Raumer, Friedrich von (1781-1873). Biographie

Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayrischen Akademie der Wissenschaften, Band 27 (1888),
Autor: Wegele, Franz Xaver v. (1823-1897) Historiker, Erscheinungsjahr: 1888
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Raumer, Friedrich v. R., Geschichtsschreiber. Am 14. Mai 1781 wurde er zu Wörlitz bei Dessau geboren. Sein Vater, Georg Friedrich v. R., ein ausgezeichneter Landwirt, stand damals als Pächter der Verwaltung der großen Domäne Wörlitz vor. R. erhielt seinen ersten Unterricht, unter Aufsicht seines Vaters, von Privatlehrern und wurde im Jahre 1793 nach Berlin auf das Joachimsthal'sche Gymnasium versetzt.

In Berlin bewegte sich R. überdies im Kreise seines Oheims, dem Präsidenten v. Gerlach, in höchst anregenden und angenehmen Verhältnissen. Gerlach, der selbst von ausgesprochener Vorliebe für das klassische Altertum erfüllt, befestigte des jugendlichen Neffen Neigung in dieser Richtung mit Erfolg.

Ostern 1798 verließ R. das Gymnasium mit den besten Zeugnissen. Anfangs Mai des genannten Jahres ging er in der Absicht, sich dem Studium des Rechtes zu widmen, zur Universität Halle. Das Fach, welches am Ende den Mittelpunkt seines Lebens und Strebens bilden sollte, die Geschichte, fesselte ebenfalls schon in dieser Zeit seine Aufmerksamkeit.

Von Halle siedelte er Ostern 1801 nach Göttingen über, wo vor allem das Privatstudium, mit Hülfe der ausgezeichneten öffentlichen Bibliothek, seine Zeit in Anspruch nahm.

Ostern 1801 endete die Universitätszeit Raumer's, und er kehrte zunächst in die Heimath zurück und trieb auf den Wunsch seines Vaters das nächste halbe Jahr praktische landwirtschaftliche Studien, da damals das Domänenwesen für den Hauptzweig der Verwaltung galt. Michaelis gedachten Jahres ging er nach Berlin und trat hier nach bestandener Prüfung als Referendarius bei der kurmärischen Kammer ein.

Der Sommer 1802 eröffnete ihm einen weiteren, mit einer gewissen Selbständigkeit verbundenen Wirkungskreis, indem er veranlasst wurde, einen seiner Vorgesetzten, den Kriegsrat von Bassewitz, zur Besitzergreifung des Eichsfeldes, das als Entschädigungsobjekt an Preußen gefallen war, zu begleiten. Die Mitteilungen, die R. selbst über diese seine Tätigkeit gemacht hat, sind in mehr als einer Beziehung höchst lehrreich. Kraft seiner Anstelligkeit, seines praktischen Sinnes und seiner humanen milden Denkungsart war er gegenüber der oft recht delikaten Aufgabe so recht an seinem Platze. Durch seine praktischen Arbeiten unbehindert, hatte R. in den letzten Jahren seine Studien, namentlich die geschichtlichen, fortgesetzt und angefangen, sich in die Quellenschriften der Epoche Kaiser Friedrichs I. und der Kreuzzüge zu vertiefen. Das Altertum hatte stets eine mächtige Anziehungskraft auf ihn ausgeübt, aber nicht minder merkwürdig und mit Unrecht vernachlässigt erschien ihm das Mittelalter. Johannes von Müller empfahl ihm die Bearbeitung des 15. Jahrhunderts, das in der Tat in hohem Grade von der Forschung zurückgesetzt worden war. Aber R. hatte seine Wahl bereits getroffen und sich, „wie durch Inspiration“ den Hohenstaufen zugewendet. Man muss zugeben, daß diese Wahl eine äußerst glückliche war; R. hat durch diesen, nach Lage der Dinge kühnen Griff sich eine Aufgabe gestellt, deren im Wesentlichen gelungene Lösung den besten Inhalt seines Lebens bilden und in der historischen Wissenschaft die Fortdauer seines Namens sichern sollte. Um seinen wissenschaftlichen Plänen treu bleiben zu können, lehnte er eben jetzt eine ihm angetragene und mit festem Gehalt verbundene Stelle „ohne Bedenken“ ab. Gerade in dieser Zeit ist R., von J. v. Müller ermuntert, zum ersten Male als Schriftsteller aufgetreten. Er veröffentlichte, allerdings anonym, im Jahre 1805 die „Sechs Gespräche über Krieg und Handel“ (wieder abgedruckt in seinen Verm. Schriften, Bd. 1, S. 133 ff.), die in ihrer Form eine fleißige Lektüre der Platonischen Dialoge bezeugten und heut zu Tage namentlich durch den Muth Aufmerksamkeit erwecken, mit welchen er für die damals als unausführbar verurteilte Lehre vom Freihandel eingetreten ist. Ein theoretisch und praktisch durchgebildetes Talent wie das Raumers war, konnte jedoch nicht lange auf eine untergeordnete Stellung angewiesen bleiben. Im August des Jahres 1806 wurde ihm die erledigte Stelle eines Rates bei der Domänenkammer in Königs-Wusterhausen in kommissarischer Weise übertragen, und er hat sie bis zum Mai 1808 versehen. Auch hier hat er dem in ihn gesetzten Vertrauen vollständig entsprochen und in der bald nach seiner Versetzung eintretenden schwere Zeit sich als tüchtig und gewandt bewährt. Sein Beruf ließ ihm zugleich hinlänglich Muße, seinen gelehrten Studien Genüge zu thun. Er setzte die Lektüre der griechischen und römischen Schriftsteller, der späteren Byzantiner, Abulfeda's und anderer Araber eifrig fort und hielt zugleich geschichtliche Vorträge vor einer dankbaren Zuhörerschaft von Frauen und Herren, welche Neigung sich in der späteren Epoche seines Lebens bekanntlich erfolgreich ausgestaltet hat. Daneben unterhielt er einen ergiebigen Briefwechsel mit Männern wie Wilken, Schleiermacher und Steffens und fand noch Zeit, zahlreiche Berichtigungen der bekannten Lohmeier’schen „Genealogischen Tabellen“ abzufassen, die ein paar Jahre später durch den Druck veröffentlicht worden sind. Seine Begeisterung für den Beruf zum Historiker war derart im Wachsen, daß er sich den Gedanken, sich zu verheiraten, als eine Hinderung in seinen Studien, zur Zeit grundsätzlich aus dem Kopfe schlug. Eben jetzt arbeitete er an einem ersten Entwurf zu einer Geschichte der Kreuzzüge und legte als eine Probe J. v. Müller eine Erzählung der „Schlacht bei Hittin“ vor; Müller erwiderte mit ermunternder Anerkennung und zugleich mit einer nachdrücklichen Warnung vor der philosophierenden Geschichtsschreibung. Dieser sein genannter Gönner bat R. um diese Zeit (s. Lebenserinnerungen I, S. 162) zu einer Professur in Süddeutschland empfohlen, näheres wird uns darüber freilich nicht mitgeteilt. Gewiss ist aber, daß R. bald darauf (Mai 1809) durch die verdiente Beförderung zum Rath bei der Regierung zu Potsdam aus seiner doch isolierten Lage in Königs-Wusterhausen, die ihn auf die Länge und trotz der Nähe von Berlin doch nicht hätte befriedigen können, erlöst wurde. In Potsdam war er doch in ganz anderer Weise an seinem Platze; indes hat sein Aufenthalt nicht länger als zwei Jahre gedauert. Aber auch hier fuhr R. fort, und war es ihm möglich, sich wissenschaftlich zu beschäftigen und literarisch produktiv zu sein. So legte er in den Heidelberger Jahrbüchern (1809) eine Kritik der Lombard’schen Denkwürdigkeiten nieder, und gab er das Jahr darauf (1810) die Schrift „Ueber das brittische Besteuerungssystem, insbesondere die Einkommensteuer mit Hinsicht auf die in der preußischen Monarchie zu treffenden Einrichtungen“ heraus; die Schrift wurde mit Beifall auch an hoher und höchster Stelle aufgenommen; sie wurde unzweifelhaft zugleich die Veranlassung, daß R. im Mai 1810 als Rath in das Finanzministerium, dem damals Herr v. Altenstein vorstand, und zwar bei der Staatsschuldensektion berufen wurde. Es dauerte jedoch nicht lange, so zog ihn der Minister v. Hardenberg, der durch die erwähnte Kritik der Lombard'schen Denkwürdigkeiten auf ihn aufmerksam geworden war, in seine Nähe und nahm ihn, nachdem er den Minister auf einer Reise nach Schlesien begleitet und sich sein besonderes Vertrauen erworben hatte, sogar in sein Haus und an seinen Tisch auf. So kann man wohl sagen, daß R. in kurzer Zeit und in so jungen Jahren eine glänzende Laufbahn gemacht hatte, und darf vermuten, daß ihn eine noch glänzendere erwartete. An allen Reorganisationsarbeiten nahm er lebhaften, oft maßgebenden Anteil, und sein Einfluss auf den Kanzler erschien so groß, daß man ihn wohl den kleinen Staatskanzler nannte und lebhaft beneidete. Jedoch neigte R. allmählich zu der Meinung, daß er mit seinem besten Willen und wohldurchdachten Vorschlägen in den brennenden Fragen der staatswirtschaftlichen Reform auf zu viel Schwierigkeiten stoße und überzeugte sich zu allem anderen hin, daß ihm in dieser praktischen Stellung für seine Lieblingsstudien so gut als keine Zeit mehr übrig bleibe. Hatte er doch seit seiner Übersiedelung nach Potsdam und Berlin, von ein paar kleinen halbamtlichen Ausführungen über den „Indult“ und „die Verfassung der Behörden im preußischen Staat“ abgesehen, außer dem Bruchstück über die Schlacht bei Hittin nur zwei kleinere gelehrte Arbeiten, eine Vorlesung über „Perikles und Aspasia“ und die Einleitung zu den von ihm übersetzten „Reden des Aeschines und Demosthenes über den Kranz“ zu Stande gebracht. Es erschien ihm indes unmöglich, sein Herz von diesen wissenschaftlichen Beschäftigungen loszureißen, und so reifte ihm Zusammenhang mit all den erwähnten Momenten in ihm der Plan, den praktischen Staatsdienst aufzugeben und lediglich der Wissenschaft zu leben. Die eben eingetretene Erledigung der Professur der Staatswissenschaft an der Universität Breslau gab ihm erwünschte Gelegenheit, mit diesem Plan Ernst zu machen; er wendete sich bereits anfangs September 1811 an den Staatskanzler mit der motivierten Bitte, ihm die gedachte Professur anzuvertrauen, „wobei er sich auch zum Lesen historischer Collegia verpflichte“. Der Kanzler willigte ungern genug in diese Bitte, nachdem er sich von der Erfolglosigkeit der von ihm erhobenen nachdrücklichen Gegenvorstellungen überzeugt hatte. Am 9. September 1811 erfolgte die königliche Ernennung.

Mit der Übersiedelung nach Breslau beginnt die zweite, der Zeit nach viel längere Hälfte in Raumers Lebensgange, die überwiegend den wissenschaftlichen Bestrebungen gewidmet blieb, ohne daß er darum seine Vorliebe für gemeinnütziges Wirken aufgab oder dem so lebhaft empfundenen Bedürfnis, stets mit dem öffentlichen Leben in Fühlung zu bleiben und seinen Gesichtskreis nach allen Richtungen zu erweitern, zum Opfer gebracht hätte. Sieben wohl ausgenutzte Jahre hat R. in der neuen Stellung in Breslau zugebracht. Gleich nach seiner Übersiedelung hat er sich durch die Verheiratung mit einer Landsmännin, mit Louise, der Tochter des Oberforstmeisters v. Görschen in Dessau den eigenen Herd gegründet, dessen Genuss durch freundschaftlichen Verkehr mit Männern wie Manso, Steffens, v. Hagen, Heinsdorf, Schneider und seinem Bruder Karl einen erhöhten Reiz erhielt. Als Zeugnis seines fortgesetzten eifrigen Studiums des Mittelalters veröffentlichte er schon im Jahre 1812 sein „Handbuch merkwürdiger Stellen aus den lateinischen Geschichtsschreibern des Mittelalters“ und dehnte seine Vorlesungen zugleich auf das Gebiet der Geschichte aus, indem er u. a. Vorträge über die alte und neuere Geschichte hielt. Aus den einen sind seine im Jahre 1821 erschienenen „Vorlesungen über alte Geschichte“, aus den anderen seine im Jahre 1832 veröffentlichte und durch die Zeitereignisse hervorgerufene Schrift über „Polen’s Untergang“ hervorgegangen. Beim Ausbruche des Befreiungskampfe hat er sich wohl die Frage vorgelegt, ob er nicht auch, wie z. B. sein Bruder Karl, die Feder mit dem Schwerte vertauschen solle, hat aber in Erwägung, daß an Streitern kein Mangel sei und er anderswie der guten Sache mehr nützen könne, den Gedanken fallen lassen; man wird ihm das kaum verdenken können, zumal die Natur ihn nach Allem nicht gerade zum Soldaten bestimmt hatte. Nach dem Friedensschlusse unternahm er zu seiner Erholung eine Reise nach Venedig; sie eröffnet die lange Reihe von Ausflügen und Reisen, die sich im Verlaufe seines langen Lebens und bis in sein hohes alter hinauf fortgesetzt wiederholten und ihn mehrmals nach Italien, England und Frankreich, nach Scandinavien, nach Constantinopel und Smyrna und Athen und sogar nach den Vereinigten Staaten von Nordamerika geführt haben. Diese Reisen gingen zum Teile aus der merkwürdigen Beweglichkeit seiner Natur, zum Theil aus wissenschaftlichen Zwecken und endlich aus dem Bedürfnisse, aus eigener Anschauung Menschen und Welt kennen zu lernen, hervor. Von fast allen diesen Reisen hat R. je nach ihrer Veranlassung Beschreibungen und Berichterstattungen veröffentlicht, die sich durch ihre Lehrhaftigkeit, die Unabhängigkeit seines Standpunktes und eine gesunde, oft scharfe Beobachtungsgabe auszeichnen. Gleich über den erwähnten ersten Ausflug von Breslau aus ließ er im Jahre 1816 eine Beschreibung in 2 Teilen erscheinen, dagegen über eine zweite Reise nach Italien, die ihn in der Zeit von 1816–17 im Interesse seiner Forschungen für die Geschichte der Hohenstaufen zu einem längeren Aufenthalte nach Rom führte und zu welchem er von der preußischen Regierung eine beträchtliche Unterstützung erhielt, hat er keine eigene Schrift veröffentlicht, und sehen wir uns auf die Briefe angewiesen, die er in die Heimath richtete und die teilweise im zweiten Bande seiner Lebenserinnerungen abgedruckt sind. Im Juli 1817 kam er wieder nach Breslau zurück und mußte sich bald genug mit der in Deutschland herrschenden Aufregung, die durch das Wartburgfest, die Ermordung Kotzebue’s und die sich daran knüpfenden Komplikationen hervorgerufen wurde, wohl oder übel abfinden; es soll nicht verschwiegen werden, daß er in der Beurteilung dieser Vorgänge bei allem Freimute sich seine Besonnenheit bewahrte und mit der bezüglichen öffentlichen Meinung keineswegs vorbehaltlos oder überall übereinstimmte. Im verhängnisvollen Jahr 1819 war ihm noch überdies die Führung des Rektorates zugefallen; es scheint aber, daß er nicht gerade eine wohltuende Befriedigung von dieser Ehre erlebt hätte. Genug, er fühlte sich in Breslau nicht mehr behaglich; auch in den geselligen Verhältnissen hatte sich in Folge von Sterbefällen oder Berufungen manches zu seinen Ungunsten verändert; er sehnte sich fort und in einen andern Wirkungskreis. Dieser sein Wunsch wurde noch im Jahre 1819 erfüllt: er erhielt auf Vorschlag der Fakultät den Ruf als Professor der Staatswissenschaften und nebenbei der Geschichte an die Universität Berlin und folgte ihm noch im Herbste desselben Jahres: bereits am 25. Oktober eröffnete er seine Vorlesungen.

Diese Verpflanzung eröffnete für R. eine bedeutungsvolle Perspektive: nun war er erst auf dem rechten Platze, wie ihn seine Natur verlangte, und nun erst konnte der vielseitige, bewegliche, unermüdliche Mann sich in seiner vollen Eigentümlichkeit entwickeln und zeigen. Denn es ist nicht anders, R. bedurfte bei aller Hingabe an seinen wissenschaftlichen Beruf der An- und Aufregungen, wie sie eben doch nur eine Stadt wie Berlin ihm bieten konnte. Über ein halbes Jahrhundert erstreckt sich das noch übrige Leben Raumers, das ihm wenn auch mit Unterbrechungen in Berlin beschieden war. Etwas über ein Menschenalter wirkte er in seiner offiziellen Stellung als öffentlicher Lehrer, zuerst vor allen der Staatswissenschaften und bald auch, da Rühs bereits 1820 starb, mit besonderer Vorliebe der Geschichte. Als Lehrer hat r. allerdings niemals eine hervorragende Wirksamkeit entfaltet, obwohl er sich stets einer größeren oder kleineren Anzahl recht anhänglicher Zuhörer erfreute, und noch viel weniger kann man von einer Raumer’schen Schule sprechen. Die neuere, ins Fleisch schneidende kritische Richtung, wie sie seit F. A. Wolf und Niebuhr aufgekommen war, entsprach durchaus nicht seiner vermittelnden eklektischen Natur, aber gerade aus diesem Grunde und bei dem Mangel eines abgeschlossenen Systems, vermochte er es nicht, Studierende, die jene Bahn betreten wollten, wie das dann bei Ranke in so ausgezeichneter Weise der Fall war, in seine Kreise zu bannen. Bereits im Jahre 1822 wurde Raumers zum Rector der Universität Berlin gewählt wurde. Bedeutungsvoll ohne Zweifel für die Stellung Raumers war, daß im Jahre 1823 endlich der Anfang seiner Geschichte der Hohenstaufen im Drucke erschien und schon im Jahre 1825 der letzte der sechs Bände ausgegeben wurde. Wie schon erwähnt, ist an dieses sein Werk die Unvergänglichkeit seines Namens und seiner Stellung in der geschichtlichen Wissenschaft geknüpft. Der laute Beifall, mit welchem es aufgenommen wurde, war nicht unverdient. Die wesentliche Bedeutung des Werkes bestand darin, daß hier zum ersten Male eine der größten Epochen unserer nationalen Geschichte in umfassender Verbindung mit der universellen Entwickelung in anmutender Form, harmonischer Komposition, epischer Ruhe, maßvollem Urteile zur Darstellung gelangte. Freilich wurde auch Tadel laut, wie z. B. von Stenzel und Schlosser, und es ließ sich ja bei genauem Zusehen manches daran vermissen, namentlich die Sicherheit in der Quellenkritik, die Schärfe der Charakteristik und vor allem auch die gleichmäßige Behandlung der verschiedenen Abtheilungen des Stoffes; die Geschichte Kaiser Friedrichs I. blieb auch für jene Zeit allzu weit hinter billigen Anforderungen zurück, während die Epoche Kaiser Friedrichs II. mit den Glanzpunkt des Werkes bildet. Die fortgeschrittene Forschung hat ihn dann freilich überhaupt überholt und vielfach berichtigt. einzelne Abschnitte der Geschichte der Staufer wie z. B. König Philipps u. s. w. sind seitdem mit unleugbar noch größerer Wärme dargestellt worden; aber als Gesamtleistung besteht das Werk noch heutzutage und wird als solche auch nicht so leicht überwunden werden. Der 5. und 6. Theil behandeln bekanntlich überwiegend die Zustände aller Art und was man auch wohl innere Geschichte zu nennen pflegt. Es muss diesen Teilen ein besonderes Verdienst zuerkannt werden. Gerade hier verspürt man den Vorteil, den R. aus seiner früheren praktischen Wirksamkeit zog, indem er, wie mit Recht gesagt worden ist, die Kategorien des Staatslebens, unter welchen es dem wissenschaftlich gebildeten Beamten erscheint, und die Fragen, die sich daran knüpfen, in seine Forschungen über das 12. und 13. Jahrhundert übertrug. Im Übrigen ist diese Nachwirkung im Grunde bei der Mehrzahl der Raumer’schen Schriften, namentlich auch bei seinen Reisebeschreibungen wahrzunehmen. Die literarische Fruchtbarkeit, die R. seit dieser Zeit entfaltet, erscheint außerordentlich, zumal wenn man bedenkt, daß seine Kraft gleichzeitig in der verschiedenartigsten Weise in Anspruch genommen wurde. Wir können bei dieser Gelegenheit nur die bedeutenderen oder besonders charakteristischen seiner Publikationen anführen. Schon im Jahre 1836 erschienen seine „Untersuchungen über die geschichtliche Entwicklung der Begriffe von Recht, Staat und Politik“, die (1861) eine dritte Auflage erlebten. R. war kein Doktrinär und um so eher im Stande, mit der wünschenswerten Unbefangenheit eine solche Darstellung fruchtbar zu machen. Schon im Jahre 1823 hatte er das angebotene Amt eines Geschichtslehrers an der k. Kriegsschule in Berlin mit ansehnlichem Gehalt abgelehnt, um seine Kräfte nicht zu zersplittern; als er nun im Jahre 1827 im Namen König Ludwigs I. von Baiern den Antrag zu einer Professur an die Universität München erhielt, gab er als guter preußischer Patriot wieder eine ablehnende Antwort, und war uneigennützig genug, von diesem Anerbieten keinen weiteren Gebrauch zu machen. Berlin bot ihm freilich so viele Annehmlichkeiten, unter welchen der Verkehr mit einem Kreise vorzüglicher Männer nicht die letzte war, daß schon dieser Umstand allein diesen seinen Entschluss begreiflich macht. Außerdem übte das Theater, namentlich die Oper, weiterhin die Singakademie eine mächtige Anziehungskraft auf ihn. Im Juli 1827 nahm ihn die Akademie d. W. in ihren Kreis auf, wohl eine der ersten Wirkungen der Art nach dem Erscheinen der Hohenstaufen. Nach Vollendung dieses Werkes hatte R. sofort die Bearbeitung eines anderen, nämlich der Geschichte der drei letzten Jahrhunderte in Angriff und Bearbeitung genommen. Er hoffte ein „Lesebuch im besten Sinne des Wortes für Gebildete zu Stande zu bringen“. Doch gingen noch einige Jahre darüber hin, bis der erste Band erscheinen konnte. Im Herbste 1827 unternahm er seine erste Reise nach Paris, überzeugte sich hier aber bald, daß für ihn die ihm nöthigen geschichtlichen Forschungen ein längerer Aufenthalt nöthig sei als ihm zunächst verfügbar war, doch bekennt er, durch diese „kurze Reise viel gelernt“ zu haben. Und eben die auf dieser Reise gemachten Erfahrungen regten ihn zu der gleich das Jahr darauf herausgegebenen Schrift „Ueber die preußische Städteordnung, nebst einem Vorwort über die bürgerliche Freiheit, nach französischen und deutschen Begriffen“ an. Die Schrift fand den Beifall des Urhebers der preußischen Städteordnung, trug ihm aber zugleich einen unangenehmen Konflikt mit dem ihm vorgesetzten Ministerium ein, wobei er sich übrigens mannhaft genug benahm. R. war seit mehreren Jahren auch Mitglied des Oberzensurkollegiums, stieß jedoch in dieser Stellung so häufig auf Widerstand, daß er zuletzt (1831), überzeugt von der Fruchtlosigkeit seiner Mitwirkung, aus demselben ausschied, was alles ihm von Heine, der sich auch sonst öfter, aber nicht gerade in wohlwollender Weise mit ihm beschäftigt, den Titel eines „kgl. preußischen Revolutionärs“ eintrug. Das Jahr 1830 hatte ihn im Interesse seiner geschichtlichen Forschungen zum zweiten Male nach Paris geführt und als die Frucht dieses länger andauernden Aufenthaltes und der angestellten archivalischen Forschungen publizierte er das Jahr darauf die „Briefe aus Paris zur Erläuterung der Geschichte des 16. und 17. Jahrhunderts“. Im Winter 1830 auf 1831 hielt R. dem Kronprinzen Maximilian von Baiern Vorträge über Geschichte, wie er solche schon im Jahre 1813 in Breslau dem preußischen Thronfolger Friedrich Wilhelm gehalten hatte. Schon das Jahr zuvor hatte er das „Historische Taschenbuch“ begründet, das dann, bei Brockhaus in Leipzig verlegt, 37 Jahre hindurch von ihm redigiert wurde und für die Verbreitung geschichtlicher Kenntnisse auch in weiteren Kreisen einen nachhaltigen und fruchtbaren Anstoß gegeben hat. Im Jahre 1832 ließ er die von dem polnischen Aufstande der Jahre 1830–31 veranlasste Schrift „Polen’s Untergang“ erscheinen, deren unabhängige Fassung aber in den maßgebenden und höchsten Kreisen einen so missfälligen Eindruck machte, daß der König Raumers Wahl zum Rector der Universität die Bestätigung versagte. Eine missverstandene Stelle hatte sogar die Wirkung, daß beschlossen wurde, ihn zur fiskalischen Untersuchung zu ziehen, als sich noch rechtzeitig das Missverständnis aufklärte. Der besser unterrichtete König war dann billig denkend genug, daß er zu einer Art von Satisfaktion aus eigenem Ermessen R. als einem unparteiischen, aufrichtigen Manne den Auftrag gab, eine Darstellung der Verhältnisse Preußens zu Polen in den Jahren 1830–32 aus amtlichen Quellen zu entwerfen; diese Schrift erschien noch 1832 und hat mehrere, später ergänzte Auflagen erlebt. Im darauf folgenden Jahre, merkwürdig vor allem durch den vorläufigen Abschluß des deutschen Zollvereins, hat R. eine kleine Schrift „Briefe über den Zollverein“ abgefasst und darin mit besonderem Hinblick auf den Beitritt Sachsens nachdrücklich seine Stimme in dieser echt nationalen Frage erhoben. Im Jahre 1832 erschien zugleich der 1. Band seiner „Geschichte Europas seit dem 15. Jahrhundert“, die erst im Jahre 1850 mit dem 8. Bande abgeschlossen wurde. Raumer entwickelt eine ununterbrochene literarische Fruchtbarkeit, die, die Theilnahme des Publikums wohl hier und da einigermaßen ermüden konnte. Im Jahre 1835 hatte er zum Zwecke seiner Forschungen über die neuere Geschichte eine Reise nach England unternommen, deren Beschreibung er das Jahr darauf in 2 Bänden u. d. T. „England im Jahre 1835“ herausgab und die allerdings den Beweis lieferte, in wie gründlicher Weise er die verschiedenen öffentlichen Zustände und Einrichtungen des Inselreis studiert hatte. Im Jahre 1841 hat er diesen Besuch wiederholt und die Ergebnisse desselben in einem 3. Bande niedergelegt. In den Jahren 1836–39 ließ er zugleich seine „Beiträge zur neueren Geschichte Europas aus dem britischen Museum und Reichsarchiv“ in 5 Bänden folgen, die von den Zeiten der Königin Elisabeth bis in die letzten Jahre Friedrichs des Großen sich erstrecken und, in zugleich betrachtender und raisonnirender Form, einen guten Theil des Abendlandes umspannen. In denselben Jahren 1839–40 traten seine „Beiträge zur Kenntnis Italiens“ in zwei Teilen zu Tage, ebenfalls die Frucht einer im Jahre 1839 dahin unternommenen Reise. Und gleich darauf, im Jahre 1841, begründete der Unermüdliche, der das öffentliche Interesse und das Bedürfnis der Bildung auch der niederen Classe niemals außer Augen ließ, zum Besten der Einrichtung von Volksbibliotheken, jene populären Vorträge (in der Singakademie), welchen dann ein so außerordentlicher Erfolg zu Theil geworden ist, wie achselzuckend auch verschiedene seiner gelehrten Kollegen das Vorhaben anfangs beurteilten, und die den äußerst fruchtbaren Anstoß zur Nachahmung überall in Deutschland gegeben haben. Jedoch weder wissenschaftliches Arbeiten noch gemeinnütziges Wirken ließen den ewig Beweglichen über ein bestimmtes Zeitmaß hinaus ruhig zu Hause. Hatte er den größeren Theil des europäischen Festlandes und Englands kennen lernen, so trieb ihn seine Reise- und Lernlust jetzt (1841) in die neue Welt, nach den Vereinigten Staaten Nord-Amerikas, die damals freilich in der alten Welt noch nicht in dem Grade wie später gekannt waren. Der Bericht, den er über diese Reise (1845) erstattete, liegt in zwei Bänden gedruckt vor. Wenn er es noch nicht gewusst hätte, bei dieser Gelegenheit, wie schon früher bei seinen Besuchen in England, konnte R. es erfahren, daß sein Name weithin gedrungen und lebhaft gefeiert war. Er hat sich überall in der Fremde der zuvorkommendsten Aufnahme zu erfreuen gehabt. –

1847 erfolgte die Wahl Raumers zum Stadtverordneten von Berlin.

Das Jahr 1848 führte R. wieder auf einen größeren und weiteren Schauplatz. Die Berliner März-Revolution gab ihm in seiner Eigenschaft als Stadtverordneter Veranlassung, in den kritischen Tagen handelnd und zugleich beschwichtigend aufzutreten. Zunächst befreite ihn die Wahl zum deutschen Parlament nach Frankfurt aus mancher Verlegenheit, welche ihm die erneuerte Wahl als Stadtverordneter nicht erspart hätte. In drei Wahlkreisen, Frankfurt a. O., Quedlinburg und Aschersleben, war R. zum Abgeordneten gewählt worden, Beweis genug, ein wie populärer Mann im Lande er wohl oder übel bereits geworden war. Er optierte für Frankfurt a. O. und reiste noch im Mai nach Frankfurt a. M. Im August 1848 wurde er als Vertreter der deutschen Zentralgewalt nach Paris geschickt. Mit dem Ende des genannten Jahres nach der Wahl L. Napoleons zum Präsidenten der Republik, kehrte R. nach Frankfurt wo er bis 1849 aushielt. Nach seiner Heimkehr nach Berlin kam er zwar noch keineswegs zur Ruhe; er wurde nämlich gleich darauf in die preußische, damals auf Wahl beruhende erste Kammer berufen. Zugleich sammelte er seine „Briefe aus Frankfurt und Paris“ und veröffentlichte sie noch im Jahre 1849. Im Jahre 1850 folgten seine „Briefe über gesellschaftliche Fragen der Gegenwart“, in welchen er zum ersten Male diesen Gegenstand, der nun nicht mehr von der Tagesordnung abgesetzt wurde, einlässlicher und mit Geschick und Takt behandelte. Das Jahr 1851 brachte die „Antiquarischen Briefe“, in welchen er vor allem zwischen Böckh und R. eine Anzahl interessanter Fragen aus dem Altertum erörtert werden. Immerhin ersieht man daraus, daß R. den Fortschritt auf dem Gebiete des griechischen Altertums niemals aus den Augen gelassen hat. Im Jahre 1849 hatte er auch angefangen, Vorlesungen für Frauen zu halten, was er bis zum Jahre 1865 fortgesetzt hat und wobei er stets auf ein sicheres und höchst dankbares Publikum rechnen durfte. In den Jahren 1852–54 veröffentlichte er 3 Bände seiner „Vermischten Schriften“, in welche er einen guten Theil seiner zerstreuten kleinen Aufsätze, Abhandlungen, Rezensionen u. dgl. aufnahm. Das Jahrzehnt 1850-60 ist zugleich von einer Reihe kürzerer oder längerer Reisen ausgefüllt. Nordamerika hatte er, wie erwähnt, im Jahre 1844 besucht, ob er jemals im Ernste die Absicht gehegt hat, auch Südamerika aus eigener Anschauung kennen zu lernen, bleibt ungewiss, sicher ist aber, daß er im Jahre 1852 diese Reise wenigstens in Gedanken und auf dem Papier machte und mit Benutzung einer zahlreichen Literatur eine „Reise nach Südamerika“ abfasste. In dem genannten Jahre veröffentlichte er die „Historisch-politischen Briefe über die geselligen Verhältnisse der Menschen“, die eine Art „Staatslehre“, aber ohne strenge systematische Gliederung und Reihenfolge bieten. Sie verdienen noch heutzutage gelesen zu werden und sind frei von dem leichten Sinn und der historischen Unkenntnis, mit welcher fortgesetzt von gewisser Seite her so schwierige Fragen behandelt zu werden pflegen; sie sind zugleich frei von aller Einseitigkeit, die freilich bei einem Thema dieser Art am meisten Eindruck macht. In diesem Jahre hat R. zugleich angefangen als ein fast 80 jährige, eine Umschau über sein vergangenes Leben zu halten und über seine Entwickelung und Laufbahn Rechenschaft abzulegen. So kamen seine „Lebenserinnerungen und Briefwechsel“ (2 Bände, Leipzig 1861) zu Stande, die einen nicht zu unterschätzenden Beitrag zur Zeitgeschichte bieten. Das Jahr 1864 endlich brachte sein „Handbuch zur Geschichte der Literatur“ in zwei Teilen, das aus Vorlesungen, die er, wie erwähnt, seit längerer Zeit für Frauen zu halten pflegte, herausgewachsen ist. Seine letzte Publikation erschien im Jahre 1869, vier Jahre vor seinem Tode und enthielt, charakteristisch genug u. d. T. „Litterarischer Nachlaß“ (2 Teile) nebst einigen Ergänzungen zu seiner Lebensgeschichte, u. a. eine Fortsetzung seines ausgewählten Briefwechsels, z. B. mit Alexander von Humboldt, einzelne geschichtliche Aufsätze, verschiedene Beiträge zu den „schönen Wissenschaften“ gehörig, darunter eine bereits im Jahre 1824 entstandene „Erzählung“ (Marie), denn auch auf dem Felde der Novellistik hat er sich versucht, und im Jahr 1833 eine zweite solche Erzählung in Briefen „Wilhelmine“ (s. Verm. Schriften I, S. 370 ff.) nachfolgen lassen.

Ein unvergesslicher Mann schloss mit ihm am 14. Juni 1873 die Augen.

Raumer, Friedrich v. 1781-1873

Raumer, Friedrich v. 1781-1873