22. Kapitel (Atkins' Wohnhaus – Der fremde Besuch – Die Parole)

22. Atkins' Wohnhaus. – Der fremde Besuch. – Die Parole.

Atkins' Wohnhaus unterschied sich, und zwar sehr zu seinem Vortheile, bedeutend von den meisten Blockhütten der Ansiedelung, obgleich es auch eigentlich nur aus Stämmen errichtet war. Diese aber, von innen und außen behauen, bildeten zwei vollkommen gleiche, anderthalb Stockwerk hohe Häuser, welche in der Mitte durch einen nach Norden und Süden offenen Zwischenraum verbunden wurden, wobei sich das Ganze unter einem Dache befand. Auch inwendig war der Farmer außergewöhnlich thätig gewesen, und die sauber abgehobelten Bretter, mit denen er jede Spalte höchst sorgsam vernagelt, wurden nur hier und da durch einige riesengroße Ankündigungen wandernder Kunstreitergesellschaften, Wachsfigurencabinette und Menageriebuden verdeckt. Eine der letzteren, auf hellgelbem Papier, zeichnete sich besonders aus und stellte einen Mann dar, der, mit sehr engen Beinkleidern und zwei außergewöhnlich großen Federn auf dem Baret, einem Löwen im Arm lag und diesem höchst angelegentlich etwas in's Ohr zu flüstern schien. Andere verkündeten Aehnliches und waren jedenfalls einmal von den Eigenthümern der Wohnung aus Little Rock, der Hauptstadt des Staates, als Curiosität mitgebracht worden.


Das eine der beiden einander ganz ähnlichen Gebäude wurde nur zum Schlafzimmer benutzt. Fünf Betten mit einer Anzahl von Matratzen und Steppdecken, vielleicht noch einem Dutzend anderer Gäste zum Lager dienen zu können, füllten seine Räume, während an den Wänden die Garderobe der Frauen und – in einem ganz besondern Winkel – der Sonntagsstaat des Eheherrn hing. In dieses Zimmer wurden die Gäste aber nur erst Abends, zur Schlafenszeit, eingeführt, wo die verschiedenen Lager alle hergerichtet und der müden Glieder der Fremden gewärtig waren. Am Tage blieb es jedem nicht zu dem Hausstand gehörenden Auge ein fest verschlossenes Heiligthum. Selbst Atkins wagte nicht, es ohne Erlaubniß seiner Frau, die den Schlüssel dazu bei sich trug, zu betreten.

In dieses Wohn- und Staatszimmer wurde Brown jetzt eingeführt, und dort fand er seinen Wirth, der sich auf den Hinterbeinen eines Stuhles balancirte, dazu ein Lied pfiff und an einem Stückchen Cedernholz mit dem halb abgebrochenen Federmesser schnitzelte. – Das Eintreten des Gastes störte ihn aus seinen Betrachtungen auf, er hatte aber kaum den Blick auf die Thür geworfen und den eben Gekommenen erkannt, als er, augenscheinlich erbleichend, von seinem Sitz emporsprang, wild nach dem Gesims über der Thür schaute, wo eine lange Büchse auf zwei Pflöcken lag, und sich erst dann beruhigte, als er sah, daß der Gast allein und in einer keineswegs feindlichen Absicht sein Haus betreten habe.

Brown war selber über das unbegreifliche Erschrecken des Farmers bestürzt, ignorirte es jedoch soviel wie möglich und sagte, indem er auf ihn zuging und ihm freundlich und offen die Hand entgegenstreckte: „Mr. Atkins, es sollte mir sehr leid thun, wenn ich Sie etwa gestört haben sollte.“

„Oh – ganz und gar – ganz und gar nicht,“ stotterte, immer noch nicht recht gefaßt, der Farmer, „es war nur – es sollte sich doch auch –“

„Ich bin allerdings in dieser Gegend ein seltener Gast,“ lächelte Brown, „und wenngleich am Fourche la fave heimisch, hier doch ein Fremder. Doch mag die Zeit, in der wir leben, meine Störung, wenn ich eine solche versucht habe –“

„Aber, bester Mr. Brown,“ unterbrach ihn Atkins, der jetzt seine ganze Fassung wiedergewonnen hatte, „erwähnen Sie doch nur so etwas nicht; Sie sind zwar ein seltener, aber darum nicht minder willkommener Besuch, und möge dies der Anfang zu einer recht fleißigen und fortgesetzten Bekanntschaft werden.“

„Ich will es wünschen,“ sagte Brown, die dargebotene Hand schüttelnd, „und möglich ist es, daß wir in einem fremden Lande die hier begründete Freundschaft fortsetzen. Ich habe wenigstens gehört, daß Sie nach Texas auszuwandern gedenken –“

„Ja – aber Sie auch? wenn mir recht ist; doch wurde mir in voriger Woche erzählt, Sie – Sie hätten sich den Regulutoren angeschlossen, ja – wären sogar ihr Anführer geworden.“

„Ja und nein,“ lächelte Brown, „angeschlossen habe ich mich ihnen wirklich und bin auch für den Augenblick ihr Anführer geworden, sollte es etwas zu führen geben, aber nur bedingungsweise, und zwar bis zu der Zeit, wo die beiden kürzlich hier geschehenen Mordthaten aufgedeckt und die Mörder bestraft sind. Dann leg' ich mein Amt nieder und verlasse den Staat, um ein Bürger der Republik Texas zu werden.“

„Aber die Pferdediebe!“ warf Atkins ein.

„Kümmern mich nur insofern, als ich in ihnen ebenfalls die Mörder vermuthe. Natürlich werde ich, so lange ich an der Spitze stehe, auch gegen sie mit allem Eifer handeln, falls wir auf die Spur kommen sollten. Die scheint aber zu vorsichtig versteckt zu sein, und man muß dabei dem Zufall viel überlassen. Jetzt kenne ich nur das eine Ziel, jene Mörder aufzuspüren, und der Herr sei ihnen gnädig, wenn wir sie herausbekommen. Von den Menschen habe sie keine Gnade zu hoffen.“

„Sonderbar,“ sagte Atkins nachdenkend, „daß man auch in beiden Fällen noch auf keine Seele Verdacht geworfen hat. – Ja – ich weiß – Sie wurden der ersten That beschuldigt, doch widerstritten dem im Anfang gleich Mehrere; besonders hatten Sie die Frauen auf Ihrer Seite, auch war Ihr Benehmen an jenem Morgen gegen Heathcott, so weit ich es nämlich erfahren konnte, keineswegs so, als ob Sie sich gescheut hätten, ihm frei und männlich entgegen zu treten. Ein solcher Ausweg wäre also für Sie sicher nicht nothwendig gewesen. Es muß ihn Jemand nur seines Geldes wegen beraubt haben, das hab' ich mir gleich gedacht, und wer weiß da, mit wem er Alles verkehrt und wer das Geheimniß der Summe, die er bei sich trug, noch außer Denen gewußt hat, die hier am Fourche la fave wohnen.“

„So halten Sie keinen der Unsrigen für schuldig?“

„Aufrichtig gesagt, nein, denn selbst Die,“ setzte er etwas leiser und fast wie mit sich selbst redend hinzu, „die es vielleicht in anderen Fällen mit ihrer Ehrlichkeit nicht so genau nähmen, halte ich doch, was Menschenblut betrifft, für unfähig, einen solchen kaltblütigen Mord zu begehen.“

„Ich will es wünschen,“ seufzte Brown, indem er sich mit der Hand an den obern Balken des Kamins stützte und gegen diese die Stirn legte – „ich will es wünschen; übrigens erwarte ich mit jedem Tage den Indianer zurück, und der kommt sicherlich nicht ohne Kunde wieder.“

„Nicht ohne Kunde – so?“ sagte Atkins; „ja, der Indianer ist sehr schlau, aber mit den Hufspuren wußte er damals doch nicht umzugehen –“

„Weil er nie nachforschte,“ erwiderte Brown. „Der Tod seines Weibes hatte ihn so erschüttert, daß ich wirklich ernstlich für sein Leben fürchtete. Uebrigens kam er auch einen Tag zu spät, denn die Diebe waren schon geflohen, und der Regen hatte indessen die Spuren verwaschen.“

„Ein verwünschtes Ding mit dem Regen,“ lächelte der Farmer, sich hinter dem Rücken seines Gastes leise und selbstgefällig die Hände reibend, „hat schon manche Spur verwischt und solchen Sappermentern fortgeholfen. Mir haben sie ebenfalls im vorigen Jahr ein paar herrliche Pferde gestohlen.“

„Ihr hättet schon lange kräftiger gegen die Burschen auftreten sollen; sie sind zu kühn geworden und holen Euch die Thiere zuletzt unter den eigenen Augen weg. Man sagt sogar, es wohne hier irgendwo am Flusse ein Hehler, der einen sichern Aufbewahrungsort für geraubte Pferde habe.“

„Wer sagt das?“ frug Atkins schnell auffahrend.

„Es wurde in unserer letzten Versammlung erwähnt,“ entgegnete Brown, ohne die Bewegung zu beachten oder seine Stellung zu verändern, „man sprach auch davon, wenn die Diebereien nicht nach ließen, eine Durchsuchung vorzunehmen, oh man nichts entdecken könne.“

„Es wird sich nicht Jeder einer Haussuchung unterwerfen,“ erwiderte Atkins unwillig. „Wir sind hier in einem freien Lande, und wen ich nicht auf meinem Grund und Boden dulden will, dem sag' ich ganz einfach ›marsch!‹, und wenn er da nicht geht, so nehm' ich die Büchse vom Haken.“

„Ja, sehen Sie, Mr. Atkins,“ entgegnete Brown, sich freundlich nach ihm umwendend, „das ist ja gerade die Ursache, weshalb wir Regulatoren zusammengetreten sind. In diesem Falle sind die Gesetze zu schwach in Arkansas. Ein Mann, gegen den kein weiterer Beweis vorliegt, und wenn er der ärgste Schurke wäre, könnte ruhig und ungestört auf seiner Farm sitzen bleiben. Er hat das Recht, Jeden nieder zu schießen, der sich mit Gewalt bei ihm eindrängen will – gut! hierdurch wird aber auch dem Verbrechen auf eine Art Vorschub geleistet, bei der die Bevölkerung im Allgemeinen nicht bestehen kann. Wer soll sein Eigenthum gesichert wissen, wenn es der Räuber bei regnerischem Wetter, das die Spuren verwischt, vielleicht nur nach Hause zu treiben braucht, um es außer aller Gefahr zu wissen, und ein solcher nicht zu gleicher Zeit dem ausgesetzt ist, daß das Volk in Masse gegen ihn aufsteht, ihn hervorholt aus seinem Schlupfwinkel und – züchtigt.“

„Wofür haben wir aber die Gesetze?“ frug Atkins mürrisch, „wofür, wenn sie zu schwach sind?“

„Sie sind nicht zu schwach,“ erwiderte Brown, „können aber nicht ausgeführt werden. Ich will den Fall setzen, der Verbrecher wird von dem Sheriff erfaßt und vom Gericht verurtheilt: wohin bringt man ihn, bis er in das Zuchthaus des Staates abgeliefert werden kann? in eins der kleinen zu diesem Zweck errichteten Blockhäuser, aus dem ihn seine Freunde in der ersten Nacht befreien.“

Atkins lächelte.

„Wie mir gesagt wurde,“ fuhr Brown, ohne es zu bemerken, fort, „haben Sie davon selbst in diesem County einige Beispiele. Erreicht er aber wirklich im günstigsten Falle die Penitentiary in Little Rock, hat ihn der Staat sicher unter Schloß und Riegel, so ist das doch kaum für eine, höchstens zwei Wochen, denn ein paar von den daraus entsprungenen Verbrechern sollen ja selbst geäußert haben, das Zuchthaus sei so schlecht gebaut, daß sie der Sheriff gar nicht so schnell hineinsperren könnte, wie sie wieder herauskämen. Was hilft es uns also, wenn wir den Gesetzen gehorchen, die Sträflinge abliefern und sie dann, wenn wir sie sicher und unschädlich hinter Schloß und Riegel glauben, schon nach vierzehn Tagen wieder unter uns und mit unserem Eigenthum beschäftigt finden?“

„Ach ja,“ lächelte Atkins, „die Sache ist nicht so ganz ohne. Ich weiß, daß Cotton –“

„Wo ist Cotton jetzt?“ frug Brown schnell.

„Cotton?“ wiederholte Atkins schnell gefaßt und, wie es schien, sehr verwundert – „Cotton? Lieber Gott, wer weiß, wo der jetzt steckt. Wie ich neulich gehört habe, sucht ihn sogar der Sheriff. Aber wie kommen Sie zu der Frage?“

„Er soll sich in dieser Gegend haben blicken lassen,“ erwiderte Brown, der Ellen's Aussage nicht anführen wollte, um dem armen Mädchen keine Unannehmlichkeiten zu bereiten, jetzt aber, durch seines Wirthes Leugnen, zum ersten Mal Verdacht schöpfte. „Man will ihn sogar auf dieser Straße bemerkt haben.“

„Ja, das ist sehr leicht möglich,“ lächelte Atkins, „es reitet Mancher auf dieser Straße hin, ohne gerade bei mir einzusprechen. Die Leute schwatzen aber viel.“

„Ich bin heute eigentlich im Auftrage der Herren Roberts und Rowson hier,“ sagte Brown, der dem Gespräch eine andere Richtung zu geben wünschte. „Mr. Roberts nämlich – ach, da kommt mein Pferd,“ unterbrach er sich selbst, als der Mulatte den Braunen vor die Thür ritt und dort aus dem Sattel sprang.

„Bitte – bleiben Sie hier,“ hielt ihn Atkins auf, als er sah, daß sein Gast hinausgehen wollte, „Dan wird das schon besorgen. – Nimm das Pferd in den Stall, füttere es gut und leg' das Geschirr nachher hier zwischen die Häuser,“ rief er diesem zu, „und wenn Du damit fertig bist, so –“ er war bei diesen Worten zu ihm hinaus getreten und vollendete seinen Satz mit leiserer Stimme, so daß Brown nichts weiter davon verstehen konnte. Der Mulatte nickte aber sehr bedeutend mit dem Kopfe, als ob er Alles ganz vollkommen begriffen habe, führte das Pferd fort und ließ sich an diesem Abend nicht weiter blicken.

„Sie wollten mir etwas von einem Auftrage sagen?“ frug Atkins den Gast jetzt, als er in das Haus zurückkehrte.

„Ja,“ antwortete dieser, wie aus einer Zerstreuung erwachend, „Mr. Roberts wird mit – mit seinem Schwiegersohn am Montag Morgen oder Mittag zu Ihnen kommen, um Haus und Felder in Augenschein zu nehmen, und läßt Sie daher bitten, auf ihn zu warten, wenn er auch vielleicht ein wenig spät eintreffen sollte.“

„Schön – sehr schön!“ erwiderte Atkins freundlich, „ich denke, daß wir ein Geschäft mitsammen machen können. Es sind Beides ein paar wackere Leute, die einen armen auswanderungslustigen Teufel nicht drücken werden. Die Hochzeit soll wohl morgen schon stattfinden?“

„Ja!“ erwiderte Brown mit leiser Stimme, „ich glaube – morgen.“

„Sie werden wohl auch bei der Trauung sein?“

„Wer – ich? nein – ich glaube nicht. – Unsere Versammlung wird wahrscheinlich bis spät Abends dauern, und dann bleibe ich bei Bowitts.“

„Welche Versammlung?“

„Die der Regulatoren; wir kommen morgen in Bowitt's Hause zusammen.“

„Morgen Versammlung? Das muß ja recht heimlich zugegangen sein, ich habe keine Silbe davon gehört.“

„Natürlich wurde es nur an Die bestellt, die Regulatoren sind,“ fuhr Brown fort, der in diesem Augenblick eine Gelegenheit gefunden zu haben glaubte, für den armen Wilson ein gutes Wort einzulegen – „doch wundert es mich, daß Ihnen Wilson nichts davon gesagt hat. – Er hatte die Bestellung in dieser Gegend übernommen, die keineswegs geheim gehalten werden sollte.“

„Mr. Wilson ist sehr lange nicht in meinem Hause gewesen,“ erwiderte Atkins, dem die Erwähnung dieses Namens unangenehm zu sein schien, „daher kommt es denn wohl, daß mir die Sache fremd blieb. Doch ist das einerlei; ich bin kein Regulator, habe also auch kein Interesse an der Versammlung. In Texas sollen sich ja ebenfalls solche Compagnien gebildet haben.“

„Ja,“ sagte Brown, übrigens nicht willens, seinen Angriff so bald aufzugeben, „aber was ich gleich sagen wollte, Wilson scheint sich ja hier in der Gegend für immer niederlassen zu wollen. Ich glaube kaum daß Sie sich einen besseren Nachbar wünschen könnten.“

„Sie vergessen, daß ich mich kaum noch zu dieser Gegend rechnen kann,“ erwiderte Atkins. – „Doch da kommt meine Alte schon mit dem Tischzeuge – die Tage sind noch recht kurz. Apropos, Mr. Brown, wie geht es denn mit Ihrem Onkel? Es hat uns Allen recht leid gethan, daß das Fieber den armen Mann so gewaltig packte. Das verwünschte Fieber will sich aber nicht abweisen lassen und die gesündesten Menschen greift es am stärksten an.“

Brown sah wohl, daß, für jetzt wenigstens, jede weitere Anspielung vergeblich sein würde, noch dazu, da auch Madame Atkins und bald darauf Ellen mit dem Kinde zum Hause zurückkehrten. Gern hätte er nun freilich ein wenig mit dem schönen Mädchen geplaudert, doch fürchtete er ebenfalls, ihr dadurch unangenehme Worte zuzuziehen, ein freundlich dankender, ihm verstohlen zugeworfener Blick sagte ihm jedoch deutlich genug, daß sie seine frühere Güte, die Pflegemutter mit fortzunehmen, erkannt und – was noch besser war – benutzt hatten.

Das Gespräch drehte sich jetzt um allgewöhnliche Gegenstände, um Weide, Jagd, Vermessung des Landes in der Nachbarschaft und die nicht selten damit verknüpften Streitigkeiten der neben einander Wohnenden; um einen vor etwa fünf Tagen vorgefallenen Mord am andern Ufer des Arkansas, wo ein Viehhändler erschossen und seiner Brieftasche, die etwa tausend Dollars enthalten haben sollte, beraubt worden, ohne daß man den Mörder hätte entdecken können; dann um die jetzige Gesetzgebung, Sheriffs- und Gouverneurswahlen etc. etc., bis die buntfarbige, den Kaminsims zierende Yankee-Uhr Acht schlug. Jetzt aber begann das Kleine, das bis dahin sanft in seiner im Hause befestigten Hängematte geschlafen hatte, unruhig zu werden und zu schreien. Ellen nahm es aus dem Bettchen heraus und ging mit ihm im Zimmer auf und ab, es schrie aber immer ärger, wollte sich nicht mehr beruhigen und wurde in kaum einer Viertelstunde so krank, daß die Frauen, zu Tode geängstigt, hin-und hersprangen, um alle möglichen, im Hause nur aufzutreibenden Heilmittel herbeizuholen.

Es blieb aber Alles vergeblich, das Kind schrie mit jedem Augenblick ärger und in Todesangst schickte nun die Mutter nach Hülfe aus. Ein junger Amerikaner hatte in den letzten Tagen für Atkins ein großes und sehr geräumiges Canoe aushauen müssen und hielt sich noch im Hause auf. Dieser wurde jetzt mit dem Mulatten nach verschiedenen Richtungen abgeschickt, die benachbarten und fernen Farmersfrauen, die irgend etwas von Kinderkrankheiten verstanden, mit dem Zustande des armen Würmchens bekannt zu machen und sie, so schnell sie ihre Pferde tragen würden, herbeizurufen.

Die Mutter geberdete sich indessen wie eine halb Wahnsinnige. Wie ihrer Sinne beraubt, lief sie im Hause umher und machte dabei der armen Ellen fortwährend die bittersten Vorwürfe, daß sie das Kind vernachlässigt habe und es selbst gern aus der Welt schaffen möchte, nur um seiner Wartung und Pflege überhoben zu sein.

Umsonst betheuerte das arme Mädchen seine Unschuld, berief sich auf die Liebe, die es dem kleinen Schreier stets bewiesen; es war Alles vergeblich und unter den härtesten, ungerechtesten Vorwürfen befahl ihr die Frau, still zu sein und „keinen Mucks weiter zu thun“, wenn sie nicht erfahren wollte, wie man widerspenstige Dienstboten behandle.

Brown war entrüstet hierüber und beschloß, von nun an Alles zu versuchen, was in seinen Kräften stehen würde, den Freund zu unterstützen und das Mädchen einer solchen Mißhandlung zu entziehen, wußte aber nur zu gut, daß in diesem Augenblick jede Vorstellung nicht allein nutzlos sein, sondern für die Arme nur noch unangenehmere Folgen haben würde.

Die Verwirrung hatte jetzt ihren höchsten Grad erreicht. Das arme kleine Wesen schien mit jedem Augenblick kränker zu werden, Ellen ängstigte sich mit stillthränenden Augen ab, dem Liebling Hülfe zu leisten, und die Mutter lief, des Fremden Gegenwart gar nicht mehr beachtend, im Zimmer auf und ab und rief, fortwährend die Hände ringend, daß dies des Himmels Strafe wäre, der sie jetzt in dem armen unschuldigen Kinde für alle ihre Sünden und Schwachheiten heimsuche. Da begehrte von draußen her plötzlich eine fremde Männerstimme Einlaß und die Hunde, dadurch erweckt, schlugen laut bellend und heulend an. Der Wind, der den ganzen Tag nur schwach von Süden her geweht, hatte sich gedreht, schüttelte, von Nordwesten kommend, die Aeste und Zweige der gewaltigen Stämme wild durcheinander und blies, als die Thür geöffnet wurde, das auf dem Tische stehende Licht aus. Das Feuer im Kamin war indessen ebenfalls ziemlich niedergebrannt und das Haus lag plötzlich in tiefer dunkler Nacht.

„Hallo da drinnen – kann ich hier übernachten?“ rief da die Stimme zum zweiten Mal – „der Henker hole die Hunde – wollt ihr die Mäuler halten!“

„Ruhig, Hector – ruhig, Deik – nieder mit euch, ihr Canaillen – könnt ihr einen Mann nicht zu Worte kommen lassen?“ schrie Atkins, der in die Thür getreten war, ärgerlich nach den Hunden hinüber – „steigt ab!“ wandte er sich dann an den Fremden, „mein Bursche soll das Pferd besorgen.“

„Beißen die Hunde?“ frug Jener, vorsichtig der Einladung Folge leistend und seinen Weg über die Fenz fühlend.

„Nein,“ sagte Atkins, „nicht, wenn ich dabei bin. Kommt nur hierher und fallt nicht über das Holz dort – halt – dort steht die Stahlmühle – stoßt Euch nicht – so – drei Stufen, die unterste wackelt ein wenig. Oh, Ellen, zünde doch das Licht wieder an!“

Ellen war indessen schon emsig beschäftigt gewesen, ein paar Kienspäne zum Brennen zu bringen. Bald war der Raum auch hinlänglich erleuchtet, um den Mann wenigstens erkennen zu können, der in diesem Augenblick in's Zimmer trat, dort seinen alten Reitermantel und die Otterfellmütze ablegte und nun freundlich grüßend zu der Familie an den Kamin und in den hellen Schein des jetzt wieder hoch auflodernden Feuers schritt. Es war ein kleiner untersetzter Mann mit lebhaften grauen Augen, langen, schlichten blonden Haaren und vielen Sommersprossen, dabei in ein baumwollenes Jagdhemd und ebensolche Gamaschen gekleidet, während eine alte, vielgebrauchte Satteltasche, die er über dem Arm trug und jetzt neben dem Kamin niederlegte, alles Das zu enthalten schien, was er auf einem Ritt durch den Wald und in solch wilder Gegend bedurfte. Sein Blick schweifte übrigens, als er sich den beiden Männern näherte, unruhig von Einem zum Andern und er schien mit sich selber zu Rathe zu gehen, welchen von ihnen er als den Wirth des Hauses anreden solle.

Madame Atkins mochte übrigens mit dem neuen Gaste, der nur noch mehr Störung und Unruhe versprach, weniger zufrieden sein, denn sie nahm jetzt mit ziemlich mürrischem Blicke das kleine leidende Wesen auf den Arm, hüllte es in eine Decke und rief Ellen zu, ihr mit dem Licht und Feuerzeug in das andere Haus zu folgen, wo augenblicklich ein Feuer im Kamin angezündet werden sollte. Ellen gehorchte schnell dem Befehl und es war alle Wahrscheinlichkeit vorhanden, daß Madame an diesem Abend nicht weiter sichtbar sein würde.

„Schrecklicher Wind draußen,“ sagte der Fremde nach einer Weile, in der er, als er mit sich selbst über die Identität des Wirthes einig zu sein schien, starr vor sich niedergesehen hatte; „bläst, als ob er die Eichen mit der Wurzel ausreißen wollte.“

„Ja, es ist draußen ein wenig unruhig,“ meinte Atkins, seinem Gaste einen forschenden Blick zuwerfend. „Ihr kommt wohl weit her?“

„Nein, nicht so sehr – vom Mississippi.“

„Weiter westlich?“

„Ja – nach Fort Gibson – wie weit ist's noch bis zum Fourche la fave?“

„Ich wohne an dem Flusse,“ sagte Atkins und begegnete dabei dem Blick des Fremden. Brown, durch die Unruhe mit dem Kinde und den Eintritt des Neuangekommenen aufgestört, hatte indessen seinen Sitz am Feuer wieder eingenommen und unterhielt sich damit, den langen Feuerstock, der an der Kaminecke lehnte, dann und wann in die Kohlen zu stoßen, um hier und da ein in der Gluth sich formendes Bild zu zerstören oder neu zu gestalten.

„Ihr seid am Ufer des Flusses mehrere Meilen hingeritten,“ mischte er sich jetzt in das Gespräch, „konntet ihn aber nicht sehen, da das Schilf wohl eine Viertelmeile breit und sehr dicht ist.“

„Ja, ich dachte mir, daß der Fluß in der Nähe sein müßte. – Schönes Schilf das – muß herrliche Fütterung geben. – Die Weide ist wohl gut hier?“

„Sehr gut,“ antwortete Atkins und wieder traf er den Blick des Fremden, der, vorsichtig Brown von der Seite im Auge behaltend, zu ihm aufschaute. Dieser aber hörte mitten in seiner Beschäftigung auf, ließ ganz in Gedanken den Stock in der Gluth, der hell zu flammen anfing, und sah sinnend in den Kamin hinein, als ob er sich irgend etwas hätte in's Gedächtniß zurückrufen wollen, das ihm schon halb und halb entfallen war.

„Ich bin scharf geritten,“ brach jetzt der Fremde das kurze Schweigen, „und der Wind macht durstig; dürft' ich Sie wohl um einen Schluck Wasser bitten?“

„Von Herzen gern,“ erwiderte Atkins und eilte schnell auf den Eimer zu, um dem Gaste das Verlangte zu reichen. Aber auch Brown sah sich, von einem plötzlichen Gedanken durchzuckt, nach diesem um und fand dessen Blicke fest auf sich selber haftend, doch drehte er sich sogleich nach Atkins zu, nahm den Flaschenkürbis aus seiner Hand und that einen langen, langen Zug.

„Da ich den Herrn hier nach Wasser fragen hörte, fiel auch mir ein, daß ich durstig sei,“ sagte Brown jetzt wieder ganz gefaßt, indem er sich nun mit aller Klarheit des Gespräches in der gespenstischen Hütte am Arkansas erinnerte und auf keinen Fall die beiden Männer merken lassen wollte, daß er in irgend einer Sache Verdacht schöpfe oder ihr Verständniß ahne.

„Halt, Gentlemen,“ rief jetzt Atkins – „Sie trinken da das kalte Zeug so in sich hinein, noch dazu bei solchem Sturme draußen; wie wär's, wenn wir erst ein Tröpfchen Whisky vorangössen? Der mag Bahn brechen und das Wasser thut nachher auch keinen Schaden mehr.“

„Wird uns allen Dreien von Vortheil sein,“ sagte schmunzelnd der Fremde, während der Wirth an einen kleinen Seitenschrank ging und gleich darauf einen Krug und drei Blechbecher zum Vorschein brachte.

„Hier, Mr. Brown – schenkt Euch selbst ein,“ sagte er zu diesem, ihm den Krug hinhaltend – „oh – ordentlich, das ist ja kaum ein Tropfen – so recht. – Je unfreundlicher es draußen stürmt, desto freundlicher müssen wir sehen, es im Innern zu erhalten. – Und nun Sie, Sir, wie ist Ihr Name eigentlich? ich heiße Atkins und der Herr da Brown!“

„Mein Name ist Jones,“ erwiderte der Gast, „John Jones, leicht zu behalten, nicht wahr? nun, auf bessere Bekanntschaft, Mr. Atkins – auf bessere Bekanntschaft, Mr. Brown!“ Und er hob den Becher freundlich, zu den Männern aufblickend, an die Lippen. Atkins' Züge aber überflog ein halb spöttisches, halb ängstliches Lächeln, als der Mann, der sich Jones nannte, mit dem Regulator „auf bessere Bekanntschaft“ anstieß. Er durfte aber, was er dachte, mit keiner Miene, mit keinem Blick verrathen und begnügte sich nur, die Becher der Beiden zu berühren, während er wirklich aus tiefster Seele sagte, „auf daß wir immer recht gute Freunde bleiben mögen!“

Ellen hatte indessen mehrere Decken und Matratzen auf der Erde ausgebreitet und begann ein Lager daraus herzurichten, erwiderte aber auf Atkins' Frage nach dem Befinden des kranken Kindes, daß es arge Schmerzen zu haben scheine, obgleich Keiner von ihnen wisse, was ihm fehle.

„Kannst Du ein Viertelstündchen von der Pflege desselben abkommen?“ frug der Vater.

„Ich weiß kaum – Madame –“

„Schon gut – setze nur die Töpfe an's Feuer,“ unterbrach sie Atkins – „Du mußt schnell noch etwas Abendessen für Mr. Jones hier zurecht machen. Ich will es indessen meiner Frau sagen.“

Er verließ bei diesen Worten das Zimmer und Ellen traf rasch alle nöthigen Vorbereitungen zu der einfachen Mahlzeit der westlichen Farmer, die aus nichts mehr als warmem Maisbrod, gebratenem Speck, heißem Kaffee und etwas Butter, Käse und Honig bestand. Die beiden Männer saßen indessen ruhig am Kamin und Brown beobachtete die schlanke Gestalt des schönen Mädchens, das mit geschäftiger Eile und gewandter Hand alles Nöthige besorgte, während Jones, wie in tiefen Gedanken, mit dem langen Stock im Feuer herumarbeitete und die glühenden Kohlen von den großen Klötzen abstieß. Diese Arbeit unterbrach er nur dann, wenn er mit etwas ungeduldiger Miene einen Blick zuerst auf die über dem Kamin stehende Uhr und dann nach der Thür warf, durch die er Atkins zurückerwartete.

Dieser erschien endlich und zu gleicher Zeit war das Abendessen für den späten Gast bereitet. Ellen sollte aber noch mehr zu kochen bekommen, denn eben hielten draußen an der Thür wieder mehrere Pferde; Frauenstimmen wurden gehört und die scharfen Töne der Mrs. Atkins riefen gellend herüber, den Kaffee aufzusetzen und eine tüchtige Kanne voll bereit zu halten.

Brown saß noch immer sinnend, den Kopf an den Seitenbalken gelehnt, neben dem Kamin; Atkins aber zündete ein zweites Licht an und sagte freundlich zu ihm:

„Mr. Brown, Sie scheinen müde zu sein, hier ist Ihr Licht und wenn Sie sich niederlegen wollen, will ich Ihnen Ihr Bett zeigen.“

„Oh bitte, machen Sie sich meinetwegen keine besonderen Umstände!“ rief der junge Mann, der die von Ellen herbeigeschafften Betten zusammengerollt in der Ecke liegen sah – „ich kann warten und bin keineswegs schläfrig.“

„Wir haben ein Bett hier oben,“ erwiderte ihm Atkins, „dort können Sie ungestört liegen und morgen früh, so früh es Ihnen gefällt, nach Bowitts aufbrechen. Ueberdies werden wir hier unten wenig zur Ruhe kommen, da ich eben mehrere Nachbarinnen ankommen hörte. – Das Kind ist doch wohl kränker, als ich im Anfang selber glaubte.“

„Sie scheinen Damenbesuch zu bekommen?“

„Leider,“ seufzte der Farmer mit unverstelltem Entsetzen, „und der liebe Gott gebe nur, daß sich das arme kleine Würmchen bald wieder erholt, sonst schwatzen sie es todt – also wenn –“

„Ja, da halt' ich es selbst für besser, daß ich mich zurückziehe,“ lächelte der junge Mann; „also gute Nacht, meine Herren – Mr. Jones kommt wohl später auch hinauf?“

„Es ist nur ein Bett oben, Mr. Jones werd' ich wohl ersuchen müssen, hier unten –“

„Oh, machen Sie um Gottes willen mit mir keine Umstände!“ rief dieser, Ellen seine Tasse hinüberhaltend, die von ihr wieder aus der großen schweren Blechkanne gefüllt wurde – „also gute Nacht! Wenn Sie morgen nicht zu früh aufbrechen, habe ich vielleicht das Vergnügen Ihrer Gesellschaft auf der Straße – ich weiß zwar nicht, welche Richtung –“

„Aufwärts. – Nein, so sehr früh werde ich nicht reiten,“ entgegnete Brown; „also auf Wiedersehen!“

Damit nickte er noch einen freundlichen Gutenachtgruß der Jungfrau zu und war im nächsten Augenblick in dem obern Theile des Hauses verschwunden, der eigentlich nur durch quer über die Balken weggelegte Bretter gebildet wurde. Atkins kehrte bald darauf wieder mit dem Lichte zurück, und er sowohl als der Fremde beobachteten, so lange Ellen noch im Zimmer war und theils das Lager für den Gast bereitete, theils das Geschirr und Tischtuch wieder abräumte, tiefes Stillschweigen. Endlich aber hatte sie Alles vollendet, stellte das Licht auf den Tisch, nahm die Kaffeekanne und einen Korb voll Tassen mit hinüber und zog sich mit einem leisen „Gute Nacht“, das von keinem der beiden Männer gehört, wenigstens von keinem beachtet wurde, zurück.

Kaum hatte sie das Zimmer verlassen, als Atkins aufstand, das Licht auslöschte, daß der Raum nur noch sparsam durch die knisternden Scheite erhellt wurde, und dem Gaste winkte, ihm zu folgen.

„Euch sendet Jemand zu mir?“ flüsterte er dann, als er ihn weit genug vom Hause fortgeführt hatte, um nicht von dort aus gehört zu werden.

„Ja,“ erwiderte der Fremde – „Euer Name?“

„Atkins.“

„Gut – ich bringe Pferde.“

„Wo sind sie?“

„In der Biegung des Baches.“

„Im Wasser selbst?“

„Nun versteht sich.“

„Aber woher kennt Ihr die Stelle? Waret Ihr schon früher einmal in dieser Gegend?“

„Ich sollte denken,“ lächelte Jener. „Ich habe hier den ersten Axthieb gethan, und von mir kaufte Brogan den Platz, von dem Ihr ihn wieder erstanden habt.“

„Also Ihr selbst legtet jenen geheimen –“

„Schon gut,“ unterbrach ihn vorsichtig Jones, „was hilft's, Sachen zu nennen, die ja doch ein Anderer hier im Dunkeln, möglicher Weise hören könnte. Ich habe nie von solchen Gegenständen gesprochen. Befindet sich das Thor noch an der obern Fenzecke?“

„Ja wohl; wo der Bach vorbeifließt.“

„Gut, dann trefft Anstalten, die Thiere unterzubringen ich hole sie indessen.“

„Und braucht Ihr keine Hülfe?“

„Keine, bis wir sie im Innern der Umzäunung haben,“ und mit diesen Worten wandte sich der bündige Sprecher von seinem Wirthe ab und war in wenigen Secunden im Dunkel verschwunden. Atkins aber kehrte zum Hause zurück, umging dieses, schritt dann quer über den kleinen Platz einer Art Hof zu, in welchem sechs oder acht Pferde frei umherliefen, überstieg die sich darum hinziehende Fenz und verlor sich dann ebenfalls in der finstern, rabenschwarzen Nacht.

Brown fand, als er durch die Spalten der Decke die beiden Männer das Haus leise zusammen verlassen sah, seinen Verdacht bestätigt und war lange unschlüssig, ob er ihnen folgen und sie auf der That ertappen, oder ihr nächtliches Werk ruhig vollenden lassen solle. Was konnte er, der Einzelne, Unbewehrte, aber gegen sie ausrichten, die sicher auf eine Ueberraschung vorbereitet und bewaffnet waren? Er hätte sie nur gewarnt, daß sie entdeckt wären, und jede weitere Enthüllung des Verbrechens selbst vernichtet. Ruhig blieb er daher auf seinem Lager ausgestreckt liegen und überdachte die Vorfälle und einzelnen Umstände des vergangenen Tages.

Ellen, das unschuldige Kind, war auf keinen Fall in die Frevelthat eingeweiht, sonst hätte sie nicht so unbefangen den Aufenthalt und Besuch Cotton's, dem der Sheriff schon seit mehreren Wochen nachspürte, verrathen. Wo aber lebte dieser Cotton? wo gab es eine Hütte oder ein Dickicht, das so viele Tage lang einen Verbrecher verbergen konnte, ohne daß die Nachbarn auch nur das Mindeste von ihm verspürt hatten? Hier in der Nähe mußte es sein, denn weite Märsche durfte jener Mann, besonders bei Tage, schwerlich wagen zu unternehmen. Wo also war sein Schlupfwinkel? Wer wohnte hier in der Nachbarschaft? Wilson? bei dem war es nicht – Pelter? gehörte mit zu den Regulatoren – Johnson? das wäre eher möglich gewesen, und hier öffnete sich eine neue Quelle des Verdachts. Johnson's Pferde hatten die Verfolger in jener Nacht eingeholt; Husfield schwor, die Fährten zu erkennen, und noch am nördlichen Ufer seine Spuren gesehen zu haben; am andern Ufer waren sie nur diesen Pferden gefolgt und fanden fremde Thiere, die auf keinen Fall ihre Hufe am jenseitigen Ufer eingedrückt hatten; Curtis, Cook und Husfield setzten wenigstens ihre Seligkeit zum Pfande, die großen Hufe des einen Pferdes am vorigen Tage nirgends bemerkt zu haben.

Johnson und Cotton – zwischen diesen Beiden mußte ein Verständniß herrschen; aber nicht allein konnten sie alles dies ausgeführt haben; wer waren die Anderen, und standen jene mit den beiden Todtschlägern in irgend einer Verbindung?

Der Kopf that ihm zuletzt weh vom vielen Nachsinnen, seine Gedanken verwirrten sich. Die verschiedenen Gestalten und Plätze, die er gesehen, verschwammen zu tollen, bunten Bildern; er träumte zuletzt, er sei in den Prediger Rowson umgewandelt, und Marion beuge sich über ihn hinüber und küsse ihn, und nenne ihn mit den zärtlichsten Namen, während ihm das Herz blutete, daß alles dieses dem Bilde seines Nebenbuhlers gelte. Endlich verließen ihn auch diese unruhigen Träume; der Geist unterlag, wie der Körper, der gehabten Anstrengung, und er schlief sanft und fest.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Regulatoren von Arkansas