Kapitel 18 - Über einen empfindlichen Schmerz erwachte Vinicius. Im ersten Augenblick fand er ...

Über einen empfindlichen Schmerz erwachte Vinicius. Im ersten Augenblick fand er sich nicht zurecht; sein Kopf summte, und es lag wie Nebel vor seinen Augen. Doch allmählich kehrte die Besinnung wieder, und er erblickte endlich durch den Nebelschleier die Gestalten dreier um ihn beschäftigter Männer. Zwei von ihnen kannte er, es waren Ursus und jener Greis, den er weggestoßen hatte, als er Lygia hinaustrug. Der dritte, ein Unbekannter hielt seinen linken Arm und betastete ihn vom Ellbogen bis zum Schulterblatt, was ihm große Schmerzen verursachte. In der Meinung, man wolle sich an ihm rächen, stieß er durch die Zähne hervor: „Tötet mich!“

Doch die Männer schienen seine Worte nicht zu beachten. Ursus hielt lange Streifen weißes Leinen in der Hand.


Der Alte sagte eben zu dem Manne, welcher den Arm des Vinicius befühlte: „Glaukus, weißt du auch genau, daß die Kopfwunde nicht tödlich ist?“ „Die Kopfwunde ist leicht, ehrwürdiger Crispus,“ erwiderte Glaukus. „Zur Zeit, da ich noch als Sklave bei der Flotte diente, und später, da ich in Neapel wohnte, heilte ich viele Wunden, und mit dem Gelde, das mir diese Beschäftigung eintrug, kaufte ich mich und die Meinen frei. Als dieser Mann“ – hierbei blickte er auf Ursus – „dem Jüngling das Mädchen wieder entriß und ihn an die Mauer drückte, suchte er sich offenbar mit dem Arme zu schützen: dadurch brach er ihn zwar, bewahrte sich aber vor einer tödlichen Wunde.“

„Du hast schon manchen von den Brüdern gepflegt,“ erwiderte Crispus, „deshalb habe ich auch gleich Ursus um dich geschickt.“

„Ursus, der mir unterwegs bekannte, daß er gestern mich töten sollte.“

„Diese Absicht gestand er mir früher; ich aber, der ich dich und deine Liebe zu Christus kenne, erklärte ihm, daß nicht du der Verräter bist, sondern jener Unbekannte, der ihn zu einem Morde überreden wollte.“

„Ich hielt ihn für einen Engel, aber er ist ein böser Geist,“ bemerkte Ursus seufzend.

„Das kannst du mir später erzählen,“ sagte Glaukus, „jetzt müssen wir an den Verwundeten denken.“ Er neigte sich abermals über Vinicius, um dessen Arm einzurichten, wobei der Kranke in Ohnmacht fiel. Erst nachdem Glaukus mit seinen Hantierungen fertig war, erwachte er und erblickte Lygia.

Sie stand dicht an seinem Lager und hielt einen kleinen kupfernen, mit Wasser gefüllten Eimer, in welchen Glaukus von Zeit zu Zeit einen Schwamm tauchte, womit er ihm den Kopf netzte, Vinicius traute seinen Augen nicht. Ihn dünkte, er träume oder das Fieber zaubere ihm diese herrliche Vision vor; erst nach einer Weile vermochte er zu flüstern: „Lygia!“

Bei dem Tone seiner Stimme bebte das Eimerchen in ihrer Hand; aber sie wandte ihm die traurigen Augen zu. „Der Friede sei mit dir!“ erwiderte sie leise.

So stand sie vor ihm, Mitleid und Kummer auf den Zügen. „Lygia,“ sagte er leise, „du wolltest nicht, daß man mich töte.“ „Möge dir Gott die Gesundheit wiedergeben,“ sagte sie sanft. Vinicius, der nicht wußte, daß vielleicht nur die christliche Lehre sie so zu ihm sprechen ließ, fühlte, daß in ihrer Antwort eine besondere Zärtlichkeit lag. Er wurde schwach vor Rührung und Schmerz.

Glaukus kühlte die Kopfwunde mit einer heilenden Salbe, während Lygia dem Kranken eine Schale mit verdünntem Wein an die Lippen führte. Er trank gierig, worauf er große Erleichterung fühlte. Seit der Verband angelegt war, hatten die Schmerzen nachgelassen; das Bewußtsein kehrte allmählich wieder.

Crispus näherte sich jetzt dem Lager und sagte: „Vinicius, Gott gestattete dir nicht, eine schlimme Tat zu begehen, aber er erhielt dich am Leben, damit du in dich gehest. Der, in dessen Hand der Mensch nur Staub ist, ließ dich wehrlos in unsere Hände fallen, aber Christus, an den wir glauben, befiehlt uns, auch unsere Feinde zu lieben. Wir haben deine Wunden verbunden und wollen Gott um deine baldige Genesung bitten, aber wir können nicht länger über dich wachen. Verhalte dich ruhig und denke nach, ob es sich für dich geziemt, Lygia noch länger zu verfolgen. Lygia, welche du schon ihrer Beschützer und des Obdaches beraubt hast – und auch uns, die wir Böses mit Gutem vergelten?“

„Wollt ihr mich verlassen?“ fragte Vinicius.

„Wir müssen ein anderes Obdach suchen. Da deine rechte Hand gesund ist, so nimm Täfelchen und Griffel und schreibe deinen Dienern, daß sie dich heute abend mit der Sänfte abholen.“

Vinicius erbleichte, denn er sah, daß man ihn von Lygia trennen wollte und wenn er sie jetzt verlor, war alles aus. Er marterte seinen Geist, um ein Mittel zu finden, Lygia und ihre Beschützer zurückzuhalten. Endlich sprach er: „Höret mich, Christen! Gestern war ich mit euch im Ostranium und habe eure Lehren vernommen, aber selbst wenn ich nie etwas davon gehört hätte, würden mich eure Taten doch davon überzeugen, daß ihr gute und redliche Menschen seid. Aber man kann mich heute nicht fortbringen, mein Arm ist krank, und ich werde mich nicht von der Stelle rühren, außer ihr schleppt mich mit Gewalt fort.“

„Herr,“ sagte Crispus, „niemand wird Gewalt gegen dich anwenden, nur wir müssen eine andere Zufluchtsstätte suchen.“ Der junge Mann, der so gar nicht gewohnt war, Widerstand zu begegnen, runzelte die Stirne und sagte: „So laßt mich doch zu Ende reden. Nach Kroton, den Ursus erwürgt hat, wird niemand fragen. Alle glauben, er sei nach Beneventum abgereist. Und wenn der Chilon schon den Präfekten benachrichtigt hat, dann erkläre ich diesem, ich hätte Kroton getötet und er sei es, der mir den Arm zerschmettert habe. Beim Schatten meines Vaters und meiner Mutter, das will ich tun. Deshalb könnt ihr ruhig bleiben, kein Haar soll euch gekrümmt werden. Aber, nicht wahr, ihr fürchtet, ich könnte meine Sklaven rufen, um Lygia zu entführen? Ist dem so?“

„Ja!“ erwiderte Crispus streng.

„So bedenke doch, daß ich vor euch mit Chilon sprechen und den Brief schreiben werde, in dem ich meine Abreise ankündige, und daß ich später keine anderen Boten mehr haben kann als euch. Bedenke das und reize mich nicht länger.“ Sein Antlitz verzog sich wie im Krampfe, und er sprach lebhaft: „Höre mich! Wenn Lygia nicht bleibt, so reiße ich mir mit der gesunden Hand den Verband ab und nehme weder Speise noch Trank – mein Tod aber komme über dich und deine Brüder. Warum hast du mich gepflegt? Warum hießest du mich nicht töten?“

Lygia, die im Nebenzimmer das ganze Gespräch angehört hatte und überzeugt war, daß Vinicius auch ausführen werde, was er voraussagte, erschrak über seine Worte. Seinen Tod wollte sie um nichts in der Welt. Sie hatte ihn gefürchtet, solange er stark und mächtig war, jetzt aber, da er schwach und krank lag, erweckte er ihr Mitleid. Sie hatte so oft für ihn gebetet in der Hoffnung, ihn für Christus zu gewinnen und seine Seele zu retten. Und ihr dünkte, der geeignete Augenblick sei gekommen, ihr Gebet sei erhört worden.

Mit begeistertem Antlitz näherte sie sich darum Crispus, und als ob eine andere Stimme aus ihr spräche, sagte sie: „Crispus, laß ihn bleiben, und wir wollen ihn nicht verlassen, bis Christus ihn wieder gesund gemacht hat.“

Der alte Presbyter liebte es, überall Gottes Eingebung zu erkennen, und dachte beim Anblick der begeisterten Jungfrau, vielleicht rede eine höhere Macht aus ihr. Ehrfürchtig beugte er sein greises Haupt und sagte: „Es geschehe, wie du sagst.“ Auf Vinicius, der die Augen nie von ihr abgewendet hatte, machte Crispus’ Gehorsam tiefen Eindruck. Lygia kam ihm unter den Christen als eine Art Sybille oder Priesterin vor, der man Gehorsam und Ehrerbietung erwies. Auch er empfand Ehrfurcht vor ihr. Zur Liebe gesellte sich eine Art Scheu, die ihm seine Liebe beinahe als Anmaßung erscheinen ließ. Doch konnte er sich nicht mit dem Gedanken vertraut machen, daß sein Verhältnis zu ihr ein anderes sei, daß nicht sie von ihm, sondern er von ihr abhänge; daß er krank, gebrochen hier liege und aufgehört habe, die angreifende, siegende Macht zu sein, und daß er wie ein hilfloses Kind auf ihre Pflege angewiesen sei. Seiner stolzen Natur wäre ein solches Verhältnis zu jeder anderen Person demütigend vorgekommen; ihr aber war er dankbar als seiner Königin.

Er war im tiefsten glücklich und konnte ihr nur mit den Augen danken. Diese aber leuchteten vor Freude darüber, daß er in ihrer Nähe weilen und sie sehen durfte, morgen, übermorgen, vielleicht für lange Zeit. Zu seiner Wonne gesellte sich bald eine Furcht, zu verlieren, was er schon gewonnen glaubte. So groß war sie, daß, als Lygia ihm abermals zu trinken gab und der Wunsch in ihm aufstieg, ihre Hand zu fassen, er sich nicht getraute.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Quo Vadis?