2. Kapitel (Mehrere neue Personen erscheinen auf dem Schauplatz – Wunderbares Jagdabenteuer des „kleinen Mannes“)

2. Mehrere neue Personen erscheinen auf dem Schauplatz. Wunderbares Jagdabenteuer des „kleinen Mannes“.

Auf der County-Straße zogen an demselben Morgen, und kaum fünfhundert Schritt von dem im vorigen Capitel beschriebenen Dickicht, zwei Reiter hin, die augenscheinlich der besseren Farmerklasse des Landes angehörten. So sehr sie übrigens in ihrem ganzen Wesen und Aussehen von einander abstachen, so sehr schienen sie dagegen im Uebrigen zu harmonieren, denn sie unterhielten sich auf das Beste mitsammen. Der junge schlanke Mann, auf einem braunen feurigen Pony, das sich nur mit augenscheinlichem Unwillen und oft versuchter Widersetzlichkeit dem langsamen Schritt fügte, in den es sein Herr zurückzügelte, lachte wenigstens oft und laut über die Späße und Bemerkungen, die ihm sein kleiner wohlbeleibter Gefährte zum Besten gab.


Dieser war ein Mann etwa in den Vierzigen, mit sehr vollem und sehr rothem Gesicht und dem freundlichsten, gemüthlichsten Ausdruck in den Zügen, der sich nur möglicher Weise in eines Menschen Gesicht hineindenken läßt. Seine runde, stattliche Gestalt entsprach dabei seiner Physiognomie auf eine höchst liebenswürdige Weise, und die kleinen lebhaften grauen Augen blitzten so fröhlich und gut gelaunt in die Welt hinein, als hätten sie in einem fort sagen wollen: „Ich bin ungemein fidel, und wenn ich noch fideler wäre, wär's gar nicht zum Aushalten.“ Er war von Kopf bis zu Füßen, die schwarzen und spiegelblank gewichsten Schuhe ausgenommen, in schneeweißes Baumwollenzeug gekleidet. Die kleine baumwollene Jacke aber, die er trug, hätte er um alle Schätze der Welt nicht mehr vorn zuknöpfen können, so war sie entweder in der Wäsche eingelaufen oder, was wahrscheinlicher, so hatte sich sein runder Leib ausgebreitet und „verburgemeistert“, wie er es selbst gern nannte. Ein hellgelber Strohhut beschattete sein Gesicht, und ein hellgelbes dünnes Halstuch hielt seinen offenen Hemdkragen vorn zusammen, zwischen dem ein Theil der breiten, sonnverbrannten Brust sichtbar wurde. Nicht ohne etwas Stolz oder wenigstens Eitelkeit zu verrathen, lugte dabei der Zipfel eines brennend rothen Taschentuches aus der rechten Beinkleidertasche, die wohl geräumig genug gewesen wäre, ein halbes Dutzend derselben zu verbergen.

Sein Begleiter war ein junger, stattlicher Mann mit freiem, offenem Blick und dunklen, feurigen Augen. Seine Tracht ähnelte der der übrigen Farmer im Westen Amerikas und bestand aus einem blauwollenen Frack, eben solchen Beinkleidern und einer schwarz gestreiften, aus demselben Stoff verfertigten Weste. Den Kopf bedeckte ein schwarzer, ziemlich abgetragener Filzhut, und in der Hand hielt er eine schwere lederne Reitpeitsche. Schuhe trug er jedoch nicht, sondern nach der indianischen Sitte sauber, aber einfach gearbeitete Mokassins, und dies sowohl wie der nicht unruhige, aber fortwährend umherschweifende und auf Alles achtende Blick verrieth den Jäger. Uebrigens führte er keine Büchse bei sich, so wenig wie sein Begleiter.

„Ein verfluchter Kerl, mein Bruder,“ lachte der Kleine, in irgend einer begonnenen Erzählung fortfahrend – „und eine Wuth hatte er, alte Sachen zu kaufen, rein zum Rasendwerden! Wie ich vorigen Herbst in Cincinnati war, klagte mir seine Frau ihre Noth: das ganze Haus stand voll alter Möbel und Hausgeräthe und Kochgeschirre, von dem sie nicht den zehnten Theil gebrauchen konnte, und alle Abende lief trotzdem der Sappermenter noch auf den Auctionen herum, um Alles, was nur irgend billig war, aufzukaufen. Was er einmal hatte, sah er nachher nicht wieder an. Da gab ich denn meiner Schwägerin den Rath, sie solle einen Theil des Plunders heimlich auf eben diese Auktionen schaffen lassen, um es nur los zu werden, das Geld könne sie nachher hinlegen und später einmal etwas Nützliches dafür anschaffen. Der Plan war gut, ich bestellte einen Karrenführer, besorgte, als mein Bruder Nachmittags im Geschäft war, die ganze Bescherung selber hinunter nach Frontstreet, und ehe es dunkel wurde, war alles aus dem Haus. Meiner Schwägerin fiel ein Stein vom Herzen, und als ihr Mann Abends halb zehn Uhr, zu seiner gewöhnlichen Stunde, höchst aufgeräumt heimkam, machte sie uns noch einen capitalen Punsch. – Apropos, Bill, Punsch müssen wir uns einmal hier brauen, das verwünschte Volk in dieser Gegend gehört fast sämmtlich zum Mäßigkeitsverein. Also – wo war ich doch stehen geblieben, ja, beim Punsch. Bei dem Punsch blieben wir bis elf Uhr zusammen sitzen, und mein Bruder erzählte eine Schnurre nach der andern; konnte merkwürdige Schnurren erzählen, mein Bruder! Ich fragte ihn ein paar Mal, weshalb er so lustig sei, er wollte aber nicht mit der Sprache heraus; geht am nächsten Morgen wieder um sechs Uhr fort, und denke Dir, was bringt er auf drei Wagen nach Haus? den ganzen Plunder, den ich am Abend vorher fortgeschafft hatte. Kein Stück fehlte, und dabei prahlte er, was er für einen unmenschlich guten Handel gemacht hätte.“

„Nicht übel, Onkel,“ lächelte der junge Mann, ihm einen schnellen Seitenblick zuwerfend, „vortrefflich sogar – wenn es wahr wäre.“

„Ei Du Sapperments-Junge, hab' ich Dir schon jemals etwas vorgelogen? Nie! Wenn ich Dir übrigens künftig eine Tatsache erzähle, so brauchst Du nicht zu feixen und das Maul von einem Ohr zum andern zu ziehen; hörst Du, Musjö?“

„Aber, bester Onkel, Sie müssen mir das nicht so übel nehmen. Wenn Sie anfangen, freu' ich mich immer schon auf's Ende, denn gewöhnlich ist etwas Komisches dabei – und da mag ich dann wohl manchmal ein wenig zu früh lachen –“

„Komisches? da hör' Einer den Laffen an. Ich erzähle nie komische Geschichten – hast Du schon je eine komische Geschichte von mir gehört? Ernst war das Berichtete, bitterer, trauriger Ernst; mein Bruder wird sich auch noch mit der verdammten Leidenschaft zu Grunde richten – er muß sich ruinieren.“

„Ihr Bruder soll doch aber ein sehr gewandter Geschäftsmann sein, und wenn er in dieser Hinsicht auch eine freilich etwas sonderbare Liebhaberei hat, so bringt er das sicherlich auf andere Art zehnfach wieder ein.“

„Gewandter Geschäftsmann? Gott segne Dich, Junge – es giebt keinen pfiffigeren Kaufmann, als mein Bruder ist; nur zu pfiffig manchmal, nur zu pfiffig! – Ich weiß die Zeit noch recht gut, wo wir zusammen in Kentucky jagten, und wie er die Krämer immer über's Ohr hieb mit alten Opossum-Fellen, denen er Waschbärenschwänze annähte und sie nachher für Schuppenfelle verkaufte. Manches Quart Whisky haben wir auf die Art zusammen vertrunken. – Aber einen Streich muß ich Dir doch erzählen, den er mir einmal am Cane-See spielte. Wir ruderten zusammen in einem alten Canoe auf dem See herum, theils um Fische zu harpunieren, theils um Hirsche zu schießen, die des kühlen Tranks wegen an den Wasserrand kamen. Es war merkwürdig heiß und die Sonne brannte auf eine sträfliche Art; um's mir daher bequemer zu machen, wollt' ich mein Jagdhemd ausziehen. Wie ich aber mein Pulverhorn vorher abnehme (ein capitales hörnernes Pulverhorn mit luftdichtem Stöpsel), bleib' ich mit dem Finger in der Schnur hängen, und wie der Blitz rutscht's über Bord und hinunter in's Wasser.

Da saß ich. Der See war klar wie Krystall, und obgleich er etwa fünfzehn Fuß tief sein mochte, so konnt' ich das Horn unten so deutlich liegen sehen, als ob ich's mit den Händen zu ergreifen vermöchte. George war nun immer ein merkwürdiger Springer, Läufer und auch Schwimmer und Taucher gewesen; als er daher meine Verlegenheit bemerkte, erbot er sich unterzutauchen und sprang auch ohne weitere Umstände über Bord. Pulver war damals in der Gegend unmenschlich theuer und überdies schwer zu bekommen. Als er auf den Grund und in den weichen Schlamm kam, wurde das Wasser ein wenig trübe, und er mußte einen Augenblick warten, bis es wieder klar wurde. Ich zog indessen mein Jagdhemd aus und setzte mich darauf; wie er mir aber doch endlich zu lange da unten blieb und ich ein wenig ängstlich über Bord hinuntersah – was meinst Du, was er da machte – heh?“

„Ja, ich weiß wahrhaftig nicht, was Einer in solcher Lage anders machen könnte, als den Versuch, so schnell als möglich wieder an die Oberfläche zu kommen.“

„Fehlgeschlagen!“ rief der Alte und hielt in der Erregung des Augenblicks, wie von der Erinnerung überwältigt, sein Pony einen Augenblick an, „fehlgeschossen! – Unten stand er – ruhig, als wenn er sich auf ebener Erde befände, und bog sich vorn über, daß ich nicht sehen sollte, was er machte, ich sah's aber gut genug. – Der Spitzbube ließ mein Pulver heimlich in sein eigenes Horn laufen, und wie er nachher wieder heraufkam, war mein Horn halb leer. – Nun, Du brauchst nicht zu lachen, als ob Du vom Pferde fallen wolltest. – Das ist am Ende auch nicht wahr? – Hat Dir Dein alter Onkel schon jemals eine Lüge erzählt? – heh?“

„Nein, Onkel Ben, seien Sie nicht böse, ich glaube jede Silbe; aber – ha – sehen Sie das Rothe dort? – da drüben – hinter der umgestürzten Fichte hin – gerade dort zwischen dem Maulbeerbaum und der Eiche hindurch?“

„Wo denn? ach da – ja, das ist ein Hirsch fischer genug; wenn Assowaum mit seiner Büchse hier wäre, könnt' er ihn bequem schießen; hinter den Bäumen hin ließ er Einen sicher bis auf fünfzig, sechzig Schritt herankommen.“

„Wo nur Assowaum überhaupt bleibt?“ sagte der junge Mann jetzt, sich etwas ungeduldig im Sattel aufrichtend und auf die Straße zurückschauend, als ob er dort die Gestalt des Indianers zu sehen erwartete; „er schlich auf einmal in den Wald hinein, und ich glaubte, er sähe ein Stück Wild, weiß aber der liebe Gott, was ihn wieder abgeführt hat. – Welch' herrlichen Schuß er von hier aus hätte,“ fuhr er jetzt mit etwas unterdrückter Stimme fort, „ich wollte, ich hätte meine Büchse mitgenommen.“

„Roberts würden Dich schön bewillkommt haben, wenn Du ihnen am Sabbath mit dem Schießeisen gekommen wärst; will's die Frau doch nicht einmal von dem Indianer leiden, und dem – aber hol' mich Dieser und Jener – das Ding ist ordentlich zahm – es muß uns gar nicht hören.“

Die beiden Männer waren indessen, die Straße ruhig hinaufreitend, dem Hirsch sehr nahe gekommen. Dieser stand in einer der unzähligen Salzlecken, die sich an beiden Ufern des Fourche la fave, besonders reichhaltig aber am nördlichen finden, und schien keine Ahnung von einer nahenden Gefahr zu haben. Einmal hob er zwar den Kopf, das mochte aber mehr sein, um Athem zu schöpfen, als weil er irgend etwas Außergewöhnliches fürchtete. Die Männer sahen nämlich, daß er in einem tiefen, in dem Lehmufer des kleinen Baches befindlichen Loch geleckt hatte, das durch häufigen Gebrauch von Pferden, Kühen, insbesondere aber Hirschen, ausgehöhlt worden. Wenige Secunden blieb er in dieser Stellung und peitschte, den Rücken unseren beiden Freunden zugewandt, mehrere Male mit dem Wedel die ihn umschwärmenden Fliegen fort, dann aber bog er sich wieder nieder, um auf's neue den Salzgeschmack des fetten Erdbodens zu genießen. Er hatte erst frisch aufgesetzt. Das kaum vier Zoll lange Gehörn hinderte ihn deshalb nicht sehr in der Verfolgung seines Zweckes, so daß er bald darauf den Kopf, ihn seitwärts herumbiegend, wieder in die Höhlung hineinschob, um mit der langen Zunge die salzigsten Theile aus dem Innern herauszuholen.

„Wo nur der Indianer stecken mag, Bill!“ sagte jetzt Harper leise und mit schlecht verhehlter Jagdlust; „ich glaube, man könnte sich bis auf fünf Schritt an das dumme Ding heranschleichen, es merkt' es nicht. – Ach, Bill, wie ich jung war da hättest Du mich sollen schleichen sehen, ich bin einmal, –“

„Wenn Sie sich hinter der Hickorywurzel hielten, Onkel, ich glaube, es ginge,“ flüsterte ihm lächelnd der junge Mann zu.

„Unsinn, Junge! Glaubst Du, ich will mit meinen alten Knochen Sonntags im Walde herumkriechen, unschuldiges Viehzeug erschrecken? ich denke nicht dran.“ – Trotz der abweisenden Worte war Harper aber doch vom Pferde gestiegen, das geduldig und regungslos stehen blieb, und auf den Zehen schlich jetzt der kleine dicke, weißgekleidete Mann mit immer röther werdendem Gesicht, die Wurzel eines umgestürzten Baumen zwischen sich und dem Wild haltend, auf dasselbe zu. Augenscheinlich nur in der Absicht, seinen Spaß an den gewaltigen Sätzen des Thieres zu haben, wenn dieses ihn endlich, und so ganz in der Nähe, wittern würde. Dieses schien ihn aber nicht zu wittern, da er gerade gegen den Wind stand, denn wieder hob er den Kopf, streckte sich einen Augenblick und begann seine leckere Mahlzeit auf's Neue.

William Brown, oder Bill, wie ihn sein Onkel der Kürze wegen nannte, fing jetzt selbst an, sich für den Gegenstand zu interessiren, denn unbeweglich auf seinem Pferde sitzen bleibend, um auch das geringste Geräusch zu vermeiden, schaute er mit gespannter Aufmerksamkeit dem Vorrücken seines Onkels zu, der in diesem Augenblick zu der Wurzel kam und sich jetzt in kaum zehn Schritt Entfernung vom Hirsch befand. Hier blieb er einen Moment stehen und sah nach seinem Neffen zurück, verzog aber das Gesicht dabei zu einem wunderkomischen Grinsen, als wenn er hätte sagen wollen: „Na, Bill, bin ich nicht ein verfluchter Kerl?“ Hier zögerte er jedoch wenige Secunden, denn entweder war er selbst über die unbegreifliche Sorglosigkeit des jungen Hirsches erstaunt, oder er scheute sich auch wohl, mit seinen reinen Schuhen weiter vorzutreten, da dort die wirkliche sogenannte „Lick“ oder Salzlecke begann, und der kleine Bach, der durch den weichen Lehmboden rieselte, von unzähligen Wildfährten und Viehspuren zu einem weichen Schlamm zusammengetreten war. Die alte Jagdlust überwog jedoch zuletzt jede andere Bedenklichkeit, denn jetzt schien sich ihm zum ersten Mal die Möglichkeit aufzudringen, daß er das Wild wirklich ergreifen könnte, und ohne sich weiter zu besinnen, trat er leise und vorsichtig in den flüssigen Brei, den Glanz seiner wohlgeschwärzten Sonntagsschuhe auf eine wahrhaft unverantwortliche Weise vernichtend. Näher und näher kam er dem Thier, Brown hob sich, athemlos vor gespannter Erwartung, im Sattel in die Höhe, und das Herz des alten Mannes schlug, wie er später wohl hundertmal erzählte, so laut, daß er mit jedem Augenblick fürchtete, der Hirsch müßte ihn hören. Da hob dieser den Kopf; ehe er aber nur, über die Nähe des weißscheinenden Gegenstandes erschreckt, mit einer Muskel zucken konnte, warf sich Harper auch, Sabbath und Sabbathkleider vergessend, vorwärts und ergriff ihn gerade in demselben Augen blick mit beiden Händen an den Hinterläufen, als sich das zum Tod entsetzte Thier auf diesen in die Höhe hob, um mit einem Sprung der gefährlichen Nachbarschaft zu entgehen. – Es war zu spät, der alte Mann hing wie mit eisernen Klammern an dem seinem Geschick verfallenen Thier. Vorwärts riß ihn aber die verzweifelten Kraftanstrengung des also Gefangenen. In voller Länge hineingezogen in die lehmige Masse, schleifte es ihn in seinem letzten Sträuben, und vergebens hob er, so weit es ihm der kurze dicke Nacken erlaubte, den Kopf, um diesen wenigstens dem Schlammbad zu entziehen. Hochauf spritzte die dünne Masse, als er, einem Schiff gleich, das von Stapel gelassen wird, hineintauchte.

„Haltet fest,“ schrie Brown, hoch aufjauchzend und seinen gewöhnlichen Jagdschrei ausstoßend – „haltet fest, Onkel – hurrah für den alten Burschen, das nenne ich eine Jagd!“

Der Zuruf war aber keineswegs nöthig, denn nichts fiel dem alten Mann weniger ein, als jetzt loszulassen, wo er nicht allein seinen ganzen Sonntagsstaat, sondern sogar sich selbst total preisgegeben hatte. Um Hülfe zu rufen durfte er freilich nicht wagen, denn unter diesen Verhältnissen den Mund aufzumachen, hätte mit höchst unangenehmen Folgen verknüpft sein können, aber fest hielt er, als ob seiner Seele Heil daran hinge. Gewiß lag in diesem Augenblick der Ausdruck eiserner Willenskraft und Entschlossenheit in seinen Zügen, als er mit fest zugekniffenen Augen ruckweise durch die Salzlecke gezogen wurde, doch hatte ihm die vaterländische Erde die ganze Physiognomie mit einer solchen Kruste überzogen, daß an Erkennung irgend eines Ausdrucks gar nicht zu denken war.

Brown sprang zwar schnell zu seiner Hilfe herbei, der Anblick war aber so komisch, daß er sich am Rande der Lick in's Laub niederwarf und so krampfhaft lachte, daß ihm die großen Thränen an den Backen herunterliefen, und er sich wohl eine Minute lang nicht erholen konnte. Wie er aber endlich wieder emporsprang, hörte er den scharfen Krach einer Büchse, zum letzten Mal zuckte das schwer getroffene Thier im Todeskampfe empor und stürzte dann, die gefesselten Läufe dem Griffe des alten Mannes entreißend, verendend in den Schlamm zurück.

Den Knall der Büchse hatte Harper aber gehört, und sich aufraffend, rief er mit wilder Stimme: „Wer hat geschossen?“ wobei er sich, da er die Augen nicht öffnen konnte, nach der falschen Seite, auf der Niemand stand, wandte und dadurch Brown's Lachlust auf's Neue unwiderstehlich erregte.

Der verborgene Schütze ließ jedoch nicht lange auf sich warten, denn aus einem kleinen Sassafrasdickicht trat der Indianer und stieß, als er die traurige Gestalt des sonst so ernsten und ehrbaren Mannes erblickte, wie er mit weitgespreizten Fingern und geschlossenen Augen dastand, in komischer Verwunderung ein lautes „Wah!“ aus.

„Bill – Bill – verfluchter Junge – Bill – komm her und führ' mich an die Quelle. Donnerwetter, soll ich denn hier den ganzen Tag stehen bleiben, bis der Lehm so hart wird, daß ihn kein Teufel wieder abkratzen kann? Bill, sag' ich – Schurke, willst Du Deinen alten Onkel hier im Stiche lassen?“

Bill brauchte aber wirklich erst einige Sekunden, bis er sich sammeln konnte, dann trat er an das äußerste Ende des weichen Schlammes und reichte dem armen kleinen Mann einen gerade dort liegenden trockenen Zweig hinüber, den dieser auch gar schnell ergriff, und von seinem gehorsamen Neffen gleich darauf an den Bach geführt wurde, wo er sich vor allen Dingen die Augen auswusch, um sehen zu können, was um ihn her vorgehe.

Das Erste, was seinem Blick begegnete, war die Gestalt des Indianers, der, ohne weiter eine Miene zu verziehen, seine Büchse wieder lud.

„So, Mr. Rothfell – also Ihr glaubt, ich krieche Sonntag Morgens im Schlamm herum und halte Euch die Hirsche bei den Hinterläufen, bis es Euch gefällig ist, näher zu treten und sie nach Bequemlichkeit niederzuschießen, he? Wenn ich einen Hirsch mit Lebensgefahr lebendig fange, habt Ihr dann ein Recht, ihn todt zu schießen? Warum geht Ihr denn nicht auch nach meinem Hause und schießt Kühe und Schweine über den Haufen?“

„Aber, Onkel, wir kommen zu spät in die Kirche!“

„Die Kirche mag zum – glaubst Du, ich ginge in einem solchen Aufzug in die Kirche? – Nein, dieser Rothhaut will ich erst noch ordentlich meine Meinung geigen. Ist das Sitte, sich leise und nach der verdammten indianischen Art an einen Gentleman hinanzuschleichen und ihm das Wild aus den Händen herauszuschießen?“

„Aber, Onkel, Sie hätten den Hirsch ja keine zwei Secunden länger halten können!“

„Keine zwei Secunden länger? und was weiß denn der Gelbschnabel davon, wie lange ich ihn hätte halten können? Hat mein Bruder doch einmal einen Bären eine ganze Nacht hindurch –“

„Lebendig wollten Sie sich den Hirsch doch nicht aufheben?“ unterbrach ihn der Neffe, der nicht mit Unrecht eine der langen Geschichten befürchtete.

„Und warum nicht? – Hab' ich nicht eine Fenz, die hoch genug ist, ein Rudel Hirsche drin zu halten, und geht das die Rothjacke etwas an, was ich mit meinem Eigenthum zu thun beabsichtige? Nun, was giebt's dabei zu grinsen? eh?“

Der Indianer, gegen den alle diese zornigen Redensarten geschleudert wurden, war indessen ruhig, und ohne ein Wort zu erwidern, mit dem Laden der Büchse beschäftigt gewesen, die er zuerst etwas ausgewischt und gereinigt hatte. Dabei verzog sich aber sein Gesicht zu einem breiten, freundlichen Lächeln, das zwei Reihen blendend weißer Zähne sehen ließ, und er erwiderte in gebrochenem Englisch:

„Mein Vater ist sehr stark, aber ein Hirsch ist schnell, und einmal aus den Händen des weißen Mannes, würde er nie wieder seine Fährten in den weichen Boden des Fourche la fave gedrückt haben. Mein Vater wollte Fleisch – hier ist es.“

„Der Teufel ist Dein Vater,“ brummte Harper vor sich hin; „wenn ich das Fleisch Jemandem zu verdanken habe, so ist's diesen beiden Knochen,“ und er zeigte dabei seine kräftigen Arme. „Aber nicht wahr, Junge!“ fuhr er in der Erinnerung an seine Heldenthat wieder freundlich werdend, fort, „nicht wahr, das macht mir so leicht Keiner nach? Ein Glück ist's übrigens, daß Ihr Beiden es gesehen habt, denn hol' mich Dieser und Jener, wenn Roberts mir allein ein Wort davon geglaubt hätten. Schändliches Volk das, als ob ich jemals eine Lüge erzählte! Aber da feixen sie und feixen und sehen sich einander an, und stoßen sich in die Rippen, als wenn sie in einem fort sagen wollten: ›Du – das ist wieder einmal eine göttliche Geschichte‹. Doch jetzt muß ich mich waschen, das Zeug wird sonst trocken –“

„Wir werden zu spät zur Predigt kommen,“ sagte Brown, etwas ungeduldig nach der Sonne sehend.

„Oh geh mit Deiner Predigt, wohin Du willst – was liegt daran, den Schleicher, den Rowson, predigen zu hören! So gut kann ich's auch, und was des Burschen Frömmigkeit –“

„Wollen Sie denn erst wieder nach Hause reiten?“

„Versteht sich – geh nur immer voran, ich komme schon noch zur rechten Zeit.“

„Was wird aber mit dem Wildpret?“

„Was mit dem Wildbret wird, Musjö Naseweis? Das ist sehr leicht zu sagen, das marschiert auf meinem Pony in meine Küche, ich denke, ich hätt' es redlich genug verdient; – so, Assowaum, das ist recht“ – wandte er sich jetzt an den Indianer, der das erlegte Wild an dem kurzen Gehörn hinab zum Bache zog, um den dicken Lehm davon abzuspülen – „wasch ihn ab, daß ihn ein ehrbarer Christenmensch mit Anstand auf's Pferd nehmen kann; aber hallo – was ist das, Mr. Skalpiermesser – was zum Henker machst Du?“

Der Ausruf bezog sich auf das Beginnen des Indianers, der mit größter Kaltblütigkeit den Hirsch aufbrach und anfing, eine Keule abzustreifen. „Ich will das Fell nicht herunter haben, hörst Du? – Der Kerl ist taub.“

Assowaum ließ sich aber nicht irre machen, sondern löste höchst ruhig und gelassen eine Keule aus dem Wildbret, hing sich diese mit einem Streifen Hickoryrinde über die Schulter und erwiderte erst dann ganz ruhig:

„Der weiße Mann ist allein in seinem Wigwam, und Assowaum ist hungrig.“

„O! Nimm meinetwegen die Hälfte vom Wildbret. Ich werde ja aber ganz blutig.“

„Aber nicht mehr schmutzig,“ antwortete der Indianer lakonisch, nahm seine Büchse wieder auf die Schulter und schritt schnell die Straße hinauf, den beiden Männern die weitere Sorge für ihr Wild überlassend. Brown half seinem Onkel den angebrochenen Hirsch auf's Pferd heben, der sich dann dahinter in den Sattel schwang und, bald wieder guter Laune, seinen Neffen nun vor allen Dingen beschwor, die Geschichte bei Roberts nicht eher zu erzählen, als bis er selbst nachkäme. Er wolle nur schnell nach Hause reiten und seine Kleider wechseln, und bliebe nicht lange. Brown versprach ihm das und trabte schnell hinter dem Indianer her, der durch den Aufenthalt des jungen Mannes einen großten Vorsprung gewonnen hatte.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Regulatoren von Arkansas