14. Kapitel (Brown auf dem Rückweg – Die geheimnisvolle Zusammenkunft – Der Indianer – Der alte Farmer – Kanufahrt)

14. Brown auf dem Rückwege. – Die geheimnißvolle Zusammenkunft. – Der Indianer. – Der alte Farmer. – Canoefahrt.

Es war in der Dämmerung desselben im letzten Capitel beschriebenen Abends, als das Pittsburger Fährboot, von zwei kräftigen Negern über den Arkansas gerudert, an dem gegenüberliegenden südlichen Ufer des Flusses landete. Es setzte dort den einzigen Passagier, einen jungen blassen Mann, ab, der sein kleines rauhhaarigss Pony im Boot am Zügel gehalten. Der Reisende bezahlte das verlangte Fährgeld und ließ sein Pferd, dem er den Zügel über den Nacken warf, allein aus dem Boote springen. Dasselbe bewerkstelligte dies auch sehr geschickt mit einem kurzen Satze, lief dann etwa zwanzig Schritt weiter die Uferbank hinauf, und hielt dort, an den Wurzeln einzelner Birken das dem sandigen Boden sparsam entkeimende Gras abzureißen und zu verzehren.


„Aber, Massa,“ sagte einer der Fährleute, dessen entsetzlich breite Nasenlöcher mit einem schmalen wolligen Schnurrbart zu wetteifern schienen, wer von ihnen beiden sich am weitesten über die Mundwinkel hinunterdehnen könnte, und dessen Haar mehr wie von der Sonne verbrannt als gekräuselt aussah, „ich hab' Euch schon drüben gesagt, daß kein Haus auf sieben Meilen ist, und Massa wird die Nacht im Freien und im Regen zubringen müssen.“ – Während er diese Worte sprach, schob er den erhaltenen halben Dollar Fährgeld in eine kleines schmutzige lederne Taschenbuch und barg dieses dann wieder mit großer Vorsicht in der einen weiten Tasche seiner baumwollenen Hose.

„Ich weiß das,“ erwiderte gleichgültig der Fremde – „seit wann aber ist die Hütte nicht mehr bewohnt, die, nicht weit von hier, am Rande der kleinen Prairie steht? Früher waren Leute darin – Ansiedler aus Illinois.“

„Oh, schon sehr lange, Massa,“ entgegnete der Neger – „die Frau starb und – die beiden Kinder auch. Da zog denn der Mann wieder fort, verkaufte aber das kleine Stück Land mit der Hütte vorher an meinen Master in Pittsburg, und wie ich drüben hörte, soll er den Mississippi hinauf nach Hause gegangen sein.“

„Das Haus steht noch?“

„Ja, Massa – aber –“

„Nun – aber? – ist kein Dach drauf?“

„Oh ja, Massa – ein gutes Dach – Alles in Ordnung noch – aber – die Leute drüben erzählen – es wäre nicht ganz richtig in dem Hause.“

„Nicht richtig, wie so?“

„Nun – die Frau, die sie dort unter den fünf Pfirsichbäumen begraben haben, die soll –“

„Etwa noch gar ihr Wesen treiben?“ lächelte der Fremde.

„Ahem!“ nickten die beiden Schwarzen jetzt sehr bedeutend zusammen und sahen ängstlich die öde Uferbank hinauf und hinunter.

„Weshalb glaubt man das?“ frug der Weiße, indem er sich zum Gehen wandte – „hat Jemand den Geist gesehen?“

Wieder nickten die beiden Neger auf eine lebensgefährliche Art mit den Köpfen, denn es schien fast unmöglich, mit solcher Kraft eine solche Bewegung auszuführen, ohne das Genickdabei zu brechen. Uebrigens bedurfte es einer zweiten Frage, um etwas Näheres über die gespenstische Wohnung zu erfahren, und der, welcher zuerst gesprochen, sagte dann aus, daß man sich allerlei entsetzliche Geschichten von jener Stelle erzähle, worunter die allgemeinste die sei: „Der Mann habe zuerst seine Frau, die er los zu sein wünschte, und nachher die beiden Kinder ermordet und sich dann auf einem Dampfschiff den Fluß hinunter begeben; wohin? wisse man nicht. Das Grab hätten jedoch nach seiner Abreise zwei Doktoren in Gegenwart von Gerichtspersonen geöffnet und ihren Verdacht bestätigt gefunden; einer der Doctoren solle übrigens die beiden Kinderleichen gestohlen haben, und die Mutter suche nun Nachts ihre Kleinen und kehre erst mit der Morgendämmerung in das Grab zurück.“

Der Neger glaubte jetzt wahrscheinlich zu viel über einen so schaurigen Gegenstand gesprochen zu haben, als sich mit der Nähe des Ortes und der mehr und mehr einbrechenden Dunkelheit vertrug, stieß daher, ohne weiter eine Antwort abzuwarten, vom Ufer, wünschte dem Fremden eine gute Nacht, und gleich darauf glitt, unter den langsamen, aber kräftigen Ruderschlägen, das breite, unbehülfliche Fahrzeug über den Strom zurück.

Brown, denn kein Anderer als unser junger Freund war der Fremde, der sich auf seinem Rückweg nach dem Fourche la fave befand, schaute ihm noch lange sinnend nach. Weiter und weiter verschwand es in dem feuchten Nebel, der sich auf der Wasserfläche lagerte, und schien endlich nur noch ein unbestimmter dunkler Fleck, von welchem aus jedoch die abgemessenen Schläge der Ruder scharf und deutlich herübertönten. Endlich verschollen auch diese – das Boot hatte sein Ziel erreicht, und wie aus einem Traum erwachend, seufzte der junge Mann schwer und sorgenvoll, stieg dann zu seinem grasenden Thier empor, ergriff dessen Zügel und schritt langsam den schmalen Fußsteig hinauf, der von der Fährbootlandung zu der obenliegenden Fläche führte.

Dort angelangt, blieb er einen Augenblick stehen und überschaute schweigend die vor ihm ausgebreitete, mit düsteren Regenwolken überhangene Landschaft. Wenige hundert Schritt vom Flusse aus schien der Boden durch das Steigen des mächtigen Stromes aufgewühlt und mit dem weißen, ihm eigenthümlichen Sand viele Fuß hoch bedeckt zu sein. An manchen Stellen waren sogar Birken und Baumwollenholzstämme halb von ihm verschlungen, und die Erde selbst glich mit ihren langen, wellenförmigen Erhöhungen einem wogenden Meer. Weiterhin aber, wo die Gewalt des angeschwollten Stromes durch Dickichte von Papaos und Platanen gehemmt worden, lag die weiße, blendende Sandschicht wie eine ebene Schneedecke auf dem ursprünglichen Fruchtboden und dehnte sich bis dorthin aus, wo das Land, höher steigend, dem gierigen Strom einen Damm entgegengestellt hatte. Dort bildete grünes, üppiges Gras den weichen Teppich einer Art Prairie, an den sich ein weiter, ungeheuer großer, wilder Pflaumengarten schloß. Solche „Pflaumengärten“ findet man in den westlichen Staaten nicht selten, und ihre buschig niederen Fruchtstämme sind sämtlich in früheren Zeiten von den Indianern, besonders den Cherokesen, gepflanzt worden. Die früheren Eigenthümer dieses Landstrichs hatte man jetzt freilich von ihrem Grund und Boden vertrieben und weiter westlich transportiert, und der Garten war zur Wüste geworden.

Am Rande dieses „Cherokesischen Pflaumengartens,“ wie der Ort von den Bewohnern jener Gegend noch immer genannt wurde, lag nun das vorerwähnte kleine Haus, das, nach des Negers Aussagen, solch' unheimlichen Gäste beherbergen sollte. Brown wandte sich aber nichtsdestoweniger jener Stelle zu und erreichte mit einbrechender Dunkelheit den verrufenen Ort.

Es war eine jener kleinen Niederlassungen, wie sie sich zu Tausenden in dem fernen Westen Amerikas finden: eine niedere Blockhütte, mit jetzt umgeworfenem Lehmkamin, ein kleines, verwildertes, etwas zwei Acker großes Feld, dessen Umzäunung theils niedergefault, theils verbrannt war, ein halbverfallenes Seitengebäude, das wahrscheinlich als Küche oder Vorrathskammer gedient hatte, und ein umgestürzter Brunnen, dessen Oeffnung das abgesägte Stück eines hohlen Baumes bedeckte. Der Platz schien seit langen Jahren nicht mehr bewohnt, aber etwas so Wildes, Unheimliches ruhte auf der verödeten Stätte, daß Brown unwillkürlich, als er eben die niederliegende Fenz überschreiten wollte, inne hielt und nach der benachbarten Baumgruppe hinüberschaute, gleichsam mit sich zu Rathe gehend, ob ein Nachtlager im Freien, unter den grünen Bäumen des Waldes, nicht dem in der, wenn auch trockenen, doch keineswegs traulichen Wohnung vorzuziehen sei. Ein stärkerer Windstoß von Westen her, der ihm den Nebel in dünnem, kaltem Sprühregen entgegenwarf, machte aber seiner Unschlüssigkeit auf einmal ein Ende, denn er zog jetzt, ohne weiteren Zeitverlust, das treue Thier in die innere Umzäunung und zu dem kleinen Nebengebäude hin, das er vor allen Dingen untersuchte und als noch benutzbar fand. Zwar sah er sich genöthigt, ein paar keineswegs leichte Balken aus dem Wege zu heben, um seinem Pony den Durchgang zu gestatten; dann aber hatte er auch die Genugthuung, das wackere Thier, das ihn heute schon eine lange, lange Strecke getragen, trocken und vor den kalten Nordwestwinden ziemlich geschützt zu wissen. Jetzt sehr zufrieden damit, die Platz erreicht zu haben, schob er einen in der Ecke lehnenden Trog herbei, holte den kleinen Sack, den er, an seinen Sattel geschnallt, mit sich führte, und schüttete dem freudig wiehernden Pony seine Mahlzeit geschälten Mais hinein.

Das zuerst besorgt, dachte er nun auch an sein eigenes Lager und trat in das Haus, um unter dem schützenden Dach desselben den matten Körper zu rasten und für neue Anstrengungen zu stärken. So wüst und unbewohnt die aber auch von außen her erscheinen mochte, so fand der junge Jäger doch bald, daß es erst noch vor kurzer Zeit ebenfalls einem Wanderer Schutz und Obdach gewährt haben mußte, denn in dem Kamin lag Asche und unter dieser glimmten sogar noch einige Kohlen. Angenehmeres hätte ihm nicht leicht begegnen können, und schnell trug er einen Arm voll abgebrochener Fenzstangen herbei, schnitzte mit seinem Jagdmesser dünne Späne und sah bald darauf zu seiner Genugthuung ein helles, erwärmendes Feuer emporlodern.

Sattel und Decken hatte er mit hereingebracht; die letzteren breitete er jetzt vor der freundlichen Gluth aus, verzehrte als sehr frugales Abendmahl ein kleines Stück getrocknetes Hirschfleisch und warf sich dann auf das harte, doch ihm vollkommen genügende Lager nieder.

Bis jetzt hatten die Vorbereitungen zu seiner eigenen Bequemlichkeit, wie zu der seines Thieres, die geistigen Kräfte den jungen Mannes in Anspruch genommen. Er war beschäftigt gewesen und keine Zeit war ihm dabei geblieben, über sich oder seine Lage nachzudenken. Jetzt aber, vor dem knisternden Kohlen ausgestreckt, in dem engen, unstäten Lichtkreis des flackernden Feuers, öffnete sich sein Herz, und neben den wenigen seligen Minuten der letzten Vergangenheit schritt vor ihm sein Schicksal ernst und trübe in die dunkle Zukunft hinaus. Er sah sich im heißen Kampfe mit den mexikanischen Söldlingen, die Freiheit einer jungen Nation vertheidigend; er sah sich unter dem Donner der Tod und Vernichtung herüberschleudernden Geschütze anstürmen gegen die feindlichen Batterien – er sah sich blutend im Todeskampf unter den Gefallenen, aber auf siegreich gewonnenem Schlachtfeld liegen, und ein fast triumphierendes Lächeln überflog seine bleichen Züge, während er krampfhaft die neben ihm ruhende Büchse erfaßte und, mit stolzem, todesmuthigem Blick sich halb von seinem Lager erhebend, durch den eingestürzten Kamin hinausstarrte in die finstere, sternenlose Nacht. Da plötzlich drängte sich das Bild der Geliebten vor seine Seele, wie sie, einem schönen Opfer gleich, ihre Hand in die des ihr zugetheilten Gatten legte – er sah sie erblassen, sah, wie sie ängstlich nach Hilfe – nach ihm umherschaute – hörte ihren halbunterdrückten Schmerzensschrei, und – der stolze, kräftige Mann brach zusammen unter den auf ihn einstürmenden tödtlichen Gefühlen. Er barg das Antlitz in den Händen, warf sich auf das rauhe Lager zurück und weinte – weinte, als ob ihm das Herz brechen wollte.

Aber auch dieser wilde, tobende Schmerz gab endlich einer weichen, besänftigenden Wehmuth Raum; die Hand auf das pochende Herz, die brennende Stirn gegen die rauhe Bärenfelldecke des Sattels, die ihm zum Kopfkissen diente, gedrückt, betete er – für das Glück der Geliebten, für die Ruhe der eigenen schwerbedrängten Brust, und mit dem Namen des theuren Mädchens auf den Lippen nahm ihn endlich der Schlummergott in die weichen Arme und trug ihn hinüber an das Herz der so heiß Ersehnten.

Mitternacht mußte vorüber sein, als er aus seinem süßen Traum erwachte und sich in der traurigen Wirklichkeit nicht mehr vor dem wärmenden Feuer, sondern vor dem offenen Kamin befand, durch den ihm der wilde Sturm den kalten, schneidenden Wind hereinjagte. Die Kohlen waren dabei gänzlich ausgebrannt – kein Funke mehr zu finden, und fröstelnd rückte er sein Lager zurück in die mehr gegen Sturm und Wetter geschützte hintere Ecke der Gebäudes, um hier die ersehnte Morgendämmerung zu erwarten.

Kaum war dies jedoch geschehen, als ihm vorkam, als ob er an der Außenseite des Hauses Stimmen höre. Schnell rief ihm dies die Erzählung des Negers, die er fast schon vergessen, in's Gedächtniß zurück, und auf den rechten Ellbogen gestützt, fühlte er erst sorgfältig nach Büchse und Messer, ob ihm die treuen Waffen zur Seite lagen, und lauschte dann mit zrückangehaltenem Athem und der gespanntesten Aufmerksamkeit dorthin, von woher er zum ersten Mal die Töne vernommen zu haben glaubte. Aber nichts ließ sich weiter hören, und schon wollte er, mit einem Lächeln über seine eigene Gespensterfurcht, zurück auf das Lager sinken, als er wieder, und zwar ganz in der Nähe, menschliche Laute unterschied. Fast in demselben Augenblick riß Jemand die Thür auf und betrat den engen Raum, während eine rauhe Stimme ausrief:

„Verdammtes Nest! Ich glaubte schon, ich würde es in der dunklen Nacht nicht wiederfinden. – Ist das ein Wetter – gut für Geschäfte übrigens.“

„Doch nicht naß genug,“ erwiderte ein Zweiter, „verwischt zwar ein bischen, aber nicht hinlänglich.“

„Hol' mich der Böse, wenn's nicht für mich wenigstens hinlänglich ist. – Mich schüttelt's, daß mir die Zähne im Munde zusammenschlagen; wenn wir nur ein Feuer anzünden könnten.“

„Mit was denn?“ frug der Andere – „Alles ist naß und aufgeschwemmt, und ich habe nicht einmal einen Tomahawk bei mir, um trockene Späne zu bekommen. Als ich heute Nachmittag hier war, hatt' ich zwar ein kleines Feuer, hab' es auch, wie ich fortging, mit Asche bedeckt, um Gluth zu haben, jetzt aber,“ sagte er, in dem Kamin mit der Fußspitze herumfühlend und die Asche bei Seite schiebend, „ist Alles dunkel wie die Nacht. Wir dürfen uns übrigens gar nicht so lange hier aufhalten, ich wenigstens nicht, denn ich muß morgen Abend wieder zu Hause sein, da sich unsere Nachbarschaft in der nächsten Woche ein wenig in Aufregung befinden wird. Sobald das Wetter nur etwas nachgelassen hat, geh' ich.“

„Unsere Pferde werden sich doch indessen nicht losreißen? wir hätten sie lieber mit herbringen sollen.“

„Denken gar nicht dran – in solchem Wetter stehen sie still und rühren sich nicht. – Nein, ich habe sie mit Willen nicht in diese Gegend geführt, da ich hier nicht gern Pferdespuren haben will. Doch jetzt zu unserer Verabredung; die Zeit ist kostbar, und das uns vergönnte halbe Stündchen müssen wir benutzen. Wann gedenkt Ihr wieder zurück zu sein?“

Brown, für den die erste Ueberraschung im Anfang wirklich etwas Lähmendes gehabt hatte, wurde noch mehr durch die dunkeln Worte stutzig gemacht, die dieses Wetter als „gut für Geschäfte“ priesen, und er wußte wirklich nicht gleich, was er thun, ob er sich zu erkennen geben oder ruhig liegen bleiben sollte. Der Gedanke, den Horcher zu spielen, war ihm aber zu fatal, und schon wollte er durch einen Anruf seine Gegenwart verrathen, als ihn die Aeußerung des Einen auf's Neue in seinem Vorsatze wankend machte. Der Widerwille des einen Fremden gegen Pferdespuren in der Nähe dieser Hütte machte ihn stutzig.

„Sollten diese Männer zu der Bande gehören, zu deren Unterdrückung sich die Regulatoren vereinigt hatten?“ war sein erster Gedanke, und das fortgeführte Gespräch mußte ihn immer mehr in diesem Verdacht bestärken. Leise zog er deshalb nur das Messer aus der Schneide, denn wenn er entdeckt, mußte er auf einen Angriff gefaßt und zur Vertheidigung gerüstet sein, und schmiegte sich dann mit angehaltenem Athem in seine Ecke zurück, um zu vernehmen, welche Pläne diese würdigen Leute hierher geführt, und ob es ihm vielleicht vorbehalten sei, einen ihrer Anschläge zu nichte zu machen.

„Wann ich zurück sein kann?“ antwortete der Andere nachdenkend – „ja darüber können immer vierzehn Tage bis drei Wochen verlaufen. – Der Platz ist weit von hier und ich muß sehr vorsichtig zu Werke gehen.“

„Vergeßt nur, ehe Ihr zu meinem Hause kommt, nicht die Vorsicht an dem kleinen Bach,“ erwiderte ihm der Andere. „Wenn Spuren auf mein Haus zurückführten und die gottverdammten Regulatoren Wind bekämen, so möchte eine Nachsuchung unvermeidlich werden, und das könnte Euch ebenfalls Schaden bringen.“

„Mir? wie so denn?“

„Nun, wenn sie Eure Pferde erwischen, glaubt Ihr, ich bezahle Euch nachher den Gewinn oder vielmehr Verlust heraus?“

„Ja so – ich glaubte schon, Ihr meintet es auf andere Art; – nein, habt keine Angst, ich kenne die Vorsichtsmaßregeln genau. Aber halt – da fällt mir noch etwas ein: wahrscheinlich werde ich selbst die Pferde nicht ganz bis zu Euch transportieren können. Ich habe gerade in jener Zeit Geschäfte, die mir hoffentlich mehr einbringen sollen; sind diese beendet, dann kehre ich bei Euch ein und wir können mit einander abrechnen. Uebrigens noch Eins: vertraut dem Mann, der Euch die Pferde bringt, in jeder Hinsicht, nur – nur gebt ihm kein Geld für mich.“

„Habt keine Angst. – Wird er aber die Platz kennen, wo er vor meinem Hause vom Wege abbiegen muß?“

„Genau – er hat sie mir Stelle selbst und zuerst beschrieben.“

„Kenn' ich den Mann?“

„Ich glaube nicht.“

„Wie soll ich aber da wissen, ob er der ist, dem ich mein Geheimniß anvertrauen darf?“

„Hahaha – der kennt es gut genug, doch halt – damit Ihr Euch besser verständigen könnt, so mag er nach dem Fourche la fave fragen. – Ihr antwortet ihm darauf, daß der neben dem Hause fließt. Seine nächste Frage hierauf sei: ›wie steht's mit der Weide in hiesiger Gegend?‹ und wenn er Euch zum dritten Mal um einen Trunk Wasser ersucht, so öffnet ihm Thor und Thür – es ist der Rechte.“

„Gut – solche Vorsicht ist allerdings nothwendig, denn ich habe nicht allein oft Gäste aus der Nachbarschaft, sondern meine Pflegetochter, die bei mir im Hause wohnt, darf ebenfalls nichts davon erfahren. – Der Teufel traue Weiberzungen, 's ist schon gefährlich genug, daß es meine Alte weiß. Doch jetzt gute Nacht – der Regen hat nachgelassen, und ich muß heim. Euch wär's auch besser, daß Ihr diesen Platz so schnell wie möglich wieder verließet. Mich wundert's, daß Ihr, wenn nur die Hälfte von dem wahr ist, was man sich von Euch erzählt, nur noch überhaupt das Herz habt, hierher zu kommen.“

„Kindergeschichten,“ murrte der Andere. – „Es wird übrigens nicht lange trocken bleiben, wir bekommen wahrscheinlich einen nassen Morgen.“

„Vielleicht nicht, meiner Meinung nach fängt es an kälter zu werden, und dreht sich der Wind –“

„Nun, was habt Ihr?“ frug der Eine, als Jener, durch irgend etwas gestört, plötzlich in seiner Rede einhielt.

„War mir's doch, als ob ich hier ganz in der Nähe ein Pferd stampfen hörte,“ sagte dieser.

„Oh, Unsinn,“ murrte sein Kamerad – „die Thiere stehen eine Viertelmeile von hier entfernt. – Doch kommt, es scheint wirklich, als ob es besser Wetter werden wollte.“

Die Thür öffnete sich wieder – die Männer traten hinaus, und Totenstille herrschte auf's Neue in der verödeten, dunklen Hütte. Lange aber noch lag Brown regungslos in seine Decke gehüllt und lauschte dem Sturm, der jetzt tobend durch die Ritzen und Spalten des Hauses pfiff, mit den losgerissenen Dachbrettern spielte, in den Wipfeln der Bäume rauschte und seine Bahn in tollem Muthwillen die breite Fläche des Arkansas nieder verfolgte.

„Wer konnten nur die Männer gewesen sein, die hier in solcher Nacht und an solcher Stelle mit einander verkehrt hatten?“ Das war der Gedanke, der ihn fast einzig und allein beschäftigte. Etwas Gutes lag nicht in ihrem Plane, sonst hätten sie bessere Zeit und Gelegenheit gewählt – wer aber waren sie? Die eine Stimme besonders kam Brown bekannt vor, und er wußte genau, daß er dieselbe schon einmal gehört hatte. Wo aber oder wann, hier in Arkansas oder in Missouri, ja gar über dem Mississippi drüben, das war ihm nicht möglich zu entscheiden. Im Nachdenken darüber verwirrten sich jedoch seine Ideen wieder – er schloß die Augen, zog die Decke über den Kopf, um ungestört von äußeren Eindrücken jene Stimme in die verborgensten Tiefen seines Gedächtnisses verfolgen zu können, und – träumte in wenigen Minuten wieder. Die beiden Stimmen wurden ihm dabei immer bekannter, immer vertrauter, und zuletzt konnte er sogar die Gestalten erkennen – Marion und Rowson, wie die Geliebte vor der Umarmung des ihr aufgedrungenen Bräutigams zurückfloh – immer weiter und weiter, und ihr Verfolger immer tollere und entsetzlichere Gestalten annahm, ihr immer näher und näher kam – sie zu erfassen drohte, und das arme Mädchen endlich in höchster Todesangst um Hilfe hinausrief in die dunkle, stürmische Nacht.

Entsetzt warf er die Umhüllung von sich und sprang empor – der kalte Schweiß stand ihm auf der Stirn, doch – es war ja nur ein Traum gewesen. Draußen aber heulte der Uhu sein monotones, schauriges Morgenlied, ein paar Wölfe antworteten aus weiter Ferne, und ein mattes Licht, das von dem öslichen Himmel ausging, kündete den nahenden Morgen.

Die Luft war bitterkalt geworden, der Wind hatte sich nach Nordost gedreht, und kein Wölkchen trübte mehr das reine, blaue Himmel. Brown, den die Vorfälle der Nacht jetzt fast wie ein wirklicher Traum vorkamen, da sie sich mit dem seinigen verschmolzen, blieb sinnend und brütend stehen und versuchte auf's Neue, aber wiederum vergebens, jene Personen mit von ihm erlebten Scenen zu verbinden. Umsonst – er mußte den Versuch endlich aufgeben, und ging nun mit um so größerem Eifer daran, sich in der Beschäftigung des Augenblicks zu zerstreuen und zu vergessen, was er doch nicht ändern oder ergründen konnte. Mit dem letzten Mais, der ihm geblieben, fütterte er sein Pony, führte es dann an eine kleine, durch das feuchte Wetter gebildete Lache, um seinen Durst zu löschen, sattelte es und war schon im muntern Trabe auf dem Heimweg, ehe noch die Sonne durch einen einzigen Strahlengruß ihr Kommen angekündigt hatte.

Die frische Morgenluft und der scharfe Ritt gaben aber seinem Körper wie seiner Seele neue Spannkraft, und das kleine muthige Thier, das er ritt, trabte, von dem leichten Schenkeldruck berührt, mit freudigem Schnauben durch das flache, sumpfige Thal des Arkansas, bis es die ersten niederen Hügelreihen betrat und nun, festen Boden unter den Hufen fühlend, über denselben hinflog, als ob es sich selber danach sehne, die heimische Weide recht bald wieder zu begrüßen.

Da sah der Reiter auf dem breiten, ausgehauenen Wege, dem er folgte, einen Fußgänger schnell daher schreiten und erkannte im Näherkommen zu seinem unbegrenzten Staunen den Indianer.

„Assowaum!“ rief er, indem er dem Pony mit rascher Hand in die Zügel griff. Das blieb übrigens schon von selber stehen, da es rothen Krieger gut genug kannte und wohl wußte, es verstehe sich von selbst, daß die beiden befreundeten Männer auch mit einander plandern müßten. – „Assowaum – was in aller Welt führt Dich dieses Weges? wohin willst Du?“

„Bis zu dieser Stelle,“ antwortete ruhig der Indianer, indem er die ihm dargereichte Hand faßte und drückte.

„So hast Du mich gesucht? was ist vorgefallen?“

„Viel – sehr viel – und weiß mein Bruder gar nichts davon?“

„Ich? woher ich – war ich nicht – und doch – die beiden Männer in der letzten Nacht – ihre geheimnißvolle Zusammenkunft – wer weiß, in welcher Verbindung das mit dem steht, was Du mir zu sagen hast. Doch heraus mit der Sprache – ich brenne vor Neugierde.“

„Und wißt Ihr gar nichts?“

„Oh zum Henker, Assowaum, schneid' nicht so ein ernstgewichtiges Gesicht,“ rief Brown lächelnd. „Wenn ich am andern Ufer des Arkansas bin, wie kann ich da wissen, was am Fourche la fave vorgeht?“

„Aber vor Eurer Abreise –“

„Mein Streit mit Heathcott?“

„Heathcott ist ermordet!“ sagte der Indianer ernst, indem er dem jungen Mann forschend in's Auge sah.

„Gerechter Gott!“ rief Brown, das Pony zurückreißend, daß es hoch aufbäumte in jähem Schmerz – „das wäre schrecklich!“

„Der Verdacht ruht auf Euch,“ fuhr der Indianer, sein Auge nicht von ihm wendend, fort – „und man endschuldigt Euch auch vollkommen. Der Todte hat wilde Drohungen ausgestoßen – hätte sie vielleicht wahr gemacht – war möglicher Weise im Begriff, sie wahr zu machen, und Eure That wird, wie sie sagen, dadurch gerechtfertigt, nur –“

„Assowaum!“ rief, diesen unterbrechend, der junge Mann, indem er aus dem Sattel sprang und neben den Indianer trat – „Assowaum – bei jenem blauen Himmel da droben, der sich über uns ausspannt – bei dem Grabe meines Vaters – bei dieser Hand, die ich rein und frei emporstrecke – ich bin unschuldig an dem Morde. – Ich habe den Unglücklichen seit dem Augenblick, wo wir uns vor Roberts' Hause trennten, nicht wieder gesehen. Glaubst Du noch, daß ich schuldig sei?“

Der Indianer streckte ihm lächelnd die Hand entgegen und rief mit freudigem Tone: „Assowaum hat es nie geglaubt – wenigstens nicht von dem Augenblick an, wo er hörte, der Ermordete sei beraubt worden.“

„Und auch dessen beschuldigt man mich?“ frug Jener entsetzt.

„Böse Menschen – ja – die guten kennen Euch besser. Mr. Harper und Mr. Roberts glauben es nicht.“

Brown barg bei Roberts' Namen das Gesicht in den Händen und stützte sich seufzend auf den Sattelknopf des ruhig neben ihm anhaltenden Thieres.

„Laßt Euern Fuß sehen!“ sagte jetzt der Indianer, indem er den Tomahawk aus dem Gürtel zog.

„Weshalb? Hast Du die Fährte gemessen?“

„Ahem,“ nickte und Wilde und hielt den Stiel der Waffe an die Sohle des Freundes.

„Dreiviertel Zoll zu lang,“ sagte er dann vergnügt vor sich hin – „dacht' es doch!“

„Ich trug die Stiefel nicht einmal an jenem Morgen, an dem ich den Fourche la fave verließ,“ sagte Brown, indem er in die Satteltasche griff: „hier diese Moccasins. – Waren es Stiefelfährten, die Du bei der That entdecktest?“

„A–hem,“ nickte der Indianer wieder, aber langsamer als vorher, und es war fast, als ob ein neuer Gedanke ihm plötzlich durch's Hirn zucke. – Er legte den Tomahawk vor sich auf die Erde nieder und schien mit der Länge am Stiel ein anderes Maß zu vergleichen, das er sich durch Ausspannen der Finger gemerkt, dann aber schaute er plötzlich mit einem so wilden und stieren Blick zu dem jungen Amerikaner empor, daß dieser entsetzt einen Schritt zurücktrat und ihn frug, was er habe – an was er denke.

„Nichts – nichts,“ lächelte Wilde geheimnisvoll, „kommt – wir müssen zurück – die Zeit vergeht. Sie halten Euch für schuldig; böse Menschen sprengen allerlei Gerüchte aus – und der kleine Mann ist krank geworden – er liegt allein; Alapaha hört die Predigt des blassen Mannes und wird erst am Abend zu ihm zurückkehren. Will mein Bruder ihnen nicht selber sagen, daß er schuldlos ist?“

„Aber wo geschah der Mord? wie erfuhr man das Entsetzliche?“

„Fort – fort; wir können gehen und reden – Assowaum muß an den Fourche la fave.“

Mit schnellen Schritten eilte der Indianer jetzt den Weg, den er eben erst gekommen, zurück, und Brown mußte das Pony fast stets in einem kurzen Trabe halten, um nur an seiner Seite zu bleiben. Dabei machte jener ihn mit allen den Vorgängen, bei denen er Zeuge gewesen war, bekannt und erfuhr nun auch seinerseits Alles, was Brown über das nächtliche Rendezvous der beiden Männer wußte. Der Indianer behauptete dabei, daß ihm heute Morgen ein Mann auf großem, braunem Pferde begegnet sei. Er habe aber sein Gesicht nicht erkennen können, da er ganz in seine wollene Decke eingehüllt gewesen wäre und diese beim Anblick des Indianers eher noch fester um sich gezogen hätte.

„Vielleicht, daß dies Einer der Beiden war,“ fuhr Assowaum fort, indem er auf die Hufspuren hindeutete, die vor ihnen herliefen, „vielleicht nicht; aber hier ist die Spur, und wir können ihr folgen.“

Davon wurden sie jedoch abgelenkt, denn als sie in das Fourche la fave-Thal kamen, war dies durch den Regen der vorigen Nacht und durch das Austreten einiger kleiner Gebirgsbäche so sumpfig geworden, daß der Indianer vorschlug, den nicht mehr weit entfernten Fluß in gerader Linie zu erreichen und den Weg in einem Canoe, das er bei einem dort wohnenden Farmer zu erhalten hoffte, fortzusetzen. Bei hohem Wasser schoß der kleine Strom nämlich mit ungeheurer Schnelle dem Arkansas zu, und dehnte sich auch der Weg durch die unzähligen Wendungen der Strömung um manche Meile weiter aus, so konnte er doch in einem leichten Fahrzeuge schneller zurückgelegt werden, als wenn die Wanderer ihren schlammigen Bahn Meile nach Meile langsam fortsetzen mußten.

Brown gehorchte gern dem Rathe des Freundes, da er solcher Art Roberts' Wohnung umgehen konnte. Das sumpfige Thal also vermeidend, folgten sie einem sogenannten spur oder Ablaufe der Berge, der sie trockenen Fußes bis unmittelbar an das Ufer des Flusses brachte, und die Sonne stand noch mehrere Stunden hoch, als sie dort die Wohnung eines der älteren Ansiedler des Fourche la fave, Namens Smeiers, erreichten.

Wie es der Indianer aber gedacht hatte, so schäumte der Fluß in zorniger Wuth gegen die ihn beengenden Felswände an; der Farmer warnte auch die Männer, sich dem kleinen, schwankenden Kahne anzuvertrauen, da sie Stellen zu passieren hätten, in denen sich selbst ein geübter Schwimmer nicht würde retten können. Doch überließ er ihnen gern den Kahn und versprach auch, am nächsten Tage, als an einem Sonntag, das Pony mit seinem ältesten Knaben nach Harper's Wohnung hinunter zu schicken. Das Canoe aber kaufte ihm Brown gleich ab, da er es im Fluß, an seines Onkels Hause zu behalten wünschte.

Ihr freundlicher Wirth tischte indessen auf, was in seinen Kräften stand, um die müden Wanderer zu erquicken und zu stärken: wilden Truthahn und Honig, süße Kartoffeln, Kürbismuß und Maisbrod, sowie einen Becher woll ächten Monongehela-Whiskys, und Beide ließen sich nicht lange nöthigen, an dem freundlich gebotenen Mahle Theil zu nehmen.

„'s ist heute wieder einmal Alles ausgeflogen,“ sagte der alte Mann, als ein kleines Negermädchen die letzte Schüssel hereingetragen und die Gläser der Gäste mit frischer, köstlicher Milch gefüllt hatte.

„Wohin?“ frug Brown, das Glas von den Lippen nehmend.

„Betversammlung ist heute!“ unterbrach ihn der Indianer, indem er das Messer neben sich in den Tisch stieß und den Truthahnflügel in die Finger nahm – „der bleiche Mann muß nicht viel von der Tugend der Weißen halten, denn er läßt sie alle Wochen ein paar Mal zu ihrem großen Geiste beten.“

„'s ist wahr!“ meinte der Farmer, indem er einen herzhaften Schluck aus dem Whiskybecher gethan und diesen dann dem Weißen hinüberreichte – „es wird mir bald selbst zu toll. – Mein Nachbar hier – Smith – ist auf einmal mit seiner ganzen Familie re ligiös geworden, wie sie's nennen, und da half denn weiter gar nichts, meine Alte mußte ebenfalls mit, und schleppt sich nun zur Gesellschaft die armen Mädchen mit hinüber, die doch wahrhaftig noch an 'was Anderes zu denken hätten, als nur an Beten.“

„Die Frauen fühlen eher das Bedürfniß, sich zu ihrem Gott zu wenden, als wir Männer,“ erwiderte Brown – dachte er doch der Geliebten, wie er sie so oft in kindlich-frommer Andacht gesehen. „Unser ganzes Schaffen und Wirken läßt uns schon zu wenig Zeit übrig, das Herz Gefühlen zu eröffnen, die genährt und gepflegt sein wollen, und nicht auf einmal, schnell emporgerufen, in's Leben springen können. Den auf den engen Kreis ihrer Häuslichkeit angewiesenen Frauen ist die Religion dagegen fast ein Theil ihrer selbst, und ich möchte sie drum nicht tadeln, wenn sie mit einer Innigkeit und Verehrung an jenen kirchlichen Gebräuchen hängen, die der rauhere Mann in dem Grade wohl nicht für sie empfindet.“

„Bester Herr,“ sagte der Alte in freundlichem Tone, „der liebe Gott soll mich behüten, daß ich den Frauen gram oder auch nur hinderlich werden sollte, wenn sie beten wollen; aber verdammt will ich sein, wenn ich nicht glaube, daß sie auch noch etwas Anderes auf der Welt zu thun haben, als nur zu beten. – Der Teufel hole die Betschwestern – das sag' ich, und das ist, glaub' ich, das Schlimmste, was man mit gutem Gewissen selber dem Teufel wünschen kann.“

Assowaum nickte lächelnd mit dem Kopf und sagte:

„Ich werde Alapaha hier heraufschicken – solche Predigt thäte ihr besser, als die des blassen Mannes.“

„Mißverstehen Sie mich nicht,“ erwiderte Brown, „Gott weiß es, wie zuwider mir das Frömmeln ist, und es scheint wirklich, als ob es in diesen Ansiedlungen ein wenig überhand nehmen wollte, doch – liegt das vielleicht mehr an den Leuten selbst, als an dem Prediger. Ich glaube wenigstens, daß Mr. Rowson mit Ueberzeugung spricht und das im innern Herzensgrunde fühlt, was er predigt.“

„Aufrichtig gesagt, glaub' ich das nicht,“ rief der Farmer, ungeduldig auf dem Stuhle herumrückend, „ich habe ihn zwar erst einmal gehört, da hat er mir aber nicht gefallen. – Das Augenverdrehen ist ein böses Zeichen. Wenn ein Mensch erst anfängt, wie ein krankes Huhn auszusehn, dann kann ich mir nicht denken, daß er noch im Stande ist, große Andacht zu haben. Doch – meinetwegen – ich werde ihm nicht wieder beschwerlich fallen, wünsche aber wirklich, er gäbe meinen Frauen, wenigstens nur einer von ihnen, jedesmal Urlaub, daß es doch bei mir auch aussähe, als ob ich eine Heimath hätte. – Aber Sie sind fertig und scheinen zu eilen; nun, mein Geschwätz soll Sie nicht länger aufhalten. Nehmen Sie sich übrigens mit der Nußschale in Acht – die Strömung ist sehr arg und ein Unglück leicht geschehen.“

„Keine Angst, Sir,“ lächelte Brown. – „Wir wissen Beide mit solchen Fahrzeugen umzugehen, und habe ich ja einen Indianer, der das Steuer führen wird; in besseren Händen könnt' es nicht sein. Also das Pony kommt sicherlich morgen hinunter?“

„Nach Mr. Harper's Haus – Sie können sich sicher drauf verlassen,“ sagte der Farmer. – „Ihr Name ist Harper, nicht wahr?“

„Brown! Sir.“

„Brown?“ frug der Alte schnell und erschrockt, indem er das Auge fest auf den jungen Mann heftete, der seinem Blicke indessen ruhig begegnete, „Brown? Doch nicht der –“

„Von dem man sagt, daß er den Regulator ermordet habe? Derselbe, Sir,“ erwiderte der junge Mann; „aber,“ fuhr er fort, indem er einen Schritt vortrat und ein höheres Roth seine Wangen färbte, „es ist schändliche Verleumdung, und ich bin jetzt auf dem Wege, das Gerücht Lügen zu strafen. Ich habe den Mann nicht erschlagen.“

„Er hatte Euer Leben bedroht,“ fuhr der Farmer, noch halb zweifelnd, fort.

„Ja!“ rief Brown in edlem Feuer – „und ich würde ihn getötet und dann frei und offen die That bekannt haben, hätte er sich mir im ehrlichen Kampfe entgegengestellt. Der Mann ist aber, wie mir hier der Indianer sagte, von Zweien überfallen, gemeuchelmordet und beraubt, und – sehe ich denn aus wie ein Meuchelmörder?“

„Nein – straf' mich Gott: nicht,“ rief der ehrliche Landmann, des jungen Mannes Hand ergreifend – „nein. – Ich kenne Euch nicht weiter, aber Ihr habt 'was Ehrliches, Braves im Gesicht, und da Ihr selber sagt, daß Ihr's nicht waret, so will ich verdammt sein, wenn ich's nicht glaube. Meine Mädchen waren gestern unten bei Roberts gewesen, und die meinten auch, Mr. Rowson's Braut hätte Euch sehr in Schutz genommen.“

„Assowaum, wir müssen wirklich fort,“ rief Brown, sich plötzlich zu dem Indianer wendend, der schon, seiner harrend, in der Thür stand.

„Ich bin bereit – es wird spät,“ erwiderte dieser, und noch einmal drückte der junge Mann dem Farmer herzlich die Hand, dankte ihm nicht allein für seine Freundlichkeit und Güte, sondern noch mehr für das Zutrauen, das er in ihn setzte, und sprach die Hoffnung aus, seine Unschuld bald und völlig an's Tageslicht gebracht zu sehen. Die Männer bestiegen nun das Boot, Assowaum setzte sich in das Hintertheil desselben, den schmalen Nachen zu lenken, während Brown im Vordertheile nahm und Beide ihre Gewehre an sich befestigten, damit sie diese, im Fall eines Unglücks, nicht einbüßten. Vom Ufer losgebunden, glitt das scharfe, leichte Fahrzeug, jetzt von den zwei kräftigen und geschickten Männern getrieben, mit fast wunderbarer Schnelle über die kochende, schäumende Fluth und verschwand schon in der nächsten Minute um den vorspringenden, eine spitze Landzunge bildenden Felsen, der sich mehrere hundert Schritt unterhalb der Wohnung in den Fluß hineinstreckte.

Glücklicher Weise aber passierten die beiden Freunde die gefährlichsten Stellen noch bei Tageslicht, besonders solche Plätze, wo in den Fluß hineingeschwemmte Birken und Weiden einem so schwanken Fahrzeuge leicht hätten gefährlich werden können. So erreichten sie, als es eben anfing zu dämmern, den seichteren, aber auch breiteren Theil des Stromes, der auf seiner nicht mehr so dunkelschafttig überhangenen Bahn jeden fremden Gegenstand im Fahrwasser leicht erkennen ließ.

Schweigend glitten sie jetzt, nicht mehr rudernd, sondern blos steuernd, mit der Fluth hinab, als Assowaum plötzlich mit der Hand nach vorn deutete und seinen Gefährten, der mit dem Rücken nach dem Bug des Kahnes gewendet saß, auf einen hellen, vor ihnen sichtbar werdenden Schein aufmerksam machte.

„Sonderbar – was kann das sein?“ sagte Brown, sich danach wendend, „so weit es die dichten Büsche erkennen lassen, sieht es aus wie viele Lichter oder Fackeln. In welcher Gegend mögen wir uns nur befinden? Ist denn hier ein Haus am Ufer?“

„Ja!“ sagte der Indianer leise, den Kahn dort hinübersteuernd – „ja – eine leere Hütte. – Alapaha war hier gestern Abend – wir wollen landen,“ – und im nächsten Augenblicke schoß auch schon das kleine leichte Fahrzeug an die Uferbank –, wo es von seine Eigenthümern schnell mit der gewöhnlichen Ankerkette, einer dünnen Weinrebe, am Stamme einer jungen Birke befestigt wurde.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Regulatoren von Arkansas