16. Kapitel (Die Leichenwache)

16. Die Leichenwache.

Von Mullins' Haus bis zu der alten Hütte mochte es etwa vier Meilen in gerader Richtung sein, die Männer aber hatten die Entfernung in außerordentlich kurzer Zeit zurückgelegt, und noch war es nicht ganz dunkel, als sie die kleine „todte Rodung“, wie derartige Plätze in der Landessprache genannt werden, erreichten. Hier hielt Roberts, befestigte sein Pferd, welchem Beispiel sämtliche Gefährten folgten, und schlug Feuer. Es waren sechzehn Männer, aber Keiner von ihnen sprach ein Wort, lautlos trugen sie Holz zusammen und fachten eine helle Flamme an, lautlos banden sie mit dünnen Streifen Hickoryrinde ihre langgespaltenen Kienspäne zusammen – lautlos entzündeten sie dieselben an der Gluth, und von Roberts und Wilson geführt, betraten sie klopfenden Herzens den Schreckensort.


Die beiden ersten traten ziemlich bis in die Mitte der Hütte und bis fast dicht vor den Leichnam der Unglücklichen hin, die hier von Mörderhand gefallen, während die Anderen leise nachdrängten und jetzt einen Kreis um das Opfer schlossen, wobei die hoch über den Köpfen gehaltenen Kienfackeln das Ganze schauerlich mit ihrer rothen Gluth erleuchteten.

„Sie ist ermordet!“ sagte endlich Roberts leise, und leise hallte es von den Lippen der Uebrigen nach:

„Ermordet!“

Die schreckliche Tatsache unterlag auch keinem Zweifel weiter, der Hieb über den Kopf, mit schweren amerikanischen Bowiemesser geführt, hätte allein schon genügt, sie zu tödten, jener eine Schlag, ohne die drei Stiche mit derselben breiten und gefährlichen Waffe, die dem Lebensquell die rothen Thore geöffnet. Uebrigens ging auch schon daraus hervor, daß die erste Wunde die todbringende gewesen, da ihr aus zartgegerbten Fellen bestehender Ueberwurf nur auf einer Seite von Blut benetzt war, was sich außerdem an keiner andern Stelle der Hütte fand. Nach dem ersten Schlage mußte sie regungslos liegen geblieben und gestorben sein.

„Hat hier Jemand einen Verdacht, auf welche Art und durch wen diese Unglückliche ihr unzeitiges Ende gefunden?“ frug Roberts jetzt. Niemand antwortete – endlich sagte Bahrens:

„Es ist nicht möglich, den Menschen in's Herz zu sehen, was sie drinnen brüten. Diese Indianerin schien mir aber so brav und gut, so gefällig und freundlich zu sein, daß ich nicht begreifen kann, wie und auf welche Art sie sich hier in der Ansiedlung einen Feind gemacht haben sollte. Ich weiß Niemanden, den ich für fähig hielte, so Schreckliches zu verüben.“

„Ich auch nicht – wir Alle nicht,“ war die tieftönende Antwort.

„Wer hat die Todte zuletzt gesehen?“ frug Wilson jetzt.

„Ich begegnete den Beiden – Alapaha und Assowaum, gestern Nachmittag auf der andern Seite des Flusses,“ erwiderte Pelter; „sie schienen freundlich gegen einander gesinnt, wer kann aber ergründen, was ein Indianer im Sinne trägt!“

„Assowaum ist unschuldig,“ rief Roberts heftig – „ich würde mit meinem Leben für ihn stehen!“

„Weshalb?“ frug da, in der Thür der Hütte, die volle, wohltönende Stimme des Häuptlings, der in diesem Augenblicke, von Brown gefolgt, in der Versammlung erschien. Ahnungslos schritt er gegen die Mitte vor, während ihm die Männer zu beiden Seiten halb scheu, halb mitleidig Platz machten, so daß er das Entsetzliche nicht eher bemerkte, als bis er dicht vor der Leiche seines Weibes stand.

„Wah!“ schrie er und sprang wie ein angeschossener Hirsch hoch vom Boden empor – „was ist das? –“

„Alapaha!“ rief Brown entsetzt, der ihm gefolgt war – „Alapaha – großer Gott! ermordet!“

„Ermordet?“ wiederholte in wildem, hohlem Ton der Indianer, während seine Augen sich aus ihren Höhlen zu drängen drohten und die Rechte unwillkürlich das scharfe Scalpiermesser aus dem Gürtel riß, als müsse er das Herz des Verräthers finden, der sein Weib erschlagen. „Wer sagt ermordet?“

„Sieht das aus wie Schuld, Ihr Männer von Arkansas?“ rief Roberts, indem er seine Hand auf die Schulter des Indianers legte und die Freunde fragend anblickte.

„Nein – bei Gott nicht! Der arme Indianer! Schrecklich! Wer war der Thäter?“ so schallte es in einzelnen Ausrufungen von den Lippen der Farmer, während Assowaum mit stierem Blick Jeden im Kreise anstarrte, der ein Wort äußerte, auch für den Augenblick wirklich das ganze Bewußtsein seiner Lage verloren zu haben schien. Da trat Brown neben Roberts und sagte mit leiser Stimme, von der aber die kleinste Silbe verstanden werden konnte, während er dabei auf die Leiche deutete:

„Dies ist das zweite Opfer, das innerhalb einer Woche von Mörderhand gefallen; das Gerücht legte vor meine Thür die erste Blutschuld; ich bin hierher gekommen, um die Anklage zu widerlegen – meine Unschuld zu beweisen. Rein ist mein Herz von so entsetzlicher Schuld, aber der Mörder lebt unter uns.

Vor wenigen Tagen noch war es meine Absicht, diesen Staat zu verlassen und nach Texas zu gehen; sie ist es noch, aber nicht eher jetzt, als bis die Hand entdeckt ist, die jene Wunde schlug, bis mein Name wieder rein und schuldfrei vor der Welt dasteht. Doch nicht meine Pläne allein, nein, auch meine Ansichten haben sich geändert.

Ihr wißt, Männer von Arkansas, viele von Euch wenigstens, die mich näher kannten, daß ich bis jetzt dem Treiben und Wirken der Regulatoren entgegen war; ich hielt ihre Ungesetzlichkeit für einen vollgültigen Grund, sie zu verdammen – ich denke nicht mehr so. Hier zu unseren Füßen liegt ein Wesen ermordet, das harmlos und unschuldig Keinen kränkte oder betrübte; wer ist hier, dem sie nicht durch ihr anspruchslos freundliches Wesen gefallen, den sie nicht durch ihre streng gemeinte und gläubige Religiosität, wodurch sie selbst dem Glauben ihres Stammes untreu wurde, gerührt hätte? Sie ist todt – und die Gesetze konnten sie nicht schützen; sie ist todt – und die Gesetze sind zu machtlos, den Mörder zu erreichen und zu bestrafen. Hier aber hebe ich meine Hand empor und schwöre bei dem allmächtigen Gott, daß ich nicht eher ruhen und rasten will, bis ihr Blut, wie das jenes unglücklichen Mannes, gerächt ist, daß ich nicht eher ruhen und rasten will, bis wir die Natterbrut, die sich unter uns eingeschlichen hat, gefunden und ihre Köpfe zertreten haben. Männer von Arkansas, wollt Ihr mir beistehen mit Euren Armen und Euren Herzen?“

„Ja!“ hallte es dumpf und leise durch die niedere Hütte – „ja! so wahr uns Gott helfe!“

„So laßt uns vor allen Dingen den Leichnam zu dem nächsten Hause schaffen; dorthin muß morgen früh Jemand den Prediger holen, der ja wohl in der Ansiedlung zu finden sein wird. Wir wollen dann das arme Weib beerdigen.“

Mehrere der jungen Leute begannen, dieser Aufforderung zu Folge, Stangen abzuschlagen und eine rohe Bahre herzurichten. Da trat Assowaum, der bis jetzt schweigend, den Blick auf die Züge seines todten Weibes geheftet, neben der Leiche gestanden hatte, vor, schob die ihm Nächsten mit den Armen sanft hinweg und machte eine Bewegung, als wenn er sie bitten wollte, das Haus zu verlassen.

„Was willst Du thun, Assowaum?“ frug Brown.

„Laßt mich allein!“ hauchte der Krieger, indem er das Messer, das er noch vom ersten Augenblick an blank in der Hand trug, wieder in die Scheide zurückschob – „laßt mich allein mit Alapaha – nur diese Nacht.“

„Sollen wir denn nicht –?“

Eine verneinende Bewegung des Indianers drängte sie, seinem Willen zu gehorchen. Schweigend traten sie zurück und beriethen nun vor dem Eingange der Hütte leise, was zu thun sei.

„Wär's nicht besser, wir lagerten hier draußen?“ meinte Bahrens, als sie einen etwas entfernten und ziemlich offenen Platz erreicht hatten, „Assowaum mag die Leichenwache halten, und morgen früh sind wir dann gleich an Ort und Stelle.“

„Wohl wahr,“ sagte Brown, „aber Assowaum erzählte mir unterwegs, mein Onkel sei krank, und er habe Alapaha mit Lebensmitteln an ihn abgeschickt. Das unglückliche Weib wurde aber ermordet, der arme kranke Mann liegt also allein und hilflos in seiner Hütte, ich muß spätestens morgen früh dort sein.“

„Wie wäre es denn,“ sagte Wilson, „wenn wir jetzt zu Mullins zurückgingen, dort zuerst sähen, wie sich Rowson befindet und ob er im Stande ist, die morgende feierliche Handlung zu begehen, und dann vor Tagesanbruch mit einigen Lebensmitteln für den Indianer wiederkehrten? Alapaha nehmen wir dann in dem Canoe zu ihrer eigenen Hütte, die dicht neben unserer Wohnung liegt. Es wird auch des Indianers Wunsch sein, die Squaw neben seinem Wigwam beerdigt zu haben.“

„Bei diesem tobenden Wasser können aber nur höchstens vier Personen in dem Canoe sitzen,“ sagte Roberts.

„Mehr sollen auch gar nicht darin fahren,“ entgegnete Brown. „Von Mullins zu Harpers ist es, wenn Ihr von Heinzes aus eine gerade Richtung durch den Wald einschlagt, kaum sechs Meilen, also nur wenig weiter als von hier; Wilson und ich übernehmen daher das Fortschaffen des Indianers und der Leiche, und Ihr Anderen verfolgt indessen mit dem Priester den Landweg; wir treffen dann ziemlich zu gleicher Zeit bei meinem Onkel ein.“

„Gut,“ sagte Bahrens – „damit bin ich einverstanden. Sollen wir aber jetzt, ehe wir den Platz wieder verlassen, nicht versuchen, die Fährten des Mörders aufzufinden?“

„Das wäre nutzlos,“ warf Roberts ein, „der Boden hier im Innern ist zu hart und trocken, um etwas unterscheiden, und draußen hat der Regen, der nach Mitternacht in Strömen herabgoß, Alles verwischt; wir würden nur unnütz unsere Zeit verschwenden. Nein, der Mörder ist für den Augenblick vor jeder Verfolgung sicher, wer es aber auch sei, er wird unserem rächenden Arm nicht entgehen, und daran sollen uns weder die frommen engherzigen Ermahnungen eines Priesters, noch die machtlosen Drohungen eines Gouverneurs uns abhalten, da einzugreifen und zu strafen, wo wir an unserem Heiligsten verletzt wurden.“

„Ich möchte noch einmal zu Assowaum hineingehen,“ sagte Brown zögernd.

„Stört ihn heut Abend nicht mehr,“ bat Roberts – „er hat als Indianer seine eigenen Ansichten und Gefühle, und ich glaube kaum, daß ihm bei denen der Anblick eines Weißen, und wäre es der eines Freundes, willkommen ist.“

Die Männer entzündeten hiernach ihre größtentheils verlöschten Kienfackeln wieder, bestiegen die Pferde und ritten langsam zu Mullin's Hause zurück. – Das einsame Blockhaus aber umschloß still und schweigend die beiden Wesen, die, wenn auch nicht freundlos, doch fremd unter einem Volke gelebt, das ihren Stamm vernichtet und aus dessen Mitte jetzt eine Mörderhand die letzte zarte Blüthe zernickt hatte.

Der dunkelklare Himmel funkelte in all' seiner mitternächtlichen Herrlichkeit, rauschende Lüfte spielten mit den hochragenden Wipfeln der riesigen Bäume und schlugen in abgemessenen Zwischenräumen die gewaltigen guirlandenartigen Weinreben an die schlank aufstrebenden Stämme an; der Fluß tobte dazu schäumend und brausend dicht an der halbverfallenen Hütte vorbei, und es war fast, als ob er gierig hinauflecke nach der blutigen Leiche und sich danach sehne, sie in seinen Armen mit fortzuführen, ein Spiel dem noch wilderen Gesellen, dem breiteren und mächtigeren Arkansas.

In dem innern Raume aber, des Rauschens der Wipfel, des murmelnden Brausens der aufgeregten Wasser nicht achtend, saß zu den Füßen seines todten Weibes der Indianer und schaute schweigend und sinnend, wie ihn die Männer verlassen hatten, auf ihr schmerzdurchzucktes, blutiges und doch noch so schönes Antlitz. Das Feuer war ziemlich niedergebrannt und nur noch manchmal glühte vor dem Erlöschen ein rother Flammenstrahl daraus empor, um die nachfolgende Dunkelheit so viel auffallender und unheimlicher zu machen. Da sprang auf einmal, wie von einer Natter gestochen, der rothe Sohn der Wälder empor – seine Augen drängten sich fast aus ihren Höhlen, mit bebenden Händen warf er, was er an dürren Spänen in der Nähe fand, auf die fast verglommene Gluth, fachte diese in zitternder Hast wieder zur neuen Flamme an, wandte sich jetzt in Fiebergluth zu der Leiche und beobachtete mit ängstlicher Sorgfalt ihre Züge.

Ach! das ungewiß flackernde Licht hatte ihn getäuscht, ihm war es gewesen, als ob sich die starren Züge wieder belebt, die bleichen Lippen geöffnet hätten. Er konnte sich ja noch nicht zu der Ueberzeugung zwingen, daß das Weib seines Herzens, seine Alapaha, hier todt – todt zu seinen Füßen liege, und an jeden Strahl von Hoffnung klammerte sich mit der Kraft der Verzweiflung die sinkende, schmerzdurchschauerte Seele. Bald erfüllte den Unglücklichen aber nur zu sicher die schreckliche Wahrheit. Alapaha, die Blume der Prairien, war wirklich todt – nur eine gefühl- und seelenlose Leiche traf sein liebender Blick, und traurig entfielen die flammenden Späne der matt und kraftlos niedersinkenden Hand.

Der augenblickliche Hoffnungsstrahl hatte ihn jedoch wenigstens aus seiner träumenden Lethargie aufgerüttelt; er strich sich die langen, wild und unordentlich seine Schläfe umflatternden Haare aus der Stirn, schaute, fast wie ungläubig, einige Secunden in dem engen Raum umher und bebte erst dann schaudernd wieder zusammen, als er dem starren Geisterblick der Gebliebten begegnete.

Die Wölfe, die in der vorigen Nacht nicht gewagt hatten, das von Menschenhänden errichtete Gebäude zu betreten, näherten sich jetzt, und zwar durch Hunger kühner geworden, der Stelle, welche ihre schauerliche Beute enthielt. Scheuchte sie aber schon die Witterung der vielen frischen Fährten zurück, so ward ihre Furcht noch durch die Nähe eines lebenden Wesens vermehrt, und schon umzogen sie in weiten Kreisen die Wohnung des Todes und heulten in klagend ängstlichen Weisen ihren Leichengesang. Assowaum achtete ihrer kaum; er kannte diese Hyänen des Waldes, fürchtete sie aber nicht und beschäftigte sich nur mit dem früheren Gegenstand seiner Liebe – jetzt seines Schmerzes. Noch einmal schürte er das Feuer an, daß es in hellen Flammen die Wände der Hütte wie mit Tageshelle erleuchtete, und wanderte nun spähend umher und forschte nach Spuren und Zeichen der verübten That.

Die Hütte, vor langen Jahren von einem neuen Ansiedler errichtet, der sie bald darauf wieder verließ, war seit dieser Zeit nur höchst selten von einzelnen Jägern bei stürmischem Wetter als Lagerplatz benutzt worden, und deshalb gänzlich vernachlässigt und verfallen. Früher hatte auch wohl der erste Besitzer ein kleines Stückchen Land dicht daneben urbar gemacht und Mais darauf gezogen, jetzt aber nahm kräftig aufwachsendes Unterholz mit seinen engverzweigten Wurzeln den Acker ein, und selbst im Innern der Hütte verriethen einzelne junge Stämme die üppige Vegetation des Bodens, der hier, von Regen und Sonnenschein gleich entfernt gehalten und nur durch die Feuchtigkeit des vorbeiströmenden Flusses genährt, mehrere junge Eichen- und Hickorystämmchen an derselben Stelle emporgetrieben hatte, wo vor noch nicht so langer Zeit Menschen unter schützendem Dache gehaust. Neben einem dieser Schößlinge lag die Leiche, Assowaum suchte jetzt vergebens nach Spuren, die ihm den Mörder hätten verrathen können. Der Boden war zu hart, um die Spuren eines Menschenfußes in deutlichen Umrissen bewahrt zu haben, und was sich noch etwa hätte zeigen können, hatten die Männer zertreten. Nur dort, dicht neben dem kleinen Gestell, auf dem Alapaha das von dem Gatten erlegte Hirschfleisch getrocknet – in der zerstreuten Asche – entdeckte er, von den Anderen noch nicht zerstört, die theilweise Fußspur eines Mannes.

Assowaum betrachtete sie lange und aufmerksam, es war aber nur der vordere Theil des Fußes, er konnte nicht die ganze Länge erkennen, und dann wieder rührte sie von einem solchen Stiefel her, wie ihn Brown trug; es mochte des jungen Mannes Spur sein, der ja eben erst die Hütte verlassen hatte. Assowaum maß die Spitze ebenfalls am Stiel seines Tomahawks und schaute mehrere Minuten lang sinnend auf die niedergetretene Asche.

Solches Zeichen genügte aber nicht und er wanderte weiter umher, forschte nach irgend einem zurückgelassenen Gegenstand des Mörders und fand – den Tomahawk der Geliebten, der blutig von rauher Hand in die Ecke der Hütte geschleudert schien und dort bis jetzt seinem Adlerblick entgangen war.

Ein stolzes Lächeln des Triumphes durchzuckte jedoch zum ersten Mal die Züge des wilden Kriegers, als er die Blutspuren an der leichten, doch scharfen Waffe seines Weibes bemerkte: Alapaha war einer Indianerin würdig gestorben, und der Feind, der sie vernichtet, hatte zuerst von ihrer Hand geblutet. Das brachte aber auch das Andenken an den Tod der Geliebten mit erneuter Heftigkeit vor seine Sinne, und den Tomahawk fest mit den Eisenfingern umspannend, richtete sich der wilde Krieger hoch empor und schaute mit blitzenden Augen umher, als ob er den Mörder erspähen und ihn mit dem Racheschrei auf den Lippen zu Boden schmettern wollte.

Ach zu spät! wo war diese rettende Hand in der Stunde der Noth? wo war dieses starke Herz im Augenblicke der Gefahr gewesen? weit – weit von hier, und das arme Wesen mußte hülflos und unbeschützt fallen und verbluten. Assowaum knirschte wind, in ohnmächtiger Wuth. Dann aber siegte endlich die kalte, ruhige Ueberlegung des Indianers. Noch einmal durchforschte er jeden Winkel, jede Ecke des kleinen Raumes, verließ dann die Hütte und untersuchte im Freien jeden Strauch und jeden offenen Moosfleck – vergebens. Der niederströmende Regen hatte Alles verwischt, nur zwischen dem Flusse und der Hütte, jetzt zwar schon von den steigenden Fluthen erreicht, fesselten einzelne Birkenzweige seine Aufmerksamkeit, von denen die Blätter gewaltsam abgestreift zu sein schienen; doch hatte, wie schon gesagt, der wachsende Fluß jede Spur darunter verwaschen, und der Indianer kehrte, ohne seinen Zweck erreicht zu haben, in die Hütte zurück.

Hier bereitete er nun für die ermordete Gattin das Todtenlager; seine Decke breitete er aus und legte ihre starren Glieder darauf, aus dem Flusse trug er Wasser herbei und wusch ihr das blutige Antlitz und Haar rein von dem rothen, geronnenen Lebensstrom, schob ihr dann die eigene Decke unter das Haupt, daß sie gut und sanft ruhe wie vor alten, schönen Zeiten, und versuchte, ihre Hände auf dem Herzen, das ihn so treu und innig geliebt hatte, zu falten. Die Rechte hielt aber krampfhaft geschlossen, und schon wollte er den Versuch aufgeben, mit Gewalt die im Tode erstarrten Finger zu lösen, als er etwas Fremdartiges in ihnen fühlte, seine Anstrengungen erneute und in dem Griff der Leiche einen dunkeln Hornknopf, den sie im Todeskampf gefaßt und gehalten hatte.

Was war aber mit solchem Zeichen zu beginnen? Wie konnte das auf die Spur des Thäters führen? Assowaum schüttelte traurig mit dem Kopfe, schob jedoch den Gesundene in die Kugeltasche an seiner Seite und setzte sich nun wieder still zu den Füßen der Gattin nieder, als ob sie nur schlummere und er ihren Schlaf bewachen wolle.

So saß er regungslos viele lange Stunden; das Feuer fiel in sich zusammen, flackerte noch manchmal zuckend empor und verglomm endlich; dichte Finsterniß erfüllte den kleinen Raum – draußen im Walde zogen sich die Wölfe scheu vor der Nähe des Menschen zurück, kein Laut unterbrach die feierliche Stille, als das Plätschern und Gurgeln des Flusses. Selbst die Eule hatte den schaurigen Platz gemieden, und nur weit, weit entfernt lockte ihr klagender Ruf den Gefährten, den sie dann mit leisem, geräuschlosem Flügelschlag in die freundlicheren Hügel folgte – Alles schwieg, und immer noch kauerte die dunkle Gestalt vor der stillen Leiche, bis draußen die frische Morgenluft den Thau von den Büschen schüttelte, im Osten ein heller Streifen den nahenden Tag verkündete und die Vögel der Nacht mit lauten, wehmüthigen Tönen Abschied von dem weichenden Dunkel nahmen.

Da wurden Stimmen vor der Hütte laut, und von Wilson gefolgt trat Brown wieder in das stille Gemach der Trauer. Der Indianer schien ihn aber nicht zu bemerken; sein Auge, das er keinen Augenblick von dem Antlitz Alapaha's gewandt hatte, hing immer noch an den theuren Zügen, und erst als ihm der Freund mit leisem Finger die Schulter berührte, starrte er, wie aus tiefen Traum erwachend, empor.

„Komm, Assowaum!“ sagte Brown jetzt, indem er ihm freundlich die Hand entgegenhielt, „sei ein Mann – schüttle den Gram ab, der Dich zu verzehren droht, und laß uns an's Werk gehen, zuerst Dein Weib beerdigen, und dann sie – rächen!“

Der Indianer hatte theilnahmslos den Worten des weißen Mannes gelauscht, bis das letzte sein Ohr berührte.

„Sie rächen!“ rief er, indem er mit leuchtenden Augen emporsprang – „ja – sie rächen – komm, mein Bruder – der Anblick dieser Leiche entmannt mich – komm!“ Damit nahm er den kleinen Tomahawk seines Weibes und steckte ihn in den Gürtel, half dann aber den beiden Männern mit festen Schritten die Leiche in das schwankende Boot zu tragen, das an seinem Rebenanker auf den durch die überschwemmten Bäume gebrochenen Wellen schaukelte.

Wilson bot ihm nun einige für ihn mitgebrachte Erfrischungen an – er wies aber Alles zurück, nahm schweigend seinen gewöhnlichen Platz im Canoe ein und steuerte dieses, das, von den kräftigen Armen der beiden Männer gerudert, mit Blitzesschnelle über die kochende Fluth dahinschoß, sicher und ruhig stromab der zu Wasser etwa zehn Meilen entfernten Wohnung Harper's zu.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Regulatoren von Arkansas