15. Kapitel (Die Betversammlung – Die Schreckensbotschaft)

15. Die Betversammlung. – Die Schreckensbotschaft.

Die Sonne hatte die Mittagslinie etwa zwei Stunden überschritten, als von mehreren Seiten zu gleicher Zeit verschiedene Gruppen an einem kleinen Blockhause erschienen, das einsam und allein im weiten, stillen Walde lag. Der Besitzer desselben, Mr. Mullins, ebenfalls ein neuer Ansiedler und ein fleißiger, ordentlicher Mann, hatte schon in kurzer Zeit ein recht hübsches Stück Land urbar gemacht. An dem Haus selbst konnte man aber nichts davon bemerken, denn dieses stand, ganz unähnlich der sonstigen amerikanischen Farmsitte, wohl eine halbe Meile vom Felde entfernt, am Abhang eines kleinen felsigen Hügels, dee die erste Abdachnung jenes die Wasser des Fourche la fave und den Petite-Jeanne scheidenden Gebirgsrückens bildet. Um die Wohnung selbst lagen dabei in wilder Unordnung gefällte Bäume und gespaltene Fenzstangen umher, was dem Platz ein zwar neues, aber auch zu gleicher Zeit ungemüthliches, ja trauriges Aussehen gab.


Wie öde und still jedoch auch Alles den ganzen Morgen über dareingeschaut hatte, so belebt wurde es jetzt. Kein Busch, an dem nicht ein Pferd angebunden stand, kein gefällter Stamm, auf dem nicht ein paar sonntäglich gekleidete Männer saßen und traulich mit einander plauderten, während die Frauen in das Haus traten, um dort vor allen Dingen ihre Hüte und Tücher abzulegen. Dort bot sich für sie dann allerdings auch zugleich die Gelegenheit, sich, ehe der Prediger kam, nur ein klein wenig und ganz insgeheim über die Sünden ihrer Nebenmenschen aufzuhalten, natürlich mit dem sehr freundlichen Zweck, dieselben so sehr zu bemänteln, wie sich das nur möglicher Weise mit einer genauen und vollständigen Aufzählung derselben vereinigen ließ.

„Sonderbar, daß Mr. Rowson noch nicht da ist,“ sagte Madame Pelter zu Madame Mullins, „er hält doch sonst so pünktliche Stunden.“

„Wird wohl mit Roberts kommen,“ war die Antwort – „in drei Wochen ist ja die Hochzeit, und da darf er die Braut doch nicht so lange mehr allein lassen.“

„Was? – Hochzeit?“ frugen drei oder vier Andere, sich neugierig hinzudrängend, „ist's wirklich wahr, daß Mr. Rowson Marion heirathet?“

„Ich hab's von der Mutter selbst, und die sollt' es doch wissen – daß sie einander lieben, war ja außerdem schon lange eine altbekannte Sache. Uebrigens muß ich Sie bitten, noch keinen Gebrauch davon zu machen, denn ich weiß nicht, ob es schon veröffentlicht werden darf. – Aber wahrhaftig, da kommen Roberts ohne Mr. Rowson; nun weiß ich doch in der That nicht –“

„Er war ja an den Arkansas gegangen,“ meinte ein Verwandter von Bowitt, „am Ende hat er so viele Geschäfte dort zu besorgen, daß er gar nicht zur rechten Zeit zurück sein kann.“

„Das wäre recht schade,“ seufzte die jüngste Miß Smeiers; „ich hatte mich so auf die Predigt heute gefreut.“

„Oh, er kommt gewiß,“ rief die alte Madame Smeiers, eine wohlbeleibte, freundliche Matrone, „es thut auch noth, daß wir in der Ansiedelung hier Gottes Wort recht fleißig hören. Solche Sündhaftigkeit, wie jetzt überhand zu nehmen droht – der Herr wolle uns nur gnädig bewahren!“

„Und dabei giebt's noch Leute, die gar nicht an's Beten denken,“ sagte Mrs. Bowitt – „Leute, die zu keiner Versammlung gehen, und wenn sie im Nachbarhause gehalten würden – Leute, die fluchen und schwören –“

„Ach, wenn ich nur meinen Mann ein einziges Mal dazu bewegen könnte, das Wort Gottes mit anzuhören,“ sagte Mrs. Hostler – „jedesmal verspricht er's mir, und nie hält er's.“

„Sie müssen es mit ihm so machen, wie ich neulich mit meinem Manne,“ erwiderte Mrs. Hennigs; „der hatte sich Nachmittags ruhig in die Ecke zum Schlafen hingelegt, und wie er erwachte, saß das ganze Zimmer voller Menschen und der Prediger vom Petite-Jeanne drüben fing gerade sein Gebet an. Die Augen hätten Sie einmal sehen sollen, die Hennigs machte; er konnt' es aber nicht mehr ändern und mußte geduldig aushalten. Noch zwei- oder dreimal so, und ich bin überzeugt, er kommt von selbst. – Ach, wenn sie nur erst einmal das Süße und Wohlthuende einer solchen Predigt empfunden haben, dann zieht sie's immer wieder hin.“

„Mr. Hennigs hat aber zu meinem Mann gesagt,“ behauptete Madame Smith, „daß er sich das nächste Mal die Hunde mit zum Schlafen hineinnehmen wollte, damit die Spektakel machten, sobald Jemand käme.“

„Das soll er sich nur unterstehen!“ rief Mrs. Hennigs entrüstet; „die Hunde auf meine Betten, nicht wahr? Da wollt' ich denn doch einmal sehen, wer – Guten Abend, Mrs. Roberts,“ unterbrach sie sich selbst, als in diesem Augenblick die Genannte mit ihrer Tochter in das Haus trat – „wie geht's, Miß Marion?“

Begrüßungsformeln wurden nun von allen Seiten gewechselt, und die Frauen hatten, in übergroßem Eifer, den neuen Putz der immer wieder neu Hinzukommenden zu mustern, ganz übersehen, daß Mr. Rowson indessen wirklich angekommen war und jetzt plötzlich mit einem freundlichen Gruß mitten unter ihnen stand.

Aber, großer Gott, wie sah er aus! Sein Antlitz war bleich, seine Wangen hohl, die Augen eingefallen und seine Sprache zitterte merklich, als er, den linken Arm tief in die Weste hineingeschoben, die niedere Schwelle heraufstieg.

„Mr. Rowson!“ riefen die Frauen fast wie aus Einem Munde – „sind Sie krank? Was fehlt Ihnen denn? – Sie sehen ja todtenbleich aus!“

„Sie müssen krank sein!“ sagte Mrs. Roberts, indem sie an ihn herantrat – „oder ist etwas vorgefallen?“

„Nein – gar nichts – ich danke Ihnen,“ erwiderte freundlich lächelnd der Prediger – „von ganzem Herzen danke ich Ihnen für Ihre Theilnahme, meine verehrten Freundinnen und Schwestern, es ist aber nur eine etwas übermäßige Anstrengung. Ich komme aus den nördlichen Niederlassungen herunter und bin die ganze Nacht geritten, um mein Wort zu halten und zur bestimmten Zeit hier zu sein. Das mag mich wohl etwas zu sehr angegriffen haben, da mein Körper an dergleichen nicht gewöhnt ist.“

Er trat dabei zu Marion und reichte ihr freundlich die Rechte, als diese die sonderbare Haltung seines linken Armes bemerkte und ihn besorgt frug, ob er sich auf irgend eine Art verletzt habe.

„Eine Kleinigkeit,“ erwiderte der Priester – „die bald vorübergehen wird. Mein Pferd stürzte gestern Abend über einen im Wege liegenden Ast und warf mich gegen einen Baum, wobei ich mir den Arm ein wenig aufriß. Da es ganz unbedeutend war, achtete ich im Anfange gar nicht darauf; nach der sehr feuchten, unfreundlichen Nacht schwoll es jedoch gegen Morgen an, und der Arm ist mir jetzt etwas steif geworden. Es wird jedoch, wie gesagt, bald vorübergehen.“

„Ach, Mr. Rowson – ich habe eine herrliche Einreibung,“ sagte Mrs. Mullins, zu ihm herantretend – „wenn Sie mir erlauben wollen –“

„Danke wirklich – danke innigst für all' diese Freundlichkeit; es ist in der That nicht der Mühe werth, sich auch nur im Mindesten darum zu sorgen. – Nein, ich muß, auf mein Wort, danken, beste Schwester Mullins. Wäre es auch bedeutender, als es ist, eine kleine, bald vorübergehende Erkältung, so möchte ich dadurch nicht die Veranlassung sein, die so viele fromme und gläubige Seelen eine Stunde länger ihrem Herrn entzieht. Lassen Sie uns beginnen, verehrte Freundinnen, Sie sehen, wie zahlreich sich die Guten versammelt haben. Wollen wir im Hause bleiben, oder sollen wir in's Freie gehen? Des Raumes wegen möchte wohl der offene Platz vorzuziehen sein.“

„Wenn es Ihnen nur nicht zu kalt in der frischen Luft ist!“ sagte Mrs. Roberts ängstlich. – „Es weht immer noch ein recht kalter und feuchter Wind.“

„Tragen Sie meinethalben keine Sorge,“ lächelte der Prediger, indem er ihr die Hand drückte, „ich stehe im Dienste des Herrn, und in solchem Dienste darf man nicht lässig sein. Die Bewegung wird mir übrigens gut thun, und in wenigen Tagen hoffe ich wieder ganz hergestellt zu sein.“

Alles weitere Zureden blieb fruchtlos. Der kleine Tisch wurde unter die zwei Maulbeerbäume getragen, die der Farmer, als er den übrigen seine Wohnung umschattenden Baumwuchs fällte, ihrer süßen Frucht wegen stehen gelassen hatte, und in einer kleinen halben Stunde später sandte die scharfe, weitschallende Stimme des Priesters ihre Gebete und Danksagungen zu dem reinen Himmelsblau empor. – Und die Bäume brachen nicht schmetternd über ihm zusammen, die Erde verschlang nicht den Heuchler, der die blutbefleckten Hände zu dem Allerbarmer erhob und ihm dankte, daß er seine schwachen Bemühungen mit seiner Vaterhuld gesegnet und sie Alle – Alle die Seinigen fromm und gläubig hier unter dem grünen Laubdach seines Domes zusammengeführt habe! Dort stand er und erröthete nicht, als sich ein freundlicher Sonnenstrahl hindurchstahl durch das dichte Blätterdach des Unterholzes, und erröthete nicht, als sich die Frauen in seiner Nähe zuflüsterten, ein Heiligenschein umgebe die Schläfe des Gottseligen. Dort stand er und schlug das freche Auge nicht zu Boden, als er dem reinen, frommen Blick seiner Braut begegnete, die sich zum ersten Mal mit inniger Zuneigung zu ihm hingezogen fühlte, da auch sie glaubte, der übergroße Eifer seines frommen Berufes habe ihn so angegriffen und verändert. Der Frauen Herz wird ja oft durch Mitleiden gewonnen, und der bleiche Mann hatte dem leidenden Ausdruck seiner Züge das zu danken, was er durch Monate lange Mühe und Anstrengung nicht zu erreichen vermochte. Marion glaubte an diesem Abend zum ersten Mal, an seiner Seite, wenn auch nicht glücklich, doch ruhig und zufrieden leben zu können.

Rowson beendete indessen mit unerschütterter Ruhe die heilige Handlung. Seine Lippe bebte nicht, als er die Verzeihung des Höchsten für sich und seine Zuhörer erflehte, seine Stimme zitterte nicht, als er das Amen und den Segen sprach. Nur einmal, einmal nur, als Alles um ihn her in Andacht hingegossen auf den Knieen lag, durchzuckte ihn ein jäher Schreck, und er stockte mehrere Sekunden lang; denn hoch – über den wehenden Wipfeln der Eichen strichen nach Nordwest hinüber vier Aasgeier. Er konnte das schwere Schlagen ihrer Flügel nicht hören, aber er wußte, welchem Orte sie mit gierig vorgestreckten Hälsen entgegenstrebten; wußte, was ihr Mahl sein würde, ehe die Sonne dort drüben im Westen untersank. Da, sich mit Gewalt emporraffend, stimmte er ein lautes „Hallelujah“ wie im grimmen Spott seiner selbst an, und die Gemeinde fiel ein in die bekannte Melodie, während er unter den lautschwellenden Tönen sich wieder sammelte und für den Schluß des Gottesdienstes kräftigte.

Indessen schienen nicht alle dort eingetroffenen Ansiedler auch Theil am Gebete zu nehmen, denn eine kleine Gruppe derselben war etwa hundertfünfzig Schritt von der Versammlung entfernt gelagert. Zu diesen gehörten besonders Bahrens, der Krämer Hartford, Roberts und Wilson, Letztere ebenfalls ein junger Ansiedler an demselben Fluß, nur auf der ander Seite. Ihr Gespräch, das der Krämer bis jetzt größtentheils mit Klagen über den schlechten Handel belebt, hatte jedoch in den letzten Minuten etwas gestockt. Die lautschallenden Ermahnungen Rowson's waren nämlich bis zu ihnen gedrungen, und Bahrens schob ein kleines Fläschchen mit Whisky, das er eben zu Tage fördern wollte, verschämt wieder in die Tasche zurück. Wilson aber bemerkte diese Bewegung und griff nach dem Arm, der ihm das Labsal entziehen wollte.

„Halt da!“ sagte er lachend – „das ist gegen die Gesetze der Menschlichkeit; zeigt Einem erst den ›ächten Stoff,‹ und wollt ihn dann wieder bei Seite schaffen? – da wird nichts daraus.“

„Aber, Wilson – wenn Rowson zufällig hierher sehen sollte, oder gar eine von den Frauen!“

„Ach – was da; die müßten scharfe Augen haben, wenn sie durch die Büsche erkennen könnten, was wir hier angeben. – Und wenn auch – zum Donnerwetter, was schert uns das Geplapper; wären wir deshalb hergekommen, so säßen wir mitten zwischen ihnen.“

„Laßt's aber nicht mehr sehen, als nöthig ist,“ sagte Bahrens; „meine Alte singt auch mit, und das muß ich sonst acht Tage hören.“

„Keine Noth – Alterchen,“ lachte Wilson, indem er der frommen Gesellschaft geschickt den Rücken wandte und, die Flasche an die Lippen hebend, den hellklaren Himmel einige Angenblicke mit besonderer Aufmerksamkeit betrachtete.

„Nun,“ sagte Roberts, während er das Ende des Gefäßes herunterdrückte – „erstickt nur nicht gar – Ihr wollt wohl drin wohnen bleiben? hättet Ihr vorhin ein klein wenig besser aufgepaßt, so würde Euch Rowson's Moral: Andern zu thun, wie Ihr erwartet, daß sie Euch thun, von großem Nutzen gewesen sein.“

„Ach, geht mir zum Henker mit Eurer Moral,“ sagte Wilson ärgerlich, indem er sich unter der Fichte, wo er bis jetzt gesessen hatte, ausstreckte und in die dichten Zweige derselben hinaufschaute – „das ist ein ewiges Morallesen und auf den rechten Weg Bringen in unserer Ansiedlung; es gefällt mir gar nicht mehr.“„

„Ihr wißt's wohl, was ich eigentlich sagen will. Mir behagt das ewige ›Wegweisen‹ nach dem Himmel nicht; wer zum Henker soll sich danach zurechtfinden?“

„Ich glaub' auch nicht,“ sagte Bahrens lachend, „daß der Bursche da drüben, der die Augen so fromm und andächtig in dem bleichen Gesicht herumdreht, den Weg richtig beschreiben kann. Sei dem aber wie ihm wolle, mir gefällt er nicht.“

„Meine Frau hat einen Narren an ihm gefressen,“ sagte Roberts. „Noch gestern Abend behauptete sie, er wäre ein Heiliger, sie könnte ordentlich fühlen, wie fromm und gut ihr um's Herz würde, wenn er nur zur Thür hereinkäme.“

„Gott sei uns gnädig!“ rief Bahrens erschrocken – „nächstens wird er ein Paar Flügel bekommen, auf einen Baumast fliegen und Manna fressen.“

„Seht nur einmal, wie die Aasgeier heute Nachmittag da hinüberstreichen,“ sagte Wilson, „das ist nun schon der dreiundzwanzigste, den ich zähle, seit ich hier liege.“

„Die Predigt scheint beendet zu sein,“ sagte der Krämer, der seit einigen Minuten dem Gespräch schweigend gelauscht hatte – „das ist das Schlußlied – ich kenn' es.“

„Ihr seid wohl auch musikalisch, Hartford?“ lachte Bahrens.

„Und warum nicht?“ erwiderte dieser etwas pikirt – „ich spiele die Violine und kann einige ausgezeichnete Stücke auf der Flöte. Wenn Sie es nicht glauben wollen, ich habe sie bei mir,“ und mit diesen Worten langte er mit der Hand in die tiefe Rocktasche hinein, und war eben im Begriff, seine Drohung wahr zu machen, als ihm Roberts erschrocken in den Arm fiel und ausrief:

„Um Gottes willen, Mann, behaltet das schreckliche Instrument im Beutel. Was denkt Ihr wohl, was die fromme Versammlung da drüben sagen würde, wenn wir hier anfingen zu musiciren. Wir hatten einmal so einen Spaß im vorigen Jahre mit Wells unten, der jetzt freilich ganz zurückgezogen lebt und nirgends mehr hingeht, wenn er nicht apart zu einem Klötzerrollfest oder etwas Derartigem gerufen wird. Neulich war er einmal bei mir, als er den Bienenbaum gerade am Flusse gefunden hatte; er mußte eine Axt haben, weil er nicht erst deswegen nach Hause gehen wollte, und da bin ich mit ihm hinaus in den Wald gegangen, aber so 'was von einem Bienenbaum hab' ich doch im Leben noch nicht gesehen. – Der und ein An derer –“

„Ja, aber –“ unterbrach ihn der Krämer, der die Angewohnheit Roberts' noch nicht kannte – „Ihr wolltet ja von Musik erzählen –“

„Oh, warum hieltet Ihr ihn auf!“ lachte Bahrens. „Er war auf dem besten Wege, und es hätte gar nicht lange gedauert, so fänd er sich in New-Orleans oder New-York wieder.“

„Wie so denn?“ sagte Roberts, „das ist nun wieder barer Unsinn – ich dachte weder an New-Orleans noch an New-York, ich wollte Euch von Wells erzählen, dessen Nachbar auch so ein langes spitzes Ding mit Löchern drin, gerad' wie eine Flöte, mitgebracht hatte. Er nahm es aber an der Spitze in den Mund, nicht an der Seite. Gut, der war oben bei Smiths über Nacht geblieben, und Abends, wie gebetet werden soll, nimmt er das Ding vor. – Er war gerade von Fort Gibson heruntergekommen und kannte unsere Gebräuche noch nicht, hatte auch, glaub' ich, eine unmenschlich lange Zeit an der indianischen Grenze gelebt, und erzählte merkwürdig gern, was sie für ewigen Kampf und Streit mit den Choktaws gehabt hätten, die erst damals von Georgien nach dem Westen geschafft waren. Die armen Teufel haben mir übrigens selbst leid gethan, denn um ihr Land hat man sie damals doch schändlich betrogen; da kamen aber die großen Herren von Washington und New-York –“

„Hurrah!“ schrie Bahrens, der nur auf das Stichwort, wenngleich mit der ernsthaftesten Miene von der Welt, gewartet hatte – „ob ich's denn –“

„So schreit doch nur nicht so!“ sagte Wilson – „sie sehen ja Alle hierher. Aber Gott sei Dank, es ist vorbei; heute hat's Rowson einmal recht kurz gemacht.“

„Er sieht auch elend genug aus,“ warf Roberts ein, „ich erschrak ordentlich, wie er mir vorhin an der Feldecke dort unten begegnete.“

„An der Feldecke? ich glaubte, er wäre von oben herunter, aus den nördlichen Ansiedlungen gekommen –“ sagte Wilson.

„Nun, das kann er ja auch,“ entgegnete Bahrens, „wenn er sich drei Meilen von hier rechts gehalten hat, um den sumpfigen Stellen aus dem Wege zu gehen, so mußte er bei der Feldecke ungefähr wieder herauskommen; ich bin den Weg auch schon einmal geritten. An den Hügeln ist's aber doch trockener.“

Die Versammlung war indessen aufgebrochen, und Alles bewegte sich jetzt bunt durcheinander. Madame Bahrens kam aber vor allem Dingen auf die sehr muntere kleine Gesellschaft zu, erwichte ihren „Alten“, wie sie ihn nannte, bei einem Knopf, und hatte ihm dann, etwa eine Viertelstunde lang, irgend etwas sehr ernsthaft einzuprägen, wobei Wilson Roberts bedeutend in die Rippen stieß und ihn frug, ob er dergleichen Verhandlungen wohl kenne?

„Kinder, es wird spät,“ sagte endlich Smith, der die Betversammlungen eifrig besuchte und für einen sehr frommen Mann galt – „die Sonne ist in der That schon am Untergehen, und ich habe noch mehrere Meilen zu machen. – Wilson, Ihr begleitet mich wohl?“

„Doch wohl nicht,“ entgegnete dieser, „ich habe Bahrens versprochen, mit ihm nach Hause zu reiten – er will mir gern etwas erzählen, was er in der letzten Woche erlebt hat.“

„Nun, dann Glück zu,“ lachte Mullins, „laßt's uns nur auch wissen, wenn's beendet ist.“

„Damit Ihr Euer Maul drüber breit reißen könntet, nicht wahr?“ sagte Bahrens. „Ich bin mit meinen Erzählungen vorsichtig geworden, denn – Gott sei uns gnädig – wie sieht der Mensch aus?“

Dieser letzte Ausruf galt einem jungen Manne, der in diesem Augenblick aus dem Dickicht trat und sich ihnen näherte, dabei aber ein so geisterbleiches, entsetzliches Aussehen hatte und mit den glanzlosen, weit aufgerissenen Augen so ängstlich umherstierte, daß mehrere der Frauen wirklich erschreckt vor ihm zurückwichen, und Wilson aufsprang und ausrief:

„Halway – zum Teufel – habt Ihr den Verstand verloren, daß Ihr am hellen Tage wie eine Leiche umherrennt und die Leute erschreckt? – Was ist vorgefallen?“

„Fürchterliches!“ stöhnte der junge Mann, indem er matt auf einen Baumstamm niedersank. – „Fürchterliches!“ wiederholte er mit hohler Stimme, „drüben in dem alten Blockhaus –“

„Nun, was ist dort?“ fragten Zehn zugleich.

„Laßt mich nur erst zu Athem kommen; drüben im alten Blockhaus – liegt – mich schaudert's, wenn ich daran denke – liegt die Leiche der Indianerin.“

„Alapaha's?“ rief die Menge entsetzt – „Assowaum's Weib? schrecklich! fürchterlich!“ tönte es von allen Seiten durcheinander. „Wie fandet Ihr sie? woran ist sie gestorben? wie sieht sie aus?“ und tausend ähnliche Fragen kreuzten sich mit Gedankenschnelle.

„Laßt mir nur erst Zeit, mich zu sammeln,“ sagte Halway – „Ich bin die Strecke von dem Schreckensort hierher – in fast wunderbar kurzer Zeit gelaufen. – Die Angst gab mir Flügel –“

„Aber so erzählt doch nur – was ist denn geschehen?“

„Gleich – gleich – so hört denn. Ich war in der letzten Woche an der Mündung des Flusses gewesen und hatte dort gejagt, brach aber vorgestern von dort auf, um von hier meine erlegten und getrockneten Häute abzuholen. Gestern schon gedachte ich bis Tanner's Haus zu kommen, es wurde aber dunkel, und ich mußte am Flußufer, im dichten Schilf, übernachten. Wie manchen Abend hab' ich nun schon draußen im Walde allein zugebracht, wie manchen Sturm, wie manches Gewitter abgehalten und nie Furcht gekannt, gestern aber lief mir's ein paar Mal mit eisigen Schauern über den Leib, und ich schürte mein Feuer noch einmal so groß an, als ich's eigentlich gebraucht hätte. Es mußte die Ahnung von dem sein, was in meiner Nähe vorging. Sonst blieb übrigens Alles ruhig, nur einmal schlug mein Hund an, und mir war's schon, als ob ich hätte ein Pferd schnauben hören, doch mußte das ein Irrthum sein, da der Schilfbruch dort undurchdringlich ist und der Fluß an der Stelle gerade sehr tief vorbeifließt.

Hoswells hatte mir nun schon früher sein Canoe zu borgen versprochen, gleich früh Morgens sah ich aber Bienen arbeiten und versuchte bis gegen Mittag den Baum zu finden, und da mir das nicht glückte, so sah ich mich nach dem Canoe, und zwar mit nicht besserem Erfolge um. Um alle Biegungen kroch ich, konnte jedoch weiter nichts entdecken, als ein Taschentuch mit Provisionen, das ein Jäger muß im Busch aufgehangen und vergessen haben, und ging endlich bis an den Weg hinauf, um dort durch den Fluß zu schwimmen.

Von dort aus war es nun meine Absicht, links ab und noch etwa zwei Meilen stromauf zu wandern, um ein anderes Canoe, das ich dort weiß, zu erhalten. Ich konnte aber nicht umhin, den auffallenden Zug der Aasgeier zu beobachten, die sich alle nicht sehr weit unterhalb des Weges niederzulassen schienen. Ueber den Weg liefen auch zwei ganz frische Wolfsfährten in derselben Richtung hin, und ich beschloß, da ich doch nichts Besonderes zu versäumen hatte, einmal nachzusehen, was für Wild dort läge, oder ob der Bär vielleicht ein Schwein oder gar der Panther ein Pferd gewürgt habe. – Allmächtiger Gott, ich war nicht auf den Anblick vorbereitet!

Als ich den dicht mit Unterholz verwachsenen Fleck, wo die kleine Hütte stand, erreichte, glaubte ich gewiß zu sein, daß eins der Schweine in die Klauen eines hungrigen Bären gefallen sei, noch dazu, da ich erst heute Morgen Spuren eines solchen an der Uferbank bemerkt hatte. Das aber schon machte mich stutzig, daß sich keiner der Aasgeier niedergewagt; sie saßen alle auf den Aesten der Bäume um die Hütte herum und schlugen gierig mit den Flügeln, als ich mich ihnen näherte.“

„Und die Wölfe?“

„Nach deren Fährten sah ich nicht – ich wußte jetzt, das Aas müsse in der Hütte selbst liegen, und trat nun, immer noch nicht an einen menschlichen Körper denkend, hinein; aber – erlaßt mir die Beschreibung, es war die Leiche der Indianerin, das erkannte ich noch, ehe ich wieder hinausstürmte, dann floh ich in wilder Eile zuerst dem nächsten Haus zu, wo mich aber ein kleines Negermädchen beschied, es sei Niemand daheim, sondern Alles zur Betversammlung hierher gegangen, und wie von einem bösen Feind getrieben, hetzte ich nun weiter, nur immer weiter, um wenigstens zu Menschen zu gelangen.“

„So erzählt uns aber doch –“

„Nichts – gar nichts – Ihr müßt es selbst sehen, und zwar gleich – die Leiche darf auf keinen Fall diese Nacht dort liegen bleiben. Die Wölfe, die sich heute scheuten, das einst von Menschen bewohnte Gebäude zu betreten, würden bei wieder einbrechender Dunkelheit, und das ist nicht lange mehr hin, Muth gewonnen haben und den Körper zerreißen.“

„Wo aber ist Assowaum?“ frug Roberts, „sollte er dem Thäter schon auf der Fährte sein?“

„Würde er seine Squaw unbeerdigt zurückgelassen haben?“ warf Bahrens ein, „nein – nie!“

„Es ist doch nicht möglich, daß Assowaum selbst –“ sagte scheu umherblickend Smith, – „er war stets dagegen, daß sie zu den Gebeten des Weißen ging, und hat ihr manches harte Wort, ihres Uebertritts zum Christenthum wegen, gesagt.“

„Eher wollt' ich glauben, daß sie von ihrer eigenen Mutter, als von Assowaum erschlagen sei!“ rief Roberts heftig, „ich weiß, wie lieb er sie hatte. Doch wir müssen fort, die Zeit verfliegt, und es ist keine kleine Strecke bis dahin. Habt Ihr Kienholz im Hause?“

„Genug,“ sagte Mullins, „und gleich fertig gespalten. Ich wollt' es am Montag Abend mit an die Salzlecke nehmen, hierzu ist's aber nöthiger – wir können gleich aufbrechen. Wo ist Mr. Rowson?“

„Hier!“ sagte der Priester, der bis jetzt, von Niemandem beachtet, an einem Stamme gelehnt hatte, „wir müssen augenblicklich gehen, um dem Schrecklichen nachzuspüren.“

„Großer Gott, Mr. Rowson,“ sagte Madame Roberts – „Sie müssen wirklich hier bleiben – Sie sind krank – ernstlich krank und sehen leichenblaß aus.“

„Ich glaube doch wohl, daß es meine Pflicht ist,“ sagte der Priester, „allerdings habe ich peinliche Kopfschmerzen –“

„Nein, wir geben es auf keinen Fall zu,“ rief Mrs. Mullins – „der Anblick würde Ihnen auch nichts taugen.“

„Ich weiß aber doch nicht – beste Schwester Mullins –“

„Bleiben Sie nur hier,“ mischte sich Roberts jetzt in das Gespräch – „Sie sehen wirklich sehr unwohl aus, und bei dem traurigen Amt, das wir heute zu versehen haben, bedarf es Ihrer nicht. Morgen, beim Begräbniß, ist es etwas Anderes, da werden wir, wenn Sie sich indessen stark genug fühlen, Ihre Hilfe in Anspruch nehmen.“

Der Prediger nickte schweigend, halb dankend mit dem Kopfe und wollte sich umwenden, um dem Hause zuzuschreiten, da trat ihm seine Braut noch in den Weg, reichte ihm mit halb schüchternem, halb freundlichem Blicke die Hand und flüsterte leise: „Gute Nacht, Mr. Rowson – legen Sie sich nieder und erwachen Sie morgen wieder wohl und heiter – gute Nacht.“

Es waren nur sanfte, liebende Worte, die ihm aus dem Munde des lieblichen Mädchens entgegenströmten, wie mit eisiger Faust griffen sie aber in sein Inneres, und entsetzt – vernichtet wollte er vor der Berührung der reinen Jungfrau zurücktaumeln. Da begegnete sein Auge den auf ihm haftenden Blicke der Umherstehenden, seine alte Seelenstärke erwachte, er zog das erröthende Mädchen zu sich heran, drückte einen leisen Kuß auf ihre Stirn, legte segnend seine Hand auf ihre Kopf und schritt dann festen Ganges in das Haus, um das für ihn in der Eile, aber warm und weich bereitete Lager aufzusuchen.

„Welch ein Engel!“ murmelte Mrs. Smith, während sie die Hände faltete, den Kopf auf die eine Seite neigte und ihm sinnend nachschaute, – „aber da brechen sie wirklich schon auf. Ob wir Frauen denn auch mitgehen?“

„Das geht doch nicht gut,“ sagte Mrs. Bahrens, „mein Alter würd' es auch wohl nicht gerne sehen. Ich reite nach Hause; aber zum Begräbniß morgen kommen wir doch Alle wieder zusammen.“

„Sicherlich,“ erwiderte Mrs. Smith, indem sie ihr Pferd an einen umliegenden Baumstamm führte und mit dessen Hülfe in den Sattel stieg. Die Anderen folgten jetzt ebenfalls meistens ihrem Beispiel, und kurze Zeit nachdem die Männer auf ihren flüchtigen Ponies davongesprengt waren und die Sonne scheidend hinter den westlichen Hügelreihen hinuntersank, verließ auch der weibliche Theil der Versammlung den Platz. Das geschah jedoch nicht, ohne vorher noch herzliche Grüße und Besserungswünsche für ihren Seelenhirten der geschäftigen Wirthin des Hauses aufgetragen zu haben, die auch fest versprach, sie alle auszurichten und für den Kranken wie für ein eigenes Kind zu sorgen.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Regulatoren von Arkansas