Kapitel 14 - Chilon war es jetzt nur darum zu tun, den bejahrten, aber immerhin noch kräftigen ...

Chilon war es jetzt nur darum zu tun, den bejahrten, aber immerhin noch kräftigen Glaukus aus dem Wege zu schaffen. In dem, was er dem Vinicius erzählt hatte, steckte nur ein Körnchen Wahrheit. Wohl war er seinerzeit mit dem Arzte zusammengetroffen, allein er hatte ihm keine Hilfe gewährt, sondern ihn vielmehr verraten, an Räuber verkauft, ihn seiner Familie, seiner Habe beraubt und ihn dann schnöde seinem Schicksale überlassen. Die Erinnerung an dieses Ereignis ertrug er leicht, denn nicht in einer Herberge, sondern auf freiem Felde, nahe bei Minturnae, hatte er den mit dem Tode ringenden Mann unbarmherzig liegen lassen. Wie erschrak er daher, als er in dem Bethause seiner gewahr wurde! Jetzt blieb ihm nur die Wahl übrig, sich dem Zorn des Glaukus oder der Verfolgung und der Rache eines mächtigen Patriziers auszusetzen. In Anbetracht dessen schwankte Chilon nicht lange und glaubte, daß es besser sei, einen kleineren als einen größeren Feind zu besitzen. Wenn er deshalb auch aus Feigheit vor einer Bluttat zurückschreckte, hatte er doch den Entschluß gefaßt, den Glaukus durch gedungene Mordgesellen umzubringen.

Es handelte sich nur noch für ihn um die Auswahl der richtigen Leute. Da er größtenteils die Nächte in den Weinschenken, inmitten obdachloser, jeder Ehre barer Menschen verbrachte, konnte es ihm nicht schwer fallen, Leute zu finden, die sich zu jeder Tat bereit erklärten. Es war aber gefährlich, sich mit ihnen einzulassen, denn wenn sie erst Gold bei ihm witterten, dann würden sie sicherlich erpresserisch gegen ihn vorgehen, unter Androhung, ihn den Wachen auszuliefern. Er beschloß nun, unter den Christen seine Werkzeuge zu suchen, und zwar sollte die Angelegenheit so dargestellt werden, daß sie die Aufgabe nicht nur des Gewinnes wegen, sondern aus heiligem Eifer unternehmen sollten.


Chilon begab sich zu diesem Zwecke des Abends zu Euricius, den er sich von ganzer Seele ergeben wußte. Der Greis hatte, nachdem sein Sohn losgekauft worden war, einen der zahllosen Kramläden in der Nähe des Circus Maximus gemietet, in denen Oliven, Bohnen, Backware und mit Honig versüßtes Wasser an die Besucher des Circus verkauft wurde. Chilon traf ihn und seinen Sohn Quartus zu Hause an, begrüßte beide im Namen Christi und trug ihnen gleich sein Begehren vor. Da er ihnen einen so großen Dienst erwiesen habe, meinte er, dürfe er wohl auf ihren Dank rechnen. Er suche zwei bis drei kräftige Leute, um eine Gefahr abzuwenden, die nicht nur ihm, sondern allen Christen drohe. Er sei freilich fast mittellos, denn er habe ja fast alles gegeben; trotzdem wollte er die Leute bezahlen, wenn sie getreulich ausführten, was er anbefehle.

Euricius und Quartus lauschten den Worten ihres Wohltäters voll demütiger Ergebenheit und versicherten ihm, sie seien selbst bereit, alles zu tun, was er von ihnen verlange; ein so heiliger Mann, wie er, könne sie doch zu keinen Taten verleiten, die nicht mit den Lehren Christi übereinstimmten.

Chilon aber überlegte, daß Euricius ein alter, gebrechlicher Greis, Quartus aber erst sechzehn Jahre sei. Er brauchte erfahrene, kräftige Leute und lehnte deshalb ihr Anerbieten ab.

Da sagte Quartus: „Bei den Handmühlen des Bäckers Demas ist ein Mann von ungewöhnlicher Stärke beschäftigt. Ich habe ihn selbst Steine aufheben gesehen, die vier Leute nicht von der Stelle zu rücken vermochten.“ wenn dies ein gottesfürchtiger Mann ist, und er fähig ist, sich für seine Brüder zu opfern, mache mich mit ihm bekannt,“ sagte Chilon.

„Er ist ein Christ, Herr,“ erwiderte Quartus, „denn beim Demas arbeiten zum Teil Christen. Es sind dort Tag- und Nachtarbeiter; jener gehört zu den Nachtarbeitern. Wenn wir jetzt hingehen, treffen wir sie sicher beim Nachtmahl, und du könntest mit ihm reden. Demas wohnt beim Emporium.“

Chilon war bereit und machte sich mit Quartus sofort auf den Weg. „Ich bin alt,“ begann er nach einer Weile, „und leide daher zeitweise an Gedächtnisschwäche. Jawohl! Unser Christus wurde von einem seiner Jünger verraten, allein der Name dieses Verräters ist mir entfallen.“

„Judas, Herr, und hat sich selbst erhängt,“ entgegnete Quartus, sich insgeheim darüber wundernd, daß man diesen Namen habe vergessen können.

„Ach ja, Judas! Ich danke dir!“ warf Chilon ein.

Eine Zeitlang schritten sie schweigend nebeneinander her und erreichten bald das Emporium, an dem sie vorbeigingen. Schließlich machten sie vor einem hölzernen Gebäude Halt, aus dem das Klappern der Handmühlen drang. Quartus trat ein, während Chilon zurückblieb, da er nicht gern von vielen gesehen werden wollte und in steter Sorge lebte, mit Glaukus zusammenzutreffen.

Ich bin begierig auf diesen Herkules, der als Müllersknecht dient, sagte er bei sich, den hell leuchtenden Mond betrachtend. Ist er ein Gauner und kluger Kopf, wird mich die Sache etwas kosten, ist er aber ein tugendhafter Christ und einfältig, dann macht er alles umsonst, was ich von ihm verlange.

Sein Selbstgespräch wurde durch die Rückkehr des Quartus unterbrochen, der mit einem zweiten Mann aus dem Gebäude trat. Dieser Mann trug eine bei Arbeitern gebräuchliche Tunika, deren Schnitt die rechte Schulter und rechte Brust frei ließ. Chilon atmete befriedigt auf, als er den Ankömmling erblickte; noch nie hatte er solche Schultern und einen solchen Brustkasten gesehen. „Da ist der Bruder, Herr,“ sagte Quartus, „den du zu sprechen wünschtest.“

„Der Friede Christi sei mit dir,“ ließ sich Chilon vernehmen, „du aber, Quartus, kläre diesen Bruder darüber auf, ob man mir glauben und vertrauen könne, und dann kehre im Namen Gottes zu deinem ehrwürdigen Vater zurück und lasse ihn nicht lange allein.“

„Das ist ein gar heiliger Mann,“ sagte Quartus, „der sein ganzes Hab und Gut hergab, um mich, einen ihm ganz Unbekannten, loszukaufen. Unser Herr und Erlöser gebe ihm dafür des Himmels Lohn.“

Der riesige Arbeiter neigte sich über Chilons Hand, als er das hörte, und küßte sie.

„Wie heißest du, Bruder? „ fragte der Grieche.

„In der heiligen Taufe erhielt ich den Namen Urban, Vater.“

„Urban, mein Bruder, hast du Zeit, ruhig mit mir zu sprechen?“

„Unsere Arbeit beginnt um Mitternacht, und jetzt wird erst unser Nachtmahl bereitet.“

„Es ist also Zeit genug, an den Fluß zu gehen, wo du mich anhören sollst.“

Sie ließen sich am steinigen Uferrande nieder. Es war still ringsum; man vernahm nur das entfernte Klappern der Handmühlen und das Rauschen des Wassers.

Chilon hatte das Gesicht des Arbeiters betrachtet. Das ist der Richtige! dachte er bei sich. Ein guter, einfältiger Mensch, der ohne Anspruch auf Belohnung den Glaukus töten wird.

Chilon begann nun langsam mit halbunterdrückter Stimme von Christi Tod zu erzählen. Er sprach nicht direkt zu Urban, sondern es war, als suche er sich jenen Tod zu vergegenwärtigen, oder als vertraue er der schlafenden Stadt zu seinen Füßen das Geheimnis dieses Todes an. Darin lag etwas Rührendes, Ergreifendes. Der Arbeiter weinte, und als Chilon zu wehklagen begann, weil sich beim Tode des Erlösers niemand gefunden hatte, der ihn schützte, wenn schon nicht vor der Kreuzigung, so doch wenigstens vor den Beleidigungen der Soldaten und Juden, da ballten sich die Riesenfäuste des Barbaren vor Mitleid und unterdrückter Wut. Die Erwähnung der Todesstunde hatte ihn gerührt; bei dem Gedanken jedoch an die Menge, die des an das Kreuz geschlagenen Lammes spottete, bäumte sich alles in ihm auf, und ein wilder Rachedurst erfüllte ihn. Da fragte Chilon plötzlich: „Urban, du weißt doch, wer Judas war?“

„Ich weiß! Ich weiß! Aber er hat sich ja erhängt!“ rief der Arbeiter aus. Und aus seiner Stimme klang es deutlich wie Bedauern, daß sich der Verräter selbst den Tod gegeben und so seinen Händen entschlüpft war.

„Und wenn er sich nicht erhängt hätte,“ fuhr Chilon fort, „wäre nicht jeder Christ, der ihn zu Wasser oder zu Lande träfe, verpflichtet, Rache an ihm zu nehmen für die Qualen, für das vergossene Blut, für den Tod des Erlösers?“

„Wer würde dies nicht rächen, Vater!“

„Der Friede sei mit dir, gläubiger Diener des Lammes! Ja, wir müssen die Kränkungen vergeben, die uns zugefügt werden, wer aber wird die Beschimpfungen des Heilands ungestraft lassen? Aber wie die Schlange Schlangen, das Böse Böses und Verrat neuen Verrat züchtet, so ist aus dem giftigen Samen des Judas ein zweiter Verräter entstanden. So wie jener den Juden und römischen Soldaten unseren Erlöser auslieferte, so will dieser, der noch unter uns lebt, den Wölfen seine Schäfchen ausliefern. Wenn niemand dem Verrat zuvorkommt, wenn niemand vor der Zeit der Schlange den Kopf zertritt, dann wartet unser aller sicheres Verderben, und mit uns fällt die Verehrung des Lämmchens dem Untergang anheim.“

Urban war tief beunruhigt, er begriff offenbar nicht ganz, um was es sich handelte.

„Vater,“ fragte er schließlich, „was ist das für ein Verräter?“

Chilon ließ das Haupt sinken. Was das für ein Verräter sei? Ein Sohn des Judas, ein Sohn seines Geifers, der sich für einen Christen ausgibt, aber die Bethäuser nur besucht, um die Brüder beim Kaiser anzuklagen. In wenigen Tagen schon sollen die Prätorianer den Befehl erhalten, Greise, Weiber und Kinder gefangenzunehmen und auf den Richtplatz zu führen. Dies alles habe jener zweite Judas auf dem Gewissen. Da sich aber niemand gefunden habe, um den ersten Judas zu strafen, wer solle diesen strafen und die Brüder und die Lehre Christi vor dem Untergang schützen?

Urban, der bisher auf dem steinigen Uferrande gesessen, sprang plötzlich auf und rief: „Ich will es tun, mein Vater!“

Chilon erhob sich gleichfalls; er ließ den Blick auf dem Antlitz des Arbeiters ruhen, das im hellen Mondschein deutlich zu erkennen war, streckte den Arm aus und legte die Hand auf dessen Haupt. „Gehe zu den Christen,“ sagte er dann feierlich, „gehe in die Bethäuser und frage die Brüder nach Glaukus, dem Arzte, und töte ihn im Namen Christi.“

„Glaukus!“ wiederholte der Arbeiter, um den Namen seinem Gedächtnisse einzuprägen.

„Kennst du ihn?“

„Nein, ich kenne ihn nicht. In Rom sind ja Tausende von Christen! Aber morgen, nachts, versammeln sich alle Brüder und Schwestern im Ostranium, denn der große Apostel Christi ist angekommen, der dort predigen wird, und dort zeigen mir die Brüder sicher Glaukus.“

„Im Ostranium?“ fragte Chilon. „Das liegt doch außerhalb der Stadt? Also die Brüder und alle Schwestern? Des Nachts? Außerhalb der Stadt im Ostranium?“

„Ja, Vater. Das ist unser Friedhof, zwischen der Via Salaria und der Via Nomentana. Du wußtest nicht, daß dort der große Apostel lehren wird?“

„Ich war zwei Tage nicht zu Haus, habe also seinen Brief nicht erhalten. – Wo das Ostranium liegt, konnte ich deshalb nicht wissen, weil ich erst vor kurzem aus Korinth, wo ich einer Christengemeinde vorstand, eingetroffen bin. Aber da es so ist, und da Christus dich zur Tat begeistert, so begib dich ins Ostranium, mein Sohn, suche Glaukus unter den Brüdern und erschlage ihn auf dem Heimwege zur Stadt, wofür dir alle Sünden erlassen werden. Und nun, der Friede sei mit dir.“

„Vater!“

„Ich höre, Diener des Lammes.“

Auf dem Gesichte des Arbeiters drückte sich eine gewisse Verlegenheit aus. Vor kurzem erst habe er einen Mann, vielleicht zwei erschlagen. Ohne es zu wollen, habe er die beiden getötet, denn Gott strafte ihn mit allzu großer Körperkraft. Jetzt büße er dafür und gedenke stets voll Traurigkeit seiner Sünden. Fortwährend bete er, unzählige Tränen vergieße er. Hier aber handle es sich um die Tötung eines Verräters, und er werde es tun, doch müsse Glaukus zuerst vom Bischof oder Apostel verurteilt werden.

„Glaube mir,“ entgegnete Chilon, „der Verräter wird sich dann direkt zu Cäsar begeben, und die Verurteilung kommt zu spät. Aber ich will dir ein Zeichen geben, und zeigst du dieses nach dem Tode des Glaukus dem Bischof und dem großen Apostel, so werden sie deine Tat segnen.“

So redend, zog er ein Goldstück hervor, suchte in seinem Gürtel nach einem Messer, zog damit auf der Münze das Zeichen des Kreuzes und übergab sie dem Arbeiter.

Der Arbeiter nahm das Goldstück, trotzdem ihn stets bei dem Gedanken an den schon begangenen Mord ein Gefühl des Schreckens überkam.

„Mein Vater,“ sagte er mit fast flehender stimme, „nimmst du diese Tat auf dein Gewissen und hast du selbst gehört, Glaukus beabsichtige, die Brüder zu verraten?“

Chilon sah ein, daß er Beweise vorbringen, Namen nennen müsse, wenn er nicht in dem Herzen des Riesen Zweifel erwecken wollte, und plötzlich kam ihm ein glücklicher Gedanke. „Höre, Urban,“ sagte er, „ich wohne zwar in Korinth, allein Kos ist meine Heimat und hier in Rom unterrichte ich ein Mädchen mit Namen Eunike, das aus meinem Lande stammt, in der Lehre Christi. Sie dient als Faltenlegerin im Hause eines Freundes des Kaisers, eines gewissen Petronius. In dem Hause habe ich gehört, daß Glaukus es unternommen hat, alle Christen auszuliefern und daß er außerdem einem Ohrenbläser des Kaisers, Vinicius, versprochen habe, für ihn unter den Christen ein Mädchen aufzufinden ...“

Hier brach er ab und blickte erstaunt auf den Arbeiter, dessen Augen plötzlich wie die eines Raubtieres funkelten, dessen Züge einen wilden, drohenden Ausdruck annahmen.

„Was ist dir? „ fragte er förmlich erschrocken.

„Nichts, mein Vater; morgen töte ich Glaukus.“ Der Grieche schwieg; nach einer Weile ergriff er den Arbeiter beim Arm und wendete ihn so, daß das Mondlicht gerade auf dessen Züge fiel, worauf er ihn aufmerksam betrachtete. Offenbar schwankte er, ob er ihn weiter fragen und alles gleich erforschen sollte, oder ob es besser sei, sich mit dem zu begnügen, was er schon wußte und erriet.

Schließlich siegte doch seine angeborene Vorsicht. Er legte die Hand nochmals auf das Haupt des Arbeiters und fragte feierlich und eindringlich: „In der heiligen Taufe gab man dir also den Namen Urban?“

„Ja, Vater.“

„Nun denn, der Friede sei mit dir, Urban.“

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Quo Vadis?