Kapitel 8 - Lygia empfand Herzeleid bei dem Gedanken an Pomponia Graecina, die sie von ganzer ...

Lygia empfand Herzeleid bei dem Gedanken an Pomponia Graecina, die sie von ganzer Seele liebte, und doch war sie jetzt nicht mehr verzweifelt. Süß war es ihr, für die Wahrheit Überfluß und Bequemlichkeit hinzugeben und ein unbekanntes Wanderleben zu beginnen, vielleicht wirkte dabei ein klein wenig die kindliche Neugierde mit, wie sich ihr Leben wohl in fernen Landen unter wilden Tieren und bei den Barbaren gestalten werde. Sie war fest überzeugt, nach dem Willen des göttlichen Meisters zu handeln, und hoffte mit Bestimmtheit, daß fortan er selbst über sie wachen werde, wie über ein treues, folgsames Kind. Die Leiden, welche ihr vielleicht drohten, schreckten sie nicht, ja, sie fühlte sich beinahe glücklich und erzählte Akte von ihrem Glücke, das diese jedoch nicht so recht begreifen konnte. Sie wußte, welcher Gefahr, welchem Abenteuer das junge Mädchen entgegenging. Akte war eine ängstliche Natur und dachte voll Bangen daran, was der Abend bringen werde. Lygia ihre Befürchtungen mitzuteilen, dazu konnte sie sich nicht entschließen, und da es inzwischen Tag geworden war und die Sonne ins Atrium schien, beredete sie das Mädchen, nach der schlaflos verbrachten Nacht die nötige Ruhe zu suchen. Beide legten sich auch hin, doch vermochte Akte trotz Ermüdung nicht einzuschlafen.

Seit langer Zeit war sie immer traurig und freudlos, jetzt aber fühlte sie sich noch von einer Unruhe ergriffen, die sie früher nicht gekannt. Bisher war ihr das Leben nur schwer und hoffnungslos erschienen, heute kam es ihr auch ehrlos vor.


Ihr Kopf ward immer wirrer. Bald glaubte sie einen Ausweg aus diesem Labyrinth gefunden zu haben, bald geriet sie immer tiefer hinein. Bald öffnete sich das Pförtchen zum Licht, bald fiel es wieder zu. Und doch ahnte sie, welch unendliches Glück ihr dies Licht zu gewähren vermöge, ein solch unermeßliches Glück, im Vergleich zu dem alles andre erblassen müßte, im Vergleich zu dem es ihr sogar als nichtig erschienen wäre, wenn der Kaiser Poppäa verlassen und sich ihr, Akte, zugewendet hätte. Plötzlich kam ihr der Gedanke, daß dieser Cäsar, den sie liebte und den sie unwillkürlich als einen Halbgott betrachtete, ebenso beklagenswert wie jener Sklave, und daß sein Palast mit den Säulen aus numidischem Marmor einem Steinhaufen gleich zu achten sei. Von den widersprechendsten Empfindungen beherrscht, über die sie sich keine Rechenschaft abzulegen vermochte, sehnte sie sich nach Ruhe, nach Schlaf; jedoch die wirren Gedanken verscheuchten den Schlummer.

Lygia schlief ruhig, und Akte betrachtete das Kind, das lieber fliehen wollte, als die Geliebte des Vinicius zu werden, das Elend und Not der Schande, das Verbannung den Prunkgemächern, den prächtigen Gewändern, den Festgelagen, der Musik vorzog. Warum dies? fragte sich Akte.

Sie schaute auf Lygia, als wollte sie von deren Stirn die Antwort ablesen, sie betrachtete ihr reines, zartes Antlitz, die schön gezeichneten Augenbrauen, die dunklen Wimpern, den halbgeöffneten Mund, ihre von leisem Atem sich hebende Brust, und sie dachte aufs neue: Wie verschieden ist sie im Vergleich zu mir! Als Lygia erwachte, war die Mittagszeit schon vorüber, und erstaunt blickte sich das Mädchen im Cubiculum um. Offenbar wunderte sie sich, nicht im Hause des Aulus zu sein.

„Du bist es, Akte?“ sagte sie schließlich, im Dämmerlicht das Gesicht der Griechin erblickend.

„Ja, Lygia.“

„Ist es schon Abend?“

„Nein, Kind, aber Mittag ist schon vorbei.“

„Und Ursus ist noch nicht zurück?“

„Ursus versprach doch nicht zurückzukehren, nur wollte er abends mit seinen Christen der Sänfte auflauern.“

„Ach ja! Du hast recht!“

Hierauf verließen sie das Cubiculum und begaben sich ins Bad, von wo Akte sie zum Frühstück führte, und dann in die Palastgärten. Hier war voraussichtlich keine gefährliche Begegnung zu befürchten, weil der Kaiser und seine Höflinge noch schliefen. Lygia sah zum erstenmal die prächtigen Gärten mit ihren Zypressen, Pinien, Eichen, Ölbäumen und Myrten, jene Riesengärten, wo ein ganzes Volk weißer Bildsäulen an ruhigen Wasserspiegeln stand; wo Rosengehege blühten, vom Springquellstaub übersprüht; wo Efeu und Wein den Eingang von Zaubergrotten überwucherten; wo auf den Wassern Silberschwäne schwammen und zwischen den Bildsäulen und Bäumen zahme Gazellen aus Afrikas Wüsten umherwandelten und bunte Vögel flatterten, die aus allen damals bekannten Ländern nach Rom zusammengetragen worden waren.

Die Gärten waren fast menschenleer; nur hier und dort arbeiteten Sklaven mit ihren Spaten und sangen mit halblauter Stimme dazu. Akte wandelte mit Lygia ziemlich lange umher, um ihr all die Wunder der Gärten zu zeigen, und trotz der inneren Unruhe, die Lygia erfüllte, war sie doch noch zu sehr Kind, um nicht das größte Interesse und Entzücken, die vollste Bewunderung an den Tag zu legen und sich zu sagen, daß der Kaiser, wenn er ein guter Mensch wäre, in einem solchen Palast, inmitten solcher Gärten doch sehr glücklich sein müßte.

Etwas ermüdet ließen sie sich endlich auf eine Bank nieder, die im Zypressendickicht versteckt lag, und plauderten von dem, was ihnen am meisten am Herzen lag, nämlich von Lygias Flucht. Zuweilen kam Akte das Unternehmen geradezu unsinnig vor, und ihr Herz schwoll in Mitleid, sie dachte, daß der versuch, Vinicius umzustimmen, doch hundertmal ratsamer wäre. Sie erkundigte sich, wie lange Lygia den jungen Mann kenne, und fragte, ob sie nicht glaube, daß er sich erweichen und sie zu Pomponia zurückbringen würde?

Doch Lygia schüttelte traurig das dunkle Köpfchen. „Nein! Im Hause des Aulus ist Vinicius ein anderer gewesen, dort war er gut, aber seit gestern fürchte ich mich vor ihm und will lieber zu den Lygiern fliehen.“

Akte fragte weiter: „Aber im Hause des Aulus war er dir lieb?“ „Ja,“ erwiderte Lygia, das Haupt neigend. „Du bist doch keine Sklavin, wie ich es war,“ ergriff Akte nach kurzem Sinnen wieder das Wort, „Vinicius könnte dich zu seinem Eheweibe machen! Wenn du willst, gehe ich zu ihm hin und sage ihm, daß er dich zu Aulus und Pomponia zurückbringt, um dich nachher als seine Gattin in sein Haus zu führen.“

Aber das Mädchen erwiderte abermals, und zwar so leise, daß Akte es kaum verstand: „Ich will lieber zu den Lygiern fliehen.“ Und zwei Tränen rollten unter ihren gesenkten Lidern hervor. Das Gespräch wurde durch das Geräusch nahender Schritte unterbrochen, und ehe Akte noch Zeit gefunden hatte, sich zu überzeugen, wer da komme, wurde Sabina Poppäa mit einem kleinen Gefolge von Sklavinnen sichtbar. Zwei von ihnen, hielten Straußwedel, die an goldenen Stäben befestigt waren, über ihrem Haupte, um die noch brennenden Strahlen der Herbstsonne abzuwehren, vor ihr aber schritt eine wie Ebenholz schwarze Äthiopierin; diese trug ein Kind auf den Armen, das in reich mit Goldfransen besetzten Purpur gehüllt war. Akte und Lygia erhoben sich rasch, obgleich sie der Meinung waren, daß Poppäa an der Bank vorübergehen werde; allein sie blieb stehen und sagte: „Akte, die Glöckchen, die du an die Puppe genäht hast, waren schlecht befestigt; das Kind riß eins davon ab und steckte es in den Mund; ein Glück, daß Lilith es rechtzeitig bemerkte.“

„Verzeihe, Göttliche,“ entgegnete Akte, die Arme über die Brust kreuzend und den Kopf neigend.

Doch Poppäa fing an, Lygia zu betrachten, „was ist das für eine Sklavin?“ fragte sie nach einer Pause.

„Das ist keine Sklavin, göttliche Augusta, sondern ein Pflegekind der Pomponia Graecina und Tochter des Königs der Lygier, welche einst den Römern als Geisel übergeben wurde.“

„Und sie ist auf Besuch zu dir gekommen?“

„Nein, Augusta. Seit vorgestern wohnt sie im Palaste.“

„Hat sie gestern an dem Festmahle teilgenommen?“

„Ja, sie hat teilgenommen.“

„Auf wessen Befehl?“

„Auf Befehl des Kaisers.“

Prüfenden Blickes schaute abermals Poppäa auf Lygia, die gesenkten Hauptes vor ihr stand, die strahlenden Augen bald neugierig erhebend, bald mit den Lidern bedeckend. Plötzlich zeigte sich eine tiefe Falte zwischen den Augenbrauen der Augusta. Eifersüchtig besorgt um ihre Macht, lebte sie in der steten Sorge, eines Tages von einer glücklichen Nebenbuhlerin verdrängt zu werden, wie sie selbst Oktavia verdrängt hatte. Daher erweckte jedes hübsche Gesicht im Palast ihren Verdacht. Sie musterte mit Kennerblicken Lygias Gestalt, jede Einzelheit ihres Gesichts, und erschrak. Nero hatte sie vielleicht noch nicht gesehen oder, weil er sie durch den Smaragd betrachtet, nicht richtig erkannt. Aber wie, wenn er sie, dieses Wunderwerk der Natur, bei Tage, in hellem Sonnenlichte sehen würde, was dann?

Sie wendete sich zu Lygia und fragte scheinbar ruhig: „Warum willst du lieber hier sein als bei Aulus und Pomponia?“

„Ich bin gegen meinen Willen hier, hohe Frau, Petronius beredete den Kaiser, mich von Pomponia fortzunehmen, um mich dem Vinicius als Sklavin auszuliefern, aber verwende du dich für mich und sende mich den Meinen zurück!“

„Also Petronius hat den Kaiser überredet, dich dem Aulus abzufordern und dem Vinicius zu geben?“

„So ist es, hohe Frau, Vinicius soll noch heute seine Sklaven um mich senden, aber du, Gute, erbarme dich meiner!“ So sprechend, neigte sie sich, und den Saum von Poppäas Gewand erfassend, harrte sie klopfenden Herzens auf ein Wort.

Poppäa betrachtete sie mit einem bösen Lächeln und sagte dann langsam: „Ich verspreche dir also, daß du noch heute – des Vinicius Sklavin werden sollst.“

Darauf entfernte sie sich wie ein böses Traumgebilde. An Lygias und Aktes Ohren schlugen nur noch die Schreie des Kindes, das aus unbekannter Ursache zu weinen angefangen hatte.

Auch in Lygias Augen hatten sich Tränen gesammelt, aber nach einer Weile ergriff sie Aktes Hand und sprach:

„Gehen wir! Hilfe darf man nur von dort erwarten, woher sie kommen kann.“

Sie kehrten ins Atrium zurück, das sie bis zum Abend nicht mehr verließen. Als es dunkelte, trugen Sklaven vierflammige Lampen herbei. Ihr Gespräch stockte jeden Augenblick, und immer wieder lauschten sie, ob jemand nahe. Lygia versicherte zwar Akte, wie schwer es ihr auch werde, von ihr zu gehen, so wünsche sie doch schon um Ursus' willen, der ja in der Dunkelheit ihrer harren müsse, daß sich alles noch in den nächsten Stunden entscheiden möge, allein ihr lauter, rascher Atem verriet nur zu wohl ihre innere Erregung. Akte raffte in fieberhafter Eile so viele Kleinodien wie nur möglich zusammen, band sie in einen Zipfel von Lygias Mantel und flehte letztere an, diese Gabe und dieses Mittel zur Flucht nicht zurückzuweisen.

Plötzlich bewegte sich der Vorhang am Eingang und ein großer, dunkler, blatternarbiger Mann tauchte wie ein Geist im Atrium auf. Sogleich erkannte Lygia in ihm Atacinus, den Freigelassenen des Vinicius, der auch in das Haus des Aulus gekommen war. Akte schrie auf, Atacinus verbeugte sich aber tief und sprach: „Grüße der göttlichen Lygia von Markus Vinicius, der dich in seinem festlich bekränzten Hause erwartet.“

Mit bleichen Lippen antwortete Lygia: „Ich komme!“

Und sie schlang zum Abschied die Arme um Aktes Hals.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Quo Vadis?