Kapitel 6 - Vor Akte hatten seinerzeit die Mächtigsten von Rom das Haupt geneigt. Aber selbst damals ...

Vor Akte hatten seinerzeit die Mächtigsten von Rom das Haupt geneigt. Aber selbst damals hatte sie sich nie in die öffentlichen Angelegenheiten gemischt, und wenn sie je von ihrem Einfluß über Nero Gebrauch machte, so geschah es nur, um Gnade für irgend jemand zu erflehen. Demütig und still gewann sie sich die Dankbarkeit vieler, ohne sich auch nur einen zum Feinde zu machen, selbst ihre Neider betrachteten Akte als ganz ungefährlich. Poppäa selbst sah in ihr nur eine still waltende Dienerin, die ihr so ungefährlich erschien, daß sie sich nicht einmal die Mühe gab, sie aus dem Palast zu entfernen.

Doch weil der Kaiser sie einst geliebt und ohne Kränkung in einer ruhigen, fast freundschaftlichen Weise mit ihr gebrochen hatte, beobachtete man immer noch gewisse Rücksichten ihr gegenüber. Nero hatte sie freigelassen, ihr im Palast eine Wohnung eingeräumt und auch einige Leute zu ihrer persönlichen Bedienung zuweisen lassen. Bisweilen wurde Akte zur Tafel geladen, weil ihre anmutige Erscheinung jedem Feste zur Zierde gereichte. Auf die Auswahl der Gäste nahm der Kaiser übrigens längst keine Rücksicht mehr. An seiner Tafel befanden sich stets Leute aus den verschiedensten Ständen, aus allen möglichen Berufszweigen zusammen. Es waren da Senatoren, jedoch vornehmlich solche, die sich gefallen ließen, zeitweise zum besten gehalten zu werden; da waren Patrizier, alte und junge, die sich nach Genuß, Freudenfesten und Wohlleben sehnten. Daneben machte sich das größte Gesindel breit, zusammengesetzt aus Sängern, Mimen, Musikern, Tänzern, Tänzerinnen, aus Poeten und hungerleidenden Philosophen. Hierzu kamen noch berühmte Wagenlenker, Gaukler, Wundertäter, kurz alle möglichen Abenteurer, und manche trugen lange Haare, um ihre durchlöcherten Ohren, das Zeichen der Sklaverei, zu verdecken.


Die vornehmeren Gäste nahmen sofort an der Tafel Platz, die geringeren dienten während des Essens als Zeitvertreib und warteten voll Spannung auf den Augenblick, in dem sie sich mit Erlaubnis der Dienerschaft auf die Überreste der Speisen und Getränke stürzen durften. Der Kaiser hatte eine Vorliebe gerade für diese Gesellschaften, in welcher er sich am ungebundensten fühlte. Der am Hof herrschende Luxus vergoldete zudem alles mit seinem schimmernden Glanz.

An diesem Tage sollte auch Lygia am Gastmahl teilnehmen. Furcht, Unsicherheit und Bestürzung regten sich in ihr neben dem Wunsche, Widerstand zu leisten. Sie fürchtete sich vor dem Kaiser, vor fremden Menschen, vor dem ganzen Palast, dessen Getriebe und Lärmen sie betäubte; sie fürchtete sich vor dem Gastmahl, hatte sie doch schon durch Pomponia Graecina, durch Aulus und durch ihre Freunde gehört, welche Schandtaten dabei verübt wurden. So jung sie war, war sie doch nicht unerfahren, denn selbst zu kindlichen Ohren drang in jener Zeit die Kunde von der allgemeinen Verderbtheit. Sie wußte genau, daß ihr im Palast Gefahr drohe, zumal Pomponia Graecina sie beim Scheiden noch besonders darauf aufmerksam gemacht hatte.

Das junge Mädchen war noch unberührt von der Verderbnis und erfüllt von der erhabenen, ihr von der Pflegemutter eingepflanzten Lehre. Sie hatte das Gelöbnis abgelegt, gegen die ihr drohende Gefahr sich zu verteidigen, sie hatte es der Mutter, sich selbst und dem göttlichen Meister gelobt, an den sie nicht nur glaubte, sondern den sie mit ihrem Kinderherzen liebte, um der Heiligkeit seiner Lehre, um der Betrübnis seines Todes, um der Herrlichkeit seiner Auferstehung willen.

So erwog sie denn bei sich, ob es nicht besser sei, der Einladung keine Folge zu leisten, auch wenn das ihr Marter und Tod bringen würde. Sie wußte, daß viele Anhänger des neuen Glaubens sich nach einem solchen Tode sehnten, und hatte sich schon öfter halbkindliche Visionen vorgezaubert, in denen sie sich als Märtyrerin, weiß wie der Schnee, mit Wunden an Händen und Füßen, in überirdischer Schönheit prangend und von lichtumstrahlten Engeln zum blauen Himmelszelte emporgetragen sah.

Doch als sie Akte davon Mitteilung machte, blickte diese auf, als vernehme sie Fieberphantasien. Sich gegen den Willen des Kaisers auflehnen? Von allem Anfange seinen Zorn herausfordern? Um so etwas zu wollen, mußte man ein Kind sein, das nicht wußte, was es sprach. Dem Kaiser habe es gefallen, sie zu sich zu nehmen, und er werde weiter über sie verfügen. Von nun an stehe sie unter seinem Willen, der allmächtig sei auf der ganzen Erde.

„Wohl habe auch ich des Paulus Briefe aus Tarsos gelesen,“ sagte Akte weiter, „und auch ich weiß, daß es über der Erde einen Gott gibt und einen Sohn Gottes, der auferstanden ist von den Toten, auf der Erde aber herrscht nur der Kaiser. Dies bedenke, Lygia! Und wenn dir auch deine Lehre gebietet, eher den Tod zu wählen als die Schande, so reize doch den Kaiser nicht. Im entscheidenden Augenblick, wenn dir keine andre Wahl mehr bleibt, magst du handeln, wie deine Lehre es gebietet, aber fordere nicht mutwillig das Verderben heraus und erzürne um eines nichtigen Vorwandes willen nicht den irdischen und dabei so grausamen Gott!“

Die von tiefstem Mitleid eingegebenen Worte Aktes klangen förmlich begeistert, und weil sie kurzsichtig war, näherte sie ihr süßes Gesicht dem Antlitz Lygias, um zu sehen, was für einen Eindruck ihre Worte gemacht hatten.

Lygia aber schlang im kindlichen Vertrauen die Arme um den Hals Aktes und sagte: „Du bist gut, Akte.“

Unendlich gerührt durch das hingebende Vertrauen Lygias, zog Akte das junge Mädchen an ihre Brust und sagte, sich allmählich ihren Armen entwindend: „Für mich gibt es kein Glück und keine Freude mehr, aber böse bin ich nicht.“ Ihre Augen füllten sich mit Tränen.

Ein längeres Schweigen trat ein. Als ihr Antlitz den gewohnten Ausdruck stiller Trauer angenommen hatte, sagte sie: „Sprechen wir von dir, Lygia. Du darfst nicht einmal daran denken, dem Kaiser Trotz zu bieten. Es wäre Wahnsinn. Doch beruhige dich. Hätte Nero dich für sich begehrt, so hätte man dich nicht auf den Palatin gebracht. Hier herrscht Poppäa, und seit sie ihm eine Tochter geboren, steht Nero mehr unter ihrem Einfluß denn je. Nein! Nero hat bisher noch nicht nach dir gefragt. Vielleicht hat er deine Auslieferung nur verlangt, um Aulus und Pomponia zu kränken ... Petronius schrieb an mich und empfahl dich meinem Schutze; da auch, wie du weißt, Pomponia an mich schrieb, geschah dies wohl im gegenseitigen Einverständnis.

„Ach, Akte,“ erwiderte Lygia, „Petronius war bei uns, kurz ehe man mich holte, und meine Mutter glaubt fest, Nero habe meine Auslieferung auf seine Veranlassung verlangt.“

„Das wäre schlimm,“ sagte Akte. Nach einem kurzen Nachdenken fügte sie hinzu: „vielleicht hat aber auch Petronius bei irgendeinem Nachtmahl dem Nero gegenüber nur erwähnt, er habe bei Aulus eine lygische Geisel gesehen, und Nero, der stets eiferfüchtig seine Macht behauptet, deine Auslieferung nur deshalb verlangt, weil jede Geisel dem Kaiser gehört. Vielleicht kennst du aber sonst jemand, der willig wäre, für dich einzutreten. Sahst du bei Aulus niemand, der dem Kaiser nahestände?“

„Vespasian und Titus sah ich oft.“

„Diese liebt der Kaiser nicht.“

„Und Seneka.“

„Wenn Seneka einen Rat gibt, tut Nero stets das Gegenteil.“

Tiefe Röte überflog das zarte Antlitz Lygias... „Und Vinicius.“

„Den kenne ich nicht.“

„Dieser ist ein Verwandter des Petronius und erst kürzlich aus Armenien zurückgekehrt ...“

„Glaubst du, daß Nero ihm zugetan ist?“

„Vinicius haben alle gern.“

„Und er würde sich für dich verwenden?“

„Ja!“

Akte lächelte gerührt und sagte: „Dann wirst du ihn gewiß beim heutigen Gastmahl sehen. Teilnehmen mußt du – schon deshalb, weil du nicht anders kannst. Komm, Lygia... Hörst du den Lärm im Palast? Die Sonne senkt sich, und die Gäste werden bald ankommen.“

„Du hast recht, Akte,“ erwiderte Lygia, „ich werde deinem Rate folgen.“

Was alles bei diesem Entschluß mitwirkte, der Wunsch, mit Vinicius und Petronius zusammenzutreffen, die weibliche Neugierde, zu erfahren, wie es bei einem solchen Gastmahl zugehe, das Interesse, den Kaiser, die berühmte Poppäa, die anderen Schönen und all diese unerhörte Pracht sehen zu können, von der man in Rom Wunder erzählte, darüber legte sich Lygia keine Rechenschaft ab. Wohl merkte sie aber, daß Akte in ihrer Art recht hatte. Sie mußte gehen, denn außer der geheimen Versuchung trat auch noch die Notwendigkeit hinzu.

Akte führte Lygia in ihr eigenes Unktuarium, um sie zu salben, zu schminken und umzukleiden. Obwohl es im Hause des Kaisers an Sklavinnen nicht mangelte, kleidete sie doch selbst das junge Mädchen, dessen Schönheit und Unschuld ganz ihr Herz eingenommen hatte. Dabei konnte sie sich eines Ausrufs des Staunens nicht erwehren beim Anblick dieser zugleich vollen und schlanken Gestalt, die in ihrer Zartheit aus Perlen und Rosen geschaffen zu sein schien.

„Lygia!“ rief sie. „Du bist ja hundertfach schöner als Poppäa.“ Das junge Mädchen, in dem strengen Hause der Pomponia aufgewachsen, wo auch im Verkehr der Frauen untereinander die größte Sittsamkeit beobachtet wurde, stand da wie ein Werk des Praxiteles und errötete sichtlich über das Benehmen Aktes.

Als Lygia noch ihr Haar löste, trat Akte näher, half die Haarnadeln entfernen und sagte weiter: „Und welch schönes Haar du hast. Goldpuder streue ich dir nicht darauf, denn von Natur schon schimmern sie golden. Nur ein ganz klein wenig, nur ganz leicht, will ich dem Schimmer nachhelfen, als ob ein Sonnenstrahl ihn erfrischt hätte ... Wunderbar muß euer Lygierland sein, wo solche Mädchen geboren werden.“

„Ich erinnere mich meiner Heimat nicht mehr,“ versetzte Lygia, „doch Ursus erzählte mir, daß es bei uns nur Wälder, nichts als Wälder gäbe.“

„In diesen Wäldern blühen Blumen,“ bemerkte Akte, während sie ihre Hand in eine Vase mit Verbenaöl tauchte und Lygias Haar damit benetzte.

Nach Beendigung dieser Arbeit salbte sie das junge Mädchen leicht mit duftendem Öl aus Arabien und bekleidete sie dann mit einer weichen, goldfarbenen Tunika ohne Ärmel, über welche ein schneeweißes Peplon kommen sollte. Doch da zuerst Lygias Haare geordnet werden mußten, warf sie ihr ein weites Gewand, Syntesis genannt, um, hieß sie in einen Armstuhl niedersetzen und übergab sie auf kurze Zeit den Händen von Sklavinnen, um selbst, etwas entfernt, das Frisieren zu überwachen. Zwei andere Sklavinnen zogen gleichzeitig Lygia weiße, purpurrot bestickte Schuhe an, welche sie über ihren alabasternen Knöcheln mit goldenen, kreuzweis gebundenen Bändern befestigte.

Als schließlich die Frisur beendet war, wurde ihr Peplon in kunstgerechte, weiche Falten gelegt, Akte schlang eine Perlenschnur um ihren Hals, bestäubte mit Goldpuder leicht die Wellen ihres Haares, befahl den Sklavinnen, sie nun auch anzukleiden und blickte dabei unverwandt auf die Lygierin.

Akte war schnell fertig, und als sich die ersten Sänften vor dem Haupttor zeigten, begaben sie sich in einen seitwärts gelegenen Kryptoportikus, von wo aus man einen guten Ausblick auf das Haupttor, die inneren Galerien und den von Säulen aus numidischem Marmor umschlossenen großen Hof genoß.

In immer größeren Scharen traten die Gäste unter den hohen Torbogen. Lygias Augen waren geradezu von dem Anblick geblendet, denn das bescheidene Haus des Aulus konnte ihr nicht die geringste Andeutung solcher Pracht geben. Es war dies kurz vor Sonnenuntergang, und die letzten Strahlen fielen auf den gelben numidischen Marmor der Säulen, der bald wie Gold aufflammte, bald rosenfarben schimmerte. Zwischen den Säulen und neben den weißen Statuen der Danaiden und andern Götter- und Heldengestalten aus Marmor wandelten Menschenscharen, Männer und Frauen, die, in ihre kunstreich geordneten, in weichen Falten bis zur Erde niederwallenden Togen und Mäntel gehüllt, über welche die erlöschenden Strahlen der untergehenden Sonne hinzitterten, wandelnden Statuen glichen. Akte wußte viele von diesen Männern und Frauen beim Namen zu nennen und fügte diesen oft die schrecklichsten Erläuterungen hinzu, die Lygia mit Staunen und Angst erfüllten. Es war für sie eine fremde Welt, deren Schönheit ihre Augen reizte, deren Widersprüche ihr kindlicher Geist aber nicht zu lösen vermochte. Anscheinend waren alle diese prächtig geschmückten Menschen glückliche, sorglose Halbgötter, aber Aktes Worte enthüllten ein schreckliches Geheimnis nach dem andern, das sich an den Palast und an diese Menschen knüpfte. Während sie lächelnd zum Fest gingen, wurde ihr Herz von Angst verzehrt, denn vielleicht waren sie morgen schon zum Tode verurteilt. Lygia konnte dies alles gar nicht fassen, und eine unaussprechliche Sehnsucht überkam sie nach der geliebten Pomponia Graecina, nach dem Hause des Aulus, wo die Liebe herrschte und nicht die Sünde.

Von dem Vicus Apollinis her strömten inzwischen wieder neue Gäste herbei. Der Hof und die Säulenhallen waren von einer Unzahl kaiserlicher Sklaven und Sklavinnen überflutet, von kleinen Knaben und von prätorianischen Söldlingen, denen die Wache im Palast oblag. Zwischen den weißen und dunklen Gesichtern konnte man auch schwarze Gesichter der Numidier sehen, die einen Helm mit großen wallenden Federn und große goldene Ringe in den Ohren hatten. Einige der Sklaven trugen Lauten und Zithern, andre Handlampen von Gold, Silber und Kupfer, oder trotz des Spätherbstes Sträuße künstlich gezogener Blumen. Lauter und lauter mischte sich der Lärm der Sprechenden in das Geplätscher der Springbrunnen, deren Strahl, durch den Glanz der untergehenden Sonne rosafarben schimmernd, aus der Höhe auf den Marmor niederstürzte und wie unter Klagetönen zerstiebte.

Akte war mit ihren Erzählungen zu Ende, Lygia aber schaute jetzt fortwährend umher, wie wenn sie jemand in dem Gedränge suchte. Da plötzlich überzog eine tiefe Röte ihr Antlitz. Aus einer der Säulenhallen traten Vinicius und Petronius hervor und schritten, in ihren weiten Togen und in ihrer ruhigen Schönheit den Halbgöttern gleich, dem großen Triklinium zu. Beim Anblick dieser bekannten Gesichter, besonders aber beim Anblick des Vinicius war es Lygia zumute, als ob ihr eine schwere Last vom Herzen falle. Sie fühlte sich augenblicklich weniger einsam. Das unsägliche Sehnen nach Pomponia und dem Hause des Aulus, das noch vor wenigen Minuten ihr ganzes Wesen erschüttert hatte, milderte sich mehr und mehr. Der Wunsch, Vinicius zu sehen und ihn zu sprechen, erstickte jede Besorgnis in ihr. Sie sehnte sich nach seiner weichen, angenehmen Stimme, die ihr von heißer Liebe, von einem göttergleichen Glück gesprochen, die wie Gesang an ihr Ohr getönt hatte.

Doch plötzlich erschrak sie über dieses sehnsüchtige Gefühl. Sie dachte an die neue reine Lehre, in der sie und Pomponia unterrichtet waren. Durfte sie dieser untreu werden! Sie fühlte sich schuldig und unwürdig. Es erfaßte sie eine Verzweiflung, und das Weinen war ihr nahe. Wäre sie allein gewesen, hätte sie sich auf die Knie geworfen, an die Brust geschlagen und ausgerufen: Mea culpa, mea culpa! Akte ergriff Lygias Hand, um sie durch die inneren Gemächer in das große Triklinium zu geleiten, wo das Festmahl stattfinden sollte. Dem Mädchen dunkelte es vor den Augen, ihre Pulse flogen, mühsam rang sie nach Atem. Wie im Traume sah sie auf den Tischen und an den Wänden Tausende von Lampen flimmern, wie im Traume hörte sie die Rufe, mit welchen man Nero begrüßte, wie durch einen Nebel erblickte sie ihn selbst, den Kaiser. Verwirrt von der Überfülle dieser Eindrücke ließ sie sich von Akte zu ihrem Sitz führen und nahm halb besinnungslos neben ihr Platz.

Nach einer kleinen Weile ließ sich eine wohlbekannte Stimme neben ihr vernehmen: „Sei gegrüßt, du schönste aller Jungfrauen der Erde, du lieblichste unter dem Sternenzelt! Sei gegrüßt, göttliche Callina!“

Lygia, die wieder etwas mehr Gewalt über sich gewonnen hatte, blickte auf und sah an ihrer Seite Vinicius lagern.

Er war ohne Toga, denn Sitte und Bequemlichkeit geboten, sie zum Festmahl abzulegen. So trug er nur eine scharlachfarbige, ärmellose Toga, die mit silbernen Palmen bestickt war. Die Arme waren nackt, nach orientalischer Sitte mit zwei breiten, goldenen Armringen geschmückt, auf dem Haupt trug er einen Kranz von Rosen. Mit den über der Nase zusammengewachsenen Brauen, den wundervollen Augen und dem gebräunten Antlitz war er die Verkörperung der Jugend und Kraft.

Lygia, die ihre erste Verwirrung überwunden hatte, fand ihn so schön, daß sie sich kaum zu der Antwort aufraffen konnte: „Sei mir gegrüßt, Markus!“

Er aber sprach weiter: „Glücklich sind meine Augen, weil sie dich sehen, glücklich meine Ohren, weil sie deine Stimme gehört, lieblicher als Flöten- und Kitharaklang! Ich wußte, daß ich dich in dem Hause des Kaisers treffen würde,“ fuhr er nach kurzem Schweigen wieder fort, „und doch konnte ich das Glück kaum fassen, so sehr erschütterte dein Anblick mein ganzes Wesen.“

Lygia, die allmählich ihre Besinnung wiedergewonnen hatte und zu Vinicius ein tiefes Vertrauen fühlte, fragte ihn nach allem, was sie innerlich bedrückte. Warum befand sie sich hier im Hause des Kaisers? Warum konnte sie nicht zu Pomponia zurückkehren? Und woher wußte er denn, daß er sie hier treffen würde?

Vinicius legte ihr dar, daß Aulus selbst ihm von ihrer Auslieferung an den Kaiser Mitteilung gemacht habe. Warum sie hier sei, wisse er nicht. Der Kaiser gebe keinem Menschen Rechenschaft über seine Entschlüsse und Befehle. Aber sie möge nur unbesorgt sein, denn er, Vinicius, sei bei ihr und werde bei ihr bleiben. Eher wolle er seine Augen einbüßen, als sie nicht sehen, lieber das Leben verlieren, als sie verlassen. Da sie sich im Hause des Kaisers ängstige, werde sie nicht mehr lange darin bleiben, das schwöre er ihr zu.

Obwohl seine Worte eigentlich nur Ausflüchte waren, klangen sie doch warm und überzeugend, denn sie entsprangen einem echten, innigen Gefühl. Aufrichtiges Mitleid erfüllte ihn, und als sie ihm dankte, als sie ihm versicherte, Pomponia werde ihm ewig zugetan bleiben für seine Güte, sie selbst aber werde sich ihm ihr ganzes Leben verpflichtet fühlen, da übermannte ihn die Rührung, und er fühlte, daß sie ihm unendlich teuer war.

Ringsum wurde der Lärm immer größer. Er aber rückte immer näher an sie heran und flüsterte ihr gute, süße, aus der Tiefe seiner Seele kommende Worte ins Ohr, wohllautend wie Musik und berauschend wie Wein.

Und er berauschte sie. Inmitten dieser fremden Menschen schenkte sie seinen Worten immer mehr Glauben, erschien er ihr immer liebenswürdiger, dünkte ihr seine Ergebenheit mehr und mehr vertrauenerweckend. Er hatte sie zu beruhigen gesucht, er hatte ihr versprochen, sie aus dem Palast zu befreien, sie nicht zu verlassen, sein Leben für sie einzusetzen. Im Hause des Aulus hatte er ihr zwar schon von der Liebe gesprochen, von dem Glück, das sie zu geben vermöge, jetzt aber sagte er ihr rückhaltlos, daß er sie liebe, daß sie ihm die Liebste und Teuerste sei. Zum ersten Male hörte Lygia solche Worte aus dem Munde eines Mannes, und während sie lauschte, war es ihr, als ob sie aus einem Traum erwache, als ob ihr ein Glück zuteil werde, das unermeßliche Wonne, aber auch unermeßliches Leid in sich berge. Ihre Wangen glühten, ihr Herz pochte ängstlich und ihre Lippen öffneten sich verwundert. sie erschrak, als sie solche Dinge hörte, und doch hätte sie um nichts in der Welt ein Wort dabei verlieren mögen.

Es war in Rom üblich, bei den Festgelagen zu liegen, doch in ihrem bisherigen Heim hatte Lygia den Platz zwischen Pomponia und dem kleinen Plautius. Jetzt aber lagerte neben ihr der junge, starke und von Liebe entbrannte Vinicius; sie fühlte dessen Glut und empfand ein schamhaftes Wonnegefühl. Eine Ohnmacht, Mattigkeit und Selbstvergessenheit kam über sie, sie war im Traum.

Aber auch ihre Nähe wirkte mehr und mehr auf Vinicius ein. Todesblässe überzog sein Antlitz, seine Gedanken begannen sich zu verwirren; durch seine Adern floß Feuer, das er vergeblich mit Wein zu löschen suchte. Schließlich faßte er ihren Arm über dem Handgelenk, wie er dies schon einmal im Hause des Aulus getan hatte, und er flüsterte, sie zu sich ziehend, mit bebenden Lippen: „Ich liebe dich, Callina ... du meine Göttin!“ „Lasse mich los, Markus!“ sagte Lygia.

Er aber sagte weiter mit leidenschaftlich erregtem Blick: „Meine Göttliche! Liebe mich!“

Doch in diesem Augenblick machte sich die Stimme Aktes vernehmlich, die an Lygias anderer Seite ruhte: „Der Kaiser sieht auf euch.“

Ein jäher Zorn über den Kaiser wie über Akte erfaßte den Jüngling. Aktes Worte hatten den Zauber gebrochen. Selbst die Stimme des Freundes hätte in diesem Augenblick den Groll des jungen Mannes erregt, bei Akte setzte er jedoch auch noch voraus, sie wolle ihn in seinem Gespräch mit Lygia stören.

Aber er blickte doch beunruhigt nach der Seite, wo der Kaiser saß, und auch Lygia, die Nero während ihres Gesprächs mit Vinicius nicht beachtet hatte, wendete ihm nun auch ihre erschrockenen Augen zu. Akte hatte sich nicht getäuscht. Der Kaiser neigte sich nach vorne über den Tisch, drückte ein Auge zu und beobachtete sie durch seinen runden geschliffenen Smaragd, dessen er sich immer bediente. Während eines Moments begegnete sein Blick dem Lygias, und das Herz des jungen Mädchens krampfte sich entsetzt zusammen. Wie ein erschrockenes Kind haschte sie nach des Vinicius Hand, und wirre Gedanken kreuzten sich in ihrem Hirn.

Also das war er? Der Schreckliche, der Allmächtige? Sie hatte ihn bisher nie gesehen und sich ihn anders vorgestellt. Ein furchtbares Antlitz mit grausamen, starren Zügen war ihr vorgeschwebt, und was erblickte sie nun? Einen ungewöhnlich großen, auf einem Stiernacken sitzenden Kopf, der eher lächerlich wirkte als schrecklich, weil er von fern dem Kopf eines Kindes ähnelte. Die amethystfarbige Tunika, die den gewöhnlichen Sterblichen zu tragen verboten war, warf einen bläulichen Abglanz auf sein breites, kurzes Gesicht. Das dunkle Haar trug er kurz, in vier Lockenreihen geordnet. Seinen Bart hatte er vor kurzem dem Jupiter geopfert, wofür ihm ganz Rom Danksagungen darbrachte, obwohl man sich im geheimen zuflüsterte, dies sei nur geschehen, weil sein Bart, wie bei allen Familienmitgliedern, feuerrot zu werden drohte. Auf der über den Augen kräftig hervortretenden Stirn lag aber doch etwas Übermenschliches. Die zusammengezogenen Brauen verkündeten das Bewußtsein von Allmacht; doch unter der Halbgottstirn lag ein Gesicht, das eher einem Affen glich und an einen Komödianten, einen Trunkenbold erinnerte. Trotz der Jugend war das Gesicht von wechselnden Begierden durchwühlt, schon fett und sah kränklich und verfallen aus. Lygia erschien es unheilverkündend, aber vor allem höchst widerwärtig.

Nach einer Weile legte er den Smaragd hin, und Lygia konnte seine hervorstehenden blauen Augen sehen, die unter dem strahlenden Glanze des Lichtmeers beständig blinzelten und einen gläsernen, gedankenlosen Ausdruck hatten, wie die Augen eines Toten.

Zu Petronius gewendet, sagte er in diesem Augenblick: „Ist das jene Geisel, in die Vinicius verliebt ist?“

„Sie ist es,“ versetzte Petronius. „Vinicius findet sie hübsch?“

„Hülle einen morschen Stamm eines Ölbaumes in das Gewand eines Weibes, und Vinicius wird ihn schön finden. Doch auf deinen Zügen, du unvergleichlicher Kenner, lese ich schon dein Urteil über sie. Bemühe dich nicht, es auszusprechen! Ganz richtig, sie ist viel zu mager und armselig, der reine Mohnkopf auf schlankem Stengel! Ich habe schon viel von dir gelernt, aber den sicheren Blick wie du besitze ich noch nicht!“

Die Lustbarkeit bei dem Festgelage steigerte sich mehr und mehr. Eine Schar von Sklaven trug fortwährend neue Gerichte auf; aus den großen, efeuumkränzten und schneegefüllten Gefäßen wurden alle Augenblicke kleinere Behälter ausgehoben, welche die verschiedensten Weingattungen enthielten. Es wurde übermäßig viel getrunken. Langsam fielen von der Decke Rosen auf die Tafel und die Gäste.

Petronius bat jetzt Nero, das Fest durch seinen Gesang zu verherrlichen, ehe sich die Gäste vollends betrunken hätten. Ein Chor von Stimmen unterstützte seine Worte, aber Nero weigerte sich. Nicht nur seine Befangenheit verbiete ihm, dem allgemeinen Wunsche zu willfahren, erklärte er, sondern noch ein anderer Grund. Zwar koste es ihn immer eine große Überwindung, öffentlich aufzutreten, und er tue dies überhaupt nur, weil er diese Göttergabe, seine Stimme, mit der ihn Apollo beglückt habe, nicht verkümmern lassen dürfe. Er begreife sogar, daß er in dieser Beziehung gegen das Reich Verpflichtungen habe. Jetzt sei er aber tatsächlich heiser, so daß er sich mit dem Gedanken trage, nach Antium zu reisen, um wieder einmal Seeluft zu atmen.

Aber der Dichter Lukanus beschwor ihn nun, im Namen der Kunst und der Menschheit nachzugeben. Erst durch seinen Gesang stemple er das Fest zu einem wirklichen Fest. Ein so guter Herrscher wie Nero dürfe seine Untertanen nicht um eine solche Freude bringen. „Sei nicht grausam, Cäsar!“ schloß Lukanus seine Rede.

„Sei nicht grausam, Cäsar!“ wiederholten alle, die in der Nähe saßen.

Nero breitete die Hände aus, zum Zeichen, daß er nachgeben müsse, und aller Augen wendeten sich mit dem Ausdruck des Dankes auf ihn. Doch er ließ noch vorher Poppäa benachrichtigen, daß er singen werde; sie hatte sich zwar, wie er erzählte, eines Unwohlseins wegen vom Mahl fern gehalten, aber da ihr keinerlei Arznei je so helfe wie sein Gesang, wolle er ihr die Gelegenheit zugute kommen lassen.

Poppäa erschien unverzüglich. Obwohl sie Nero noch völlig beherrschte, wußte sie doch, daß es gefährlich war, ihn zu reizen, wenn seine Eitelkeit als Sänger, Wagenlenker oder Dichter ins Spiel kam. Schön wie eine Göttin trat sie alsbald ein; sie war wie Nero in ein amethystfarbiges Gewand gehüllt, trug ein prächtiges Perlenhalsband und sah mit ihrem Goldhaar und dem sanften Blick noch völlig mädchenhaft aus.

Sie wurde mit lebhaften Zurufen als „göttliche Augusta“ begrüßt.

Lygia hatte noch niemals in ihrem Leben eine solche Schönheit gesehen, und kaum traute sie ihren Augen. Nur zu wohl wußte sie, daß Poppäa Sabina eines der verworfensten Weiber der Welt war. Sie wußte von Pomponia, daß sie es war, die den Kaiser zur Ermordung der Mutter und Gattin bewogen hatte. Und doch dünkte es ihr beim Anblick dieser berüchtigten Frau, in der die Anhänger Christi die Verkörperung alles Bösen und Sündhaften sahen, als ob die Engel und himmlischen Geister nicht anders aussehen könnten. Unwillkürlich entrang sich ihren Lippen die Frage: „Ach, Markus, kann dies möglich sein?“

Aber er, bereits etwas berauscht und zudem ungeduldig, weil so viele Dinge ihre Aufmerksamkeit von ihm und seiner Unterhaltung abwendeten, sagte: „Ja, sie ist schön, aber du bist hundertmal schöner! Schau nicht mehr hin. Wende den Blick zu mir! Berühre diesen Becher mit deinen Lippen, dann presse ich auf dieselbe Stelle die meinen.“

Er rückte ihr näher, sie aber zog sich gegen Akte zurück. Doch in diesem Augenblick gebot man Stille, denn der Kaiser war aufgestanden. Der Sänger Diodor reichte ihm eine Laute, Delta genannt, während Terpnos, der den Gesang des Kaisers mit seinem Spiele begleiten sollte, sich ihm mit seinem Instrument näherte. Nero stützte seine Laute auf den Tisch und richtete seine Blicke in die Höhe. Lautlose Stille herrschte im Triklinium, nur das Geräusch der von der Decke fallenden Rosen war von Zeit zu Zeit hörbar.

Nun fing er an zu singen, oder vielmehr er trug in einem sangesähnlichen rhythmischen Tone seinen Hymnus an die Liebesgöttin vor, unter Begleitung zweier Lauten, weder die Stimme, obwohl sie etwas verschleiert klang, noch die Verse waren schlecht, und der armen Lygia erschien der Hymnus, trotzdem er an eine unreine, heidnische Göttin gerichtet war, sogar sehr schön, weshalb ihr auch der Kaiser viel weniger abstoßend vorkam wie zu Beginn des Festes.

Kaum hatte er geendet, brachen die Gäste in einen wahren Beifallssturm aus. Der Ruf: „O welche Götterstimme!“ erscholl ringsum; einige Frauen hatten die Hände erhoben und behielten diese Stellung zum Zeichen ihrer Verzückung auch nach Beendigung des Gesanges bei; andre fuhren sich mit der Hand über die tränenfeuchten Augen; im ganzen Saale herrschte ein Summen wie im Bienenkorb. Poppäa aber hatte das goldig schimmernde Haupt geneigt und Neros Hand an ihre Lippen gezogen, worauf sie seine Finger lange schweigend in den ihren hielt.

Nero richtete seine Blicke jedoch begierig auf Petronius, um dessen Lobsprüche es ihm am meisten zu tun war, und dieser sprach: „Was die Musik betrifft, so muß Orpheus jetzt gerade so gelb vor Neid sein wie unser Lukanus hier, und was die Verse anbelangt, so bedauere ich nur, daß sie nicht schlechter sind, weil ich dann doch vielleicht passende Worte zu ihrem Preise fände.“

Da Petronius ein erstaunliches Gedächtnis besaß, so wiederholte er einige Absätze des Hymnus und hob die schönsten Wendungen hervor, während Lukanus, der wegen des Hinweises auf seine Eifersucht gar nicht zürnte, sein Schicksal beklagte, das ihn neben einen so großen Dichter gestellt hatte. Auf Neros Antlitz spiegelte sich stille Wonne und bodenlose Eitelkeit, die nicht nur an Dummheit grenzte, sondern ihr schon ganz ähnlich war. Er fing nun selbst an, die Verse hervorzuheben, die ihm als die schönsten erschienen, und tröstete schließlich sogar Lukanus; er sprach ihm Mut zu und sagte, daß jeder nur das sei, als was er geboren werde.

Darauf erhob er sich, um Poppäa hinauszugeleiten, die sich in der Tat unwohl fühlte und sich zurückzuziehen wünschte. Er befahl den Festteilnehmern, Platz zu behalten, seine Rückkehr ankündend. Wirklich erschien er auch bald wieder, um sich an dem ihm gestreuten Weihrauch zu berauschen umd sich an den weiteren Festvorstellungen zu ergötzen, die von ihm, von Petronius oder von Tigellinus zur Verherrlichung des Festes vorbereitet waren.

Von der Decke fielen fortwährend Rosen herab, und der halb trunkene Vinicius sprach zu Lygia: „Ich sah dich im Hause des Aulus an der Fontäne, und ich liebte dich. Götter und Menschen suchen Liebe! Birg dein Haupt an meiner Brust und drücke die Augen zu!“

Lygia erschrak, sie glaubte in einen Abgrund zu versinken, Vinicius, von dem sie Rettung erhofft hatte, er selber war es, der sie in diesen Abgrund zog. Eine unendliche Bangigkeit ergriff sie, und wenn es ihr auch war, als flüstere ihr Pomponias Stimme zu, sie solle sich retten und fliehen, so sah sie sich doch vergebens nach einer Möglichkeit um, von hier zu entfliehen. Sie wußte, daß unter Androhung kaiserlicher Ungnade niemand sich erheben durfte, ehe der Kaiser vom Tisch aufstand, aber wenn auch dem nicht so gewesen wäre, so hätte sie nicht mehr die Kraft dazu besessen.

Das Gastmahl war indessen noch lange nicht beendet, Sklaven trugen immer neue Gerichte auf und füllten unermüdlich die Becher, und vor dem in Hufeisenform aufgestellten Tisch erschienen zwei Athleten, um vor den Gästen einen Ringkampf aufzuführen.

Gleich begann der Ringkampf. Die muskulösen, von Öl glänzenden Gestalten der Ringenden schienen beim Ringkampf einen einzigen Klumpen zu bilden; die Glieder knackten unter der eisernen Umarmung, aus den zusammengepreßten Kinnladen drang ein unheilverkündendes Knirschen. Mit Kennerblick und voll Entzücken folgten die Augen der Römer dem Spiele der schauerlich angespannten Rücken-, Waden- und Armsehnen. Doch der Kampf währte nicht lange, denn Kroton, der Meister und Vorsteher der Gladiatorenschule, galt nicht umsonst für den stärksten Mann im ganzen Reiche, sein Gegner begann immer rascher zu atmen, dann röchelte er, das Gesicht nahm eine bläuliche Farbe an; er warf Blut aus und sank wie leblos zu Boden.

Ein Beifallssturm belohnte das Ende des Kampfspiels, und Kroton stützte den Fuß auf den Rücken des gefallenen Gegners, kreuzte die mächtigen Arme über der Brust und ließ den triumphierenden Blick im Saale umherschweifen. Nach ihm traten Tier- und Tierstimmen-Nachahmer auf, Gaukler und Possenreißer, die aber nur wenig Beachtung fanden, denn der Wein begann den Blick der Zuschauer zu trüben. Das Gastmahl artete allmählich in ein wüstes Trinkgelage, in eine wahre Orgie aus.

Petronius war noch nüchtern. Nero jedoch, der anfangs aus Rücksicht auf seine „Götterstimme“ nur wenig getrunken hatte, leerte schließlich Becher auf Becher und berauschte sich ganz und gar. Umsonst versuchte er nochmals einige Strophen aus seiner Dichtung vorzutragen, aber er hatte alles vergessen. Auch die ihn begleitenden Musiker fanden keinen Takt mehr, und allmählich waren alle am Tische, Männer und Frauen, schwer berauscht.

Vinicius war nicht minder betrunken als die andern. Zu der aufflammenden Begierde gesellte sich die Händelsucht, wie immer, wenn er das Maß überschritt, sein bräunliches Antlitz war bleich und seine Zunge unsicher, als er in lautem, befehlendem Tone sagte: „Reiche mir deine Lippen zum Kusse! Heute oder morgen, das ist gleich! Der Kaiser nahm dich dem Aulus, um dich mir zu schenken, verstehst du? Morgen in der Dämmerstünde sende ich um dich, verstehst du?... Reiche mir deine Lippen! ... Du mußt mein sein!“

Er umschlang sie mit seinen Armen, aber Akte schützte sie, und auch Lygia verteidigt sich mit dem Rest ihrer Kräfte. Doch umsonst mühte sie sich, mit ihren Händen seine Arme von sich fernzuhalten. Sein nach Wein riechender Atem fauchte sie an, und sein Gesicht kam dem ihren schon ganz nahe. Sie fühlte sich verloren, doch in diesem Augenblick wurden die Arme des Vinicius von des Mädchens Nacken mit einer Leichtigkeit losgelöst, als ob es die Arme eines Kindes wären, er selbst aber wurde zur Seite geschoben wie ein dürres Zweiglein oder ein welkes Blatt. Vinicius rieb sich die erstaunten Augen, schaute empor und sah die Riesengestalt des Lygiers Ursus vor sich stehen, der ihm vom Hause des Aulus her bekannt war. Der Lygier stand ruhig und sah mit seinen blauen Augen Vinicius so sonderbar an, daß dem jungen Manne das Blut in den Adern stockte. Dann nahm der Sklave sein Königskind auf den Arm und verließ mit gleichen, ruhigen Schritten das Triklinium. Akte folgte gleich nach.

Vinicius saß einen Augenblick wie versteinert, dann aber sprang er auf, um ihm nachzueilen. Doch überwältigt von seiner Trunkenheit begann er zu schwanken. Er strauchelte und stürzte zu Boden.

Der größte Teil der Gäste lag schon unter den Tischen. Andre lagen schlafend auf den Polstern an der Tafel und schnarchten. Und auf diese ganze bekränzte und betrunkene Menge, auf diese allmächtige und doch schon dem Untergange geweihte Welt fiel aus dem goldenen Netz an der Decke Rose auf Rose herab. Draußen graute der Tag.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Quo Vadis?