Kapitel 49 - Die Dämmerstunde war noch nicht angebrochen, als schon die ersten Volkswogen sich ...

Die Dämmerstunde war noch nicht angebrochen, als schon die ersten Volkswogen sich in des Cäsars Garten ergossen. In Feiertagskleidern, mit Blumen bekränzt, ausgelassen singend, zum Teil auch betrunken, harrte die Menge des neuen Schauspiels. Man hatte auch schon früher in Rom gesehen, wie an Pfählen angebundene Menschen bei lebendigem Leibe verbrannt wurden, aber noch nie in dieser Menge. Der Cäsar und Tigellinus wollten mit den Christen ganz aufräumen und der in den Kerkern ausbrechenden Seuche ein Ende machen. Diese Seuche verbreitete sich auch schon in der Stadt, alle Kerker wurden daher geräumt.

In den Gärten waren in den Haupt- und Seitenalleen und in den Gebüschen mit Pech bestrichene Säulen aufgestellt; rings um die Wiesen, Teiche und Inseln standen diese Säulen, an die man die Christen festband und dann mit Blumen, Myrten- und Efeugewinden schmückte. Die große Anzahl übertraf selbst die Erwartungen des Volkes. Man hätte glauben können, ein ganzes Volk sei zum Vergnügen der Römer und ihres Herrschers an die Pfähle gebunden worden. Die drängenden Haufen der Zuschauer machten vor einzelnen Pfählen Halt, wenn die Gestalt eines Opfers ihre Aufmerksamkeit erregte.


Waren das in der Tat lauter Schuldige? Konnten all die kleinen Kinder, die kaum erst zu gehen vermochten, Rom in Brand gesteckt haben? Solche und ähnliche Fragen wurden laut, und in das allgemeine Staunen mischte sich eine leise Unruhe.

Inzwischen war es Abend geworden, und am Himmel blinkten die Sterne. Da trat je ein Sklave mit einer brennenden Fackel vor jeden Verurteilten hin, und als die Trompeten das Zeichen zum Beginne des Festes gaben, wurden alle Pfähle von unten auf in Brand gesteckt.

Das unter den Blumengewinden verborgene, pechgetränkte Stroh brannte schnell lichterloh, und die Flammen schlugen hoch in die Höhe.

Das Volk horchte stumm dem Wehgeschrei dieser einzigen, ungeheuren Klage, die durch die Gärten hallte. Einige Opfer sangen, die Köpfe zum Sternenhimmel erhoben, von den kleineren Pfählen aber riefen herzzerreißende kindliche Stimmen: Mutter! Mutter! Da erfaßte ein Grauen diese Römer, selbst die härtesten Herzen wurden gerührt, sogar die Trunkenen schauerten zusammen. Sobald der Geruch verbrannter Haare, verbrannten Fleisches sich bemerkbar machte, wurden durch Sklaven Myrrhe und Aloe zwischen die Pfähle gestreut.

Gleich bei Beginn dieser Vorstellung erschien der Cäsar auf seiner prachtvollen Quadriga, die von vier Schimmeln gezogen wurde. Andere Wagen folgten, in denen Senatoren, Priester und bekränzte Bacchantinnen mit Weinkrügen in den Händen saßen, teilweise schon betrunken und brüllend. Dann folgten Musiker mit Zithern, Formingen, Pfeifen und Trompeten. Wieder kamen Wagen mit Matronen und römischen Jungfrauen, fast alle trunken. Der mächtige Zug der Aristokratie Roms bewegte sich unter Evoe-Rufen durch die Hauptalleen inmitten der menschlichen Fackeln.

Der Kaiser hatte Tigellinus und Chilon bei sich, an dessen Entsetzen er sich zu weiden gedachte; er fuhr langsam und betrachtete mit Wohlgefallen die brennenden Leiber. Hoch oben auf der goldenen Quadriga stehend, überragte er den ganzen Hofstaat um Haupteslänge; er sah aus wie ein Riese. Seine ausgestreckten Arme hielten die Zügel, und auf seinen Zügen lag ein Lächeln. Er strahlte über der sich verneigenden Volksmenge wie eine Sonne, oder wie eine schreckliche, aber schöne und mächtige Gottheit.

Zeitweise machte er Halt und blickte scharf in die Gesichter der Fackeln; am längsten verweilte er bei Kinder- und Jungfrauenfackeln und betrachtete ihre schmerzverzerrten Züge. Dann wieder nickte er seinem Volke zu und unterhielt sich mit Tigellinus. Schließlich fuhr er zu der großen Fontäne, die am Kreuzungspunkte zweier Wege lag, verließ die Quadriga und mischte sich unter das Volk.

Man begrüßte ihn stürmisch, und von den Bacchantinnen, Nymphen, Senatoren, Augustianern und Soldaten begleitet, zur Rechten Tigellinus, zur Linken Chilon, umkreiste er die Fontäne, die von fast fünfzig lebenden Fackeln taghell erleuchtet war. Vor jeder Fackel blieb er stehen, betrachtete die Gesichtszüge und machte sich über den alten Griechen lustig, der ganz verzweifelt vorwärts wankte.

Vor einem hohen, mit Rosen- und Myrtengewinden geschmückten Mastbaum hielt Nero den Schritt an. Das Feuer züngelte schon bis zu den Knien des Opfers empor, dessen Gesicht anfangs nicht zu erkennen war, da Rauchwolken es verhüllten. Doch als ein leichtes Lüftchen den Qualm zerteilte, wurde der Kopf eines Greises mit langem, grauem Barte sichtbar.

Bei seinem Anblick krümmte sich Chilon wie eine verwundete Schlange, und seiner Brust entrang sich ein Schrei, mehr einem Gekrächze denn einem menschlichen Laute ähnlich:

„Glaukus! – Glaukus!“

Diese lebende Fackel war der Arzt Glaukus. Der Arzt lebte noch, aber sein Antlitz war schmerzverzerrt, und er neigte den Kopf vor, um noch einmal denjenigen zu sehen, der ihm Weib und Kind geraubt, der ihn den Räubern verkauft und der ihn, nachdem er um Christi willen dem Beleidiger alles verziehen, schmählich verraten hatte. Wohl nie hatte ein Mensch dem anderen herberes Leid zugefügt, und nun brannte das Opfer am Pfahle, während der Henker zu seinen Füßen stand!

Die Augen des Arztes waren auf Chilon gerichtet. Chilon wollte fliehen, aber er konnte nicht, seine Füße waren schwer wie Blei, und eine unsichtbare Hand schien ihn bei dem Pfahle festzuhalten. Er schien versteinert zu sein. Ununterbrochen starrte er in die Höhe, und der andere neigte immer tiefer den Kopf herab. Die Anwesenden errieten, daß zwischen den beiden etwas Außergewöhnliches vorgehe, und das Lächeln dieser verrohten Gesellschaft schwand. Chilon war gräßlich anzusehen, seine Züge waren von Qual und Entsetzen entstellt, als sei sein eigener Leib ein Raub der Flammen. Plötzlich wankte er und rief in herzzerreißendem Tone, indem er die Arme in die Höhe streckte:

„Glaukus! Im Namen des Erlösers! Verzeihe mir!“

Es wurde still ringsum; die Anwesenden schauerten zusammen, und die Blicke aller richteten sich unwillkürlich in die Höhe.

Das Haupt des Märtyrers bewegte sich matt, und von der Spitze des Mastbaumes herab hörte man ein Stöhnen gleich den Worten: „Ich verzeihe!“

Chilon warf sich auf das Gesicht. Laut wie ein Tier heulend, bestreute er sein Haupt mit Erde. Die Flammen züngelten immer höher empor; sie fraßen an der Brust und dem Haupte des Glaukus, ergriffen den Myrtenkranz und steckten die flatternden Bänder in Brand. Die ganze Säule brannte jetzt in grellem Lichtschein.

Da erhob sich Chilon. Er war so verwandelt, daß die Augustianer ihn kaum wiedererkannten. Seine Augen glänzten, von seiner Stirne strahlte Begeisterung. Der noch vor kurzem so unbeholfene Grieche glich einem Priester, aus dem die Gottheit spricht.

„Was geht mit ihm vor? Er ist verrückt geworden!“ riefen einige Stimmen.

Er aber wandte sich zu den Umstehenden, streckte die rechte Hand in die Höhe und rief mit so lauter Stimme, daß es nicht nur die Augustianer, sondern auch das weiter zurückstehende Volk hören konnte:

„Volk von Rom! Ich schwöre bei meinem Tode, daß hier Unschuldige zugrunde gehen! Der Brandstifter ist – dieser hier!“ Und er zeigte mit dem Finger auf Nero.

Es entstand eine tiefe Stille, man hörte nur das Prasseln der Flammen. Die Höflinge waren starr. Chilon stand noch immer, mit der zitternden Rechten auf den Kaiser zeigend.

Plötzlich trat Verwirrung ein, die Leute warfen sich wie eine Sturmwelle nach der Stelle, wo der Greis stand, um diesen in der Nähe zu sehen. Man hörte die Rufe: „Haltet ihn!“, andere wieder schrien: „Wehe uns!“ Dann pfiff und heulte die ganze Menge: „Ahenobarbus! Muttermörder! Mordbrenner!“

Die allgemeine Verwirrung stieg mit jedem Augenblick. Schreiend stürzten sich die Bacchantinnen auf die Wagen, und als einige Flammensäulen krachend zusammenstürzten und ein Funkenregen umhersprühte, ward Chilon plötzlich von seinen Begleitern getrennt und befand sich inmitten einer fliehenden Menschenmenge. Die Pfähle waren verkohlt, und fielen in jeder Richtung über die Wege, die Luft mit Qualm, Funken und dem Geruch verbrannten Holzes und versengten Fleisches füllend. Ein Licht um das andere erstarb. Dunkelheit legte sich allmählich über den Garten. Die erschreckte, verwirrte, erbitterte Menge drängte den Toren zu. Die Kunde des Geschehenen wanderte von Mund zu Mund, entstellt und vergrößert. Hier und dort ließen sich Stimmen des Mitleids mit den Christen vernehmen. „Wenn sie Rom nicht angezündet haben, warum so viel Blut, so viel Qual und Ungerechtigkeit? Werden die Götter die Schuldlosen nicht rächen? Welche Opfer vermögen sie zu besänftigen?“

Die Worte: Unschuldige Menschen! erschallten öfter und öfter. Frauen bedauerten, daß man so viele Kinder den wilden Tieren vorgeworfen, ans Kreuz genagelt oder in diesen fluchbeladenen Gärten lebendig verbrannt hatte. Schließlich fluchte man dem Cäsar und Tigellinus. Mehr als einer blieb plötzlich stehen, und fragte sich oder andere: Welche Gottheit ist das, die solche Stärke in der Marter und in dem Tode verleihen kann? – Und nachdenklich schritten sie heimwärts.

Chilon irrte eine Zeitlang in den Gärten umher, wo es inzwischen dunkel geworden war. Nur der Mond lugte mit fahlem Scheine durch die Bäume der Alleen. Chilon suchte sich vor ihm zu verstecken, ihm war, als sehe ihn die Mondscheibe mit den Augen des verbrannten Märtyrers an. Er war im Kreise umhergeirrt und befand sich nun wieder in der Nähe der Fontäne, wo Glaukus seine Seele ausgehaucht hatte. Hier brach er erschöpft zusammen.

Da berührte eine Hand seinen Arm. Der Greis wandte den Kopf, und als er einen Fremden vor sich sah, rief er entsetzt:

„Wer bist du?“

„Paulus von Tarsos, der Apostel!“

„Ich bin verflucht! Was willst du noch?“

„Ich will dich erlösen,“ erwiderte der Apostel.

Chilon lehnte sich an einen Baumstamm. Die Knie zitterten unter ihm, und seine Arme hingen leblos herab.

„Für mich gibt es keine Erlösung mehr,“ sagte er dumpf. „Hast du denn nicht gehört, daß auch Christus dem reuigen Schächer am Kreuze verziehen hat?“ fragte Paulus.

„Weißt du auch, was ich getan habe?“

„Ich sah deinen Schmerz und hörte, wie du die Wahrheit bezeugtest.“

„O Herr!“

„Und wenn dir der Diener Christi in seiner qualvollen Todesstunde verzieh, wie sollte Christus dir nicht verzeihen?“

Chilon ergriff seinen Kopf wie wahnsinnig.

„Verzeihung? Für mich – Verzeihung?“

„Unser Gott ist ein Gott des Erbarmens!“ versetzte der Apostel. Und er führte ihn weiter durch die Alleen, vom Plätschern des Springbrunnens begleitet, der über die Leichen der Märtyrer zu weinen schien.

„Unser Gott ist ein Gott der Barmherzigkeit!“ wiederholte Paulus. „Auch ich habe ihn gehaßt und seine Auserwählten verfolgt! Ich glaubte nicht an ihn, bis er mir erschien und mich berief, seine Lehren zu verbreiten. Seitdem liebe ich ihn mehr als mein Leben. Er hat dich mit Angst und Leid heimgesucht, um dich zu berufen. Du haßtest ihn, er aber liebte dich. Du hast seine Bekenner verraten, er aber will dich erlösen!“

Chilon warf sich stöhnend auf die Knie und verharrte so unbeweglich, das Antlitz in den Händen verborgen.

Paulus aber blickte zu den Sternen empor und betete: „Herr, sieh diesen Elenden, sieh seine Tränen und seine Reue! Herr des Erbarmens, der du dein Blut für unsere Sünden vergossen hast, vergib ihm um deiner Marter, deines Todes und deiner Auferstehung willen!“

Paulus näherte sich dem Springbrunnen, schöpfte Wasser in die hohle Hand und kehrte zu dem Knienden zurück. „Chilon! ich taufe dich im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen!“

Chilon hob den Kopf, breitete die Arme aus und blieb regungslos. Das helle Mondlicht fiel auf sein weißes Haar, sein blasses, unbewegliches Gesicht. Die Zeit rückte immer mehr vor, aus den Vogelhäusern des Domitius hörte man das Krähen der Hähne, und er kniete noch immer und sah einem Grabdenkmal ähnlich.

Endlich raffte er sich auf und fragte, zum Apostel gewendet: „Was soll ich nun tun?“

„Vertraue und lege Zeugnis für die Wahrheit ab!“ sagte Paulus.

Hierauf verließen beide die kaiserlichen Gärten. An der Wohnung des Apostels verließ Chilon diesen, denn er wußte, daß man nach dem Vorgange nach ihm suchen werde.

Darin sollte er sich nicht getäuscht haben. Als er sich seinem Hause näherte, sah er es schon von Prätorianern umzingelt, die ihn auch alsbald ergriffen und unter Anführung des Scaevinus nach dem Palatin führten. Der Kaiser hatte sich schon zur Ruhe begeben, doch Tigellinus erwartete ihn mit ruhiger, aber unheilverkündender Miene.

„Du hast die Majestät beleidigt,“ sagte er, „und die Strafe wird nicht ausbleiben! Doch wenn du morgen im Amphitheater widerrufst und die Christen als die Brandleger bezeichnest, sollst du zu Rutenstreichen und Verbannung begnadigt werden!“

„Das kann ich nicht, Herr!“ sagte Chilon.

„Warum kannst du das nicht, du Hund?“ erwiderte Tigellinus, sich ihm nähernd, während er auf eine Bank und auf vier im Morgendunkel des Atriums stehende Sklaven zeigte, welche Stricke und große Zangen in den Händen hielten.

„Ich kann es nicht!“ wiederholte Chilon.

Da auf vielerlei Drohungen und Vorstellungen Chilon zum Widerruf nicht zu bewegen war, nahmen ihn die Sklaven, schnallten ihn auf die Bank und zwickten ihn mit Zangen, bis das Blut hervortrat, und als dies noch nicht zum Ziele führte, befahl Tigellinus, ihm die Zunge auszureißen.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Quo Vadis?