Kapitel I. Ein Unglück auf das andere.

Kaum hatte das Publikum sich erholt von dem ersten Schrecken über die Folgen des Wirbelsturmes, der einen bedeutenden Teil der Stadt Omaha in Nebraska am Ostersonntag des Jahres des Heils 1913 verwüstete, als Pelion auf Ossa gewälzt, Unglück auf Unglück gehäuft wurde durch die schrecklichen Fluten im Ohiotale.

Die Sympathie der Nation mit der heimgesuchten Stadt Nebraskas zeigte sich in vollem Maße. Nur achtundvierzig Stunden waren verflossen seit die Unglückswolke in den Vorstädten Omahas ihr Erscheinen gemacht, Tod und Zerstörung in ihrer Bahn angerichtet und hinter sich gelassen hatte und weiter gezogen war. Der Präsident der USA war eben in Kenntnis gesetzt worden von dem vollen Umfang des Schadens. Seine Beileidsschreiben und Anerbietungen von Hilfe von Seiten der Regierung waren abgesandt. Hilfskomitees waren gebildet worden, die Rote Kreuz Gesellschaft hatte kaum mit ihrer hilfreichen Hand ihr Liebeswerk begonnen — in Kurzem die Wut des Wirbelsturmes hatte sich kaum gelegt — als die Kunde von einem neuen Unglück, berichtet von der schönen Ohiostadt Dayton über die elektrischen Drähte lief. Aller Augen und Sinne wandten sich nach dieser Richtung, wo die Not mit ihren unabweislichen Appellen um sofortige Hilfeleistungen an Aller Herzen klopfte.


Was war in Ohio so Schreckliches geschehen, das die Aufmerksamkeit Aller zeitweilig von den Szenen des Todes und der Not in Nebraska ablenken konnte?

Was war der neue Schrecken, der die vom Wirbelsturm angerichtete Zerstörung so gering er-scheinen ließ? Welche mächtige Naturgewalt war zur allgemeinen Zerstörung entfesselt worden?

Erdbeben, Feuerswüten, Sturmesbrausen — all diese haben in amerikanischen Heimstätten schon Opfer gefordert, haben amerikanische Städte verwüstet und einen schweren Zoll von Menschenleben erhoben, aber weder Erdbeben, noch Feuer, noch Sturmwind war hier der Zerstörer gewesen. Wasser, seiner Bande entledigt, hatte das Werk der Zerstörung getan.

Selbstverständlich haben Telegraph und Telefon bald die Unglücksbotschaft berichtet. Freilich in der Stadt selbst, wo der Tod unvergessliche Stunden lang in den überfluteten Straßen und Häusern seine Ernte gehalten und weder das Alter noch Geschlecht noch Umstände geschont hatte, waren auch fast alle Mittel sich mit der Außenwelt in Verbindung zu setzen, abgeschnitten, und von diesem Mittelpunkt der Zerstörung kam nur auf einem einzigen Draht in kümmerlicher Weise der traurige Bericht von einer verheerenden Flut, die Trauer und Elend herbeigeführt hatte, zur Außenwelt.

Eine schöne Stadt, berühmt durch ihre Unternehmungen, wegen ihres Handelserfolges, wegen ihres Glanzes und anziehenden Umgebung und besonders wegen ihres städtischen Stolzes — war Dayton doppelt geschlagen durch die Wucht der schlimmen Gewässer, und musste das Schicksal des Hauses, das auf den Sand gebaut war, über sich ergehen lassen.

„Die Wasser rauschten daher und die Regen kamen und schlugen an das Haus und es fiel und tat einen großen Fall."

Dann zeigte es sich bald, dass die Stadt Dayton in ihren Leiden nicht allein stand. Frei von den Banden, darein Natur und der Mensch sie gehalten, hatten die wild gewordenen Wasser mehr Opfer gefordert und dieselben auch in großer Anzahl gefunden.

Eine mächtige Überschwemmung, Lawinen von Wassern hatten plötzlich einen wunderbar blühenden Teil des mittleren Westens überfallen und fruchtbare Felder und viele blühende Städte in eine große Wüste von Tod und Zerstörung verwandelt.

Gespeist durch die anhaltenden Regen eines stürmischen Frühlings und durch die schmelzenden Schneemassen der Hochebenen, waren Dämme geborsten, angeschwollene Reservoirs hatten ihren Inhalt weithin über das Land ergossen, und alle vereinigten sich zu todbringenden Strömen, die Alles was ihnen im Wege stand, mit sich fortrissen.

Menschen waren nach Hunderten weggerissen und ertrunken; Häuser wurden von ihren Fundamenten losgerissen und weggeschwemmt in den unwiderstehlichen Fluten, und ihre Bewohner mussten wie die Ratten in der Falle elendiglich ertrinken; Eigentum im Werte von unzähligen Millionen war zerstört worden; zehntausende waren heim- und obdachlos geworden und die Gefahren des Todes, der Hungersnot und der Pestilenz starrten ihnen ins Angesicht.

Man stelle sich vor den Schrecken der mit jeder Minute anschwellenden und steigenden Gewässer, die alle außer die höchsten und festesten Gebäude zu zerstören drohten. Freunde, Verwandte und Nachbarn verschwanden mit ihren durch das wildgewordene Wasser weggeschwemmten Häusern. Über den weiten offenen Plätzen, durch die Parks oder in den Straßen kamen die Trümmer und Ruinen von dem was vor einer Stunde noch, glückliche und blühende Heimaten waren. Nicht nur ein Haus hier und da, sondern ganze Häusergevierte, ganze Nachbarschaften wurden von den tobenden Wassern verschlungen und mit ihnen hinweggeschwemmt.

O, die Schrecken der langen Nacht, die daraus folgte.
Hier eine Ortschaft unter Wasser; dort eine Stadt voller Leute, die sich abmühten, während der Stunden der Dunkelheit sich am Leben zu erhalten, ohne Licht, ohne Wärme, ohne Wasser. „Wasser, Wasser, rundum Wasser, doch kein Tropfen zum trinken." Keine Nahrungsmittel, keine Boote, mit denen man hätte hinwegfahren oder mit welchen man Hilfe sich verschaffen konnte. Nur die blasse Hoffnung, dass man gerettet werden und die noch geringere Hoffnung, dass die Wasser bald nachlassen und zurückweichen würden. Kein freundlicher Lichtschimmer in den Nachbarhäusern, der von Menschennähe und möglichen Rettungsaussichten ein Hoffnungsstern gewesen wäre.

Ha! Was ist das? Der Stoß eines vorbeischwimmenden Hauses, das allen anderen, an die es stößt auf seinem Wege mit Vernichtung droht. Die Kadaver von Pferden, Ochsen, Schafen und Schweinen werden an die bebenden Hausmauern und Wände geschwemmt und jeder Stoß lässt die schlaflosen Bewohner noch mehr erzittern.

Und dann noch viele andere und bedeutsamere Trümmer werden von den wilden Wassern fortgetragen und flüchtig erblickt von denen, die durch die oberen Fenster ihrer schwankenden Häuser in Todesangst mit blassen Gesichtern hinausstarren. Leichen von Menschen schwimmen vorbei, arme zerrissene Hüllen von menschlichen Wesen, die der unpassenden unsicheren Lage ihrer Heim- und Wohnstätten zum Opfer gefallen sind, oder auf ein solches Schicksal nicht vorbereitet waren.

Hier schwimmt alles, was übrig ist von einem Vater, der vielleicht noch gestern Abend seine Kinder in seinem Heime um seine Knie versammelt hatte und ihnen die uralte Geschichte von der Taube erzählte, die Noah aus der Arche während der ersten aller Fluten fliegen ließ und die zurückkam weil sie auf der Erde keinen Ruheplatz, worauf sie sich hätte niederlassen können, hatte finden können.

Jene auf dem Wasser treibende Masse mit langem Haar und Umrissen, ein weißer Fleck in der gelben Flut war noch gestern eine glückliche, liebende Mutter — bis die rauschenden Wasser sie in ihrem Heim, in welchem sie zufrieden ihren häuslichen Geschäften nachging, allein zu Hause überraschten — ihre Kleinen waren sicher auf- gehoben in der Schule und der Verdiener, geliebt vom ganzen kleinen Familienkreis, bei seiner täglichen harten Arbeit beschäftigt, glücklich im Bewusstsein des sicheren Besitzes einer glücklichen Familie und voll Hoffnung auf ein ferneres Fortkommen in der Welt und Wohlstandes in der Zukunft.

Und dort die Leichen kleiner Kinder, hier und dorthin von den Fluten gestoßen.
Jedoch das Gemüt schreckt davor zurück sich noch weiter die Schreckensszenen auszumalen, wie sie geschaut oder gefühlt wurden.
All die schaurigen Einzelheiten der Szenen des Todes und der Zerstörung können nicht im Raum eines einzigen Buches geschildert werden, aber doch genug, um ein klares Bild zu geben von den Zuständen, die in der Stadt Dayton und anderen Plätzen nach der Überschwemmung herrschten. Mögen die Lehren, die uns die Fluten, von welchen ein großer Teil von Ohio und Indiana, wie letztere noch weiter berichtet werden, heimgesucht wurden, uns zu Herzen gehen und möge auch das Unglück dazu dienen, dass jeder mithelfe, dass ähnliche schwere Unglücksschläge in der Zukunft möglichst verhindert werden.