Kapitel 36 - In den vornehm gehaltenen Gärten des Cäsar wurden Volkslager errichtet. Das gleiche ...

In den vornehm gehaltenen Gärten des Cäsar wurden Volkslager errichtet. Das gleiche geschah auf dem Campus Martius und in den Gärten des Pompejus, des Sallust und des Mäcenas, in Säulenhallen, Spiel- und prächtigen Sommerhäusern und in Gebäuden, die als Behausung der Bestien errichtet worden waren. Pfauen, Flamingos, Schwäne, Strauße, Gazellen, afrikanische Antilopen und Wild, Zierden jener Gärten, fielen unter den Messern des Pöbels. Die Mundvorräte trafen jetzt in solcher Fülle von Ostia ein, daß man wie auf einer Brücke über Schiffe, Boote, Barken von einem Ufer des Tiber zum anderen gelangen konnte. Der Weizen wurde zu dem unerhört niedrigen Preise von drei Sesterzien verkauft und an Arme umsonst verteilt. Ungeheure Zufuhren von Wein, Oliven, Kastanien kamen nach; vom Gebirge wurden täglich Schafe und Rinder in die Stadt getrieben. Arme Leute, die sich vor dem Brande in den Gassen der Subura verborgen gehalten und in gewöhnlichen Zeiten vor Hunger beinahe umgekommen wären, führten jetzt ein angenehmes Leben.

Die Gefahr des Hungertodes war vollständig beseitigt, schwieriger hielt es, Raub, Mord und Betrug niederzuhalten. Das allgemeine unstäte Leben sicherte den Dieben Straflosigkeit, und dies um so leichter, als sie sich für Bewunderer des Cäsar erklärten und ihn, wo immer er sich zeigte, mit Beifall überschütteten. Es fehlte überhaupt an militärischer Kraft, um Ordnung in einer Stadt zu halten, unter deren Bewohnern sich die Hefe der ganzen damaligen Welt befand. Allnächtlich gab es Kampf und Mord, wobei Knaben und Frauen weggeschleppt wurden. Jeden Morgen wurden an die Ufer des Tiber Leichen von Ertränkten angeschwemmt, und niemand kümmerte sich darum; infolge der durch das Feuer gesteigerten Hitze verwesten sie rasch und erfüllten die Luft mit üblem Geruch. Krankheiten traten in den Lagern ein, und viele sahen eine furchtbare Seuche voraus.


In der Stadt brannte es ohne Aufhören fort. Erst am sechsten Tage, als das Feuer den Esquilin erreichte, wo sehr viele Häuser abgerissen worden waren, schwächte es sich. Die glühenden Trümmer fingen an sich zu schwärzen. Der Himmel schimmerte nach Sonnenuntergang nicht mehr in blutrotem Licht, und erst nach Eintreten der Dunkelheit zitterten blaue Flämmchen über der weiten schwarzen Öde, Flämmchen, die von den im Innern glühenden Aschenhaufen ausgingen.

Von den vierzehn Vierteln Roms standen nur mehr vier, einschließlich des Transtiber. Alle anderen waren vom Feuer verzehrt. Als auch die letzte Glut erloschen, zeigte sich eine weit ausgedehnte, graue, düstere, tote Fläche vom Tiber bis zum Esquilin. Daraus ragten Reihen von Kaminen empor, wie Säulen auf den Gräbern eines Friedhofs. Dazwischen bewegten sich während des Tages düstere Menschengruppen, von denen die einen nach kostbaren Gegenständen, die anderen nach den Gebeinen ihrer Teuren suchten.

Trotz der Hilfe, die der Cäsar dem Volke erwiesen hatte, war die Entrüstung keineswegs erstickt. Zwar das Heer der Räuber, Verbrecher und heimatlosen Mörder, die nach Belieben essen, trinken und rauben konnten, war befriedigt. Alle aber, die ihr Eigentum und ihre nächsten Angehörigen verloren hatten, ließen sich durch Öffnung der Gärten, Verteilung von Brot und das Versprechen von Spielen und Geschenken nicht gewinnen. Das Unglück war zu groß, zu beispiellos. Die in ihrer Seele noch ein Fünkchen Liebe zur Vaterstadt und zu ihrer Geburtsstätte besaßen, gerieten außer sich bei der Nachricht, daß der alte Name Roma zu verschwinden habe und der Cäsar auf den Trümmern der Hauptstadt eine neue, Neropolis, errichten wolle. Eine Flut des Hasses machte sich Luft und nahm täglich zu, trotz den Schmeicheleien der Höflinge und den Lügen des Tigellinus. Nero, der für die Gunst des gemeinen Volkes empfindlicher war als jeder frühere Cäsar, dachte mit Schrecken daran, daß ihm in dem hartnäckigen, tödlichen Kampfe, den er mit den Patriziern im Senate zu wagen gewillt war, die nötige Unterstützung fehlen könnte. Die Höflinge waren nicht weniger geängstigt, denn jeder Tag konnte sie vernichten, und Tigellinus schlug vor, einige Legionen aus Kleinasien zur Hilfe herbeizurufen.

Sicher war es, daß, falls der Cäsar in einem Aufruhr getötet würde, auch keiner der Höflinge davon käme, Petronius vielleicht ausgenommen. Ihrem Einflusse schrieb man die wahnwitzigen Taten Neros zu, ihren Einflüsterungen alle Verbrechen, die er beging. Tigellinus beriet sich mit Domitius Afer und selbst mit Seneka, obwohl er diesen haßte. Poppäa, die begriff, daß mit dem Untergange Neros auch ihre Stunde geschlagen hätte, schloß sich der Meinung ihrer Vertrauten und der jüdischen Priester an; denn es war seit Jahren bekannt, daß sie zum Glauben an Jehovah hielt.

Eine lange, aber fruchtlose Beratung wurde im Hause des Tiberius abgehalten. Petronius hielt es für das beste, daß der Cäsar, die Sorgen hinter sich lassend, nach Griechenland und von da nach Ägypten und Kleinasien sich begebe. Die Reise war ja schon lange geplant, warum sollte man sie verzögern, wo jetzt Rom nur Trauer und Gefahren bot?

Nero nahm den Rat gierig auf, Seneka aber sagte nach einigem Nachdenken: „Es ist leicht zu gehen, schwieriger aber möchte es sein, zurückzukehren.“

„Beim Herakles,“ antwortete Petronius, „wir können es an der Spitze asiatischer Legionen!“

„Das werde ich tun!“ rief Nero.

Tigellinus jedoch widersetzte sich. Er wollte nicht, daß Petronius zum zweitenmal der einzige Mann war, der einen Weg zur Rettung fand.

„Höre mich, Göttlicher,“ sagte er. „Dieser Rat kann zum Unheil führen. Ehe du Ostia erreichst, bricht ein Bürgerkrieg aus. Wer weiß, ob nicht ein noch lebender Sprößling aus der Seitenlinie des göttlichen Augustinus sich zum Cäsar aufwerfen will, und was könnten wir machen, wenn die Legionen sich auf seine Seite stellten?“

„Wir werden sorgen,“ sprach Nero, „daß keine Abkömmlinge des Augustus vorhanden sind. Es sind deren ohnedies nicht viele; somit ist es leicht, uns von ihnen zu befreien.“ „Gewiß, aber kommen sie allein in Betracht? Erst gestern hörte einer meiner Leute, daß ein Mann wie Trasea Cäsar werden solle.“

Nero hob den Blick nach oben, biß sich in die Lippen und rief erzürnt: „Die Undankbaren! Die Unersättlichen! Sie haben doch Korn genug, um Kuchen zu backen! Was verlangen sie noch?“

„Sie wollen Rache!“ rief Tigellinus.

Es entstand eine Stille, als der Kaiser plötzlich sich erhob und den Vers hersagte:

„Die Herzen rufen nach Rache,
Und die Rache verlangt ihre Opfer.“

Er hielt inne, und mit strahlendem Gesichte rief er: „Reicht mir Täfelchen und Griffel! Ich muß den Vers niederschreiben! Habt ihr gemerkt, wie die Eingebung ganz plötzlich über mich kam?“

„Unvergleichlicher,“ riefen mehrere Stimmen.

Nero schrieb den Vers nieder und wiederholte dann: „Ja, die Rache will ihre Opfer haben.“ Er ließ seinen Blick über die Anwesenden schweifen. „Wie wäre es, wenn man das Gerücht aussprengte, Vatinius habe den Brand angelegt? Wenn man diesen dem Volke zur Kühlung seiner Rache auslieferte?“

„O Göttlicher, wer bin ich?“ rief Vatinius.

„Du hast recht! Dazu bedarf es eines Größeren, als du es bist! – vielleicht Vitellius?“

Vitellius wurde blaß, aber er lachte. „Mein Fett könnte schließlich das Feuer neu entfachen,“ sagte er.

Diese Antwort kaum beachtend, suchte Nero in Gedanken nach einem Opfer, das den Zorn des Volkes wirklich zu beschwichtigen vermöchte. – „Tigellinus,“ sagte er nach einer Pause. „Du hast Rom angezündet.“

Die Anwesenden erschraken, sie fühlten, daß der Kaiser aufgehört habe zu scherzen. Tigellinus wurde blaß. „Ich habe es auf deinen Befehl angezündet, Herr,“ sagte er.

Beide sahen sich ins Auge wie zwei Dämonen.

„Tigellinus,“ fragte Nero, „liebst du mich?“

„Du weißt es, Herr!“

„So opfere dich für mich!“ „Göttlicher Imperator,“ versetzte Tigellinus, „du reichst mir einen süßen Trank, den ich doch nicht an die Lippen setzen kann. Jetzt empört sich nur das Volk; sollen sich auch noch die Prätorianer empören?“

Den Anwesenden stand das Herz vor Entsetzen still. Tigellinus war der Präfekt der Prätorianer, und seine Worte klangen wie Drohung. Selbst Nero verstand diese Worte.

Da trat der Freigelassene des Kaisers ein mit der Meldung, die göttliche Augusta wünsche den Präfekten zu sprechen. Tigellinus verneigte sich und ging aus dem Atrium.

„Ich habe eine Viper an meinem Busen genährt. Petronius,“ fuhr der Kaiser fort, „gib du einen Rat.“

„Mein Rat ist, nach Achaja zu fahren.“

„Ach!“ rief Nero, „ich hatte Besseres von dir erwartet. Beim Hades –“

„Verzeihe, Göttlicher, aber wenn man Rom behalten will, muß man wenigstens einige Römer am Leben lassen,“ erwiderte Petronius lächelnd.

In diesem Augenblicke traten Poppäa und Tigellinus ein. Letzterer trug sein Haupt stolz wie ein Imperator. Er verneigte sich vor dem Kaiser und sagte ernst: „Höre mich an, göttlicher Imperator, jetzt kann ich dir mitteilen, was du suchst. Das Volk schreit nach Rache und will Opfer haben, aber nicht nur eins, nein, Hunderte, Tausende. Du hast doch schon von Christus gehört, den Pontius Pilatus kreuzigen ließ. Diese Christen hat noch niemand in unseren Tempeln gesehen, sie verachten unsere Götter. Sie spenden dir keinen Beifall, sie sprechen dir die Gottheit ab. Kurz, sie sind Feinde des Menschengeschlechts! Das Volk will Rache, blutige Rache. Bisher hat dich das Volk verdächtigt, aber nicht ich habe die Stadt verbrannt, nicht du hast es befohlen, die Christen haben es getan!“

Nero hörte erstaunt zu; sein Schauspielergesicht drückte abwechselnd Schmerz, Zorn, Mitleid und Entrüstung aus. Dann erhob er sich plötzlich von seinem Sessel, warf die Toga ab, die ihm zu seinen Füßen liegen blieb, hob beide Hände in die Höhe, richtete den Blick nach oben, als ob er den Zorn der Götter herabflehte, und rief dann in tragischem Tone: „Zeus, Apollo, Hera, Athene, Persephone und ihr alle, unsterblichen Götter, warum seid ihr uns nicht zu Hilfe gekommen? Was hat die unglückliche Stadt den Grausamen getan, daß sie dieselbe in so unmenschlicher Weise verbrannten?“

„Sie sind die Feinde des Menschengeschlechts und deine Feinde!“ sagte Poppäa.

„Sei gerecht und strafe die Brandstifter! Die Götter selbst fordern Rache!“ riefen mehrere Stimmen durcheinander.

Die Stirn des Petronius zog sich in Falten bei dem Gedanken an Lygia und Vinicius. Er wußte wohl, daß es ein gefährliches Spiel sei, den Kaiser oder die Augustianer zu kritisieren, doch wollte er jetzt alles aufs Spiel setzen.

„Das ist schön, daß ihr eure Opfer gefunden habt,“ rief er. „Ihr könnt die Leute in die Arena schicken und zu Tausenden hinrichten, niemand wird euch hindern. Doch hört erst meine Meinung! Wenn ihr die Christen dem Volke ausliefern wollt, damit es sich an deren Martern ergötze, so tut es, aber habt den Mut, euch selber einzugestehen, daß nicht sie es waren, die Rom in Schutt und Asche legten. Ihr wollt doch nicht den schlechten Schauspielern gleichen, die Götter und Könige darstellen und nach der Vorstellung Zwiebeln essen und sauren Wein saufen? Ist es nicht besser, wirkliche Götter und Könige zu spielen? Bei der göttlichen Klio! Würde es nicht heißen, Nero, der Beherrscher der Welt, Nero, der Gott, der Rom eingeäschert hat, weil er auf Erden so mächtig war wie Zeus im Olymp, Nero, der Künstler, hat die Dichtkunst so über alles geliebt, daß er sogar die Heimat aufopferte! Seit dem Bestande der Welt hat keiner etwas Ähnliches gewagt. O Nero! Was wäre, mit dir verglichen, Priamus? Was Achilles? Was Agamemnon? Ja, was wären die Götter? Ich beschwöre dich, Göttlicher, habe Mut! Sei wahr, damit es nicht heiße, Nero ließ Rom anzünden, aber er war nicht großdenkend genug, die große Tat einzugestehen, sondern schob sie aus Furcht auf die schuldlosen Christen!“

Die Worte des Petronius machten einen ungewöhnlichen Eindruck auf Nero, so daß Petronius sich selbst sagte: entweder sind die Christen gerettet, oder ich selbst bin verloren. Poppäa und alle Anwesenden hingen an Neros Zügen, welcher die Lippen aufwarf, wie es seine Gewohnheit war, wenn er sich in Verlegenheit befand.

Tigellinus, der dies bemerkte, rief lebhaft: „Gestatte, o Göttlicher, daß ich mich entferne! Meine Ohren können es nicht anhören, wenn man dich verhöhnt, wenn man dich lächerlich macht, wenn man dich einen Brandstifter, einen Kleindenkenden und einen Komödianten nennt.“

Ich habe das Spiel verloren, dachte Petronius. Zu Tigellinus aber sagte er, ihn mit der ganzen Verachtung messend, die er als überlegener Geist für den Elenden immer fühlte: „Dich habe ich einen Schauspieler genannt, dich, Tigellinus, du beweisest es in diesem Augenblicke! Du heuchelst dem Kaiser grenzenlose Ergebenheit, und erst vorhin hast du mit deinen Prätoriänern gedroht; glaubst du, wir hätten dich nicht verstanden?“

Tigellinus war so verwirrt, daß er nicht wußte, was er darauf antworten sollte. Doch Poppäa kam ihm zu Hilfe: „Herr, wie kannst du gestatten, daß ein Sterblicher so von dir denkt! Wie kannst du gestatten, daß man so etwas in deiner Gegenwart ausspreche!“

„Strafe den Frechen!“ rief Vitellius.

Nero richtete seine verglasten Augen auf Petronius und rief vorwurfsvoll: „So vergiltst du mir meine Freundschaft?“

„Strafe den Frechen!“ rief Vatinius.

„Ja, ja, strafe ihn!“ riefen mehrere Stimmen durcheinander. Es entstand eine große Bewegung im Atrium; die Nächststehenden begannen von Petronius wegzurücken. Es entfernten sich sogar Senecio und der junge Nerva. Bald stand er ganz allein da. Doch als merke er nichts davon, ordnete er sich die Falten seiner Toga und wartete ruhig auf den Ausspruch des Kaisers. Nach einer kleinen Pause sagte dieser: „Ihr verlangt seine Bestrafung, doch er ist mein Freund und Gefährte, und wie tief mein Herz auch verletzt ist: ich verzeihe ihm, weil er mein Freund ist.“

Ich habe verspielt und mein Tod ist sicher! sagte sich Petronius. Der Kaiser erhob sich von seinem Platze und die Sitzung war beendet.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Quo Vadis?