schrecklicher – entsetzlicher Klang für Den, der seine ganze Lebenshoffnung, sein Alles auf dich gesetzt hat, machtloses Schloß, wenn du mit mattem, bleiernem Schlag gegen den Stahl triffst; – erschlafft sinkt die Hand und vermag selbst die treulose Waffe nicht mehr zu halten. – Vorbei – das war die letzte Hoffnung – vorbei.

Atkins schaute wild nach der Thür, durch die er eingetreten, aber in demselben Moment brachen dortherein seine Verfolger, Cook und Curtis warfen sich ihm entgegen und umwanden seine jetzt widerstandslosen Glieder mit festen Seilen.

„Wo ist der Andere?“ frug Brown, die Thür zurückstoßend – „weiß ihn Jemand?“

„Drüben in's Haus sprang er,“ erwiderte der Kanadienser. „Ich hab' es mit eigenen Augen gesehen – sie wollten ihn aber nicht herausgeben.“

„So will ich selbst versuchen, ob sie auch mir den Eintritt verweigern,“ erwiderte der Regulatorenführer und trat an die gegenüberliegende Thür. Wir kennen jedoch den Erfolg, und ohne weiter Zeit und Mühe zu verlieren, traf er augenblicklich die sichersten Maßregeln, den Flüchtling zu erfassen, sobald er versuchen würde, in den Wald zu entfliehen.

„Gentlemen,“ wandte er sich zu diesem Zweck an die Freunde, – „jener Bursche darf uns nicht entgehen; zu der Bande gehört er auf jeden Fall, und wer weiß, ob er nicht einer der Mörder war, oder in wie weit er mit in die hier vorgefallenen Verbrechen verwickelt ist. – Wir müssen also das Haus umzingeln – aber leise, daß wir ihn zu dem Glauben veranlassen, der Weg sei sicher. Hat man den Mulatten erfaßt?“

„Nein,“ sagte Bowitt – „der Schuft muß mitten durch den Wald geschlüpft sein, sonst hätte er uns nicht entgehen können.“

„Bös – bös!“ murmelte Brown – „der wird Lärm machen; das läßt sich aber nicht mehr ändern. Wir haben das Nest jener Schufte, ihren sichern Schlupfwinkel aufgestört; von nun an müssen wir uns auf unser gutes Glück verlassen. Also, Gentlemen, auf Ihre Posten – der Regen hat nachgelassen, und der Wind draußen wird uns bald wieder abtrocknen. Nehmt den Gefangenen zum Feuer, Cook – er ist ebenfalls naß.“

„Gut,“ sagte Cook – mit Curtis' Hülfe dem Befehle Folge leistend, „dann laßt uns zwei Trockne aber mit Wachtdienste thun, und Stevenson mag mit seinem Jungen hier beim Feuer auf den Gefangenen Acht geben. Wir sind den Beiden schon so viele Verbindlichkeiten schuldig und wollen sie doch nicht gern krank sehen.“

„Nicht mehr als billig,“ erwiderte Brown; „aber wo stecken sie?“

Die beiden Stevensons traten eben in die Thür und wurden bald mit ihrer neuen, diesmal bequemeren, wenigstens trockneren Pflicht bekannt gemacht. Die anderen Männer begaben sich dann auf ihre Posten, und Brown, der noch über irgend etwas leise mit dem älteren Stevenson gesprochen hatte, wollte ihnen eben folgen, als er fast erschrocken von der Thür zurückfuhr, denn in dieser stand mit nassen herunterhängenden Haaren, mit wildglühendem Blick und stolzer, finsterer Haltung – der Indianer.

„Assowaum!“ rief Brown freudig überrascht – „kommst Du endlich? Wir haben indessen für Dich gearbeitet.“

„Es ist gut so – aber – weshalb ergriffet Ihr den da?“ sagte der Indianer leise, die Hand, in der er einen Bogen und mehrere Pfeile hielt gegen Atkins hebend.

„Er war der Hehler der Verbündeten; doch Du sollst Alles erfahren. – Kehrst Du erst jetzt zurück?“

„Nein – ich habe einen Gefangenen.“

„Wen? Und wo?“

„Johnson – draußen im Walde.“

„Weißt Du ihn schuldig?“

„Er ahnte einen Panther auf seiner Fährte und fürchtete dessen Fänge. Kennst Du diese Waffen? Die Pfeile sind vergiftet. Mit ihnen schlich er zum Lager Assowaum's und wollte ihn tödten.“

„Die Pest über ihn! – Du hast ihn doch gebunden?“

„Ja.“

„Und er kann nicht entfliehen?“

Assowaum lächelte und flüsterte leise:

„Wen Assowaum bindet, der rührt sich nicht.“

„Wo aber warst Du so lange? Es gab hier Leute, die da behaupteten, Du seiest geflohen!“

„Du warst nicht unter Denen,“ erwiderte der Wilde. „Aber glaubt mein Bruder, daß ich in dieser Zeit müßig gewesen? – Ich kenne die Mörder Heathcott's.“

„Du kennst sie? – wer, wer war es? Sprich!“ rief Brown in wilder Freude.

„Johnson und – Rowson!“ sagte leise der Indianer.

„Rowson – allmächtiger Gott – das ist nicht möglich!“ schrie Brown entsetzt – „das ist – das wäre entsetzlich – Rowson ein – Mörder.“

„Johnson und Rowson,“ wiederholte Assowaum eben so leise, aber eben so bestimmt. „Der blasse Mann hatte ebenfalls Theil an dem Pferdediebstahl.“

„Mensch, bist Du dessen gewiß?“ stöhnte Brown, noch immer nicht im Stande, den schrecklichen Gedanken zu fassen, Marion in den Händen eines Verräthers zu wissen, „hast Du wirklich Beweise für solch' entsetzliche Anklage?“

„Der blasse Mann war bei dem Pferdediebstahl, ich weiß es, und neben dem Blute des weißen Mannes stand sein Fuß.“

„Gerechter Gott – Assowaum – weißt Du, wen Du beschuldigst?“

„Den Methodisten,“ sagte der Indianer finster. „Vielleicht zertrat er auch die Blume der Prairien; doch umkreiste Assowaum bis jetzt umsonst das Lager. Aber er erschlug den weißen Mann; seit vier Tagen weiß ich es.“

„Und weshalb schwiegst Du?“

„Wenn die weißen Männer den Verbrecher des einen Mordes für schuldig fanden,“ lächelte Assowaum mit wildem, fast geisterhaftem Blick, „dann kehrten sie sich nicht an den andern – sie hingen ihn, und Assowaum hätte seine eigene Rache in den Händen Anderer gesehen. Assowaum aber ist ein Mann – er will sich selbst rächen!“

„Wo aber hast Du Deinen Gefangenen?“

„Draußen im Walde; er glaubte einen Häuptling schlafend zu finden. Hat mein Bruder schon einen Panther gesehen, der die Augen schloß?“

„So wollen wir ihn – was ist das? Schon zum dritten Mal tönte der Eulenruf von da herüber, und immer in einer andern Richtung – sollte das ein Zeichen sein?“

Der Indianer horchte – wiederum klang der monotone Ruf des menschen- und lichtscheuen Nachtvogels zu ihnen herüber – dreimal – in langsam abgemessenen Pausen, und dreimal, in demselben Zeitmaß, antwortete ihm der rothe Sohn der Wälder. Aber drüben im Dickicht verstummte von jetzt an der Ruf und wurde nicht weiter gehört.

„Es war eine Eule,“ sagte Brown, noch hinaushorchend in die stille Nacht.

„Vielleicht,“ erwiderte sinnend der Indianer – „vielleicht auch nicht. – Der Mann da wird das Zeichen wohl kennen.“

Atkins, dem diese Bezeichnung galt, hatte ängstlich verstohlene Blicke nach der Thür geworfen und war, als Assowaum dem Ruf antwortete, wie erschrocken emporgefahren. Jetzt aber, als Alles schwieg und der falsche Lockton nicht weiter beantwortet wurde, durchzuckte ein trotzig höhnisches Lächeln seine dunkeln Züge, und ohne weiter ein Zeichen von Theilnahme zu verrathen, kauerte er wieder an der wärmenden Gluth nieder. Er beantwortete aber auch keine einzige der von Brown an ihn gerichteten Fragen und wandte diesem sowohl, als dem Manne, der ihn zuerst verrathen und jetzt sein Wächter war, in zorniger Verachtung den Rücken.

Der Indianer hatte indessen in Begleitung mehrerer Regulatoren die Hütte wieder verlassen, und tiefes Schweigen herrschte wohl eine halbe Stunde lang, als auf einmal ein wilder Angstschrei an dem hintern Theil der Fenz, da, wo diese an den Wald stieß, gehört wurde. Gleich darauf brachten Wilson und Bowitt den gefangenen Weston, der in die Falle gegangen war und seine Flucht versucht hatte, herein.

Nicht viel später erschien auch Assowaum mit zweien der Regulatoren, die den bleichen und scheu die Augen niederschlagenden Johnson in die Stube stießen, wo er sich plötzlich seinem grimmigsten Feinde, dem wilden Husfield gegenüber sah.

„Also doch – Sir?“ frug dieser, ihn erstaunt von Kopf bis zu Füßen betrachtend – „doch mit bei der Bande, und wie es scheint in gar verzweifelter Situation? Wer hat den Menschen gefangen?“

„Der Indianer,“ sagte Cook, auf ihn deutend.

„Ha, Assowaum!“ rief Husfield, diesen erst jetzt erkennend – „das ist brav, daß Du wieder da bist und noch dazu solche Beweise Deines guten Willens mitgebracht hast. Verdamm' mich – Assowaum, wenn ich weiß, was ich Dir dafür Liebes und Gutes erweisen soll – Pest – fünfhundert Dollar wären mir nicht so lieb. Da, da hast Du meine silberbeschlagene Büchse – ich weiß, die Deinige taugt nichts mehr – sie versagt immer und Du hast Dir schon lange ein gutes Gewehr gewünscht. – Nimm sie, und möge sie Dir so gute Dienste leisten, wie sie mir geleistet hat. Und Du, Geselle –“ wandte er sich dann an den zitternden Verbrecher – „Du sollst diesmal Deiner Strafe nicht entgehen. Als wir uns zum letzten Mal sahen, warst Du verdammt trotzig; jetzt möchte sich das Blatt gewendet haben. Seht nur, wie der Schuft zittert und bebt; die Knie können ihn kaum noch tragen.“

„Gift und Tod über Euch!“ fluchte der Gefesselte, sich jetzt zum ersten Mal trotzig emporraffend. „Ihr könnt mich hier fesseln und – lynchen – zum Teufel, aber Ihr braucht mich nicht zu verhöhnen. Hunde Ihr – die Ihr Alle über Einen herfallt.“

Husfield wollte auffahren, Brown wehrte ihm aber und sagte:

„Laßt ihn reden. – Er mag prahlen und schimpfen; daß wir aber ein Recht haben, ihn gefangen zu halten, dafür ist uns der Indianer Bürge, den er heimlich hat überfallen und morden wollen. Das ist die erste Anklage; das Uebrige kommt nach. Sobald wir seine Genossen haben, wird das Gericht, unser Gericht nämlich – das Weitere bestimmen. Jetzt gilt es vor allen Dingen, die zweite Höhle dieser Halunken aufzufinden. Wer kennt den Weg?“

„Ich!“ sagte Assowaum; „aber glaubt mein Bruder, daß der Bär in sein Lager zurückkehrt, wenn er die Fährten des Jägers am Eingange wittert? Das Eulenzeichen galt den hier Wohnenden; wir wußten es nicht zu beantworten, und jene Schufte wurden gewarnt – die Höhle ist leer.“

„Du magst in der That Recht haben, Assowaum,“ sagte Brown, „den Versuch müssen wir aber machen, und von dort an sei unsere nächste Aufgabe, den – den Zweiten zu finden, den Du für schuldig hältst. Noch ist es, dem Himmel sei Dank, Zeit, aber ich kann mir das Entsetzliche nicht denken.“

„Wer ist denn der andere Mann, von dem der Indianer sprach?“ frug Stevenson jetzt.

„Sie sollen ihn morgen kennen lernen,“ erwiderte, finster vor sich niederstarrend, der junge Regulatorenführer – „aber – nicht wahr, Mr. Stevenson –“ fuhr er dann, wie aus einem Traum aufschreckend, fort – „nicht wahr, Sie bleiben jetzt bei uns, bis wir die Sache zu Ende gebracht haben? Sie müssen doch sehen, wie wir hier in Arkansas Recht und Gerechtigkeit üben –“

„Ich bleibe da – versteht sich,“ betheuerte der alte Farmer, mit kräftigem Druck den dargebotenen Handschlag erwidernd.

„Dann werden aber Ihre Frauen auch meine Wohnung wenigstens so lange als die ihrige betrachten,“ sagte Heinze, dem Alten ebenfalls die Hand reichend. „Wie mir Cook gesagt hat, so lagern sie kaum eine viertel Meile von meinem Hause entfernt, und da ich doch morgen früh einmal hinauf muß, will ich sie selbst herüberholen. Wann ist unser Gericht?“

„Am Montag Morgen.“

„Und wo?“

„Diesmal im freien Walde, dort, wo unterhalb Wiswill's Mühle der steile Fels in den Fluß hineinragt. Oben auf dem Gipfel ist ein offener Platz und dorthin wollen wir die bis dahin gemachten Gefangenen transportiren.“

„Wen sucht ihr noch?“ frug Husfield.

„Cotton und – Rowson!“

„Rowson? Den Prediger? Den Methodisten?“ riefen Alle erstaunt und überrascht durcheinander.

„Den Prediger und Methodisten,“ erwiderte Brown leise.

„Und wer ist sein Ankläger?“ frug Mullins bestürzt.

„Assowaum!“ sagte der Regulatorenführer, auf den Indianer deutend, dessen dunkle Gestalt ruhig am Kamin lehnte, während er mit nicht zuckenden Wimpern den auf ihn gerichteten Blicken der Menge begegnete.

„Er hat Blut an seiner Hand,“ sagte er endlich leise nach kurzer Pause – „er hat Blut in seiner Fährte, und die Wasser des Petite Jeanne – die Wasser des Fourche la fave konnten es nicht verwischen.“

„Und morgen will er des alten Roberts Tochter als sein Weib heimführen,“ rief Cook erstaunt – „es ist nicht möglich, der Indianer muß sich irren –“

„Der fromme Rowson,“ stöhnte Mullins, noch halb ungläubig, in stummem Entsetzen.

„Hier nützt kein Reden,“ sagte Brown schnell entschlossen – „hier muß gehandelt werden. Ist es ein bloßer Verdacht, der auf dem Priester ruht, so verlangt es sein eigener guter Ruf, daß er so schnell gehoben werde, als möglich, denn auf seinem Stand darf kein Makel haften, wenn er nicht zehnfache Verdammung auf das schuldige Haupt herabrufen will. Jetzt aber gilt's vor allen Dingen, die Verbrecher einzufangen, die hier in der Nähe und also auch wahrscheinlich schon gewarnt sind. Assowaum mag uns nach Johnson's Hause führen, und von dort brechen wir zusammen nach Roberts' Wohnung auf, die wir noch früh am Morgen erreichen müssen.“

„Das ist auf jeden Fall ein Irrthum,“ sagte Mullins, „der Indianer ist ja auch nur ein Mensch, und –“

„Wochenlang hat Assowaum den Fährten nachgespürt und sie gemessen und verglichen,“ erwiderte finster der Wilde; „so wahr jener Sturm die alten Bäume schüttelt – der blasse Mann ist ein Verräther.“

„Was nützen die Worte!“ erwiderte Brown – „er ist beschuldigt und –“

„Aber von wem?“ unterbrach ihn ärgerlich Mullins – „der Indianer, der ihm nie grün war, weil er Alapaha zum Christenthum bekehrte, klagt ihn an. – Sollen wir auf dessen Wort hin einen frommen, gottesfürchtigen Mann ergreifen und auf den Tod beleidigen? Das geht auf keinen Fall. – Bringt erst Beweise, eher gebe ich meine Zustimmung zu solch rascher That nicht.“

„Stellt ihn mir gegenüber,“ sagte der Indianer, indem er sich aus seiner ruhenden Stellung stolz emporrichtete – „stellt ihn mir gegenüber, und wenn sein Auge an dem meinigen haften kann – dann hängt mich. Sind die Männer zufrieden?“

„Ja!“ sagte Husfield ernst. „Ich sehe nicht ein, warum wir auf das Zeugnis eines weißen Mannes mehr geben sollten, als auf das eines rothen. Ich selbst habe den Methodisten nie leiden können und würde mich gar nicht wundern, wenn jetzt ein Wolf unter dem Lammfell steckte. Er ist so gut wie jeder Andere nur ein Mensch, und daß er predigt, erwirbt ihm, in meinen Augen wenigstens, kein besonderes Verdienst. Reinigt er sich vor Gericht von der Beschuldigung, desto besser für ihn. Ich fürchte aber fast, der Indianer hat zu sichere Beweise, denn sein Auftreten ist nicht gerade wie das eines Mannes, der auf bloßen Verdacht hin handelt. Führt uns an, Brown – jeder Augenblick, den wir noch versäumen, ist nie wieder einzubringen. Führt uns an, und so möge Verdammniß und Strafe den Schuldigen treffen, wie wir jetzt unser gutes Recht sichern und bewahren wollen.“

„Und was soll mit diesen Gefangenen geschehen?“ frug Cook, auf Atkins, Weston und Johnson deutend.

„Am besten ist's, wir schaffen sie heute Nacht noch fort,“ sagte Brown – „das ganze Hans ist voller Frauen, Mrs. Atkins hat also Hülfe und Unterstützung. Wo aber hin mit ihnen?“

„Zu mir,“ sagte Wilson – „Curneales wird sich, deß bin ich überzeugt, nicht weigern, die Regulatoren mit ihren Gefangenen aufzunehmen und wir brauchen dann nur für sichere Wacht zu sorgen.“

„Die will ich halten!“ rief Curtis, „ich werde Wohl noch Kameraden dazu finden, und daß sie nicht entkommen sollen, dafür bürgt meine Büchse. Aber dann brecht auch auf – es kann nicht mehr so weit bis zum Morgen sein, und ist Cotton wirklich gewarnt, so möcht' es eine schwierige Aufgabe werden, ihn einzufangen. Der ist mit allen Hunden gehetzt. Jetzt also vor allen Dingen eine Abtheilung mit den Gefangenen fort und die andere auf die Suche.“

Schnell und geräuschlos wurden nun die hierzu nöthigen Schritte gethan, um die Frauen nicht unnützer Weise noch mehr zu beunruhigen. Die drei Gefangenen sahen sich in der nächsten Viertelstunde, von sechs schwerbewaffneten Männern geleitet, auf dem Wege nach ihrem einstweiligen Gefängniß. Pelter und Hostler blieben als Wachen in Atkins' Hause zurück, und die Uebrigen, von Assowaum geführt, brachen nach der einsamen Hütte der Verbündeten auf, um dort noch wo möglich den schon so lange Gesuchten zu erfassen, oder doch neue Beweise der Schuld aller bis jetzt Eingebrachten und Gefangenen zu erhalten.

Mitternacht lagerte über den Wäldern. Noch rauschten und brausten die mächtigen Wipfel und schüttelten sich die kalten Schauer aus den grünen, wehenden Locken; noch zuckten am fernen östlichen Horizont matte Blitze, und leise – leise grollte und murmelte der ferne Donner hinterher. Da huschte schnell und vorsichtig eine dunkle Gestalt über die Fenz, welche Johnson's niedere Hütte umschloß. Es war Cotton – er glitt durch die offene Thür in den innern Raum der Hütte, raffte dort, was er an Waffen und Kleidern besaß, zusammen, barg mehrere andere Sachen, die er dem Auge der Feinde wahrscheinlich zu entziehen wünschte, in einen hohlen Baum unfern der Hütte, schleppte dann das im Kamin durch ihn schnell wieder angefachte Feuer in eine Ecke der Stube unter das Bett, warf einen flüchtigen, Abschied nehmenden Blick auf den Raum, der ihm so lange Schutz gegen seine Verfolger gewährt hatte, murmelte noch einen bittern Fluch zwischen den dünnen, bleichen Lippen hindurch und verschwand dann, schnell und geräuschlos, wie er gekommen, im dichten, undurchdringlichen Schatten des Waldes.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Regulatoren von Arkansas