Kapitel 34 - Die Stadt brannte weiter. Der Circus Maximus lag in Trümmern. In den Stadtteilen, ...

Die Stadt brannte weiter. Der Circus Maximus lag in Trümmern. In den Stadtteilen, wo das Feuer ausgebrochen war, stürzten ganze Straßen und Gassen der Reihe nach ein. Bei jedem Falle erhob sich sofort für kurze Zeit eine Feuersäule gen Himmel. Der Wind hatte sich gedreht, wehte jetzt kräftig von der Seeseite her und trug Flammenbüschel, Feuerbrände und glühende Asche in die noch nicht in Brand geratenen Stadtteile. Doch sorgte jetzt die Obrigkeit für Abhilfe, und auf Befehl des Tigellinus, der vor drei Tagen von Antium herbeigeeilt war, wurden Häuser auf dem Esquilin niedergerissen, so daß das Feuer leere Stellen erreichte und dadurch erlosch. Das geschah aber nur, um einen Rest der Stadt zu erhalten; zu retten, was brannte, fiel niemand ein. Es war auch nötig, vor weiteren Folgen des Verderbens zu schützen. In der Stadt waren unermeßliche Schätze, die man dem Sammelfleiß von Jahrhunderten verdankte, herrliche Tempel, die wichtigsten Denkmäler römischer Vergangenheit und römischen Ruhms.

In der allgemeinen Unordnung und Autoritätslosigkeit hatte man auch nicht daran gedacht, für neue Zufuhr zu sorgen. Erst nach des Tigellinus Ankunft ergingen dafür Befehle nach Ostia. Die Haltung des Volkes war inzwischen drohend geworden. Das Haus bei Aqua Appia, wo Tigellinus einstweilen wohnte, war von früh bis abends von Weiberscharen umlagert, die nach Brot und Obdach schrien. Die ungeheuren Vorräte an Lebensmitteln waren zum größten Teile mitverbrannt. Schon machte sich der Hunger fühlbar. Vergebens bemühten sich die Prätorianer, die Ordnung aufrechtzuerhalten. Es wurden jetzt aus Ostia und der Umgegend Brote und Mehl zusammengebracht und der erste Transport im Emporium untergebracht. Das Volk erstürmte von der Seite des Aventin die Tore und schleppte alles heraus. Bei Mondenschein und Funkenregen balgte man um die Brote, das Mehl wurde verschüttet in dem Wirrwarr, und ringsum sahen alle Wege wie beschneit aus. Dabei fluchte die Menge dem Kaiser, den Augustianern und Soldaten, und der Aufruhr wuchs von Stunde zu Stunde.


Tigellinus schickte einen Boten nach dem anderen nach Antium, durch die er den Kaiser anflehen ließ, zu kommen, um durch sein Erscheinen die verzweifelte Bevölkerung zu beruhigen. Doch Nero wollte nachts eintreffen, um den Eindruck, welchen die glühende Stadt machte, gleich voll auf sich einwirken zu lassen. Inzwischen vertrieb er sich in Aqua Albana die Zeit mit dem Schauspieler Aliturus, bei dem er Miene und Haltung einübte, und mit dem er lange über die Gebärde stritt, welche die passendste sei bei den Worten: O du heilige Stadt, die du bestimmt schienst, länger als der Ida zu dauern! Dem Kaiser war in diesem Augenblick die wichtigste Frage die, ob er dabei beide Hände emporwerfen oder ob er nur die eine heben und die andere mit der Forminga langsam senken sollte. Gegen Mitternacht nahte der gewaltige Zug mit Nero und seinem Hofstaat den Mauern Roms. Sechzehntausend Prätorianer waren die Straße entlang aufgestellt, um auf Ordnung und das aufgeregte Volk in angemessener Entfernung zu halten. Man hörte es nur schreien und pfeifen, auch vereinzeltes Beifallsklatschen aus den Reihen des zerlumptesten Gesindels. Doch bald wurde alles vom Trompeten- und Hörnerschall übertönt. Beim ostiensischen Tor hielt Nero einen Augenblick an und rief: „Obdachloser Herrscher eines obdachlosen Volkes? Wohin soll ich mein unglückliches Haupt zur Ruhe legen?“

Hierauf bestieg er die besonders für ihn hergerichteten Stufen an der appischen Wasserleitung, wohin ihm die Augustianer, die Zither- und Lautenschläger folgten. Alles war gespannt, und man harrte auf bedeutungsvolle Worte aus seinem Munde. Er aber stand stumm und feierlich und starrte in die Flammen. Er trug einen Purpurmantel und einen Kranz von goldenen Lorbeeren, und als Terpnos ihm die goldene Forminga reichte, blickte er, wie Begeisterung suchend, zum flammenden Abendhimmel empor. Und als er so vom blutroten Feuerschein umflossen dastand, wies das Volk mit Fingern nach ihm hin.

Da hob er die Hände, berührte die Saiten und begann mit den Worten des Priamus:

„O Nest meiner Väter, o teure Wiege!“

Die Senatoren und Augustianer auf dem Aquädukt schienen entzückt zu lauschen, und als Nero das Lied beendete, ergriff ihn selbst mächtige Rührung. Tränen stürzten aus seinen Augen, sein Antlitz wechselte die Farbe, und indem er die Laute klirrend niederfallen ließ, hüllte er sich in seine Syrma und ahmte die mit Aliturus einstudierten Mienen nach.

Die Umgebung des Kaisers zollte Beifall, das Volk heulte, jetzt außer Zweifel, daß der Kaiser Rom hatte anzünden lassen, um beim Anblick dieses Schauspiels seine Lieder zu singen. Nero lächelte schwermütig, wie einer, dem großes Unrecht widerfährt, und wandte sich an die Augustianer: „So wird die Dichtkunst von den Quiriten geschätzt.“

„Die Elenden!“ rief Vatinius. Nero sah sich nach Tigellinus um und fragte: „Kann ich auf die Treue der Soldaten bauen?“

„Ja, göttlicher Imperator!“ sagte der Präfekt.

Petronius aber zuckte mit den Achseln. „Auf ihre Treue magst du rechnen, aber nicht auf ihre Zahl,“ sagte er. „Es ist auf jeden Fall besser, wenn du hier bleibst, bis das Volk beruhigt ist.“

Die Erregung des Volkes wuchs mit jedem Augenblick. Die Leute schleppten Steine, Stangen und altes Eisen herbei und schienen einen Angriff vorzubereiten.

„O ihr Götter!“ rief Nero. „Ist das eine Nacht! Hier das Flammenmeer, dort das entfesselte Volk! Reicht mir einen dunklen Kapuzenmantel. Wäre es wirklich möglich, daß es zum Kampfe kommen könnte?“

„Herr,“ erwiderte Tigellinus zögernd, „ich tat, was ich konnte, aber die Gefahr ist drohend ... Sprich zum Volke, o Herr, und mache ihm Versprechungen!“

„Ich, der Kaiser, soll zu dem Gesindel sprechen? Nein! Das möge ein anderer in meinem Namen tun. Wer unternimmt es?“

„Ich!“ versetzte Petronius ruhig.

„Geh, Freund! Du bist jederzeit mein treuester Freund! ...

Geh und spare die Versprechungen nicht.“

„Die anwesenden Senatoren und Piso, Nerva und Senecio sollen mir folgen,“ sagte Petronius.

Hierauf stieg er bedächtig vom Aquädukt hinab, während ihm die Begleitung ohne Zögern folgte. Unter dem Arkadenbogen blieb Petronius stehen und ließ sich einen Schimmel bringen, den er bestieg.

Als er dem Volkshaufen ganz nahe gekommen war, trieb er sein Pferd vorwärts, mitten hinein in das Gewirr der drohenden, bewaffneten Menge, als gälte es, sich in einem gewöhnlichen Gedränge den Weg zu bahnen. Und diese ruhige Sicherheit verfehlte ihre Wirkung nicht. Man erkannte ihn, und zahlreiche Stimmen riefen: „Petronius! Arbiter elegantiarum!“ Und von allen Seiten erscholl der Ruf: „Petronius! Petronius!“ Der vornehme Patrizier, der sich nie um die Gunst des Volkes bemüht hatte, war nämlich trotzdem sein Liebling. Man war daher gern geneigt, zu hören, was der Kaiser durch ihn sagen ließ, denn alle glaubten, in ihm einen Sendboten Neros vor sich zu sehen.

Er nahm die weiße, mit einem Scharlachstreif verbrämte Toga ab und schwang sie über dem Haupte, zum Zeichen, daß er sprechen wolle.

„Stille! Stille;“ rief es von allen Seiten.

Petronius hob sich in den Steigbügeln in die Höhe und sagte mit ruhiger, weithin vernehmbarer Stimme: „Bürger! Wer meine Worte verstanden hat, möge sie den weiter rückwärts Stehenden wiederholen. Dabei erwarte ich aber, daß ihr euch wie Römer und nicht wie wilde Tiere in der Arena betragt.“

„Wir hören! Wir hören!“

„Die Stadt wird neu aufgebaut. Die Gärten des Lukullus, des Mäcenas, des Kaisers und der Agrippina werden euch offenstehen! Von morgen an wird Getreide, Öl und Wein verteilt werden, damit jeder gesättigt wird! Der Kaiser wird Spiele aufführen lassen, wie sie die Welt noch nicht gesehen hat, und dabei werdet ihr reich beschenkt. Ihr sollt reicher sein als bisher!“

Anfangs waren die Worte des Petronius von Murren begleitet worden. Bald aber mischten sich in das dumpfe Gebrüll laute Rufe der Zustimmung, und schließlich schrie alles: „Brot und Spiele! Panem et circenses!“

Petronius wickelte sich in seine Toga und stand unbeweglich wie eine Marmorstatue. Er wartete, bis sich der Lärm etwas gelegt hatte. Dann gebot er wieder mit erhobener Hand Schweigen und rief: „Brot und Spiele sollt ihr haben, das versichere ich euch. Und jetzt bringt ein Hoch auf den Kaiser aus, der euch nährt und kleidet! So, und nun geht schlafen, Lumpenpack, denn der Tag wird bald anbrechen.“

Nach diesen Worten wandte er sein Roß, schaffte sich Bahn und ritt langsam in das Prätorianerspalier zurück.

„Wie steht’s? Was geht dort unten vor? Ist es schon zum Angriff gekommen?“ Mit diesen Worten eilte Nero mit blassem Antlitz Petronius entgegen.

„Sie schwitzen und stinken,“ erwiderte dieser. „Reicht mir eine Riechflasche her, sonst falle ich in Ohnmacht.“ Dann erst wandte er sich zum Kaiser. „Ich habe ihnen Öl, Wein, Getreide, die Eröffnung der Gärten und prächtige Festspiele versprochen. Sie vergöttern dich wieder und riefen Hoch mit ausgetrockneten Lippen. Ihr Götter, wie unangenehm dieses Volk riecht!“

„Ich danke dir, Petronius,“ rief Nero, begeistert über diese gute Wendung der drohenden Gefahr. „Ich lasse die Gärten öffnen, Getreide verteilen, und bei den Festspielen, die ich veranstalten werde, will ich öffentlich meine Dichtung: Der Brand von Troja, vortragen.“ Er legte die Hand auf die Schulter des Petronius und fragte, nachdem er eine Weile geschwiegen, in ruhigerem Tone: „Sag aufrichtig, welchen Eindruck machte ich auf dich, als ich sang?“

„Du warst würdig des Schauspiels, das Schauspiel war deiner würdig!“

Dann wandte sich Nero dem Brande zu und sagte: „Jetzt laßt uns aber noch eine Weile zusehen und dann Abschied nehmen von dem alten Rom!“

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Quo Vadis?