Kapitel 31 - Vinicius nahm sich kaum Zeit, einigen Sklaven den Befehl zu erteilen, ihm zu folgen. ...

Vinicius nahm sich kaum Zeit, einigen Sklaven den Befehl zu erteilen, ihm zu folgen. Er warf sich auf sein Pferd und sprengte in tiefer Nacht durch die menschenleeren Straßen Antiums in der Richtung nach Laurentum zu. Er vermochte die schreckliche Nachricht kaum zu fassen. Sein unbedecktes Haupt tief auf den Hals des Tieres beugend, raste er dahin, nur mit der Tunika bekleidet, weder rechts noch links blickend, aufs Geradewohl, ohne irgendein Hindernis zu berücksichtigen, ohne zu bedenken, daß er sich an irgend etwas den Kopf zerschmettern könne.

Der vom Glanze des Mondes umflossene Reiter und sein Pferd erschienen mitten im Schweigen und der Ruhe wie Traumgestalten. Der idumäische Hengst schoß mit herabhängenden Ohren und gestrecktem Halse pfeilschnell an bewegungslosen Zypressen und weißen Villen vorüber. Gleich einem Sturmwind raste er von Ort zu Ort, sein Pferd zur äußersten Anstrengung antreibend. Hinter Ardea erschien ihm der Himmel im Nordosten wie mit einem rosigen Schimmer übergossen. Dies konnte die Dämmerung sein, denn die Zeit war schon vorgerückt, und die Sonne mußte bald aufgehen. Vinicius jedoch glaubte darin den Glanz der Feuersbrunst zu erkennen und konnte einen Schrei des Zorns und der Verzweiflung nicht unterdrücken. Er erinnerte sich an das Wort des Konsuls Lecanius: Die ganze Stadt ist ein Flammenmeer! Und während eines kurzen Moments fühlte er sich dem Wahnsinn nahe. Er hatte alle Hoffnung verloren, Lygia zu retten oder Rom zu erreichen, ehe es in einen Schutthaufen verwandelt war. Zwar wußte er nicht, in welchem Stadtteile das Feuer ausgebrochen war; doch sagte er sich, daß das Viertel jenseits des Tiber mit seinen dichtgedrängten Häusern, Holzlagern, Vorratshäusern und Schuppen, in denen die Sklavenmärkte abgehalten wurden, zuerst ein Raub der Flammen werden könnte. In Rom zählten die Feuersbrünste nicht zu den Seltenheiten; während derselben wurden häufig Gewalttaten und Diebstähle verübt, besonders in den von einer dürftigen und halb barbarischen Bevölkerung bewohnten Teilen. Was mochte also jetzt dort jenseits des Tiber vorgehen, wo sich Gesindel aus allen Teilen der Welt zusammenfand?


Die Furcht vor einer Empörung der Sklaven drückte Rom gleich einem Alp seit Jahren schon. Man sprach davon, daß Hunderte aus den Tausenden jener Leute des früheren Sklavenaufstandes gedachten und nur auf einen günstigen Augenblick warteten, um die Waffen gegen ihre Bedrücker und Rom zu ergreifen. Und nun schien dieser Augenblick gekommen. Vielleicht wüteten Mord und Totschlag in den Straßen mit dem Feuer gemeinsam. Es war sogar möglich, daß die Prätorianer selbst in die Stadt geeilt waren und dort auf Geheiß des Cäsar mordeten. Bei diesem Gedanken sträubte sich das Haar auf dem Haupte des Vinicius vor Entsetzen. Er erinnerte sich der Unterhaltungen über brennende Städte, die in letzter Zeit mit auffallender Beharrlichkeit bei Hofe sich wiederholt hatten, der Klagen des Cäsar, daß er genötigt sei, eine brennende Stadt zu beschreiben, ohne ein wirkliches Feuer gesehen zu haben. Ja, der Cäsar hatte befohlen, die Stadt anzuzünden. Er allein konnte so etwas gebieten, Tigellinus es ausführen. Brannte aber Rom, wie er befohlen, wer bürgte dann dafür, daß nicht auf denselben Befehl auch die Bevölkerung niedergemetzelt wurde? Das Ungeheuer war einer solchen Tat fähig. Feuersbrunst, ein Sklavenaufstand und Gemetzel! Welche Entfesselung zerstörender Elemente, menschlichen Wahnsinns! Welch furchtbares Chaos! Und Lygia befand sich mitten darin.

Auf dem völlig erschöpften Pferd langte Vinicius in Aricia an. Das müde Pferd strauchelte, aber von starker Hand gezügelt, blieb es vor einem Wirtshause stehen, wo ein anderes für Vinicius bereit gehalten wurde. Einige seiner Sklaven befanden sich vor dem Gasthofe, gerade als ob sie die Ankunft ihres Herrn erwartet hätten, und beeilten sich, ein frisches Pferd vorzuführen.

Vinicius erblickte in diesem Augenblick eine Abteilung von zehn berittenen Prätorianern, die offenbar neue Kunde aus Rom nach Antium bringen sollten. Er eilte auf sie zu und fragte:

„Welcher Stadtteil steht in Flammen?“

„Wie nennst du dich?“ fragte der Hauptmann,

„Vinicius, Kriegstribun und Augustianer. Antworte bei deinem Haupte!“

„Das Feuer brach in den Kramläden am Circus Maximus aus. Als wir ausgesandt wurden, stand der Mittelpunkt der Stadt in Flammen.“

„Und wie steht’s mit dem Transtiber?“

„Dorthin war das Feuer noch nicht gekommen, aber es ergreift immer neue Stadtteile. Die Menschen gehen zugrunde vor Hitze und Rauch; eine Rettung ist unmöglich.“ Vinicius warf sich auf das eben gebrachte frische Pferd und raste davon. Er ritt nun Albanum zu, Alba longa und dessen herrlichen See rechts lassend. Noch bevor er die Anhöhe bei Albanum erreicht hatte, wehte ihm ein Windhauch Brandgeruch entgegen. Zugleich begann sich der Gipfel der Anhöhe zu vergolden.

Das Feuer.

Der Tag graute schon, und auf allen Höhen zeigte sich ein goldener, rosiger Schein. Als Vinicius den Gipfel erreichte, bot sich ihm ein furchtbarer Anblick.

Die ganze Niederung war mit Rauch bedeckt, der wie eine Riesenwolke über der Stadt lagerte; jenseits der grauen Ebene auf den Hügeln standen die Häuser in Flammen. Das Feuer stieg nicht säulenartig empor, wie dies beim Brande eines einzelnen, wenn auch noch so umfangreichen Gebäudes der Fall ist; es glich eher einem langgezogenen Gürtel, ähnlich den Streifen der Morgenröte. Darüber erhob sich eine Rauchmasse, stellenweise tiefschwarz, stellenweise rosig, dann wieder rot wie Blut, in sich selbst unheimliches Leben zeigend, hier aufgebläht, dort eingepreßt, sich krümmend wie eine sich windende und dehnende Schlange. Diese ungeheure Rauchmasse schien zuweilen den Feuerstreifen überdecken zu wollen, der dann schmal wurde wie ein Band; später aber beleuchtete das Feuer von unten her den Rauch und verwandelte dessen niedriger liegende Wolken in Feuerwogen. Beide Erscheinungen reichten von einer Seite des Horizonts bis zur anderen und machten dessen unteren Teil unsichtbar, wie zuweilen ein ausgedehnter Wald eine Strecke Landes unsichtbar macht. Von den Sabinerbergen war keine Spur zu erblicken.

Vinicius schien es für den Augenblick, als brenne nicht nur die Stadt, sondern die Welt, und es könne kein lebendes Wesen sich aus diesem Rauch- und Flammenmeer retten.

Der Wind wehte mit zunehmender Macht aus der Richtung des Feuers, brachte den Geruch verbrannter Gegenstände und so viel Rauch mit sich, daß er selbst hier das Naheliegende verhüllte. Es war bereits Tag geworden, und die Sonne beleuchtete die den Albanersee umgebenden Spitzen. Aber ihre glänzend goldenen Morgenstrahlen erschienen heute rötlich, wie überzogen vom Rauche.

Vinicius ritt von Albanum hinab, was für ihn soviel bedeutete, als in ein Gebiet immer dichteren und undurchsichtigeren Rauches zu gelangen. Die Stadt Albanum selbst war vollständig darin begraben. Die geängstigten Bürger hatten sich auf die Straße begeben. Wie schrecklich war der Gedanke an das Innere Roms, wenn man schon in Albanum schwer nach Atem ringen mußte! Verzweiflung ergriff Vinicius aufs neue, und sein Haar sträubte sich; aber er versuchte, stark zu sein. Es ist unmöglich, dachte er, daß eine Stadt an allen Seiten zugleich brennt. Der Wind kommt von Norden und treibt deshalb den Rauch nur nach dieser Richtung, auf der anderen Seite ist keiner. Jedenfalls wird es dem Ursus Arbeit kosten, mit Lygia durch das Tor beim Janiculus zu gelangen, um sich und sie zu retten. Es ist unmöglich, daß eine ganze Bevölkerung zugrunde gehe und die weltbeherrschende Stadt samt ihren Bewohnern vom Angesicht der Erde verschwinde. Selbst in eroberten Städten, in denen Brand und Metzeleien zusammen wüten, entkommen immer einige Personen, warum sollte es also gewiß sein, daß Lygia zugrunde gehe? Nein, Gott wacht über sie, er, der selbst den Tod besiegt hat.

Diese Gedanken gaben ihm wieder Mut. Sicherlich war sie entkommen, und er konnte sie in Bovillae treffen oder ihr auf der Landstraße begegnen. Dies schien ihm um so gewisser, als er eine stets wachsende Zahl von Menschen traf, die die Stadt verlassen hatten und sich nach dem Albanergebirge begaben; sie waren dem Feuer entronnen und wollten den Bereich des Rauches verlassen. Ehe er nach Ustrianum kam, mußte er wegen der zunehmenden Menge den Gang seines Tieres mäßigen. Er begegnete Fußgängern mit Bündeln auf dem Rücken, bepackten Reitern, beladenen Maultieren und Gefährten, Sänften, in denen Sklaven die reicheren Bürger trugen. Ustrianum war mit Flüchtigen aus Rom so überfüllt, daß es schwer hielt, sich hindurchzudrängen. Auf dem Marktplatz, unter den Säulenhallen der Tempel, auf den Straßen hielten sich Scharen Geflohener auf. Es war in dem allgemeinen Schrecken schwierig, etwas zu vernehmen. Leute, an welche Vinicius dennoch eine Frage stellte, gaben entweder keine Antwort oder erwiderten mit halb verwirrtem Blick, daß Rom und die Welt zugrunde gehen.

Der Senator Junius, den Vinicius im Gasthaus von einer Abteilung batavischer Sklaven umgeben sah, war der erste, der Genaueres von der Feuersbrunst berichten konnte. Das Feuer war beim Circus Maximus ausgebrochen, in jenem Teil, der den Palatin und den cölischen Hügel berührt, verbreitete sich aber mit rasender Schnelligkeit und ergriff das ganze Innere der Stadt. Nie seit Brennus war ein so schreckliches Unglück über Rom hereingebrochen.

„Der Circus ist vollständig niedergebrannt, wie auch die benachbarten Buden und Häuser,“ sagte Junius; „der aventinische und der cölische Hügel stehen im Feuer. Die den Palatin umgebenden Flammen haben die Carinae erreicht.“

Junius besaß an der Carinae eine prächtige Villa, welche eine Sammlung von wahren Kunstwerken enthielt, die ihm teuer waren; darum nahm er bei den letzten Worten eine Handvoll schmutzigen Straßenstaubes, bestreute damit sein Haupt und seufzte verzweifelnd.

Vinicius berührte seine Schulter. „Mein Haus ist auch an den Carinae,“ sagte er; „aber wenn alles zugrunde geht, dann mag es das gleiche Schicksal teilen.“ Weil es ihm jedoch einfiel, daß Lygia auf seinen Rat zu Aulus gegangen sein könnte, forschte er weiter: „Und der Vicus Patricius?“

„Steht im Feuer,“ erwiderte Junius.

„Der Transtiber?“

Junius sah ihn erstaunt an. „Was kümmert uns der Transtiber?“ sprach er, mit den Händen seine schmerzenden Schläfen pressend.

„Der Transtiber ist mir wichtiger als alle anderen Viertel Roms,“ rief Vinicius heftig.

„Der Weg führt durch die Via Portuensis beim Aventin; aber die Hitze wird dich ersticken. Der Transtiber? Ich weiß nichts davon. Das Feuer hatte ihn noch nicht erreicht; ob es jetzt auch noch nicht dort ist, wissen die Götter allein.“ Junius zögerte darauf einen Augenblick, dann flüsterte er Vinicius zu: „Du wirst mich nicht verraten; darum sage ich dir, es ist keine gewöhnliche Feuersbrunst. Man ließ es nicht zu, daß der Circus gerettet wurde. Gewisse Leute liefen in der Stadt umher und warfen brennende Fackeln in die noch nicht brennenden Gebäude. Wieder andere riefen, die Stadt sei absichtlich angezündet worden. Wehe der Stadt und uns allen! Es läßt sich nicht sagen, was dort vorgeht. Die Leute kommen in den Flammen um oder morden sich gegenseitig im Gedränge.“ Und wieder brach er in die Worte aus: „Wehe, wehe der Stadt und uns!“

Vinicius sprang auf sein Pferd und eilte die Appische Straße dahin. Sein Ritt glich jetzt einem Ringen durch einen Strom von Menschen und Fuhrwerken, der sich aus der Stadt ergoß. Die von dem ungeheuren Brand erfaßte Stadt lag vor Vinicius wie ein Gegenstand auf seiner Hand. Aus diesem Rauch- und Feuermeer drang eine schreckliche Hitze; das Geschrei des Volkes konnte dem Knistern und Zischen der Flammen nicht wehren.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Quo Vadis?